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Die Bedeutung lokaler Kommunikation für eine demokratische, offene und plurale Gesellschaft (21.09.2016, Potsdam) | Presse | bpb.de

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Die Bedeutung lokaler Kommunikation für eine demokratische, offene und plurale Gesellschaft (21.09.2016, Potsdam) Keynote von Thomas Krüger auf dem Lokal-TV-Kongress

/ 14 Minuten zu lesen

Sehr geehrte Damen und Herren,

Es geht ein Gespenst um in Deutschland – das Gespenst der "Lügenpresse".

Sie alle haben sicherlich die Debatten um die Vertrauenskrise der Medien mitverfolgt, nicht nur in Ostdeutschland. Tausende gehen zu den Verhetzungsdemonstrationen von Pegida, Hunderttausende Wutprediger posten ihre Hassrede auf Facebook oder schreiben Schmähbriefe an Zeitungs- und Fernsehredaktionen. Der kollektive Empörungsrausch richtet sich zunehmend auch gegen die Journalisten: Immer weniger Bürger nehmen ein Blatt vor den Mund, wenn sie beleidigende und niederträchtige Vorwürfe gegen Medienvertreter vorbringen, nicht nur, aber vor allem wegen der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Immer mehr Gewaltaufrufe - auch gegen Einzelpersonen - finden inzwischen netzöffentlich statt. Manchmal wünschte man sich, dass die, die so etwas verbal äußern, sich nicht feige hinter irgendwelchen Pseudonymen verstecken, sondern sich unter Klarnamen zu ihren barbarischen Hetzattacken bekennen - denn dann stünden sie längst vor Gericht.

Man könnte auch annehmen – oder zumindest hoffen -, dass diese Verbalexzesse und Ressentiments schon im vergangenen Jahr ihren absoluten Höhepunkt erreicht hätten – damals, als sich AfD-Frau Frauke Petry über die "Pinocchio-Presse" echauffierte. Ich fürchte allerdings, dass wir Kampfvokabeln wie „Lügenpresse“ oder „Systemmedien“ noch lange hören werden. Ich glaube sogar, dass die Hysterie, den Medien als Vierter Gewalt nicht mehr vertrauen zu können, in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Sich darüber zu beklagen, dass die Glaubwürdigkeit der Presse, der Fernsehnachrichten, des Radios und des Online-Journalismus angegriffen ist, scheint salonfähig geworden zu sein. Die alteingesessenen Medien selbst sprechen inzwischen davon, dass – wie es ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo formuliert hat – „unser Ruf auf dem Spiel steht“. Die Medien sind, das beobachte ich, zu Getriebenen geworden, die sich einem permanenten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt fühlen.

Noch im vergangenen Jahr hat eine Repräsentativumfrage des Forschungsinstituts Infratest Dimap im Auftrag der ZEIT ergeben, dass 60% der Deutschen weniger bis gar kein Vertrauen mehr in die traditionellen Medien haben. Wir haben es also nicht mit einem Randgruppenphänomen zu tun, sondern mit einer wachsenden Überzahl an Enttäuschten quer durch alle Bevölkerungsschichten. Nach den klammen Jahren der bis jetzt andauernden Anzeigen- und Auflagenkrise der Presse deren Unabhängigkeit oder Recherchemethoden von Redaktionen mitunter gezielt zu hinterfragen, kann jeder als sein gutes demokratisches Recht reklamieren. Den Journalismus pauschal zu diskreditieren, egal wofür, ist jedoch für mich ein klarer Indikator dafür, dass diesen Leuten echte Argumente fehlen und aus ihnen nur enthemmte Frustration und Hass spricht.

Das zerrüttete Verhältnis zu ihrem Publikum ist Ausfluss einer komplizierten Identitätskrise des Journalismus, nicht nur, aber auch weil er über viele Jahrzehnte dessen Interessen einfach missachtet hat. Noch bis in die 1990er Jahre hat beispielsweise der SPIEGEL "organisierte Leserverachtung" betrieben, wie es die langgediente SPIEGEL-Reporterlegende Cordt Schnibben kürzlich auf einer Tagung eingeräumt hat: Die SPIEGEL-Redaktion hielt es schlicht nicht für nötig auf die Interessen und Anregungen ihrer Leser einzugehen, geschweige denn zu reagieren. Stattdessen machten sich einige Redakteure einen Jux daraus, die kuriosesten Zuschriften zu verreißen und ins Lächerliche zu ziehen. Das sah in anderen Redaktionen wahrscheinlich nicht viel anders aus. Ein echter Leserdialog war seinerzeit verpönt.

Die angebliche Medienverdrossenheit hat auch, wahrscheinlich sogar viel mehr damit zu tun, dass der Journalismus allmählich seine Deutungshoheit verliert, weil ihm die sozialen Netzwerke den Popularitätsrang ablaufen. In den sozialen Netzwerken hat sich teilweise eine neue Vertrauenswährung entwickelt, die keine Rücksicht darauf nimmt, ob jemand professionell berichtet oder sauber recherchiert. Was vor allem zählt, ist die schiere Zahl der Facebook-Freunde oder Twitter-Follower.

46 % aller US-Amerikaner nutzen Social Media als primäre Nachrichtenquelle – eine Verdopplung im Vergleich zu 2013; in Deutschland sind es immerhin 31%. Und wussten Sie, dass 44% aller Mediennutzer weltweit Facebook nutzen, um Nachrichten zu finden, zu konsumieren und zu teilen? Auch in Deutschland haben 61% der jungen Menschen im Alter von 14 bis 29 am Vortag ihre Nachrichten auf Facebook gelesen, an zweiter Stelle steht YouTube mit 49%. Ich finde, dass das bedenkenswerte Prozentwerte sind. Denn wenn vor allem Social Media wie Facebook, YouTube, Instagram und Snapchat als Hauptquelle für Nachrichten von Jugendlichen angesteuert werden, stellen sich auch Fragen zur politischen Bildung. Nicht, dass ich Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht zutrauen würde, journalistische Quellen von Verschwörungstheorien und AfD-Propaganda im Netz zu unterscheiden. Aber dass in der Klaviatur der sozialen Netzwerke, die auch der US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump ganz hervorragend beherrscht, wirre Behauptungen überhaupt gleichrangig neben geprüften und gesicherten Informationen bestehen können, dass also pure Spinnereien denselben Anspruch auf Wahrheit wie Fakten erhebt, und dass wüste Beschimpfungen mehr Mediennutzer erreichen können als Nachrichten, sind für mich Vorboten einer publizistischen Entwicklung, die zum Nachdenken zwingt. Der Begriff dafür ist auch schon gefunden: Das "Postfaktische" – egal ob wahr oder falsch. Hauptsache in die Welt geblasen.

Dieser digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit macht den tradierten Medien wahrlich zu schaffen. Dass sich Journalismus als kulturelle Praxis damit überlebt haben könnte, glaube ich nicht. Aber die jahrelange Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass eine Gesellschaft mitdiskutieren, mitgestalten, koproduzieren will und eben nicht nur durch Märkte zusammengehalten wird, hat eben Folgen. Zum Glück gibt es immer wieder auch solche Journalisten, die sich gegen die Kakophonie im Netz zur Wehr setzen. Sie finden sich nicht damit ab, dass eine Masse von Störern, Pöblern und Wirrköpfen in den sozialen Netzwerken grundlos gegen die Medien stänkert und sie zu Zielscheiben von hohlen Anwürfen macht. Erinnert sei an den mutigen Weckruf der Journalistin Anja Reschke vom vergangenen Jahr in der ARD. Reschke hatte damals in ihrem viel beachteten "Tagesthemen"-Kommentar den "Aufstand der Anständigen" gefordert und an alle Zuschauerinnen und Zuschauer appelliert, sich dezidiert gegen Flüchtlingshetze im Netz einzusetzen und mehr Haltung, auch mehr Zivilcourage zu zeigen.

Das erforderte auch deshalb Mut, weil Reschke ja schon im Vorfeld damit rechnen musste, dass sie sich mit einer solchen Wortmeldung nicht nur neue Facebook-Freunde macht. Tatsächlich löste ihr Kommentar eine Kritikwelle, einen gigantischen Shitstorm im Netz aus. Zahlreiche Ätz-Kommentare, Missgunst und sogar Drohungen schlugen ihr damals entgegen – den genauen Wortlaut erspare ich ihnen. Im Übrigen hat sich in einigen Bundesländern nicht nur die tätliche Gewalt gegenüber Journalisten, sondern auch gegenüber Parteienvertretern sowie Amts- und Mandatsträgern in den letzten drei Jahren erhöht, in Sachsen hat sie sich fast vervierfacht. Das beweist, dass es zwischen solchen leichtfertigen Drohungen an der Smartphone-Tastatur bis auf die Straße nicht weit ist.

Nun ist für Sie als Branchenangehörige - übrigens wir als politische Bildner sind da ihre Wahlverwandten - relativ klar, dass sich die journalistischen Arbeitsweisen und Techniken, vor allem die Erzählformen und Publikumsbeziehungen im Journalismus verändert haben und noch radikaler verändern werden. "Wer nicht mehr mit der Zeit geht, geht mit der Zeit" – das ist ausnahmsweise Mal ein weiser Spruch eines Bankers, Volker van Rüth, der natürlich auch und vor allem auf den Lokaljournalismus in diesen Zeiten zutrifft. Auf den ersten Blick erscheint das Lokale in der globalisierten und durchdigitalisierten Medienwelt chancenlos. Und es mag den ein oder anderen Forscher geben, der dem Lokaljournalismus bescheinigt, er sei im Vergleich zum überregionalen Journalismus in den vergangenen Jahren erheblich schlechter geworden, wie es der wissenschaftliche Leiter des Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford kürzlich angemerkt hat, als er gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" erklärte: "Der beste Journalismus ist heute besser denn je. Er ist demütiger mit Blick auf seine Bedeutung, vielfältiger, was die Quellen, die Herkunft der Journalisten, die Themen angeht, er reagiert besser, ist zeitgemäßer, besser zu konsumieren, informativer. (…) Schlechter als in den Neunzigern", behauptet Nielsen, "ist vor allem der Lokaljournalismus geworden, das ist traurig. Gibt es heute mehr Mist da draußen? Ja, denn es ist viel billiger geworden, Mist zu produzieren."

Diese Einschätzung mag zum Teil vielleicht stimmen, Beispiele zur Verdichtung dieser These gäbe es sicherlich auch für Deutschland, etwa, was die bierseligen Abhängigkeiten zwischen Lokaljournalisten und Lokalpolitikern und die sich daraus entwickelnde tendenziöse Berichterstattung angeht – über diesen Distanzverlust hat das Medienmagazin Zapp in den vergangenen Jahren etliche Berichte gesendet. Doch durch die Nähe zum Mediennutzer erweist sich der Lokaljournalismus eben auch und gerade als publizistische Inspirationsquelle und innovative Drehscheibe, auf der mit neuen Darstellungsformen und Publikumsdialog gearbeitet werden kann. Ich nehme bei vielen Regionalmedien einen Kompetenzzuwachs im kommunikativen und technischen Bereich wahr und glaube deshalb, dass gerade ihnen in der Frage, wie wir in Zukunft die Integrationsfrage lösen, bisher zu wenig Beachtung geschenkt worden ist. Denn im Lokalen, das wissen Sie genauso gut als ich, finden im Alltag viele zwischenmenschliche Begegnungen statt, die unsere Sicht auf die Gesellschaft und ihre Vielfalt beeinflussen. Es sind eben zum Glück noch nicht ausschließlich virtuelle Netzwerke, die unsere soziale Lebenswirklichkeit, unsere Partizipationskultur und den öffentlichen Diskurs prägen. Lokale Kommunikation leistet einen wesentlichen Beitrag zur Meinungsvielfalt, zur Völkerverständigung in den Städten und Kommunen. Sie ist ein wesentlicher Pfeiler für eine offene, demokratische und plurale Gesellschaft. Und im Lokalen können wir ein wesentliches Gegengewicht zur kaputten Debattenkultur in den sozialen Netzwerken leisten, vielleicht sie sogar ein Stück weit reparieren.

Wir wissen von den traditionellen Lokal- und Regionalzeitungen, dass diese leider immer mehr unter wirtschaftlichen Druck geraten und großflächig Redaktionen abbauen. Das ist bitter. Wir nehmen diese wirtschaftliche Entwicklung auch bei den Offenen Kanälen billigend in Kauf, die in den 1980er Jahren als Gegenentwurf zum privat-kommerziellen Rundfunk eingerichtet wurden, denen aber zunehmend die Mittel fehlen. Darunter leidet nicht nur die Medienkompetenz, sondern auch die Bürgernähe. Die Hoffnung, dass ihre Aufgaben in der Lokalberichterstattung, aber auch in der Aus- und Fortbildung durch ein paar YouTube-Videos kompensiert werden können, ist meines Erachtens ein Trugschluss.

Es mag in der Natur der Sache liegen, dass Lokalmedien oft abenteuerliche Trägerkonstruktionen haben, die unterschiedlich politisch gelagert und wirtschaftlich abhängig sind. Es steht aber außer Frage, dass gerade im ländlichen Raum vor allem das lokale Fernseh- und Rundfunkangebot für die Bürger eine unverzichtbare und durch nichts zu ersetzende Informationsquelle und Schnittstelle ist, die aus meiner Sicht eben auch zur gelungenen Integration und Verständigung beiträgt. Die Kommunikationsaufgabe mit den Bürgerinnen und Bürgern stellt künftig für alle Regionalmedien eine große Belastungsprobe dar. Denn obwohl sich traditionell sozialisierte Redakteure vor allem im Lokalen schwer damit tun, diese anstrengende und zuweilen undankbare Kommunikationsaufgabe anzunehmen, wird der Bedarf eines Austauschs mit Lesern, Hörern und Zuschauern noch weiter steigen. Ich halte es deshalb für unverzichtbar, dass die Landesmedienanstalten die lokalen Fernseh- und Rundfunkanbieter technisch und infrastrukturell weiterhin unterstützen und somit ihre wirtschaftliche Situation verbessern, damit die Versorgung der Bürger in allen Teilen Deutschlands künftig gewährleistet bleibt. Dazu gehört auch die Initiative der Landesmedienanstalten MABB und MVB, lokales Fernsehen über Satellit in die Haushalte zu bringen.

Das, worum es auf dem heutigen Kongress gehen soll, behandelt im Kern damit eine notwendige Fragestellung der politischen Bildungsarbeit, die in vielen Bundesländern leider in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt wurde, nicht nur, aber vor allem in den ostdeutschen Ländern, wie das Beispiel Sachsen zeigt. Wir als staatsnahe Bildungsagentur, die das Verständnis für politische Sachverhalte fördert, stehen also vor einem ähnlichen Problem wie die Lokalmedien, wenn wir erkunden, wie politische Bildungsarbeit unter digitalen Vorzeichen geht. Wir fragen uns, wie wir die neuen Mediennutzungsgewohnheiten adaptieren und wie wir uns den digitalen Medienwandel durch Social Media zunutze machen können, ohne zugleich an Kenntlichkeit, Nachhaltigkeit und Seriosität einzubüßen.

Dass öffentliche Diskurse immer häufiger ohne einen fairen, sachlichen und besonnenen Austausch von Argumenten auskommen, ist nicht nur der Umwälzung der gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse geschuldet. Die Gründe für die Radikalisierung der bürgerlichen Mitte und die Zunahme von rechtsextremistischen Straften hängen zweifellos auch mit der Vernachlässigung der politischen Bildung in den Schulen zusammen. Umso wichtiger ist es, dass wir als Bundeszentrale für Politische Bildung gemeinsam mit den lokalen und regionalen Medienanbietern an einer Verbesserung der Bedingungen politischer Meinungs- und Willensbildung arbeiten und uns gegen die unkontrollierte Verbreitung von Propaganda und Häme verbünden. Damit können wir nicht nur die individuelle Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an gesellschaftspolitischen Debatten unterstützen, sondern auch deren Bildungs- und Lebenschancen.

Damit Sie mich richtig verstehen: Die zunehmende öffentliche Diskursverschiebung in die digitale Sphäre muss nicht zwingend etwas Schlechtes bedeuten. Aber die drohenden Gefahren und Risiken für die demokratische Diskursrationalität, die sich aus der verkommenen Debattenkultur in den Echoräumen der sozialen Netzwerke ergeben, sprechen für sich. Wir haben es abseits der Verrohung des netzöffentlichen Diskurses nämlich nicht erst seit gestern mit durch Algorithmen gesteuerten Programmen zu tun, die beispielsweise Facebook-Nutzern ihren eigenen Meinungskanon vorkauen, aber keine Gegenargumente zulassen. Ein echter Argumentetransfer, und sei er noch so kontrovers, findet deshalb kaum noch statt. Die aktuellen Diskussionen über Asylrecht und Einwanderungsstopp verstärken diesen Trend der Filterblasenbildung und der sich selbst bestätigenden "Bullshit"-Zonen.

Umso mehr bedarf es eines lokalen Medienangebots, das seine journalistische Orientierungs- und Ordnungskompetenz schärft und noch konsequenter wahrnimmt. Lokalmedien können nicht nur zeigen, was das Lokalressort stark macht: gründliche Recherche, eine ausgeprägte Bürgernähe und einen hohen Nutzwert. Gerade die Globalität der Medienlandschaft verleiht dem Lokalen außerdem eine neue Wertigkeit: Vor allem das lokale Fernsehen kann ein publizistisches Ökosystem miterschaffen, einen lebendig-aktiven Sozialraum miteinander kommunizierender Menschen, der dazu beiträgt, dass die Gesellschaft sich auf einen moralischen Basiskodex verständigt, wenn sie miteinander ins Gespräch kommt. Angesichts der Migrationsthematik und ihrer unschönen Begleiterscheinungen wie Entgrenzung, Rassismus und Menschenfeindlichkeit brauchen wir aus meiner Sicht am ehesten eine neue digitale Sozialethik, zu deren Gelingen das lokale TV eine wesentliche Mitverantwortung trägt.

Ein vorbildliches Beispiel für Integration auf Ebene der Gemeinden ist die aktuelle Initiative der Medienanstalt Berlin-Brandenburg MABB, den lokalen und regionalen TV- und Radiosendern in Berlin und Brandenburg eine neue Förderrichtlinie zur Integration von Flüchtlingen vorzuschlagen. Solche Förderkonzepte weisen in die richtige Richtung, weil sie eine angemessene Berichterstattung über Flüchtlingsthemen im Programm der werbefinanzierten lokalen Fernseh- und Radiosender auch langfristig gewährleisten wollen. Sie sind damit ein wichtiger Beitrag, um die Berichterstattung über Flüchtlinge und die daraus resultierende Integrationsproblematik in den Kommunen, Landkreisen und Städten nicht nur sichtbarer zu machen, sondern auch die Programmverantwortlichen dabei zu unterstützen, diese Aufgabe thematisch wie redaktionell zu meistern. Das Beispiel Anja Reschke und vieler anderer „anständigen Journalisten“ zeigt ja, dass Medienschaffende in ihren Berufsrollen eben nicht immer nur neutrale Berichterstatter bleiben können, sondern auf sie in der Flüchtlingsfrage auch neue Verpflichtungen zukommen. Sie sollten in ihrer Berichterstattung stets versachlichen können, sich zugleich aber auch klar und deutlich gegen Hass, Häme und Gewalt abgrenzen, eine eigene Haltung zeigen und einordnen können, was in der Flüchtlingspolitik der richtige und was der falsche Weg ist.

Auch die Lokaljournalisten sind somit längst zu Vermittlern und zuweilen Mediatoren zwischen den sich immer wieder aufbauenden politischen Fronten geworden. Sie sind die Moderatoren einer Flüchtlingsdebatte, die sich nicht nur zwischen den Bürgerinnen und Bürgern auflädt, sondern auch zwischen den Parteien. Die tägliche journalistische Arbeit in den Kommunen und Städten ist aus meiner Sicht einer der zentralen Grundpfeiler, von denen der Erfolg oder der Misserfolg einer humanen und geglückten Eingliederung von Geflüchteten abhängt. Integrationspolitik findet auf Bundes- und Europaebene häufig als abstrakte Größe in den Parlamenten statt, wo sie diskutiert und politisch verhandelt wird. Der alltägliche Wahnsinn der Integrationspolitik passiert aber stets im Lokalen. Ich halte es deshalb für essentiell, dass vor allem Lokalprogramme von Hörfunk und Fernsehen aktiv dazu beitragen, die teils überhitzte Stimmung in unserem Land zu versachlichen. Ihre Redaktionen müssen den Finger in die Wunden legen, wo Integration fehlgeschlagen ist und bei den Verantwortlichen nach den Gründen bohren. Sie müssen vielleicht auch im Sinne eines „konstruktiven Journalismus“ Leuchttürme finden, wo sie gut gelungen ist und deren Urheber. Sie könnten die Debatten in den Social Media scheibchenweise deeskalieren und ent-emotionalisieren und auf diese Weise dafür sorgen, dass die Debatten auch in den Kantinen, an den Stammtischen, in den Kirchen und auf den Schulhöfen wieder versachlicht werden.

Ein weiteres integrationsförderndes Beispiel, das ich Ihnen zum Schluss geben möchte, kommt aus dem universitären Umfeld, genauer gesagt aus der journalistischen Aus- und Weiterbildung. Die Hamburg Media School hat als einzige mir bekannte deutsche Ausbildungseinrichtung im April dieses Jahres ein gebührenfreies Fortbildungsprogramm für Medienschaffende gestartet. Das Programm lebt vom ehrenamtlichen Engagement der dozierenden Professoren und Referenten. Es finanziert sich einzig und alleine aus Spenden der Medienwirtschaft. Mit von der Partie sind namhafte Hamburger Medienunternehmen wie der NDR, DIE ZEIT, Gruner+Jahr, Xing, Axel Springer und der Hamburger Bürgerkanal TIDE. Sie ermöglichen den Kursteilnehmern im Anschluss außerdem ein Praktikum in ihren Redaktionen. Für mich ist das Programm „Digitale Medien für Flüchtlinge“ – kurz DMF - ein wunderbares Beispiel für eine gelebte Integration, durch die zehn Männern und drei Frauen aus Syrien, aus dem Irak, Iran, Afghanistan, Ruanda und Kolumbien eine reelle berufliche Chance geboten wird. Die Hoffnung des Programmleiters, Professor Richard Reitinger, ist, dass "auf diese Art in Deutschland eine neue Generation von internationalen Künstlern, Wissenschaftlern, Publizisten, Intellektuellen, einfach: geistig Verbündeten entsteht, wie es vorher noch keine gab".

Dass dieses Programm schon nach einem halben Jahr Früchte trägt, hat die pfiffige Studententruppe mit Fluchtgeschichte erst kürzlich unter Beweis gestellt. Eigeninitiativ und ganz selbstbewusst hat sie jüngst einen Kurzfilm produziert, der in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #Mitgefuehl die Runde machte. Weil sie den Opfern und Angehörigen der Attentate von Nizza, Würzburg, München und Ansbach ihr Mitgefühl ausdrücken und ein Zeichen für Menschlichkeit und gegen Terrorismus setzen wollten, hat einer der Studierenden seine Kommilitonen davon überzeugt, ein bewegendes Video zu produzieren. "Jeder sollte ein, zwei Sätze aus seinem Herzen sagen", erläuterte Initiator Ahmad Alrifaee die Idee. Die Sorge der Studenten nach den Terroranschlägen sei auch gewesen, dass die Stimmung gegen Flüchtlinge in Deutschland kippen könnte. Die Gruppe sei schließlich unsicher gewesen, was diese Anschläge für sie in ihrer jetzigen Lebenssituation in Deutschland bedeuten.

Gelungen finde ich dieses Video, das ich Ihnen in einem kurzen Ausschnitt zum Abschluss meines Vortrags gerne zeigen möchte, auch deshalb, weil es einen seltenen Perspektivwechsel ermöglicht: Alle der elf geflüchteten Journalisten kennen das Gefühl der Trauer um Freunde und Familie nur zu gut. Ihnen allen ist Schlimmes widerfahren, fast alle haben Angehörige verloren, einige von ihnen saßen sogar im Gefängnis. Mit dem Video schaffen sie es, den Blick auf sich und auf uns einmal zu tauschen. Üblicherweise ist die Perspektive der journalistischen Medien auf Flüchtlinge ja ziemlich eindeutig, wenn sie über deren gefährliche und oft dramatische Flucht in den Westen berichten. Geflüchtete haben im besten Falle unsere Anteilnahme. Hier ist es ausnahmsweise anders herum: Nicht sie ernten unser Mitleid nach den Terroranschlägen, sondern wir, die wir im sicher geglaubten Europa leben, haben plötzlich das ihre.

Nicht nur die Aussage, auch die Machart des Videos zeigt, dass es oft kreative, aber simple Einfälle sind, die zum Nachdenken und Mitmachen anregen. In diesem Fall war die Resonanz auf das Video auch in den sozialen Netzwerken fast durchweg positiv, die Trolle und Störenfriede haben kapituliert. Auch Lokalmedien können Kontroversen, Meinungspluralität und Faktenwissen stimulieren und dürfen sich nicht von systematischer Skandalisierung und strategischer Empörungsbewirtschaftung anstecken lassen. Sie sollten politisch relevante Lösungsansätze kenntlich machen und müssen es sogar, um zur Umsetzung einer sinnvollen Integrationspolitik beizutragen. Kraft ihres öffentlichen Gesellschaftsvertrags würde dies zur Wiedergewinnung ihrer Glaubwürdigkeit beitragen. Lokale Medien sind möglicherweise nicht nur Teil eines großen Problems, sondern vielleicht sogar Teil der Lösung, wenn sie sich auf ihre Stärken besinnen. In diesem Sinne – Kopf hoch und nicht die Hände.

- Es gilt das gesprochen Wort -

Fussnoten