Die Rede wurde gehalten auf der BKA Herbsttagung in Mainz. Weitere Informationen finden Sie Externer Link: hier. Außerdem finden Sie auf der Seite das genaue Externer Link: Programm der Herbsttagung und die Kurzfassung der Rede auf Externer Link: englisch und Externer Link: deutsch.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Huffington Post hat vor einiger Zeit süffisant festgestellt, dass es in Deutschland rund fünf Mal so viele in Vereinen organisierte Baseballspieler gibt wie Salafisten. So schief der Vergleich auch ist: Der Salafismus und seine Anhänger sind ein zahlenmäßig überschaubares Phänomen. Hinsichtlich des Potentials für Demokratie-feindlichkeit, Ausgrenzung und Gewalt ist die Relevanz des Salafismus in Deutschland jedoch leider absolut hoch. Es wäre unverantwortlich, ihn als Randphänomen abzutun, das sich schon von selbst erledigen werde. Vielfach ertönt der Ruf, die politische Bildung müsse sich des Problems annehmen. Darauf will ich mit ein paar – bewusst provokativen – Thesen und Fragen reagieren.
1. Muss politische Bildung „Gegenpropaganda“ machen? Nein. Die politische Bildung muss sich auf ihre Stärken besinnen: Die Hilfe zur selbständigen Meinungsbildung auf der Grundlage demokratischer Prinzipien. Sie können mir als ehemaligem DDR-Bürger glauben: Politische Bildung kann und will keine Gegenpropaganda machen zu den wirklichkeitsverzerrenden Darstellungen des IS und anderer terroristischer Gruppen oder zu Auftritten salafistischer Prediger in Deutschland. Solcher Propaganda ist die politische Bildung mit ihren zu Recht hohen Ansprüchen ohnehin tendenziell stets unterlegen. Gegenpropaganda impliziert überdies die Akzeptanz propagandistischer Fragestellungen. Dass politische Bildung in diesem Themenfeld keine Propaganda ist, ist auch mehr als eine bloße Spitzfindigkeit. Propaganda arbeitet fern jeder Ausgewogenheit mit Täuschung und Emotionalisierung, um vermeintlich absolute Wahrheiten zu verbreiten und Anhänger zu gewinnen. Politische Bildung kennt dagegen nur einen unverrückbaren Wert: Offenheit politischer und gesellschaftlicher Prozesse. Das ist unser Standard und den halten wir ein.
2. Ist politische Bildung Terrorprävention?
Nein, oder zumindest nur sehr mittelbar. Der Salafismus ist eine religiös verbrämte politische Ideologie, die aufgrund der Ablehnung fundamentaler Menschenrechte, der Ablehnung eines säkularen, durch Menschen gestalteten Gemeinwesens und der Bindung jeglichen Rechts an eine vermeintlich höhere Instanz nicht mit einer freiheitlichen Demokratie kompatibel ist. Es handelt sich also um eine Form des politischen Extremismus und die Prävention von Extremismus ist und bleibt Kernaufgabe politischer Bildung. Wo politischer Extremismus aber in extremistische Gewalt, also Terrorismus, umschlägt, ist es für politische Bildung in ihrer klassischen Gestalt definitiv zu spät. Die Extremismusprävention ist sowieso im Grenzgebiet politischer Bildung angesiedelt. Sie ist keine Wunderwaffe gegen antidemokratische Einstellungen und Verhaltensweisen, sondern reiht sich neben der Prävention durch Jugendhilfe und Sozialarbeit, Beratungsstellen Ausstiegshilfen und den Anstrengungen der Sicherheitsbehörden als Baustein in eine umfassende, noch weiter auszuführende Präventionsstrategie ein. Sich radikalisierende oder bereits radikalisierte Jugendliche und erst recht Erwachsene können durch politische Bildung kaum bis gar nicht erreicht werden. Hier kommen andere Akteure – z. B. die Akteure einer sich interdisziplinär verstehenden Deradikalisierungsarbeit – ins Spiel. Nur eine realistische Herangehensweise in Kenntnis der eigenen Möglichkeiten kann den Erfolg der einzelnen Bausteine gewähren. Politische Bildung muss sich vorsehen, in Überforderungssituationen zu geraten, die Erwartungen wecken, die nur enttäuscht werden können.
3. Brauchen wir einfach nur gute Counter Narratives?
Es könnte so schön sein: „Die Propaganda des IS ist offenbar eine ansprechendes Narrativ. Dann setzen wir dem doch einfach unsere Narrative von Freiheit, Gleichheit und Mitbestimmung entgegen.“ Da müssen wir als politische Bildnerinnen und Bildner sagen: So einfach ist es leider nicht. Auf der Suche nach unumstößlichen Wahrheiten, nach Selbstwirksamkeit und nach Akzeptanz in Gruppenkonstellationen sind Demokratie, Pluralismus, Menschenrechte, Mehrheitsentscheide und Rechtsstaat für manche schlicht und ergreifend unattraktiv. Weil diese Narrative anstrengend sind. Mit einer Gegenerzählung können wir das demokratische Bewusstsein breiter Gesellschaftsschichten stärken, vor allem derjenigen, die rationalen Argumenten und Diskursen gegenüber aufgeschlossen sind. Aber an die wirklich radikalisierungsgefährdeten Jugendlichen kommen wir damit nicht heran. Womit sich die nächste Frage stellt:
4. Kommen wir überhaupt an die Jugendlichen ran?
„Man könnte denken, dass wir die problematischen Jugendlichen ohnehin nicht erreichen. Das stimmt so nicht. Sie kommen schließlich nicht von einem anderen Stern, sondern sie sind mitten unter uns. Lange bevor Radikalisierungsprozesse wirksam werden können, sind die jungen Leute in verschiedene institutionelle Systeme eingebunden. Und dort kann auch politische Bildung wirken. Allen voran in der Schule als einzigem gesellschaftlichem Ort zur Erreichung ganzer Jahrgangskohorten. Wenngleich überzogene Erwartungen an Schulen fehl am Platze sind und wohl nicht erfüllt werden können, darf doch angemerkt werden, dass die nahezu bundesweite Schwächung des Politik-, Geschichts- und Sozialkundeunterrichts in den vergangenen 15 Jahren nicht nur, aber insbesondere aus dem Blickwinkel der Extremismusprävention in hohem Maße kontraproduktiv ist. Diese Schwächung ist Folge des PISA-Prozesses, der die MINT-Fächer favorisiert und eine schleichende Ökonomisierung von Bildung zur Folge hat. Nach dem Motto: „Die Schüler müssen später ökonomisch funktionieren.“ Eine Reduktion der Schülerinnen und Schüler auf das Leitbild des homo oeconomicus ist für die westliche Wertegemeinschaft ein Irrweg. Die außerschulische und non-formale politische Bildung in Deutschland ist stark aufgestellt, kann diese Defizite jedoch oftmals nicht mehr ausgleichen. Auch außerhalb der Schule kann politische Bildung gegen Fundamentalismus wirken. Ein Schwerpunkt politischer Bildung in der Salafismusprävention liegt auf der Befähigung von Fachkräften und Multiplikatoren. Diese Arbeit ist ebenso unspektakulär wie unerlässlich. So haben wir zur Schaffung einer guten Informationsgrundlage natürlich die klassischen Angebote im Programm wie das Online-Dossier Islamismus, themenspezifische Ankäufe für die Schriftenreihe, Sonderhefte der Informationen zur politischen Bildung, die APuZ usw. Ebenso wichtig sind Tagungen und Fortbildungen für Fachkräfte, die wir in Zusammenarbeit mit Akteuren aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft anbieten, um die Jugendarbeit gegen Radikalisierungsprozesse auf ein solides Fundament zu stellen. Als niedrigschwelliges Angebot für Fachkräfte aus unterschiedlichen Professionen haben wir auf bpb.de seit Kurzem einen Infodienst Radikalisierungsprävention eingerichtet, der unter anderem über das Phänomen in seinen aktuellen Ausformungen aufklärt, mit Tipps von Expertinnen und Experten aufwartet und eine Datenbank zur Vernetzung mit den relevanten Playern im Themenfeld bereit hält. Die Multiplikatoren sind nah an gefährdeten Jugendlichen dran. Politische Bildung für Multiplikatoren ist also gleichermaßen politische Bildung für gefährdete Zielgruppen.
5. Kann politische Bildung hexen und über Nacht das Problem lösen?
Nein, von dieser Vorstellung müssen wir uns verabschieden. Politische Bildung braucht vor allem eins: Geduld. Sie ist lebenslanges Lernen. Sie kann einen Beitrag zu ihrer Behebung leisten, aber keine Feuerwehrfunktion für gesellschaftliche Missstände übernehmen. Bildungsprozesse, ob politisch oder nicht, sind stets langfristig angelegt. Und genauso wirken sie auch: langfristig. Deshalb nochmal: Man kann von politischer Bildung nicht mehr verlangen, als sie leisten kann. Und man muss sie stärken, wo sie etwas leisten kann.
6. Mit Youtubern gegen Bomben?
„Beauty statt Bomben“ – so titelte vor einigen Wochen die F.A.Z. als sie über unsere Planungen für ein Youtube-Projekt zur Prävention von Islamismus berichtete. So einfach haben wir uns das natürlich nicht gedacht. Medien wie Youtube, Soziale Netzwerke und Kurznachrichtendienste sind ein relativ neues Feld, auf dem politische Bildung ihre Innovationsfähigkeit zeigt. Wir entwerfen hier zielgruppenspezifische Online-Angebote für Jugendliche. U.a. auch für Jugendliche, die als radikalisierungsgefährdet gelten können. Auch dieses heiße Eisen kann und muss die politische Bildung anfassen. Wir kooperieren im Bereich der Extremismusprävention mit Youtubestars – darunter eben auch die Beauty-Bloggerin Hatice Schmidt sowie die Youtuber LeFloid und MrWissen2go – die unter den Jugendlichen eine hohe Popularität und Glaubwürdigkeit aufweisen. Das ist ein Peer-to-peer-Ansatz at its best: Die Youtuber versuchen in dem Projekt „Begriffswelten Islam“ in animierten Informationsfilmen, durch Expertengespräche und in eigenen Beiträgen die Schwarz-und-Weiß-Interpretationen des Islam durch religiöse Extremisten, aber auch muslim- und islamfeindlichen Diskurse, zu dekonstruieren und regen zum Nachdenken über deren vermeintliche Wahrheiten bei der Auslegung des Islam an. Damit Sie sich etwas mehr darunter vorstellen können, spiele ich mal eines der Videos an:
Ausschnitt oder ganzes Video aus dem Projekt „Begriffswelten Islam“: Externer Link: https://www.youtube.com/watch?list=PLGwdaKBblDzBGN36ApO8nA4jfIat0SUZl&v=AXm0tfm-x8M
Nah an der Lebenswelt der Jugendlichen werden alternative und pluralistische Deutungsangebote zu zentralen Begriffen des Islam gemacht und diskutiert. Jugendliche werden motiviert und befähigt, mündig, kritisch und aktiv an den Debatten rund um das Thema Islam teilzuhaben und sich eine eigene Meinung zu bilden, während gleichermaßen die zuvor genannten Grundsätze politischer Bildung eingehalten werden. Wichtig ist: Jugendliche müssen früh angesprochen werden: bevor die Radikalisierungsprozesse einsetzen. Das aber heißt, dass ihr Alltag, auch ihre Religion, thematisiert werden müssen. Das war viel zu lange nicht der Fall.
7. Hat die politische Bildung hat das Thema verschlafen?
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Nach dem 11. September 2001 haben wir unser Angebot zu Islam und Islamismus deutlich hochgefahren. Auch das ein oder andere Modellprojekt haben wir gefördert. Vor 2001 hatten wir das Thema kaum auf dem Schirm – wie auch viele andere nicht. Heute gilt die bpb als Informationsbörse für die verschiedenen Facetten des Themas.
8. Politische Bildung ist der Schlüssel zur Lösung des Problems salafistischer Radikalisierung.
Nach vielen Neins sowie einigen Nein-abers kann ich zur Abwechslung hier mal Ja sagen. Doch ein Aber gibt es auch hier. Die politische Bildung ist eben nur ein Schlüssel. Zum Versuch der Lösung bedarf es aber eines ganzen Schlüsselbundes. Radikalisierungsprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich verweise auf die enge Zusammenarbeit der interministeriellen Arbeitsgruppe, in der auch die Abstimmung mit den Aktivitäten des Bundesfamilienministeriums stattfindet. Wir haben zudem das große Glück, als staatliche Akteure hervorragende zivilgesellschaftliche Partner zu haben. Leider werden sie noch zu oft vernachlässigt und leider sind es auf dem Gebiet des Salafismus immer noch sehr wenige. Um die verschiedenen Schlüssel – staatliche wie zivilgesellschaftliche – auf den Bund zu fädeln, sind wir ja hier. In diesem Sinne gilt es, Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln und jeweils das zu tun, was man kann. Deshalb schließe ich mit dem Imperativ: Kopf hoch und nicht die Hände.
- Es gilt das gesprochene Wort -