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Festrede im Rahmen des Festakts der Auszeichnung der "Botschafter für Demokratie und Toleranz" (Berlin, 23. Mai 2018) | Presse | bpb.de

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Festrede im Rahmen des Festakts der Auszeichnung der "Botschafter für Demokratie und Toleranz" (Berlin, 23. Mai 2018)

/ 7 Minuten zu lesen

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär Lange,
sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wanderwitz,
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
Exzellenzen,
sehr geehrte Mitglieder des Beirats des Bündnisses für Demokratie und Toleranz,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des diesjährigen Jugendkongresses,
liebe Gäste,

zu unserem diesjährigen Festakt am 23. Mai darf ich Sie ganz herzlich hier im Delphi-Kino begrüßen.

"Wir sind uns durchaus bewusst, dass es aus dieser geschichtlichen Situation heraus gar nicht in unserer Macht steht, etwas zu schaffen, was Jahrzehnte überdauern könnte." Das sagte Walter Menzel (SPD), Mitglied des Parlamentarischen Rats über das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Sein Parteikollege Carlo Schmid nannte es einen „Bauriss für einen Notbau“.

Doch heute, 69 Jahre später, bildet unser Grundgesetz noch immer die Basis, auf der das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland aufgebaut ist. Es ermöglicht uns, gemeinschaftlich in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung zu leben, die geprägt ist durch Rechtstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit, die Einhaltung der Menschenrechte und nicht zuletzt der Achtung der Menschenwürde. Das Grundgesetz lehrt uns einen respektvollen Umgang miteinander, es spricht uns Rechte zu, fordert aber auch Pflichten ein. Daher ist es umso wichtiger, den heutigen Tag der Verfassung – den Tag des Grundgesetzes - auch im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und gemeinsam zu feiern.

Wir erinnern heute an eine Erfolgsgeschichte der besonderen Art. Denn das Grundgesetz war zunächst nur als Provisorium gedacht. Die Erwartung einer baldigen Überwindung der deutschen Teilung veranlasste den Parlamentarischen Rat dazu, der das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 verabschiedete, sich bewusst gegen den Titel der Verfassung zu entscheiden. Mit dem Namen „Grundgesetz“ sollte vor allem der vorübergehende Charakter des Verfassungstextes verdeutlicht werden. Trotzdem wurde das Grundgesetz konzeptionell nicht nur auf die unabweisbar notwendigen Regelungen staatsorganisatorischer Art beschränkt, sondern wurde inhaltlich von Beginn an als Vollverfassung ausgestaltet. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Zum Glück, denn 69 Jahre später dient es uns allen immer noch als Wertequelle, Bezugspunkt und manchmal auch als rote Linie. Man kann sagen: Das Grundgesetz befindet sich in bester Verfassung.

Zudem bietet das Grundgesetz für die meisten von Ihnen Antworten und Handlungsempfehlungen für alltägliche Herausforderungen an. Dabei leiten viele von uns besonders aus den ersten 20 Artikeln Respekt und Achtung anderen Menschen gegenüber ab.

So besagt unser Grundgesetz in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – und ist somit auch keine Frage des politischen Standpunktes. Auch die nachfolgenden Artikel sind unverrückbare Grundsätze unseres Zusammenlebens, auch sie beziehen sich letztlich auf die Würde jedes einzelnen Menschen, unabhängig von politischer, religiöser oder sexueller Orientierung, von Besitz, Einkommen oder Stand in der Gesellschaft. Ich hoffe, das ist auch eine Botschaft, die bei den Menschen ankommt, die an unserem politischen System zweifeln: Unser Grundgesetz ist für alle Menschen in diesem Land da. Es schützt unsere Souveränität, erlaubt uns einen Austausch auf Augenhöhe – und tritt einem Menschenbild, das andere herabwürdigt, mit aller Deutlichkeit entgegen.

Deutschland ist ein offenes, tolerantes und demokratisch geprägtes Land. Aber das bedeutet nicht, dass es nichts zu tun gäbe. Wie die vergangenen Jahre und jüngsten Entwicklungen zeigen, sind die Geschehnisse und die Bewältigung der daraus resultierenden Aufgaben, denen wir uns in Deutschland, aber auch auf der gesamten Welt gegenübersehen, nur mit einer aktiven und partizipativen Zivilgesellschaft vorstellbar. Das zivilgesellschaftliche Engagement prägt den gesellschaftlichen Zusammenhalt unseres Landes in besonderem Maße. Das Mitwirken in zivilgesellschaftlichen Organisationen, Vereinen und Projekten ist nicht nur als Bereicherung zu verstehen, sondern vielmehr auch als wichtige Voraussetzung für das Funktionieren einer modernen Demokratie. Politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgeht, bedürfen der Mitwirkung aller um Vielfalt zu schützen und das Zusammenleben zu fördern.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben viele engagierte Menschen zur Sicherung unserer Demokratie beigetragen. Diese Menschen zu unterstützen und zu motivieren, diesem Ziel hat sich das Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt, kurz: BfDT, verschrieben. Im Jahr 2000 nahm das BfDT seine Arbeit auf – gegründet von den damaligen Bundesministerien des Innern und der Justiz. Seitdem ist unser Festakt am 23. Mai zu einer guten Tradition geworden, zu der Menschen aus ganz Deutschland hier in Berlin zusammenkommen und Jahr für Jahr die Errungenschaften unseres Grundgesetzes feiern.

Eine erfreulicherweise besonders aktive Zielgruppe sind junge Menschen. Mehr als jeder dritte Jugendliche in diesem Land setzt sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise für eine lebendige Demokratie ein. Über 400 von ihnen nehmen seit Sonntag am Jugendkongress 2018 des BfDT teil. Sie kommen aus ganz Deutschland, organisieren in ihren Schulen oder Betrieben Aktionen für mehr Mitbestimmung, übernehmen Verantwortung in Vereinen, Kirchengemeinden, der Jugendfeuerwehr oder dem THW und realisieren Projekte gegen Extremismus und Diskriminierung und für Demokratie und Toleranz.

Das Motto lautet in diesem Jahr: „Engagiert für Demokratie“. Angesichts der vielen Herausforderungen, vor denen die Demokratie hier in Deutschland und Europa steht, finde ich das sehr passend und es stimmt mich hoffnungsvoll, dass die Bedeutung von Engagement für eine funktionierende Demokratie, gerade im Hinblick auf junge Menschen, hierdurch noch einmal betont wird.

Es reicht in der heutigen Zeit nicht mehr aus, sich einfach nur gegen etwas zu positionieren. Nein-Sager und Verweigerer gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung bereits genug; in der Politik, den Sozialen Medien oder im gesellschaftlichen Miteinander. Es ist legitim, nicht einverstanden zu sein und Entscheidungen nicht mittragen zu wollen, die einem verkehrt vorkommen. Aber nur „Nein“ zu sagen und die Hände dann in den Schoß zu legen, führt nicht zu den von uns gewünschten Veränderungen und behindert die konstruktive Auseinandersetzung und Kompromissfindung. Vielmehr müssen wir wieder stärker verdeutlichen, wofür wir einstehen und wie wichtig es ist, die erlangten, zum Teil erkämpften Werte und Freiheiten immer wieder aufs Neue zu verteidigen. Wir dürfen nicht als selbstverständlich ansehen, wofür andere Menschen vor uns eingestanden haben und müssen durch eigenes Tun und die Bereitschaft, selbst Ideen zu entwickeln, zum gesellschaftlichen Dialog beitragen. Auch in dieser Hinsicht könnte das diesjährige Motto „Engagiert für Demokratie“ kaum passender sein.

Und damit kommen wir nun zum eigentlichen Anlass und den Hauptpersonen der heutigen Veranstaltung: Jedes Jahr zeichnet das BfDT anlässlich dieses Festtages bis zu fünf Einzelpersonen oder Initiativen aus, die sich in besonderer Weise um Demokratie und Toleranz in Deutschland verdient gemacht haben. Auch in diesem Jahr hat sich das Bündnis an über 1550 Institutionen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gewandt, mit der Bitte um Vorschläge für eben diese besonderen Personen oder Initiativen. Aus den in diesem Jahr 189 eingegangenen Vorschlägen wählte der Beirat des BfDT schließlich fünf Einzelpersonen und Initiativen aus, die heute als BfDT-Botschafterinnen und Botschafter für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet werden.

Sie werden in erster Linie für ihre großartige Arbeit geehrt, mit der sie einen unverzichtbaren Beitrag zum Wachsen und Gedeihen unserer Gesellschaft und zur Beständigkeit unseres Systems beitragen. Die Personen und Initiativen, die heute ausgezeichnet werden, setzen an verschiedenen Ausgangspunkten an und entfalten ihre Wirkung auf ganz unterschiedliche Weisen. Dennoch ist eine so wichtig wie die andere, denn sie stärken allesamt unsere Gemeinschaft von innen heraus. Und durch diese Vielfalt an Initiativen gelingt es, unserer gesellschaftlichen Pluralität gerecht zu werden.

Gleichzeitig stehen sie aber auch stellvertretend für die laut Freiwilligensurvey des Bundesfamilienministeriums rund 31 Millionen freiwillig Engagierten in unserem Land. Sie alle stärken mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit eine demokratische und tolerante Alltagskultur, zeigen in vorbildlicher Weise Zivilcourage, beziehen Position gegen jegliche Form von Extremismus und Gewalt und unterstreichen damit die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements.

Sie sind die „Ja-Sager“ unserer Gesellschaft. Sie sind diejenigen, die sich auf die gemeinschaftlich geteilten Werte unseres Grundgesetzes berufen und ja sagen zu unserem pluralistischen und offenen Weltbild. Sicher sagen Sie auch manchmal Nein. Zum Beispiel wenn es darum geht, rassistischen Agitatoren, Populisten, Verweigerern und Antidemokraten entgegen zu treten. Aber sie verknüpfen dieses Nein mit einer klaren Haltung und mit einer Idee, wie man es besser machen kann. Sie bieten Lösungen an statt weg zu schauen und beteiligen sich aktiv, statt zu resignieren und sich heraus zu halten.

Und das ist das Erfolgsrezept. Nur, wenn alle Kräfte – die des Staats und der Zivilgesellschaft – vor Ort zusammenarbeiten, können wir im Kampf für eine wehrhafte, starke und vielfältige Demokratie Erfolge erzielen. Unsere Demokratie braucht den Mut und den Einsatz jeder und jedes Einzelnen, um zukunftsfähig zu bleiben. Dazu tragen Sie in herausragendem Maße bei. Und ich hoffe sehr, dass Sie sich auch weiterhin für das „Provisorium“, den „Bauriss für einen Notbau“, der sich doch als so beständig und erfolgreich erwiesen hat, einsetzen werden.

Ich freue mich gemeinsam mit Ihnen allen auf das folgende Programm und wünsche uns interessante Eindrücke, Anregungen und Gespräche beim anschließenden Empfang und der großen Abschlussparty heute Abend. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Fussnoten