Sehr geehrter Herr Dekan Prof. Bartels,
sehr geehrter Herr Prof. Mayer,
sehr geehrte Frau Reuschenbach,
liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
sehr geehrte Damen und Herren!
Das Gespenst des Populismus geht wieder um und ist so präsent und erfolgreich wie wohl noch nie in der Nachkriegsgeschichte. International zeigte es sich im vergangenen Jahr ganz besonders deutlich in Gestalt des Volksentscheids über den Brexit und in der Wahl eines Reality-TV-Stars zum US-Präsidenten. Hierzulande manifestierte es sich zum Beispiel in der Pegida-Bewegung und der noch jungen Partei Alternative für Deutschland, die mittlerweile in zehn Landesparlamente eingezogen ist.
Was tun, wenn demokratische Prinzipien von einem wachsenden Teil der Gesellschaft nicht mehr als Grundlage für ein gelingendes Miteinander erkannt, nicht mehr verstanden oder sogar abgelehnt werden? Wie reagieren, wenn die Grundfesten unseres vermeintlich doch längst etablierten Wertesystems derart erschüttert werden? Wie verhalten, wenn eine zivile Debattenkultur nur noch selten eingehalten wird und stattdessen Hass, Unterstellungen und Halbwahrheiten plötzlich als akzeptable Beiträge zum politischen Diskurs gelten? Die Antwort lautet seit einiger Zeit wieder häufiger: Mehr politische Bildung tut Not!
Und dem kann ich ja nur vollen Herzens zustimmen: Politische Bildung kann die Lösung sein! Allerdings nicht so, wie es manche derer meinen, die aufgrund der aktuellen Lage mehr politische Bildung fordern. Denn sie gehen von der Vorstellung aus, politische Bildung könne immer dann, wenn es zu krisenhaften Erscheinungen kommt, mit schnellen Maßnahmen Abhilfe schaffen. So hat politische Bildung nie funktioniert und so wird sie auch zukünftig nicht funktionieren. Ganz im Gegenteil war und ist es so, dass sie kontinuierlich gefördert und umgesetzt werden muss. Nur so kann sie ihre wichtigste Aufgabe erfüllen: Das demokratische Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu stärken.
Dass politische Bildung kein Ad-hoc-Instrument zur Krisenbekämpfung ist, bedeutet allerdings nicht, dass sie sich nicht einem stetigen Wandel unterworfen wäre und sich neuen gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen müsste. Wir stehen aktuell vor schweren Herausforderungen, das müssen wir anerkennen. Doch betrachten wir die Situation einmal ganz genau, erkennen wir, dass die Bedingungen für politische Bildung auch so gut sind wie lange nicht.
Vor allem zwei Entwicklungen möchte ich hier hervorheben: Zum Ersten geht der Ruf nach mehr und besserer politischer Bildung auch mit einer selten gekannten Welle der Unterstützung einher. Es bleibt nicht bei der sonntagsredenhaften Forderung. Nein, konkrete Maßnahmen werden ergriffen, um dies auch zu ermöglichen. Erstes Beispiel hierfür sind wir selbst, die Bundeszentrale für politische Bildung. Wir fühlen im Augenblick einen Rückenwind, wie selten in unserer nunmehr 65-jährigen Geschichte, die ja auch ihren Anfang hier in Bonn genommen hat. Im Jahr 2017 wird die bpb über den höchsten Sachmitteletat seit ihrer Gründung verfügen. Wir dürfen dies sicher als Anerkennung bereits geleisteter Arbeit verstehen, natürlich aber auch als nachdrückliche Aufforderung, die vor uns stehenden Aufgaben anzupacken.
Aber auch in anderen Formen wird eine neu entdeckte Wertschätzung politischer Bildung erkennbar. Bestes Beispiel ist die Lehrplanreform im Freistaat Sachsen. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass die nicht wegzudiskutierenden Probleme mit Rechtsextremismus im Land eine Wurzel auch in der sträflichen Vernachlässigung politischer Bildung im Schulunterricht habe (Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung). Dass es die Eskalationen rund um die Unterbringung Geflüchteter an verschiedenen Orten Sachsens Ende 2015 und Anfang 2016 brauchte, damit die Landesregierung sich eingestand, ein Problem zu haben, ist äußerst bedauerlich. Erfreulich ist aber, dass diese späte Einsicht dazu geführt hat, dass politische Bildung wieder zum festen Bestandteil des Schulunterrichts gemacht wurde.
Die zweite Entwicklung, die erfolgreiche politische Bildung möglich machen kann, ist die Politisierung der Gesellschaft, die wohl zuletzt vor 26 Jahren so ausgeprägt war wie heute. Immer wieder haben wir in der politischen Bildung über das politische Desinteresse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger geklagt – doch auf einmal ist Politik wieder Gesprächsstoff. Am Arbeitsplatz, über den Gartenzaun hinweg und – natürlich – in den Sozialen Medien. In der Vorweihnachtszeit machte ein satirisches Youtube-Video die Runde, dessen Macher 10 Tipps gaben, wie politische Debatten im Familienkreis überstanden werden können. Diese Tipps waren zwar in keiner Weise sachgemäß im Sinne der politischen Bildung oder auch nur politisch korrekt. Aber das Video zeigt doch eindeutig, dass der politische Diskurs wieder Teil der bundesdeutschen Lebensrealität ist. Natürlich bin ich nicht so blauäugig zu vergessen, dass verschiedene Arten, in denen sich diese Re-Politisierung der Gesellschaft momentan zeigt, äußerst belastend sind. Nämlich immer dann, wenn sie in Radikalisierung umschlägt, wenn sie sich aggressiv äußert – gar in Form von kriminellen Akten – und wenn sie wenig empfänglich für Argumente und Fakten ist. Ich halte sie dennoch für eine Entwicklung die positiv wirken kann, denn die Re-Politisierung bietet einen lange nicht gekannten Nährboden für politische Bildung. Dass demokratiefeindliches Gedankengut in einem gewissen Anteil der Bevölkerung – man spricht von 20 bis 30 Prozent – vorhanden ist, war eigentlich schon immer bekannt. Dass dies nun im Alltag, in der medialen Berichterstattung und auch im parlamentarischen System offen zu Tage tritt, kann eine Chance für die öffentliche Auseinandersetzung damit sein. Die gesellschaftliche Entwicklung und das sich mit ihr wandelnde Bild unseres Gegenstands, der Politik, bringen zahlreiche Herausforderungen mit sich, denen wir uns aktuell und in Zukunft stellen müssen. Einige davon möchte ich nun kurz umreißen.
Antipolitik begegnen Auch wenn wir augenblicklich eine re-politisierte Gesellschaft erleben, ist ein Phänomen der Politikmüdigkeit doch erhalten geblieben und hat sich, so mein Eindruck, noch deutlich verstärkt: Die praktische Politik, ihre als undurchschaubar empfundene Komplexität von Machtinteressen und die handelnden Politikerinnen und Politiker haben keinen guten Ruf. Vielfach gibt es heftige, auch irrationale Affekte gegen alles Politische. Skepsis und Ablehnung sind weit verbreitet in allen Bevölkerungsteilen und Altersgruppen. Es wird deutlich, dass viele Menschen zu Empathie und Perspektivenwechsel nicht in der Lage oder nicht mehr bereit sind. Diese Personen zu erreichen, die richtigen Angebote für sie zu entwickeln, ist wohl unsere schwierigste Aufgabe.
Denn es war ja leider nicht politische Bildung, die die Re-Politisierung geweckt oder gar erzeugt hätte. Auslöser waren gesellschaftliche Entwicklungen, reale oder vermeintliche Missstände, die gleichzeitig auch eine Polarisierung bewirkt haben. Der Prozess des Umdenkens über den grundsätzlichen Charakter politischer Bildung muss deshalb stark beschleunigt werden. Politische Bildung findet freiwillig und entlang biografischer Bedürfnisse statt, nicht aufgrund missionarischer Eindringlichkeit. Politische Bildung ist – außer in der Schule – darauf angewiesen, dass Menschen offen für ihre Angebote sind. Noch immer sind viele Träger politischer Bildung, und hier schließe ich die bpb ein, in weiten Teilen ihres Angebots auf eine ‚Komm-Struktur‘ eingerichtet. Wer Interesse hat und weiß, wo er suchen muss, findet ein vielfältiges Angebot an politischen Informations- und Bildungsmöglichkeiten. Dafür aber braucht man Eigeninitiative. Was die genauen Ursachen für den „Verdruss“ sind, der diese Eigeninitiative verhindert - diese Frage beschäftigt uns ja schon seit geraumer Zeit. Klar ist: Es reicht nicht, die Notwendigkeit politischer Wachsamkeit und Teilhabe zu beteuern, denn rationale Argumente scheinen an ihre Grenzen zu stoßen. Für die politische Bildung eröffnet sich hier ein Terrain, auf dem unter anderem Haltungen, Einstellungen und emotionale Befindlichkeiten eine Rolle spielen – Faktoren, deren Berücksichtigung noch immer nicht unbedingt zu unserem Arsenal didaktischer Werkzeuge gehörten. Ein Lösungsansatz für unser Dilemma, die Re-Politisierung bei gleichzeitiger Ablehnung der Politik, ist die Verortung des Politischen im Alltäglichen. Politische Bildung muss deutlicher machen, welche Rolle Politik im Leben jedes Einzelnen spielt. Wie sie zu verstehen, zu beurteilen und zu beeinflussen ist. Sie muss dafür an vorhandenes Interesse anknüpfen, lebensweltliche Themen mit politischer Dimension aufgreifen. Es ist nicht nur die „schöne Verpackung“, die politische Bildung den Antipolitischen, den scheinbar Desinteressierten und Politikfernen näher bringt. Es sind Angebote, die bei den unausgesprochenen politischen Interessen der Adressaten ansetzen, deren Vorbehalte und Skepsis ernst nehmen und deren lebenspraktische Fragen als politische Fragen dechiffrieren. Es geht darum, den politischen Kern sozialer Fragen aufzudecken und so zugleich Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dies setzt voraus, dass politische Bildung noch häufiger als bisher die Perspektive wechselt: Nicht die eigene Fachlichkeit ist das Maß aller Dinge, sondern der Standpunkt der Adressaten.
Diversifizierte Zielgruppen erreichen Um die Perspektive der Adressaten berücksichtigen zu können, muss man sie kennen. Das aber wird angesichts einer fortschreitenden Diversifizierung von sozialen Gruppierungen und individualisierter Lebensweisen schwieriger. Gerade die politische Bildung hat lange milieuspezifisch gedacht und gearbeitet. Die plurale Landschaft der Anbieter ist geprägt von unterschiedlichen Traditionen, politischen Ausrichtungen und Spezialisierungen auf verschiedene Zielgruppen. Unsere Gesellschaft differenziert sich aus – grobe Einteilungen in Migrantinnen und Migranten, Jugendliche oder Sozialmilieus funktionieren schon lange nicht mehr. Reichte früher die Erfahrung, um die Bildungsvorlieben und den Bildungsbedarf der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Bildungsangeboten zu antizipieren, werden diese heute immer individueller und kurzlebiger. Die Werbung für politische Bildung und die Angebote selbst müssen immer genauer zugeschnitten sein, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, denn: One doesn’t fit all!
Hier gibt es seit einiger Zeit Suchbewegungen, Experimente und Modelle innovativer Kommunikations- und Bildungsformate. Aber noch immer bewegen wir uns auf unsicherem Terrain. Daher müssen wir uns weiterhin intensiv um Erkenntnisse über die Adressaten politischer Bildung bemühen. Konkret heißt das: Wissenschaftliche Erkenntnisse, systematische Marktforschung, Evaluation.
Wir brauchen Wissensallianzen, um die Grenzen der bisherigen Erforschung der Praxis politischer Bildung zu überschreiten. Erkenntnisse aus der Sozialforschung, Jugendforschung und Marktforschung, Denkmodelle aus angrenzenden Bildungsbereichen, aus Sozial- und Kulturarbeit oder Marketing können die politische Bildung befruchten. Ein Blick auf die beteiligten Lehrstühle und externen Unterstützer sowie das Curriculum zeigt mir, dass diese Interdisziplinarität bei der Konzeptionierung des nun geschaffenen Studiengangs Politisch-Historische Studien bereits bedacht wurde.
Aufbauend auf den Erkenntnissen über die diversen Zielgruppen müssen niedrigschwellige, auch „aufsuchende“ Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies gelingt am besten in Zusammenarbeit mit Einrichtungen und Personen, die das Vertrauen der Zielgruppe besitzen oder Interessen ansprechen, die die Lebenswelt unmittelbar betreffen. Die bpb hat in der Vergangenheit bereits verschiedentlich mit prominenten Persönlichkeiten aus Popkultur, Film und Fernsehen zusammengearbeitet. Mittlerweile sind im Bereich der jugendlichen Zielgruppen ganz besonders unsere Kooperationen mit YouTuberinnen und YouTubern interessant. Sie fungieren als kommunikative „Brückenpersonen“, die das Vertrauen ihres zum allergrößten Teil jugendlichen Publikums genießen und auf Augenhöhe kommunizieren. Solche Konzepte werden wir weiter erproben und etablieren.
Aktualität steigern Auch die Aktualität von Themen für die Nutzung politischer Bildungsangebote ist wichtig – trotz meiner Betonung, dass politische Bildung nur kontinuierlich funktioniert. Denn neben dem vermeintlichen Informationsüberangebot der Medien muss ein Bedarf gedeckt werden. Ein Bedarf nach Austausch, nach Möglichkeiten durch Fragen und Antworten, Beratung und Diskussion einen eigenen Standpunkt zu finden, Verwirrung, aber auch Angstgefühle oder Abwehr artikulieren und teilen zu können. Politische Bildung muss schneller als bisher auf diesen Bedarf reagieren können – sowohl mit personalen wie mit medialen Angeboten. Bisher fehlen für nachfrageorientierte ad-hoc-Angebote oft die zeitlichen Ressourcen und nicht zuletzt die entsprechenden Lehr- und Lernmaterialien. Wie wertvoll schnelle Reaktionszeiten sind, haben wir zuletzt mit der Thematik Flucht und Asyl erlebt. Auf dem Höhepunkt des Interesses im Herbst 2015 konnte die bpb schnell reagieren und hat einige kurzfristig einsetzbare Angebote für Geflüchtete und die haupt- und ehrenamtlichen Helfer geschaffen. Diese wurden so stark nachgefragt und fanden eine so weite Verbreitung, dass sie sogar im Film „Willkommen bei den Hartmanns“ Teil der Requisiten wurden und die bpb sich als Anlaufstelle zur Thematik etablieren konnte. Neue Rezeptionsgewohnheiten nutzen Besonders sichtbar wird der Wunsch nach Aktualität, Austausch und Orientierung online. Hier finden Diskussionen zu aktuellen Themen statt, werden Meinungen ausgetauscht und Urteile gebildet. Es bilden sich Communities, es vernetzen sich die unterschiedlichsten Gruppen und es werden Massen mobilisiert. Aufsuchende politische Bildung heißt also auch, ins Netz zu gehen. Hier gibt es nicht nur Aufschluss über bestimmte Zielgruppen, ihren Informationsbedarf, ihre Denkweisen und Kommunikationsgewohnheiten. Hier findet auch direkter Informationsaustausch, die Vor- oder Nachbereitung von Bildungsmaßnahmen statt. Besonders wichtig sind hier natürlich die Sozialen Medien. Wie bereits angedeutet, bewegen wir uns verstärkt auf YouTube, dessen Potential als Plattform für Austausch und Vernetzung nicht unterschätzt werden darf. Denn der Bildungseffekt tritt nicht unbedingt durch das perfekt inszenierte und faktenbeladene Video ein – interessant wird es, wenn wir weiter nach unten scrollen. Denn im Kommentarbereich der Videos werden Fragen aufgeworfen und Diskussionen gestartet. Auf diese Fragen und Diskussionen müssen wir uns einlassen und moderieren, am besten befördern wir sie besser sogar noch. Gleiches gilt natürlich auch für die anderen Sozialen Medien, die auch als Bildungsräume genutzt werden müssen, statt als weitere reine Verlautbarungsplattformen. Veranstaltungen an denen man online teilnehmen kann und die Präsenz in den sozialen Medien sind wichtige Schritte von der einseitigen Kommunikation zum aktiven Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Problematisch an den Sozialen Medien sind allerdings die sogenannten Echo-Räume. Wenn ich in den Sozialen Medien meine Position immer in die Klientel hinein verkünde, die mir zustimmt, entsteht kein Diskurs. Auch die Aufklärung über die Funktion und die demokratischen Defizite der Sozialen Medien ist deshalb eine Aufgabe politischer Bildung.
Die gewachsene Bedeutung digitaler Medien für die Meinungs- und Willensbildung macht digitale Rückständigkeit fatal. Ein erfolgreicher Einsatz Sozialer Meiden in der politischen Bildung ist von der entsprechenden Qualifikation der Bildnerinnen und Bildner abhängig. Eine Zukunft der politischen Bildung ohne eine eigene „Netzpolitik“ ist deshalb nicht denkbar. Ich setze hier natürlich auf die Anpassungs- und Lernfähigkeit der erfahrenen politischen Bildner, natürlich aber auch auf die nachrückenden „Digital Natives“ und Aus- und Weiterbildungsangebote wie die Politisch-Historischen Studien.
Geschichte modern und pluralistisch vermitteln Für die historisch-politische Bildungsarbeit sind die neuen Rezeptionsgewohnheiten und das Verlangen nach Aktualität Herausforderung und Chance zugleich. Denn es müssen kontinuierlich neue Arbeitsformen erschlossen werden. Ich denke hier zum Beispiel an Bildungskonzepte zum digitalen Einsatz von Zeitzeugen und ihrer Zeugnisse in Reaktion darauf, dass das Ende der Zeitzeugenschaft der Weltkriege unmittelbar bevorsteht.
Eine moderne historisch-politische Bildungsarbeit muss immer einen Bezug in die Gegenwart haben, auch und gerade zur deutschen Geschichte. Vor allem wenn es darum geht junge Menschen zu erreichen, sind „Gegenwartsanker“ essenziell, um Interesse zu wecken. Bildungsarbeit, die einer rein musealen Vergangenheitsdarstellung verhaftet bleibt, ist also nicht mehr zeitgemäß. Zunehmend werden die Debatten um die historische Erinnerung zudem aus europäischer und internationaler Perspektive geführt. Durch die europäische Integration und Migration treffen immer häufiger Narrative sehr unterschiedlicher nationaler Herkunft aufeinander. Als Anforderung an die gegenwartsbezogene historisch-politische Bildung formuliert, bedeutet dies, dass Konzepte entwickelt werden müssen, die unterschiedliche Überlieferungen aufnehmen und miteinander verbinden. Die Perspektiverweiterung ist für die Vermittlung in einer pluralen und europäisierten Gesellschaft von zentraler Bedeutung.
Die aktuellen Entwicklungen und die Aushandlung eines durchaus in der Kontroverse befindlichen neuen gesellschaftlichen Wir in Deutschland verlangen neue Sichtweisen auf historische Ereignisse und die eigenen Erkenntnisse: Gewissheiten und Perspektiven müssen neu erklärt werden. Es geht nicht um eine Vereinheitlichung des Geschichtsbezuges, sondern um einen reflektierten Umgang mit Geschichte, der multiperspektivische Geschichtsbilder zulässt. In pluralistischen und multikulturellen Gesellschaften sind öffentliche Kontroversen um die Deutung von Geschichte Teil einer lebendigen Demokratie.
Fazit Meine Damen und Herren, die Liste der Herausforderungen für die politische Bildung ließe sich noch weiter fortführen. Sie sind zahlreich und auf unterschiedliche Art immer wieder miteinander verquickt. In der re-politisierten Gesellschaft wie sie sich augenblicklich darstellt, ist die oberste Aufgabe, die Etablierung einer Debattenkultur. Eine Debattenkultur in der alle Herausforderungen der Gesellschaft zwar benannt werden, aber unaufgeregt und differenziert statt diffamierend und verkürzt. Dies wird nur gelingen, wenn sich politische Bildung die genannten Herausforderungen annimmt, sich auch selbst immer wieder kritisch hinterfragt und nicht in „Wir gegen Die“-Kategorien denkt.
Wie ich bereits mehrfach erwähnt habe, wird uns dies nicht im Sprint gelingen, sondern nur im kontinuierlichen Dauerlauf. Ich bin überzeugt, dass der heute hier vorgestellte Masterstudiengang alle Voraussetzungen dafür hat, die Studierenden mit dem nötigen Wissen auszustatten. Ich hoffe, sie nehmen aber auch Einsatzwillen und Kondition mit. Sie werden sie brauchen. Sehen Sie in uns als Bundeszentrale für politische Bildung als Partner. Denn auch wenn wir uns als Bundeseinrichtung nicht an der Lehre der Universitäten beteiligen können, so stehen wir doch mit unserer Materialien und Angeboten an der Wegstecke bereit.
In diesem Sinne: einen guten Start!
- Es gilt das gesprochene Wort -