Sehr geehrte Frau Kleff, sehr geehrter Herr Seidel, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich danke Ihnen für die Einladung zu diesem Bundeskongress von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage.“
Global denken – Lokal handeln – Courage zeigen. Der Titel des diesjährigen Bundeskongresses beschreibt den Kerngedanken von „Schule ohne Rassismus“ aus meiner Sicht sehr gut. Ihr konstant wachsendes Netzwerk setzt sich nun seit über zwanzig Jahren für die Gleichwertigkeit aller Schülerinnen und Schüler ein, zieht die Debatten dieser Welt und dieses Landes in die Schulen und in die Klassen hinein, lässt diskutieren und schließlich Haltung wachsen, lässt Courage entstehen. Und diese Courage, dieses Aufstehen ist heutzutage geforderter denn je – das ist Ihnen so bewusst wie mir. Die demokratische und vielfältige Gesellschaft steht vor immanenten Herausforderungen.
In Sachsen erhält bei der Landtagswahl die Partei eines Landesvorsitzenden 27,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen, der dem völkischen, nationalistischen und als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuften „Flügel“ der AfD angehört . Er ist der Meinung, dass „ein Volk nur seine Freiheit bewahren kann, wenn es weitgehend homogen bleibt“ . In politischer Bildung an Schulen sieht er „keinen Mehrwert für die Berufsausbildung der Schüler“ und tut sie als „Gesinnungsunterricht“ ab .
In Brandenburg erhält dieselbe Partei mit einem Vorsitzender desselben „Flügels“ 23,5 Prozent. Jemand, der von einem „Ethnozid am deutschen Volk“ schreibt, an Treffen der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ teilnahm und sein Verständnis der Rolle der AfD in der Demokratie sowie des von ihm formulierten „nationalen Sozialismus“ immer wieder mit folgendem Satz beschreibt: „Wir wollen kein Stück vom Kuchen. Wir wollen die Bäckerei“ .
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde von Schulen ohne Rassismus, ich erzähle Ihnen das, da insbesondere die Vertreter dieses Flügels nicht nur von den Abgehängten dieser Gesellschaft, den Marginalisierten ohne Zukunft oder alten und Ewiggestrigen gewählt werden. Nein, es sind auch viele junge Menschen, die oftmals noch zur Schule gehen. Laut infratest dimap wählten die AFD in Sachsen 20 Prozent der 16 bis 24jährigen, in Brandenburg 30 Prozent der 25 bis 34-jährigen . In Brandenburg wohlgemerkt in einem Bundesland, in dem der Vorsitzende in einer Debatte mit Schülern sagte, dass diese unter einer „medialen Dauerrotlichtbestrahlung“ stünden.
Diese Herausforderungen sind keine genuine Bedrohung aus dem Osten – eine Vielzahl der führenden Köpfe kommt aus dem Westen. Auch die mitgliedsstärksten Landesverbände finden sich dort . Und sie zeigen sich nicht nur in den Landtagen. Vor kurzem erschien eine für die politische Bildung hochinteressante Studie des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, die sich mit „digitalem Faschismus“ und den daraus resultierenden Herausforderungen für die offene Gesellschaft befasst . Eine beängstigende Analyse: ein durch digitale Massen gestützter Ultranationalismus, ein damit verbundener faktenresistenter Wahrheitsbegriff sowie eine darauf aufbauende sich selbst radikalisierende Systemopposition verfestigen sich zunehmend in den Sozialen Medien. Angst, Abwehrgefühle und Opfermentalität bestärken eine digitale Gegenöffentlichkeit, die sich zusehends abkoppelt. Auch Jugendliche und junge Erwachsene werden damit Teil dieses radikalisierten und sich weiter radikalisierenden Netzwerkes.
Einen eindrucksvollen Einblick in die Mechanismen der digitalen Ausgrenzung gab vor ein paar Tagen die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner vom Londoner Institute for Strategic Dialogue. In ihrem neu erschienenen Werk „Radikalisierungsmaschinen“ beschreibt sie ihre Erfahrungen in Kommentarspalten, offenen Whatsapp-Gruppen sowie geschlossenen Threads und analysiert, wie tief digitaler Rechtsextremismus in das Leben von uns allen und insbesondere in das der jungen Menschen eingreift .
Es scheint bei einem Blick auf Deutschland, aber wohl auch darüber hinaus, so zu sein, wie der Münchener Soziologe Armin Nassehi es in seinen Analysen der digitalen Gesellschaft konstatiert: Wer im digitalen das radikale Rechte bedient, der verschafft sich Gehör .
All das stellt uns Demokratinnen und Demokraten vor Fragen. Es stellt die politische Bildung vor Fragen, und sicherlich stellt es auch Sie, als wesentliche Elemente des Netzwerkes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ vor Fragen. Ein Blick in das Programm dieser beiden Tage zeigt, dass sie sich diese Fragen auch stellen wollen.
Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir die heterogene Gesellschaft als eine Gesellschaft der Vielfalt und der Gleichwertigkeit, erhalten können. Eine aus meiner Sicht unerlässliche Perspektive bei der Betrachtung unserer Gesellschaft ist die des Postkolonialismus. Nicht umsonst stand und steht dieses Thema immer wieder im Zentrum der Betrachtungen und der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung. Eine Vielzahl an Aspekten der momentanen gesellschaftlichen Situation sind darauf zurückzuführen, dass wir alle gebunden sind an koloniale Machtstrukturen. Diese binden ein und schließen aus, sie reproduzieren Klischees und verfestigen Diskriminierungen . Der Tatsache müssen wir uns stellen. Einhergehen muss damit auch der Verlust an weißer, oft genug männlicher Deutungshoheit: eine diverse Gesellschaft, die es ernst meint mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit, muss Plätze schaffen, in denen das koloniale Bild des „tonangebenden weißen Mannes“ nicht weiter unverändert fortbesteht .
Ein weiterer Aspekt betrifft die Netzgesellschaft. Den von mir beschriebenen Umwälzungsprozessen in den Räumen der Digitalität muss sich die gesamte demokratische Gesellschaft entgegenstellen. Es klingt nach einer Binsenweisheit im Jahr 2019, dennoch muss festgehalten werden: Die Sozialen Medien werden in zunehmendem Maße von Extremisten besetzt. Der Umgang mit Ihnen gleicht zurzeit noch viel zu oft dem Lauf vom Hasen und dem Igel. Denken Sie nur an das jüngste Urteil des hiesigen Berliner Landesgerichts, das unglaubliche sprachliche Entgleisungen eines rechten Netzaktivisten gegen die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast „hinnehmbar“ findet.
Die Extremisten scheinen immer einen Schritt weiter zu sein, sodass der Rest der Gesellschaft nur reagieren kann. Versuchen wir das zu ändern. Versuchen wir digitale Räume zu schaffen, in denen Hass stets Gegenrede findet.
Dabei sollten wir den Grundgedanken der politischen Bildung nicht aus den Augen verlieren. Was aktuell immer wieder unter dem Label „Demokratiepädagogik“ gefördert wird, setzt Schwerpunkte, die von den Vorstellungen der politischen Bildung stark divergieren. Die Förderung politischer Teilhabe, die Ermutigung am politischen Willensprozess teilzunehmen und sich aktiv einzubringen sind etwas anderes, als die dort zutage tretende interventionistische Vorstellung von politischer Bildung und der Interpretation von Demokratieförderung als Gefahrenabwehr. Politische Bildung soll eine Einladung sein, aktiv mitzugestalten und nicht „Brände löschen“, die gesellschaftlich lodern.
Es geht hier nicht um eine „Versicherheitlichung“ der politischen Bildung“, sondern um ein sicher machen unserer Demokratie durch lebenslanges Demokratielernen.
Aber Demokratie muss nicht nur einmal gelernt werden – sie ist kein starres Konstrukt, sondern ständiger Bewegung und Mutationen unterworfen. Sie muss also auch immer und immer wieder aufs Neue kennengelernt, erprobt und eingeübt werden. Im Gegensatz zum Fahrradfahren kann Demokratie nämlich sehr wohl „verlernt“ werden. Bildungsangebote in diesem Bereich dürfen dementsprechend nicht mit dem Ende der Schulzeit aus dem Sichtfeld verschwinden, sondern müssen mündigen Bürgerinnen und Bürger ihr Leben lang zur Verfügung stehen. Sie ist kein Erbgut. Sie lebt, wenn sie immer wieder erneuert wird.
Vor kurzem sprach ich beim Festakt der Arbeitsgemeinschaft des Kinder- und Jugendschutzes und zitierte den Erziehungswissenschaftler Kurt Möller, und auch hier trifft sein Zitat den Kern: Wir müssen uns auf die „Konstruktionsarbeit an der Demokratie“ konzentrieren – und die schlägt fehl, wenn wir dabei die Schülerinnen und Schüler ignorieren.
Meine Damen und Herren, liebe Sanem Kleff, lieber Eberhard Seidel,
ich freue mich über so viel Verbündete bei dieser gewaltigen Aufgabe und wünsche ich uns allen viel Durchhaltevermögen. Wir werden es brauchen.
- Es gilt das gesprochene Wort! -