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Grußwort bei der Buchpräsentation: "Mittendrin - Fussball in Deutschland" (Berlin, 21. März 2018) | Presse | bpb.de

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Grußwort bei der Buchpräsentation: "Mittendrin - Fussball in Deutschland" (Berlin, 21. März 2018)

/ 4 Minuten zu lesen

Am 21.März wurde in der bpb Berlin das neue Zeitbild "Mittendrin - Fussballfans in Deutschland" gemeinsam mit den Autoren vorgestellt. Thomas Krüger sprach zu Beginn ein Grußwort und verwies auf die politische Dimension, die der Fussball hat.

Meine Damen und Herren, liebe Anne Hahn, lieber Frank Willmann, liebe Fussballfans,

beim Spiel zwischen dem SV Babelsberg 03 und dem FC Energie Cottbus in der Regionalliga Nordost am 28. April 2017 kam es seinerzeit zu massiven rechtsextremen Ausfällen in den Reihen des Cottbusser Anhangs. Mehrfach wurde der „Hitlergruß“ gezeigt und antisemitische Schmähungen skandiert. Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch. Beide Vereine wurden zu Geldstrafen verurteilt. Der SV Babelsberg unter anderem deshalb, weil ein Teil seiner Fans „Nazischweine raus“ Richtung Cottbusser Block gerufen hatte. Die dokumentarisch belegten rechtsextremen Ausfälle der Cottbusser fehlten hingegen in der Urteilsbegründung völlig, das Sportgericht des Nordostdeutschen Fußballverbandes will – trotz vorhandenen Videomaterials u.a. auf youtube – nichts davon mitbekommen haben. Zwischenzeitlich hatte das Sportgericht des NOFV die Strafe gegen Cottbus sogar aufgehoben, die gegen Babelsberg hingegen blieb bestehen – der Verband drohte dem Verein sogar mit einer Spielsperre, da der Verein sich geweigert hatte zu zahlen. Anfang März hob dann das Bundesgericht des Deutschen Fußball-Bundes diese Entscheidung auf und verurteilte auch Energie Cottbus wegen unsportlichen und diskriminierenden Verhaltens seiner Anhänger zu einer Gesamtgeldstrafe von 7.000 Euro.

Im Schlichtungsgespräch lenkte der NOFV jetzt ein. Babelsberg muss zwar auch die volle Strafe zahlen, die Hälfte aber – also 3.500 Euro – werden aber für Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus und für Fairness, Respekt und Toleranz im Fussballsport verwendet. Da sage nochmal einer, Politik habe im Fußballstadion nichts zu suchen. Das war schon zu DDR-Zeiten so, als die ostdeutschen Gästefans im Jahnsportpark an der Cantianstrasse in Berlin Prenzlauer Berg sehnsüchtig auf den ersten Freistoß gegen den Abo-Meister BFC Dynamo warteten, um gemeinsam mit den unterstützenden Unionfans in den Spruch einzufallen: „Die Mauer muss weg“, der von der 400 Meter entfernten Berliner Mauer ins Stadion zurückhallte.

Zum Buch:

Der eben geschilderte Vorfall in Cottbus zeigt, dass es kompletter Unsinn ist, die Fussballstadien als politikfreie Zone zu bezeichnen. Kein Fan, kein Funktionär, kein Trainer, kein Spieler gibt seine politische Einstellung und sein Weltbild ab, wenn er ein Stadion betritt, eine Fußballkneipe oder eine Fanmeile, wieso auch? Bei allen Kommerzialisierungstendenzen, einer zunehmenden Eventisierung und einer für viele Leute nicht nachvollziehbaren Verbandspolitik, sind es immer noch die Fans, die den Fußballsport zu dem machen, was er ist. Fans sind nicht die Paria der Verbandsbosse, sondern ihr Rückgrat, auch wenn manche Vereine die Fans gerne domestizieren würden und zum Teil tabuisieren. Ohne Fans keine Atmosphäre in den Stadien, das wissen wir alle. Die Fans sind diejenigen, die die Fußballkultur täglich leben.

Aber sind Fans auch politische Akteurinnen und Akteure? Wie ticken sie? Welche Entwicklungen finden sich in den Fanszenen? Wie sehen sie die Kommerzialisierung? Wie beurteilen sie gesellschaftliche Veränderungen? Wie werden sie öffentlich wahrgenommen? Um das herauszufinden, haben wir den Fans ein Buch gewidmet. Wir finden, Sie haben unsere Aufmerksamkeit verdient. Auch aus Sicht der politischen Bildung. Denn in einer Zeit, die relativ arm an öffentlicher Ökonomiekritik ist, in einer Zeit, die authentische Persönlichkeiten braucht, sind es ausgerechnet Fussballfans, die sich politisch ins Gespräch bringen, wenn auch nicht immer so, wie wir das gerne hätten. Anne Hahn und Frank Willmann haben mit Fans aus Berlin, Leipzig, Hamburg, München und Nordrhein-Westfalen gesprochen, deren Aussagen anonymisiert wiedergegeben werden. Zusätzlich haben sie mit Menschen gesprochen, die beruflich mit Fußball zu tun haben: mit Fanarbeitern und Wissenschaftlern, mit Sicherheitsbehörden, Rechtsbeiständen und Verbandsmitgliedern.

So ergibt sich ein vielschichtiges Bild der Fanszenen, die das Buch in ihrer vollen Ambivalenz zeigen will – ohne zu romantisieren, aber auch ohne zu dämonisieren. Was in den Fußballstadien passiert, ist ein wichtiger Indikator für die Entwicklungen in unserer Gesellschaft – oder zumindest in Teilen von ihr. Ist es doch nach wie vor auch so, dass viele gesellschaftliche Gruppen im Stadion nicht oder zu wenig repräsentiert sind. Lassen Sie mich für den heutigen Abend, die Gäste begrüßen und damit einen gleichzeitigen Dank aussprechen: Anne Hahn und Frank Willmann die Autorin und den Autor des bpb-Zeitbildes „Mittendrin. Fußballfans in Deutschland“ den Sportjournalisten Christoph Biermann, den wir als Moderator des heutigen Abends und vor allem für die Podiumsdiskussion gewinnen konnten. Janina Laudien von Lernort Stadion – einem Verein, der die Lebenswelt von Fußballfans für die politische Bildung nutzt – und mit der ich heute Mittag bereits eine Beiratssitzung bestritten habe. Greta Rinast von Football Supporters Europe – einem internationalen Netzwerk von Fußballfans. Wir werden gleich über das Buch, das Sie seit vergangener Woche bei der bpb beziehen können, über die Fans, und über Politik in und ums Stadion diskutieren.

Zu danken ist Hardy Grüne, der das Buch lektoriert und redaktionell begleitet hat. Ebenfalls zu danken ist Benjamin Weiss von der bpb, der das Buch sorgsam begleitet hat und dabei nie den Bayernfan hat raushängen lassen. Im Gegenteil: Er hat nichts dagegen unternommen, dass eines der ersten Fotos den Blick in die Alte Försterei ermöglicht, in der ich mich zuhause fühle. Das Buch enthält übrigens etwa 170 dieser beeindruckenden und authentischen Fotos aus dem Kosmos deutscher Fanszenen, einige davon können Sie heute hier und ab morgen im Berliner Medienzentrum der bpb – hier um die Ecke in der Krausenstrasse – bewundern. Den Fotografen Marco Bertram und Karl van Worm, die dem Buch dieses wesentliche Element noch hinzugefügt haben, ist ausdrücklich zu danken. Nach der Podiumsdiskussion werden sie kurz Rede und Antwort zu ihren Fotografien stehen.

Ich wünsche Ihnen und uns einen unterhaltsamen Abend, den wir allen engagierten und passionierten Fussballfans dieser Republik widmen. Ohne sie wäre der Fussball nicht das, was er heute ist.

Fussnoten