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"Was ist Leistung?" - Grußwort zum Kongress der "Überparteilichen Fraueninitiative Berlin" am 20. November 2015 im Berliner Abgeordnetenhaus | Presse | bpb.de

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"Was ist Leistung?" - Grußwort zum Kongress der "Überparteilichen Fraueninitiative Berlin" am 20. November 2015 im Berliner Abgeordnetenhaus

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Sehr geehrte Damen und Herren,

heute habe ich zum zweiten Mal das Vergnügen, Sie beim Kongress "Was ist Leistung?" der "Überparteilichen Fraueninitiative Berlin" begrüßen zu dürfen. Sollten Sie sich nun fragen, ob Sie gerade ein Déjà-Vu erleben – gleicher Kongress, dieselbe Begrüßung – kann ich Sie beruhigen. Diese Veranstaltung ist keine Wiederholung, sondern die logische und dringende Fortsetzung einer gesellschaftlichen Debatte, die nicht an Aktualität verloren hat.

- Unter welchen Bedingungen arbeiten Frauen in unserer Gesellschaft heute?
- Wie steht es um die Anerkennung der Fürsorgearbeit?
- Was ist Leistung und wie wird sie bemessen?

Diese Fragen bauen auf dem Kongress von 2012 auf. Damals ging es um die Bewertung von Arbeit, gerechter Bezahlung sowie der Arbeitsaufteilung zwischen Männern und Frauen und ihrer jeweiligen Wertschöpfung. Der wirtschaftliche Ausnahmezustand bildete den Hintergrund der Diskussionen – die Eurokrise war noch allgegenwärtig. Beim diesjährigen Kongress hat sich der Blickwinkel verschoben. In den Fokus rücken der umfassende Bereich der Fürsorgearbeit, die Arbeitsbedingungen in der Frauenarbeit und Reformbedarfe – erfreulich ist, dass der Internationalisierung unserer Gesellschaft und Wirtschaftsordnung ebenfalls Rechnung getragen wird. Die Ziele des Kongresses sind klar und sie sind imperativ: Dem öffentlichen Diskurs neue Impulse geben und unsere Gesellschaft auf dem Weg zu einer Gleichstellung der Geschlechter voranbringen.

Es gibt noch viel zu tun:
Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes verspricht: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Dieser Satz, das wissen wir alle, ist noch immer nicht Realität. Rein rechtlich betrachtet darf es keine Benachteiligungen mehr geben. Mit dem kürzlich novellierten Bundesgleichstellungsgesetz und dem bald zehnjährigen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz existieren solide Grundlagen, bestehende Nachteile zu beseitigen und Diskriminierung zu verhindern. Und trotzdem sind wir - trotz aller Bemühungen und Fortschritte der letzten Jahre - immer noch weit entfernt von der faktischen Gleichstellung. Zwei Beispiele illustrieren dies sehr deutlich: Der Gender Pay Gap und die Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Eine klaffende Lücke:
Frauen in Deutschland verdienen heute im Schnitt immer noch 22% weniger als Männer. Seit meiner Rede vor drei Jahren hat sich hier so gut wie nichts getan. Auch im europäischen Vergleich bekleidet die Bundesrepublik einen der hintersten Ränge bei der Angleichung der Einkommen von Frauen und Männern – und das seit Jahren unverändert. Wann unsere Gesellschaft diese Schieflage überwinden wird, wage ich nicht zu vorauszusagen. Ich befürchte: Es wird noch lange dauern. Denn der Abbau von Privilegien, das Teilen von Macht, von Geld schmeckt nicht jedem und jeder – vor allem nicht denjenigen, die in einer mächtigen, reichen, privilegiert Position sind. Und das sind heute in der Mehrzahl immer noch Männer. Wenn wir am 19. März 2016 den Equal Pay Day begehen, werden die Männer schon fast drei Monate für ihre Arbeit bezahlt worden sein, bevor die Frauen nachziehen. Eine solche Diskriminierung ist einer europäischen Demokratie im 21. Jahrhundert unwürdig. Es ist mir daher ein dringendes Anliegen, in diesem Bereich für mehr Gerechtigkeit, durch eine kontroverse Debatte und Engagement, zu werben. Die Bundeszentrale für politische Bildung engagiert sich daher als Schwerpunktpartner beim Equal Pay Day 2016. Eine gerechte Bezahlung zu erreichen ist dabei nur eine von vielen Baustellen.

Scheinbar private Entscheidungen als politische Herausforderungen begreifen:
Vor einer ähnlich großen Herausforderung steht die deutsche Gesellschaft im Bereich Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auch hier sehen wir tagtäglich, dass es noch ein weiter Weg ist, zur faktischen Gleichstellung. Pflege- oder Sorge-Arbeit im privaten Raum, in der Familie, wird fortwährend vor allem von Frauen übernommen. Sie leisten den Löwenanteil in der Pflege von Angehörigen, bei der Kinderbetreuung und in der Haushaltsarbeit. Sarkastisch formuliert: Was unbezahlte und unterbezahlte Arbeit angeht, liegen die Frauen ganz vorn. Die Fortschritte, etwa im Bereich der Elternzeit, flexibler Arbeitszeiten oder Betreuungs- und Pflegeoptionen, gehen nicht weit genug. Entscheidungen, z.B. dass ein Vater nur zwei Monate Elternzeit nimmt oder eine Mutter nur in Teilzeit wieder in den Beruf einsteigt, können strukturelle Gründe haben, etwa finanzieller Art - Stichwort: Gender Pay Gap. Doch auch Werte und gesellschaftlicher Druck spielen eine große Rolle.

Das BMFSFJ hat sich im Rahmen des 25-jährigen Jubiläums der Deutschen Einheit in einer Untersuchung die Unterschiede zwischen West und Ost angesehen. Zwar hat in ganz Deutschland das Ideal einer gleichgestellten Partnerschaft das traditionelle Modell weitgehend abgelöst. Trotzdem setzt mit Beginn der Familiengründung oft eine Re-Traditionalisierung ein. Diese führt zum Rückgang der Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen und ist in Westdeutschland häufiger als in Ostdeutschland. Zudem fühlen sich Frauen mit kleinen Kindern in Westdeutschland einem weit höheren Druck ausgesetzt, sich rechtfertigen zu müssen, wenn sie mit Kindern in Vollzeit arbeiten wollen (nämlich 69% (West) gegenüber 25% (Ost).

Soviel zum ernüchternden Status quo. Rosa Luxemburg war der Meinung, dass "Sagen was ist, die revolutionärste Tat sei". Doch ich bin der Meinung – und ich bin damit nicht allein – ,dass wir über diesen Punkt hinaus sind und den Worten nun Taten folgen müssen. Wir brauchen hier dringend neue Impulse.

Ein richtiger Ansatz:
In der Praxis haben es Kämpferinnen für Geschlechtergerechtigkeit nicht leicht: In Zeiten einer sogenannten „Flüchtlingskrise“, , mit einer Wirtschaftsentwicklung in Europa, die Jugendliche abzuhängen droht (im Schnitt ist knapp ein Drittel von Armut bedroht), Krisen wie in der Ukraine und der Unsicherheit einer Klimakatastrophe – wie schnell geraten die Reformvorschläge der Frauenrechtlerinnen aus dem Blick? Nun, diese Gefahr besteht natürlich.

Doch unsere alternde Gesellschaft könnte zu einer ähnlich großen Herausforderung werden. Nämlich dann, wenn Deutschland sich nicht rechtzeitig mit einem nachhaltigen und sozial verträglichen Care-System vorbereitet. Und "Frauenarbeit", über die in den nächsten zwei Tagen auch debattiert werden wird, betrifft nicht nur Frauen, sie betrifft uns alle. Männer – ob Väter, Partner, Freunde, Kollegen, Söhne, ja selbst Politiker – haben keine eindimensionalen Lebensrealitäten mehr. Es finden sich viele Unterstützer und Mitstreiter in Deutschland, ebenso wie Erfolgsmodelle oder zu Neudeutsch "Best-Practice"-Beispiele. In dieser Hinsicht ist das Programm dieses Kongresses sehr vielversprechend. Die kritische Reflexion der Care-Arbeit und auch die politische Ökonomie zu Beginn ist vor allem deshalb richtig und wichtig, weil dabei ein Augenmerk sowohl auf die internationale Verschränkung als auf nationale und kommunale Realitäten gelegt werden soll. Ich beglückwünsche Sie dazu, dass Sie das Kongressprogramm so praxisnah, zielorientiert und auf wichtige Bereiche fokussierend gestaltet haben. Die Praxisorientierung brauchen wir heute. Wir müssen konkret überlegen, an welchen Punkten strategisch angesetzt werden muss, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken.

Die Themen, die Sie hier aufgreifen und erneut unter der Leitfrage "Was ist Leistung?" diskutieren wollen, werden uns, und damit meine ich auch explizit die Bundeszentrale für politische Bildung, in den kommenden Jahren beschäftigen. Und so bin ich der "Überparteilichen Fraueninitiative Berlin" sehr dankbar, dass sie erneut eine Plattform für den Diskurs über Frauenarbeit, Care und Leistung geschaffen hat. Gleichzeitig möchte ich den Veranstalterinnen für ihr außerordentliches Engagement seit über zwei Dekaden danken. Ihr Netzwerk leistet einen wirklich wichtigen Beitrag zur Verdichtung und Durchsetzung der Interessen von Frauen und in der politischen Bildungsarbeit. Nun freue ich mich, dass den Worten Taten folgen und wünsche uns allen kontroverse und gleichzeitig inspirierende Diskussionen!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten