Sehr geehrte Damen und Herren,
"Ich bin Coltrane geschädigt", sagt die diesjährige Preisträgerin Angelika Niescier mit ironischem Unterton. Warum geschädigt? "Beeinflusst" hätte es doch auch getan. Wer das Schaffen von Angelika Niescier verfolgt, wird aber unweigerlich zum Ergebnis kommen, dass "geschädigt" irgendwie das angemessenere Wort ist, wenn man schon ein Wort gebrauchen muss und nicht besser die freien Töne sprechen lässt.
Angelika Niescier ist eine suchende Künstlerin, eine Musikerin, die sich gerne im Unruhezustand aufhält, jedenfalls keinen kontemplativen Eindruck hinterläßt. Eine, die sich treiben lässt und ihre Ideen als vorläufige festhält und sie mit ihren Musikern teilt. Denn in Wirklichkeit ist sie ein Kollektivmensch, die nach gemeinsamen musikalischen Lösungen sucht und immer wieder kreative Wege der Kollaboration findet. Das hat wohl auch mit der Tatsache zu tun, dass sie andere Musiker begeistern und mitreißen kann. Ihr Bezugspunkt zum großen Coltrane ist deshalb nie das einer Schülerin, nie das Strebsame, das Epigonenhafte. Es ist eher die Haltung und Inspiration, das Ausbrechen und suchen nach einer Form, die es eben immer nur vorläufig geben kann. Die erstarrte, die geronnene Form landet, das scheint ihr Verdacht, irgendwie immer im Mainstream, ja im Schlager. Und damit will sie tendentiell nichts zu tun haben.
Wo wir schon bei Albert Mangelsdorff, dem Namenspatron des Deutschen Jazzpreises wären. Aus sicherer Quelle ist überliefert, dass Albert Mangelsdorff, als er das Jazzfest Berlin als Leiter übernahm, mit dem Vorschlag konfrontiert wurde, Catherina Valente einzuladen, die bekanntlich mit Chet Baker und anderen Jazzgrößen zusammengearbeitet hatte. Den Vorschlag hat er selbstverständlich umgehend und brüsk abgelehnt. Wer, so Mangelsdorff, einmal mit dem Schlager gemeinsame Sache gemacht hat, "kommt bei mir nicht auf die Bühne". Es war wohl der 1960 erschienene Valente-Song Externer Link: Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini, der ihm noch in den Ohren klang. Mangelsdorff galt journalistischen Insidern ohnehin als Protagonist der deutschen Jazzpolizei, die für das Genre der unverwässerten improvisierten Jazzmusik einstand. Wir können deshalb als Zwischenfazit festhalten: Angelika Niescier ist eine würdige Preisträgerin, die von besagter Jazzpolizei zweifellos ein tadelloses Führungszeugnis ausgestellt bekäme. Der diesjährigen Jury darf ganz in diesem Sinn für ihre Preisträgerin-Auswahl ausdrücklich gedankt werden.
Dabei hat sich Angelika Niescier auf ihrem bisherigen künstlerischen Weg eher nicht um die deutsche Jazzpolizei gekümmert und immer einen viel breiteren, neugierigeren und unruhigeren Blick über gesetzte Grenzkonstrukte eingenommen. Das hat sicher auch mit ihrer Biografie zu tun. 1981 - in unruhigen Zeiten - verließ ihre Familie ihr Herkunftsland Polen und übersiedelte in die Bundesrepublik. Der Kosmos des polnischen Jazz erklärt deshalb vielleicht eher als vieles andere, wie ihr bisheriges Schaffen einzuordnen ist. Angelika Niescier ist genreübergreifend unterwegs und scheut nicht die Berührung mit Theater, Tanz, Bildender Kunst und Film. Kein Wunder, wenn bei der filmkompositorischen Arbeit der Preisträgerin die Erinnerung an Krzysztof Komeda aufscheint. Kein Wunder, wenn Jazzgrößen wie Namyslowski, Urbaniak, Bartkowski und Stefanski ins Gedächtnis treten und diese sehr spezifische grenzüberschreitende transatlantische Sehnsucht aufscheint. Europa war den Polen nicht erst in der Geschichte ihrer 100 Jahre Staatlichkeit ein recht ambivalenter Bezugspunkt. Es gab immer gute Gründe den Blick weiter schweifen zu lassen und Netze darüber hinaus zu knüpfen.
Angelika Niescier wird genau deshalb wahrscheinlich etwas dagegen haben, in irgendeine Ecke gestellt zu werden, auch wenn sie durchaus reflektiert, wo sie herkommt. Das zeigt auf berührende Weise der Dokumentarfilm ("Drei Frauen, drei Wünsche, ein Jahr"), der sie auf dem Weg in das Dorf ihrer Kindheit zeigt und zu dem sie die Filmmusik beigetragen hat.
Angelika Niescier gehört zu einer Generation passionierter Jazzmusikerinnen, die das Genre zugleich feminisiert, professionalisiert und geschlechtergerechter aufgestellt haben. heute führt an den prägenden Frauen des zeitgenössischen Jazz kein Weg mehr vorbei. Das ist auch ihr Verdienst. Gerade die Tatsache, dass sie daraus kein Verdienst für sich selbst ableitet und nie die Frauenkarte zieht, erst recht sich nicht auf ihre Frauenrolle reduzieren lässt, zeigt, mit welcher Souveränität und welchem Selbstbewußtsein wir es mittlerweile in der aktuellen Generation des zeitgenössischen Jazz zu tun haben.
Die diesjährige Preisträgerin lässt sich nicht auf irgendeine Identität reduzieren. Sie liebt die freien Töne, die Interaktion und das Entwerfen kreativer Ideen. Sie versteht sich eher als Teil einer kreativen heterogenen Gemeinschaft, weniger als vagabundierendes Individuum und bleibt dabei in ihrem Musizieren immer originell und autonom. "Keine falschen Kompromisse!" könnte ihr Motto sein. So auch bei einem ihrer außergewöhnlichsten Konzerte. Vor einigen Jahren spielte sie mit dem German Womens Jazz Orchestra zur Eröffnung des ersten arabischen Frauenfußballturniers in Bahrain. Dabei erklang gerade nicht ein ranschmeißerisches "We are the Champions" sondern das originalgetreue Konzertprogramm. Keine Frage: Die Jazzpolizei hätte dafür im Unterschied zu den arabischen Sittenwächtern ein freundlich zustimmendes Nicken übrig gehabt. Zu den unkonventionellen Baustellen der Preisträgern gehört aber auch, dass sie als Grenzgängerin auch mal auf die andere Seite wechselt. Angelika Niescier ist nicht nur als im besten Sinne zeitgenössische Jazzerin unterwegs, sie hat sich auch als Kuratorin und Festivalmacherin einen Namen gemacht. Das Kölner "Winterjazz" Festival ist seit 2012 eine feste Adresse im deutschen Jazzkalender und trägt unverwechselbar ihren Stempel. Dafür wird sie von Musikern und Publikum schon seit Jahren gleichermaßen geschätzt und gemocht.
Noch einmal zurück zum Namensgeber des Preises. Einige Jahre nach dem Tod des großen Posaunisten, so geht die Legende, hat seine Witwe Ilo den bis dahin verschlossenen Posaunenkoffer geöffnet und zur großen Überraschung einen nicht unbeträchtlichen uneingelösten Scheck entdeckt. Was mit der Kohle genau passiert ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist aber gut vorstellbar, dass die deutsche Jazzpolizei seither auf die Idee gekommen ist, den Posaunenkoffer hinfort jedes Jahr einmal aufzumachen und einen uneingelösten Scheck herauszuholen. In diesem Jahr für eine außergewöhnliche Kölner Saxophonistin.
Angelika Niescier hat den ordentlich dotierten Albert Mangelsdorff Preis in jeder Hinsicht verdient. Sie wird ihn nicht an irgendeinen Mainstream Geschmack verspielen sondern ihren Weg weitersuchen, weitergehen und weiterspielen, wobei ihr alles erdenklich Gute zu wünschen ist. Wszystkiego najlepszego!
- Es gilt das gesprochene Wort -