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"Welt im Wandel: Politische Bildung im Kontext von Migration" - Grußwort zum DVPB-Festakt zum 50. Jubiläum im Rahmen der DVPB-Herbsttagung in Berlin | Presse | bpb.de

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"Welt im Wandel: Politische Bildung im Kontext von Migration" - Grußwort zum DVPB-Festakt zum 50. Jubiläum im Rahmen der DVPB-Herbsttagung in Berlin

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Sehr geehrter Herr Prof. Lange,
Sehr geehrter Prof Wolfgang Sander,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Zunächst einmal möchte ich Ihnen und allen Kolleginnen und Kollegen ganz besonders herzlich zum 50-jährigen Bestehen der DVPB gratulieren.

Die Bundeszentrale für politische Bildung und die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung hatten in dieser Zeit viele Berührungspunkte und gemeinsame Projekte. Eine herausragende Kooperation stellt der Bundeskongress zur Politischen Bildung (kurz: Buko) dar, der bereits seit Anfang der 1980er Jahre veranstaltet wird. Er ist zu einem festen Termin für politische Bildnerinnen und Bildner in Deutschland geworden. In den vergangenen Jahren zunehmend auch für Multiplikatoren aus dem Bereich der außerschulischen Bildung, Nichtregierungsorganisationen und Initiativen.

Im März diesen Jahres haben Sie mit uns und dem BAP erfolgreich den 13. Buko durchgeführt, der durch einen Vortrag von Benjamin Barber eröffnet wurde. Eine der Thesen seiner Rede ist hochaktuell und passt sehr gut in den Kontext dieser Veranstaltung. Er sagte, dass es eine fundamentale Aufgabe heutiger Gesellschaften sei, dass alle Menschen dort, wo sie lebten, sich als Bürger anerkannt fühlen könnten. Viel zu oft würde Citizenship oder Citizenship Education sich eher als ausschließendes Konzept generieren und wahrgenommen werden und somit seinem eigentlichen Kern nicht gerecht werden.Damit hat Barber eine wichtige Aufgabe politischer Bildung in der heutigen Zeit formuliert und uns gleichzeitig herausgefordert.

Er hat uns daran erinnert, dass die politische Bildung und ihre Institutionen stets auf gesellschaftlichen Wandel reagieren müssen. Sich ständig hinterfragen, anpassen und sich weiterentwickeln, um mit ihrer Arbeit den Anforderungen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Dieser Anpassungsprozess spiegelt sich seit den Zeiten Ihrer Gründung unter anderem in einem Paradigmenwechsel wider, bezogen sowohl auf die Zielgruppen als auch die Akteure der politischen Bildung.

Heute denken wir in neuen Kategorien - stark beeinflusst durch die Kommunikationsmöglichkeiten, die das Web 2.0 bietet, und dem Wunsch nach mehr Partizipation und Beteiligung. Diejenigen, die früher „nur“ die Zielgruppen waren, sind heute Partner im Bildungsprozess. Auf diese Weise entkommt politische Bildung der Einbahnstraße und wird zu einem wechselseitigen Prozess. Sie wird immer mehr zur Moderatorin und Schrittmacherin gesellschaftlicher Debatten. Sie nimmt Impulse auf und sorgt dafür, dass sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dabei verändert sich zwangsläufig auch die politische Bildung selbst - und mit ihr ihre Institutionen.

In der Migrationsgesellschaft und in Zeiten der hybriden Identitäten muss sich dieser Prozess auch im Hinblick auf die existierende Heterogenität der Gesellschaft abbilden. Ein selbstkritischer Blick auf die Profession der politischen Bildung zeigt jedoch, dass hier noch viel zu tun ist. Als Beleg dafür lässt sich beispielsweise die Schulbuchstudie des Georg Eckert Instituts „Migration und Integration“ anführen, die von Aydan Özoguz, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, im März diesen Jahres vorgestellt wurde. Die Studie zeigt, dass Migrationsthemen überwiegend konfliktträchtig und krisenhaft thematisiert würden. Und sie macht deutlich, dass nach wie vor ein Manko an diversitätssensiblen Schulbüchern besteht, die (migrationsbedingte) Vielfalt widerspiegeln. Auch die Arbeit von Professorin Sabine Achour mit dem Titel „Bürger muslimischen Glaubens. Politische Bildung im Kontext von Migration, Integration und Islam“ verweist auf bestehende Defizite. Diese Arbeit wurde auf dem letzten Bundeskongress mit dem durch die DVPB verliehenen Walter Jacobs Preis ausgezeichnet.

Meiner Meinung bedarf es eines umfassenden Paradigmenwechsels. Neben der Frage, welche Akteure heute unsere Partner im Bildungsprozess sein können, bedeutet das auch eine Pluralisierung unserer Themenschwerpunkte, Perspektiven und Inhalte. Überhaupt muss sich der Blick auf die deutsche Gesellschaft insgesamt wandeln, ebenso wie die Kategorien und Koordinaten, mit denen wir sie begreifen. Die Frage nach einem neuen gesellschaftlichen „Wir“ muss die politische Bildung nicht nur an sich selbst stellen, sondern sie muss die öffentliche Debatte darüber befördern und mitgestalten. Gerade angesichts der enormen Herausforderungen durch aktuelle Fluchtbewegungen scheint diese Frage nochmals an Bedeutung zu gewinnen.

Die Beurteilung und die Bewältigung der Situation kann entscheidend damit zusammenhängen, wie die Frage nach dem gesellschaftlichen Wir beantwortet wird. Wer sind wir, was ist deutsch und was macht uns als Gesellschaft aus? Der Wettstreit um die Deutungshoheit hat längst begonnen. Momentan, da die Versuchung groß ist, sich allein auf die Situation in Deutschland zu fokussieren, darf sich politische Bildung dieser Versuchung nicht hingeben. Gerade jetzt ist es wichtig, in entgrenzten und in ent-nationalisierten Kontexten politischer Bildung zu denken. Viele Analysen zeigen, dass wir uns mitten in einer neuen Phase der Globalisierung befinden. Auf die Globalisierung der Wirtschaft und der Finanzströme folgt die Globalisierung von Krieg und Zerstörung. Die aktuellen Fluchtbewegungen sind die Auswirkungen dieser neuen Phase. Der Finanzminister Wolfgang Schäuble sprach in der vergangenen Woche davon, dass das unser „Rendevouz mit der Globalisierung“ sei. Die miteinander verbundene Welt hat negatives und positives Potenzial. Um das positive Potential auszuschöpfen, ist es entscheidend, ob es uns gelingt, global citizens, eine Gesellschaft der Weltbürger, zu werden.

Politische Bildung in einer interdependenten Welt setzt Perspektiven und auch konkrete Handlungen oder Projekte voraus, die auch jenseits nationaler Grenzen gedacht und umgesetzt werden. Dazu gehört es auch, bislang selbstverständliche Konzepte wie etwa „Den Westen“ infrage zu stellen. Eurozentristische Annahmen, dass es eine Dichotomie zwischen einem angenommenen „Westen“ und einem angenommenen „Rest der Welt“ gebe, sollten von politischer Bildung hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden. Die aktuelle Situation ist auch eine Bewährungsprobe für die politische Bildung. Man wird von uns einen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen erwarten. Wir haben viel zu bieten und können auf lange Erfahrungen zurück blicken, wie das Jubiläum Ihres Verbandes zeigt.

Gleichzeitig sind aber gerade jetzt die eingangs erwähnte kritische Selbstreflexion und der Wille und die Fähigkeit zur Veränderung besonders wichtig. Neues muss gedacht, eingetretene Pfade, Handlungsweisen und Strukturen müssen verlassen werden. Und auch innerhalb der Welt der politischen Bildung muss über Grenzen hinweg gedacht werden. Auch über Verbandsgrenzen hinweg. Über Grenzen zwischen schulischer und außerschulischer und informeller Bildung, über Grenzen zwischen Theorie und Praxis, zwischen Regierungsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen hinweg.

Ob wir die Bewährungsprobe gemeinsam bestehen können, hängt in starkem Maße von unserer Fähigkeit ab, über Grenzen hinweg denken und handeln zu können. In der Bearbeitung historischer Thematiken sind wir bei Veranstaltungen der bpb meist dem Motto gefolgt „Schau zurück und denke nach Vorne“. Ich wünsche Ihnen, bei Ihrer Juliläumsveranstaltung viel Spaß, Anregungen und Erfolg dabei.

Vielen Dank!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten