Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Bonner Gespräche zur politischen Bildung: Big Data und informationelle Selbstbestimmung – Eine Herausforderung für die politische Bildung (7. und 8. März 2016, Bonn) | Presse | bpb.de

Presse Pressemitteilungen Pressetexte 2024 Archiv Reden Archiv Pressekits Fotos | Logos | Banner Logos Virtuelle Hintergründe Thomas Krüger Jahresrückblicke Jahresberichte Auszeichnungen Pressekontakt

Bonner Gespräche zur politischen Bildung: Big Data und informationelle Selbstbestimmung – Eine Herausforderung für die politische Bildung (7. und 8. März 2016, Bonn)

/ 13 Minuten zu lesen

Informationen zur Veranstaltung "Bonner Gespräche zur politischen Bildung" finden Sie hier: Interner Link: www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/medienpaedagogik/219593/bonner-gespraeche-2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

den Weg hier in die Tagungsstätte des World Conference Center Bonn werden viele von Ihnen mit Hilfe eines Navi gefunden haben – im Auto oder auf ihrem Smartphone. Damit nutzen Sie eine recht einfache, weit verbreitete und vor allem sehr beliebte Technologie. Grundlage dafür sind Karten sowie ein Hightech-Satelliten-System, das unseren Globus umkreist. Der Rest sind Mathematik und ein wenig Informatik.

Elektronisch übermittelt als Teil des Internet ist auch diese sehr hilfreiche Technologie, die uns allen das Leben im Alltag vereinfacht, Teil von dem, was als Big Data viele Diskussionen bestimmt. Big Data – nur ein Modebegriff der Internet- und Computerbranche, die damit ihre Computer und Dienste verkaufen wollen? Oder doch mehr? So viel mehr, dass viele Kritiker, Wissenschaftler und Datenschützer unentwegt vor den heraufziehenden Gefahren warnen müssen, mit Big Data beginne die totale Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung? Andererseits hängen an dem Konzept auch neue Versprechungen einer besseren Welt, der Optimierung unserer Städte, unserer Gesundheit, überhaupt dem umfassenderen Verständnis von dem was und wer wir sind und wohin wir wollen. Letztlich damit auch eine bessere Vorausschau auf die Zukunft, was wann wo passiert und wie wir eventuell darauf schon heute reagieren könnten, auch wenn es noch nicht eingetreten ist. Big Data, so freut sich die Wirtschaft, ist das neue Öl. Allein dieser Vergleich sollte uns zeigen, dass wir vorsichtig mit solchen Prophezeiungen umgehen sollten. Wenn aber der Begeisterung über die neuen Möglichkeiten, die sich mit Big Data verbinden, die Warnungen gegenüberstehen, dann stellt sich die berechtigte Frage was dazwischen liegen könnte? Insbesondere wenn es um die Frage nach einer informationellen Selbstbestimmung geht, die den Kern aller kritischen Debatten rund um Daten, Datenschutz und die Digitalisierung unserer Gesellschaften bildet.

Informationelle und auch andere Formen der Selbstbestimmung lassen ein politisch verantwortliches Subjekt vermuten, eine Bürgerin oder Bürger, der sich der Risiken und Vorteile einer Technologie oder eines Verfahrens bewusst ist. Wenn jedoch Daten in der Masse anfallen, wie es im Zuge der Digitalisierung von Gesellschaft in den letzten 25, insbesondere den letzten 10 Jahren Realität geworden ist, besteht die berechtigte Frage, wo denn da noch eine Selbstbestimmung besteht, ja bestehen kann, denn viele der Daten fallen einfach so an, in unserem Alltag, bei den selbstverständlichsten Dingen, zu unserem Vorteil, so gar nicht zu unserem Nachteil. Wird uns hier etwas vorgetäuscht? Sind wir als Bürger einfach nur ahnungslos, der digitalen Welt ausgeliefert oder kümmert uns die eigene Privatsphäre nicht mehr so wie es noch zu Zeiten des Protestes gegen die Volkszählung in den 1980er Jahren der Fall war? Doch früher war bestimmt nicht alles besser, vor allem war einiges anders, weshalb ich an dieser Stelle auch keine weitere Publikumsbeschimpfung vornehmen möchte, sondern die Dimensionen von Big Data in Bezug auf die Möglichkeiten informationeller Selbstbestimmung ausloten und die Herausforderungen aufzeigen, die sich darauf für die politische Bildung ergeben können.

Zunächst: Big Data ist keine Vision, Big Data ist Realität. Nur was sich hinter der Realität verbirgt ist nicht so ganz klar. Diese Unklarheit sowohl auf technologischer, politischer als auch gesellschaftlicher Ebene macht eindeutige Aussagen so kompliziert – die grenzenlose Euphorie der Unternehmen, die hier das neue Öl wittern, zeigt, dass einfache, ökonomisch motivierte Antworten dagegen sehr einfach sein können. Anders als die bereits erwähnte Volkszählung von 1983, steckt hinter Big Data keine konzertierte staatliche Aktion, gegen die sich zu wehren vergleichsweise einfach war. Unter dem Eindruck des herannahenden orwellschen Jahres 1984 – auch damals bereits die Chiffre für den Überwachungsstaat. Viel diskutiert war damals die eingeführte Rasterfahnung Horst Herolds, des BKA-Chefs. der als Chefermittler gegen die RAF fungierte – wurde die Volkszählung zum Inbegriff der staatlichen Schnüffelei. Der Staat drohte mit seinen Fragen in die Privatsphäre einzudringen. Widerstand wurde geleistet, der Zensus boykottiert und das Verfassungsgericht machte in seinem Urteil zur Volkszählung klar, dass dem Bürger so etwas wie eine informationelle Selbstbestimmung zustehen würde. Diese Entscheidung war prägend für die Entwicklung der Datenschutzgesetze in Deutschland und ist es bis heute geblieben – auch wenn es mittlerweile immer schwerer wird zu sagen, wann wir selbstbestimmt unsere Daten abgeben, wann wir wirklich informiert entscheiden und wann wir fast schon selbstverständlich unsere Daten als Teil der Informationsökonomie im Tausch gegen Services, die eine oder andere Annehmlichkeit oder als Teil eines Kaufvorganges über das Internet weitergeben. Denn Big Data folgt keinem übergeordneten Plan, ist keine konzertierte Aktion, sondern beschreibt in einem griffigen Schlagwort diejenige Logik, die sich durch die Digitalisierung der Gesellschaft, unserer Lebenswelten, unserer vielen kleinen, fast nebensächlichen Alltagspraktiken ergeben hat. Das Internet hat uns mit allen anderen und in zunehmenden Maße auch mit unserer Umwelt vernetzt. Das war der erste Schritt. Der zweite war, dass unser Verhalten, unsere Gewohnheiten, über Daten erkennbar wurden und festgehalten werden können. Daten, die man kombinieren, auswerten, neu zusammensetzen und vor allem handeln kann. Der österreichische Wissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger, Professor am Internet Institute der Universität Oxford, sieht in Big Data vor allem die Möglichkeit durch den massiven Einsatz von Datenanalyse neue Einsichten in die Wirklichkeit zu bekommen. Big Data sei, so Mayer-Schönberger, weniger eine neue Technologie, denn eine neue oder jedenfalls signifikant verbesserte Methode der Erkenntnisgewinnung. Es geht also darum die Welt zu erkennen. Was haben wir bisher gesehen und wieso wissen wir jetzt mehr? Und was wissen wir mehr und wozu befähigt es uns?

Um darauf zu antworten, muss man sich die Dimensionen von Big Data begreiflich machen, – das heißt zu schauen woher die Daten kommen, was sie erfassen und wie daraus Erkenntnis gewonnen werden soll. Das alles lässt sich nur einordnen, wenn auch der gesellschaftliche Kontext berücksichtigt wird, in dem das stattfindet, denn es sind nicht mehr die 1980er Jahre, die Welt hat sich verändert und mit ihr die Gesellschaften. Ein Verständnis möglicher Konsequenzen von Big Data ist vor allem vor dem Hintergrund einer Konsumgesellschaft sinnvoll, in der der Konsum, weniger die Produktion, für die Identitätsbildung der Menschen zentral ist. Frei nach Descartes: Ich konsumiere also bin ich! Dabei ist Konsum nicht zu verstehen als ein vermeintlich sinnloses „Gekaufe“, sondern als der Modus mit dem Gesellschaft sich heute im Alltag konstituiert, über den Sinn geschaffen wird. Die Digitalisierung ist einer der entscheidenden Spielplätze des Konsums, hier werden wir zur Ware, die sich selbst vermarktet, hier wird auch über die Nutzung der Angebote Distinktion erzeugt, die so wichtig ist für die Selbstpositionierung innerhalb der Gesellschaft. So verstanden kann Konsum als Vergesellschaftungsform erklären, warum Big Data sowohl Chance als auch Gefahr für unsere Demokratie sein kann, inwiefern die informationelle Selbstbestimmung betroffen ist und vielleicht auch wo politische Bildung ansetzen muss.

Mit der Digitalisierung der Lebenswelt wurden auf uns bezogene Daten immer wichtiger. Neben so offensichtlichen Informationen wie Wohnort, Alter, Geschlecht, Beruf, wurden auch unsere Hobbies, unser Kaufverhalten oder andere Gewohnheiten für die Informationsökonomie interessant, denn endlich bot sich die lange verzweifelt gesuchte Möglichkeit ganz gezielt für Produkte bei denen zu werben, die sich ohnehin für ähnliche Dinge oder Produkte interessierten. Und wir liefern diese Daten gern, helfen sie uns doch uns darzustellen, uns zu verorten, zu unterscheiden von den anderen, im Wettbewerb des Konsums um den besten Platz. Das Mobiltelefon hat dazu beigetragen, dass der Umstand wo wir uns gerade aufhalten eine nicht nur für die Verbindung als solche nötige Information ist, sondern auch hieran wieder Dienste und Produkte anschließen, die uns das Leben erleichtern sollen, die uns einen Distinktionsgewinn verschaffen können oder uns dabei helfen uns selbst zu optimieren – wobei wir im selbstoptimierten Leben ganz spielerisch mit anderen darüber konkurrieren können. Leistungsbereitschaft ist der sichtbare Imagegewinn in einer Konsumgesellschaft.

Dazu kommen Daten über die Umwelt selbst, über uns als Menschen, als Gesellschaften, über unser Leben als solchen. Arbeit, Gesundheit, Verkehr, den Zustand der Welt. Daten folgen zunächst keiner Logik und können sortiert mit den entsprechenden Parametern alles mögliche aussagen. Die in dem Ozean von Daten versteckten Muster können Computer viel besser erkennen als Menschen. Computer können Dinge erkennen, die uns verborgen bleiben. Zusammenhänge, mit denen Krankheiten wohlmöglich besser zu bekämpfen sind – die Welt insgesamt sich besser managen lässt. Besser als je zuvor, so das Versprechen, sollen wir die objektiven Tatsachen der Welt erkennen und somit entsprechend besser, rationaler und effektiver handeln. Mit Big Data sollen 1. Prognosen über das Morgen besser, 2. Fehler verhindert und 3. die Zukunft effektiver gestaltet werden.

Initiativen wie z.B. das Open Data Network und andere sehen in der Verfügbarkeit von Daten aller Art eine neue Transparenz herauf ziehen. Allein die Verfügbarkeit von Daten, z.B. der Regierungen sowie der Behörden des Staates, könne ein Mehr an Demokratie bewirken. Keine klandestinen Verabredungen, sondern Rechenschaft der im Auftrag der Bürger Handelnden steht im Fokus dieser Ideen. Daten als objektive Fakten einer rationalen Welt sind die zentrale Grundannahme. Und in der Tat ist diese Idee sehr reizvoll und ein Ausweis mündiger Bürgerschaft und aktiven politischen Engagements. Die Frage allerdings, wo die Grenzen von so viel Transparenz liegen, muss gestellt werden. Und auch ob Transparenz um der Transparenz Willen immer zielführend ist, oder ob nicht auch hier eine quasi mythische Wirkung von dem Begriff der Daten und Informationen ausgeht oder ausgehen könnte. Bedeutet etwas zu wissen, gleichzeitig es zu kontrollieren oder bedarf es doch noch anderer Möglichkeiten politischer Teilhabe? Dennoch: die demokratische Grundüberzeugung, die hinter solchen Transparenzinitiativen steht, ist grundsätzlich positiv zu bewerten und zu fördern.

Dass nicht alle verfügbaren Daten so offen gehandelt werden, dürfte nachvollziehbar sein. Und es macht auch immer einen Unterschied, ob es sich wie im Falle des Open Data Network um per se öffentliche Daten handelt, die weitgehend nicht personenbezogen sind oder aber eben um solche, die Rückschlüsse auf einzelne Personen liefern. Gerade diese sind es, die von der Internet- und Informationsökonomie zu allererst gesucht werden. Aber auch vom Staat selbst. Auch der Staat möchte möglichst viel über seine Bürger wissen. Informationen und Wissen helfen Leistungen und Infrastrukturen bereitzustellen – aber wie bereits im Deutschen Herbst 1977 als der RAF-Terror die Bundesrepublik herausforderte, gibt es auch heute, insbesondere nach dem 11. September 2001 eine Bedrohung des Staates und der Gesellschaft. Big Data hilft auch hier, festzustellen, wer wann was wo macht – oder plant so jedenfalls die Hoffnung der Sicherheitsbehörden. Denn auch hier versprechen die Daten eine effektivere Suche nach den Gefahren und Gefährdern oder den potenziellen Terroristen von morgen. Die Überwachung der Bürger, inzwischen selbst zum Risiko des Staates mutiert, ist längst Realität. Die Digitalisierung der Lebenswelt mit ihren vielen kleinen Diensten, die unser Leben unterstützen, ja uns ausmachen, erleichtern eine solche Überwachung und Kontrolle. Indem wir die Kontrolle als Teil unseres Konsums in unser Leben eingebaut haben, konsumieren wir auch die Überwachung, was im Guten wie im Schlechten zu einem bestimmenden Umstand gesellschaftlichen Lebens zu Beginn des 21. Jahrhunderts geworden ist.

Aber auch wenn sich am Beispiel staatlicher, sicherheitsmotivierter Kontrolle trefflich weiterspinnen ließe, wie unsere Privatsphäre in Gefahr steht, unterwandert und in Frage gestellt zu werden, so trifft diese in der Tendenz „alte“ Form der Überwachung nicht den Kern von dem, was auch mit Big Data, jenseits der Transparenz, verbunden wird. Und das betrifft die bereits erwähnte Hoffnung, die Zukunft besser und effektiver vorher sagen zu können. Und in dieser Hinsicht betrifft es auch die politische Willensbildung, die Selbstbestimmung der Bürger und ist somit relevant für Konzepte der politischen Bildung insgesamt.

Pläne von Google und anderen globalen Playern der digitalen Wirtschaft lassen erahnen, wohin die Reise gehen soll. Die von ihnen als Utopien der Zukunft entworfenen Pläne einer besseren Gesellschaft bauen voll und ganz auf Big Data. Aber was heißt das und warum sollte man solche und andere Pläne mit Vorsicht genießen und kritisch lesen, auch auf die Gefahr hin als gestrig oder Technik-feindlich gegeißelt zu werden. Grundlage von Googles Ideen, die Welt besser zu machen, ist die Erkenntnis, dass im Kern „alle Probleme Datenprobleme“ seien und eben auch so zu behandeln wären. Big Data mutiert so zu dem Problemlöser schlechthin. Man müsse nur genug Daten sammeln und entsprechen analysieren, dann könne man besser als die Politik oder durch politische Prozesse die Welt steuern. Es ist, wie Kritiker anmerken, ein zutiefst technokratisches und meritokratisches Weltbild, was sich hier Bahn bricht. Politik ist nicht länger die Auseinandersetzung unter generell gleichen Mitgliedern einer Polis, sondern ein Managementproblem. Und in Ansätzen wird so bereits seit 30 Jahren regiert bzw. gemanagt, nämlich seit der Einführung von dem was man in England seit Maggie Thatcher und perfektioniert von Tony Blair als New Public Management versteht.

Bestimmend bei diesem wie auch bei Googles Konzept ist die Effizienz, die im persönlichen Bereich zum „Praktischen“ schön geredet wird. Das Praktische wird zu der Chiffre, an dem das Denken enden muss,worauf es hinführen soll, gerade weil eine Maßnahme doch praktisch sei – egal worum es dabei gehen mag. Energienutzung, Verkehrsströme, Krankenversorgung, aber auch der private Konsum, Geschmack, und letztlich auch politische Entscheidungen, die von Algorithmen soviel besser gelöst werden können als von fehlbaren Menschen, möglicherweise noch dazu Interessen-geleitet. Bei diesen vielfach euphorisch vorgetragenen sozio-technischen Ideen geht es im Kern um das Verstehen von Welt, auf Grundlage möglichst vieler Daten. Und das mag für viele Bereiche auch durchaus Sinn ergeben, wenn auch nicht immer ohne Probleme. So wird schon seit längerem immer wieder gefordert, dass medizinische und vor allem ärztliche Daten „frei gelassen“ werden sollen, da ihre Nicht-Verwendung uns „krank machen“ würde, so der Autor Sebastian Baltzer im Oktober 2015 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die Krankenkassen säßen auf Daten, deren gezielte und vernetzte Nutzung zu mehr Effizienz und zu einer besseren Gesundheitsleistung für die Patienten insgesamt führen würde. Und die Argumente klingen schlüssig und wer möchte nicht gesünder werden und ein noch besseres Gesundheitssystem in Anspruch nehmen. Datenschutz sei ein Problem, räumt der Autor ein, aber die Vorteile würden überwiegen. Nun müsste es jedem Bürger und Versicherten selbst überlassen sein, sich daran zu beteiligen. Aber wer sagt, wie freiwillig „freiwillig“ tatsächlich ist. Habe ich Nachteile, wenn ich mich verweigere? Erhöht meine Krankenversicherung dann den Beitrag oder erhöht sie ihn "nur", wenn meine preisgegebenen Daten auf einen höheren Aufwand verweisen. Und warum muss ich mir von der Versicherung oder dem Staat vorschreiben lassen, was das gute Leben ist. In der Abwägung zwischen gesellschaftlichem Wohl und persönlicher Freiheit aber, an solch einer Diskussion müssen die Bürger entsprechend beteiligt werden.

Eine Diskussion über das „Wie“ unseres Lebens ist in der Tat eine zutiefst politische Frage. Wenn mit Big Data nicht nur die Welt besser erkannt werden soll, sondern gleichzeitig besser verstanden und auf der Grundlage, quasi automatisch auch besser gesteuert und gemanagt werden soll, ohne dass die als langwierig monierten politischen Verfahren dabei stören, ist Vorsicht angebracht. Vorsicht bei den Verfahren, die auf Big Data basieren und die mutmaßlich die „Wahrheit an sich“ zutage fördern. Vorsicht dabei wie Wahrheit und Erkenntnis über die Welt generiert werden; und Vorsicht dabei, wenn solche Wahrheiten, verkauft als Expertenwissen, demokratische Willensbildung, politische Partizipation und auch die damit verbundenen Fehler abschaffen oder zumindest unterwandern wollen. Dann geht es im Kern nämlich auch um unsere Demokratie als solche. Und die ist nicht immer und per se effizient, nicht praktisch, sondern der schwierige, aber lohnenswerte Preis und überhaupt die Voraussetzung für unsere Freiheit. Dabei gilt es immer abzuwägen, auszutarieren und zu diskutieren, inwiefern eine informationelle Selbstbestimmung mit gesellschaftlich wertvollen Gütern in Einklang zu bringen ist. Informationelle Selbstbestimmung ist kein egoistisches Recht, sondern schützt das Individuum in seinen Freiheiten, verpflichtet es gleichzeitig aber auch dazu aktiv an diesem Prozess teilzunehmen. Und hier ergibt sich gerade für die politische Bildung die Aufgabe diese Prozesse im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung, technischen Versprechungen, den scheinbar „praktischen“ Utopien transnationaler Konzerne, die uns zu „Datenprimaten“ machen wollen, wie der Autor Adrian Lobe in der FAZ es prägnant zugespitzt hat, und die Gewinnmaximierung und eben nicht das Wohl der Menschen als Geschäftsgrundlage haben, abzuwägen und eigene, ja eigensinnige Lösungen und Haltungen zu befördern.

Eine Gesellschaft, die die Zukunft bereits über die Steuerung jeglichen Verhaltens im Hier und Jetzt kontrollieren, ja als falsch festgestelltes Verhalten verhindern möchte, ist keine freie Gesellschaft, in der das Risiko und die eigene Verantwortung im Vordergrund stehen. Es ist das eine, Sicherungssysteme gegen soziale Ungleichheiten, Krankheiten oder gegen Naturgewalten zu schaffen – auch das der Versuch die Zukunft zu gestalten –, aber es ist etwas anderes, die Verantwortung für alles auf die Interpretationen von großen Datenbeständen durch ertragsorientierte Unternehmen zu verlagern (zumal automatisiert durch Computer), die zum Teil wirtschaftlichen Interessen unterliegen, zum Teil damit eine politische Willensbildung mit Hinweis auf ein anderes, gutes Leben möglicherweise verhindern wollen. Es gibt keine objektiven Wahrheiten, auch nicht im Big Data. Verantwortung für Entscheidungen müssen letztendlich wir selbst übernehmen, wir für unser Handeln, auch wenn Technologien bei der Entscheidungsfindung mitgeholfen haben mögen. Alles läuft auf einen technischen Totalitarismus hinaus, der den Eigensinn verhindert, der gerade in Demokratien so wichtig ist um diese lebendig zu halten. Wenn politische Bildung kein anderes Ziel haben sollte, dann wäre das der in diesem Falle zentrale Punkt, auf den es hinzuweisen gälte. Was ist Wahrheit? Was können die Daten sagen und inwiefern produzieren sie die Fakten erst, die sie vorgeben zu suchen? Wer trifft die Entscheidungen, wer macht die Parameter? Was hat Politik mit Freiheit zu tun und wie bringe ich mich ein als Mitglied der Polis? Big Data kommt mit vielen Versprechungen, technischen, sozialen, politischen. Es gilt die Bedeutung dieser Versprechungen bewerten zu können – nicht von Maschinen, sondern von uns selbst. Diese Aufgabe kann und darf uns niemand abnehmen. Die dazu nötigen Grundlagen, Haltungen und Kompetenzen zu vermitteln ist Aufgabe politischer Bildung – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten