Guten Abend, verehrte Damen und Herren, vielen Dank, liebe Stefanie Stegmann!
Wir leben in „flüchtigen Zeiten“, so der große polnische Soziologe Zygmunt Baumann. Strukturen der Interaktion ändern sich, wie auch sprachliche Verhaltensmuster.
Die Zeiten, in denen mit rationalen Argumenten diskutiert wurde, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Die fluiden Kommunikationsformen lassen die Grenzen des Sagbaren verwischen, lassen diese Grenzen überschreiten, geschützt durch Anonymität, eine tatsächliche oder gefühlte.
Denunziatorische Kommunikation hat längst die politische Kultur erreicht. Emanzipatorische Bemühungen werden verunglimpft, Begriffe des Fortschritts und der Selbstbestimmung werden umgedeutet, Feinde und Feindbilder konstruiert. Diese Tendenzen verstärken sich durch die Digitalisierung, durch Räume, die parallel zur Realität Bestand haben und Echokammern generieren.
Sich mit der Sprache unserer Gegenwart zu befassen – dafür ist es höchste Zeit.
Eine genuine Aufgabe der politischen Bildung ist es, die Sprache kritisch zu hinterfragen, Räume für eigene und fremde Positionen zu öffnen, Diversität und Kontroversität zuzulassen. Denn Sprache ist nicht neutral, sie wird stets mit einem Zweck verwendet. Sie kann stigmatisieren und instrumentalisiert werden, gar rassistisch oder antisemitisch sein, ausschließen und diskriminieren.
Hier setzt die politische Bildung an, insbesondere in Zeiten, in denen sich im öffentlichen Raum intensiv auf die freiheitliche demokratische Grundordnung – und das was sie auszeichnet – berufen wird – mit gänzlich unterschiedlichen Argumentationsmustern und von Kräften, die das gesamte gesellschaftliche Spektrum repräsentieren.
Es ist unsere Aufgabe zu erklären und einzuordnen und für Meinungsfreiheit und -äußerung zu sensibilisieren.
„Sei freundlich zu unserer Sprache. […]. Erfinde deine eigene Sprechweise, selbst wenn du nur das vermitteln willst, was in deinen Augen jeder sagt.“ Dieser Aufruf des Historikers Timothy Snyder aus seinem Buch „Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ ist aktueller denn je. Insbesondere in Zeiten der Pandemie und der Krise, in der sich Positionen zuspitzen, sich die Gesellschaft polarisiert und um die Deutungshoheit gekämpft wird, sollten wir die Sprache und das Sprechen genau beobachten.
Es ist eine große Herausforderung unserer Zeit, den Anstand der Kommunikation zu bewahren. Wir müssen unsere Begriffspraxis in vielen Lebensbereichen überdenken. Unsere Sprache sollte unbedingt an den demokratischen Konsens und an die Unteilbarkeit der Menschenrechte gebunden sein. Erst dann ist ein Dialog von konträren Meinungen möglich.
Die Kognitionslinguistin Elisabeth Wehling vertritt die These, dass mit bestimmten Begriffen und Frames bestimmte Assoziationen und Wertevorstellung geweckt werden: Reden wir von der "Ehe für alle" oder von der "Homo-Ehe", von der "Flüchtlingskrise" oder der "Aufnahmekrise" unserer Institutionen?
Ich frage mich: Wird in den öffentlichen Diskursen deutlich genug vermittelt, um welche Wertvorstellungen aktuell gerungen wird? Bedarf es einer deutlicheren politischen Positionierung?
Bei all diesen Fragen gilt es miteinander zu reden, Streitgespräche zu führen, Handlungsoptionen zu erkennen und mitzuwirken. „Losgesagt! Ein Festival der Sprache“ ist eine gute Gelegenheit, dies zu tun, insbesondere mit Freiräumen des Fiktiven und Literarischen.
Ich danke den Teams der bpb und des Literaturhauses Stuttgart für diese hervorragende Idee und für ihre Arbeit und wünsche uns allen fruchtbare Gespräche.
– Es gilt das gesprochene Wort –