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Politische Bildung und die Arbeit mit Geflüchteten | Presse | bpb.de

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Politische Bildung und die Arbeit mit Geflüchteten Essay von Thomas Krüger, erschienen im Journal für politische Bildung, Ausg. 1/2016

/ 5 Minuten zu lesen

Die große Zahl der nach Europa und vor allem Deutschland Flüchtenden aus den Krisenregionen der Welt sind das beherrschende Thema dieser Tage. Deutschland steht als Zufluchts- und Exilland mit der Aufnahme Hunderttausender vor einer großen Herausforderung. Logischerweise stellt sich auch für die Akteure politischer Bildung auf allen Ebenen die Frage, welche Anforderungen diese immer noch neue Situation an sie stellt und wie sie reagieren können.

Kurz- und längerfristige Planungen

Klar ist: Die aktuelle Lage fordert von allen Beteiligten kurzfristiges und flexibles Handeln. Für Akteure der politischen Bildung gilt es im ersten Schritt die bestehende Infrastruktur an Initiativen von Ehren- und Hauptamtlichen sowie die Trägerlandschaft mit Material für ihre Arbeit zu versorgen. In diesen „Sofortangeboten“ ist große Praxisnähe besonders wichtig. Unter anderem bedeutet dies, dass sowohl in den formalen als auch non-formalen Bildungsbereichen mehrsprachige Angebote gefragt sind, die Basisinformationen und Orientierungswissen über politische und gesellschaftliche Prozesse Deutschlands bieten.

In den Überlegungen der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, was kurzfristig getan werden kann, geht es deshalb darum, welche bereits bestehenden Angebote in der Arbeit für und mit geflüchteten Menschen sinnvoll eingesetzt und dafür in verschiedene Sprachen übersetzt werden können. Darüber hinaus sind alle Fachbereiche der bpb aufgerufen, das Thema in ihre laufenden Planungen zu integrieren und Formate zu entwickeln, die in kurzer Zeit realisiert werden können. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf Print- und Online-Materialien. Zielgruppe solcher Angebote sind z.B. Kinder und Jugendliche, die sogenannte „Willkommensklassen“ besuchen, und deren Eltern. Aber auch die Unterstützung der vielen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in Erstaufnahmeeinrichtungen, die oft erste Ansprechpartner für alle möglichen Fragen sind, steht ganz oben auf der Agenda.

Zugleich darf nicht aus den Augen verloren werden, dass die Ankunft vieler Flüchtlinge kein „vorübergehendes Phänomen“ ist, sondern dauerhafte Wirkungen entfalten wird. Bereits heute muss an jene gedacht werden, die Deutschland mittel- und langfristig zu ihrer neuen Heimat machen werden.

So muss eine feste Infrastruktur geschaffen und unterstützt werden, in der Formate entstehen, die auch die "großen Fragen" aufgreifen, etwa die, was die Flüchtlingszahlen für die Gesellschaft bedeuten und wie sie sich dadurch verändert. Außerdem: Welche strukturellen Veränderungen bringt der Wandel zum "Exilland" mit sich? Müssen Transformationsprozesse neu gedacht werden? Und nicht zuletzt: Welche gesellschaftlichen Konflikte sind hiermit verbunden, und wie kann man sie moderieren?

Beiderseitige Integration

Mit der letztgenannten Frage ist die Kernaufgabe der nächsten Monate angesprochen: Es gilt, eine „beiderseitige Integration“ zu schaffen. Einerseits muss es gelingen, den nach Deutschland Kommenden dabei zu helfen, tatsächlich „anzukommen“ und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Es gilt, den Geflüchteten die entsprechenden Strukturen und Zugänge zu Bildungsangeboten. Orientierungshilfen und partizipativen Strukturen für Beteiligung und Mitgestaltung zu bieten.

Gleichzeitig müssen die in Teilen der aufnehmenden Gesellschaft herrschenden Vorurteile entkräftet werden und alltagstaugliche Argumentationshilfen gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit bereitgestellt werden. Wie groß der Bedarf für solche Angebote ist, zeigen fremdenfeindliche Ressentiments, die sich in Form gewaltsamer Ausschreitungen an bestehenden und künftigen Unterkünften für Flüchtlinge Bahn brechen.

De facto hat sich Deutschland längst zu einem Einwanderungsland entwickelt, dennoch gilt es in unseren Planungen zu beachten, dass das Verständnis vom gesellschaftlichen „Wir“ umfassender und vielschichtiger werden wird. Es kann sich nicht mehr nur an der ethnisch-kulturellen Herkunft orientieren, sondern liegt quer dazu. In der Migrationsgesellschaft – oder: in Zeiten der hybriden Identitäten – muss sich dieser Prozess auch im Hinblick auf die Pluralität der potenziellen Partner vollziehen.

Es bedarf eines umfassenden Paradigmenwechsels. Neben der Frage, welche Akteure unsere Partner im Bildungsprozess sein können, bedeutet das auch eine Pluralisierung unserer Themenschwerpunkte, Perspektiven und Inhalte. Überhaupt muss sich der Blick auf die deutsche Gesellschaft insgesamt wandeln, ebenso wie die Kategorien und Koordinaten, mit denen wir sie begreifen.

Bedürfnisse erkennen und Netzwerke stärken

Wie in so vielen anderen Bereichen der politischen Bildung ist auch hier das Netzwerk der Bildungsstätten und freien Träger von großer Bedeutung. Es ist ihre Arbeit vor Ort, mit der die Zielgruppen für die unterschiedlichen Angebote erreicht werden. Den Willen, dieses Netzwerk für die Verbreitung von Informationen und Angeboten zu nutzen, haben die bpb und die anerkannten politischen Bildungsträgern dokumentiert, als sie gemeinsam den aktuellen Förderschwerpunkt „Flucht, Asyl, Vertreibung“ festgelegt haben. Die Träger sollen weiterhin finanziell, aber auch mit „Know-how“ in Form von Materialien und Weiterbildungsangeboten unterstützt werden. Nicht zuletzt soll der Förderschwerpunkt auch die Motivation zum Engagement in der Flüchtlingsarbeit weiter hochhalten.

Um innerhalb der Netzwerke zielführende Planungen anzustellen, ist es wichtig zu wissen, was die Zielgruppen und Akteure wirklich benötigen und wo Konfliktpotenzial liegen könnte. Es ist deshalb unerlässlich, in den direkten Austausch zu treten und, etwa im Rahmen von Workshops, Bedürfnisse abzufragen und gemeinsame Ideen zu entwickeln – auf bundesweiter Ebene genauso wie in den Ländern und den Kommunen, gemeinsam mit den Initiativen und den Landeszentralen für politische Bildung.

Als Formate sind sowohl kurz- als auch längerfristig Lehr- und Lernmaterialien sowie Publikationen nötig, die verschiedene Debatten abbilden und begleiten. Sie müssen den Anspruch haben, Fakten darzulegen und vorurteilsbehaftete Argumente zu entkräften. Dabei sind zunächst niedrigschwellige Angebote wichtig, die rein auf Information setzen; von großer Bedeutung ist es aber auch, möglichst bald partizipative Formate zu schaffen, die etwa gemeinsam mit geflüchteten Menschen entstehen. Nur solche Bildungsprozesse können dazu führen, dass aus einer Zielgruppe politischer Bildung auch Partner, Koproduzenten und Akteure werden.

Mehrsprachig Politik erklären und Hintergründe faktenbasiert erläutern

Einen Überblick über die Angebote der bpb bieten die Themenseiten unter www.bpb.de/flucht und eine Seite mit speziellen Angeboten für Willkommensklassen www.bpb.de/willkommensklassen. Lehrkräfte sind eingeladen, ihr Feedback zu den Materialien einzubringen, um weitere Materialien praxis- und bedarfsnah zu entwickeln. Der Debatten-Schwerpunkt „Kommunale Flüchtlingspolitik“ auf www.bpb.de/kommunale-fluechtlingspolitik bietet Faktenchecks, einen Einblick in die Arbeit auf der lokalen Ebene und macht Fluchtschicksale sichtbar. Für Jugendliche erklärt die Ausgabe „flucht“ des Magazins fluter die Hintergründe – für Kinder bietet ein Schwerpunkt auf www.hanisauland.de Informationen entsprechend aufbereitet. Ganz aktuell hat die bpb den „Refugee Guide“ als kostenloses Angebot in ihre Schriftenreihe aufgenommen – eine Infobroschüre in derzeit zwölf Sprachen, die für und mit Flüchtlingen entwickelt worden ist. Zudem werden die Grundrechte in einem „Falter Extra“ auf einem großen illustrierten Plakat (DIN A0) auf Deutsch, Englisch und Arabisch dargestellt. Und last but not least ist das Grundgesetz seit wenigen Wochen auch in einer arabischen Version digital und im Print erhältlich – die 20.000 Printexemplare waren nach wenigen Tagen vergriffen und werden nun nachgedruckt. Weitere Print- und Onlineangebote, Veranstaltungen, Projekte und Qualifizierungsangebote für Multiplikatoren der politischen Bildung befinden sich in der Planungsphase.

Herausforderungen annehmen und Chancen wahrnehmen

Die aktuelle Situation stellt die politische Bildung vor große Herausforderungen. Doch bietet sie zugleich zahlreiche Chancen. Die vielen neuen Partner, die im Rahmen der Arbeit für und mit Geflüchteten gewonnen werden, können als eine solche Chance verstanden werden: Mit ihnen gewinnen wir hoch motivierte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren politischer Bildung, die es gilt, fest in die Netzwerke zu integrieren – um gemeinsam die Schlagworte Anerkennungskultur, Teilhabe und Pluralität mit Leben zu füllen. Politische Bildung ist wichtiger denn je.

Fussnoten