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Eröffnungsrede zur Fachtagung "Illusion Partizipation - Zukunft Partizipation" am 13. November 2015 im Jugendzentrum PUMPE in Berlin | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede zur Fachtagung "Illusion Partizipation - Zukunft Partizipation" am 13. November 2015 im Jugendzentrum PUMPE in Berlin

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Sehr geehrte Damen und Herren,

in den vergangenen Jahren haben wir schon sehr viel über Partizipation in Bildungseinrichtungen diskutiert. Dass diese Diskussion noch nicht zu einem vollkommen befriedigenden Ergebnis gekommen ist, zeigt auch das sehr hohe Interesse an dieser Tagung.

"Illusion Partizipation" – Warum sind so Viele infolge der vielfältigen Versuche, Partizipation zu verwirklichen, frustriert? Warum empfinden sie Partizipation nicht als die Quelle von Selbstverwirklichung und Lust, die sie eigentlich sein sollte?

Ich möchte die Zeit, die mir zur Verfügung steht, zu einigen Überlegungen aus der Perspektive der politischen Bildung nutzen: Wenn wir Demokratie nicht nur als Methode begreifen wollen, sondern auch als ethisches Konstrukt, als Antwort auf die Frage "Wie wollen wir leben?", so müssen wir uns erinnern, dass es eigentlich um Freiheit geht. Freiheit und Demokratie sind voneinander abhängig: Ohne Freiheit kann es keine demokratischen Beteiligungsrechte geben. Ohne abgesicherte Partizipationsrechte ist die Freiheit nicht zu gewährleisten. Das meinte Habermas mit der "Gleichurspünglichkeit" von politischen und freiheitlichen Rechten.

Meine Thesen lauten, dass heute innerhalb des herrschenden Diskurses Partizipation vielfach auf ein problematisches gedankliches Fundament gestellt wird, dass im Bereich der Strukturen erhebliche Probleme geschaffen wurden, die Partizipation erschweren oder verhindern, und dass dem Anliegen, Partizipation zu verwirklichen, schließlich auch manchmal falsche Motive zugrunde gelegt wurden.

Fangen wir bei den Theorien über Partizipation an:

Eine demokratische Persönlichkeit ist in der Theorie ein Idealtypus, der in der Wirklichkeit selten vorkommt. Ein Mensch mit sozialen, politischen und emotionalen Kompetenzen, der die Sachlage beurteilen kann, am Gemeinwohl orientiert ist und sich für sein Gemeinwesen engagiert. Es geht um einen Menschen, der zukunftsorientiert handelt und sich durch seine Beteiligung am kulturellen, sozialen und politischen Geschehen seines nahen und weiteren Umfelds selbst verwirklicht. Er ist nach Aristoteles ein zoon politicon – ein Mensch, der erst vollständig Mensch durch seine Partizipation am politischen und sozialen Geschehen seiner Community ist.

Die so gedachte demokratische Persönlichkeit hat zwar auch etwas mit Wissen zu tun: Man braucht Kenntnisse über Verfahren und Prozesse, über Institutionen und Strukturen, über Rechte und Pflichten, um sich in einer Demokratie zu orientieren. Aber in erster Linie beruht eine demokratische Persönlichkeit auf emotionalen und sozialen Fähigkeiten, die während des Heranwachsens und auch im Erwachsenenalter durch demokratische Beziehungen zwischen Menschen und durch angemessene Beteiligungsmöglichkeiten vermittelt werden. Kinder und Jugendliche werden nicht zu gebildeten und verantwortungsbewussten, engagierten Erwachsenen, in dem sie nur irgendetwas lernen oder gar Selbstlernen, sondern eine demokratische Persönlichkeit arbeitet sich am Gegenüber ab, was in der Regel nicht immer konfliktfrei verläuft. Nur auf diesem Wege können Heranwachsende Urteilskompetenz erwerben: in dem Sie auch abweichende Meinungen äußern und um diese kämpfen müssen; indem sie Argumente formulieren und sich Gegenargumenten stellen müssen. Auch Verweigerung und Widerstand müssen erlaubt sein. Partizipation verwirklichen zu wollen bedeutet deshalb, sich als ein starkes Gegenüber im Bildungsprozess zur Verfügung zu stellen.

Kommen wir zu den Strukturen. Die westlichen Demokratie, ihre Prozesse und Institutionen, wurzeln bekanntermaßen in der Aufklärung und den bürgerlichen Revolutionen des 18. Jahrhunderts, deren Ziel u.a. in der Verwirklichung von Partizipation bestand. Infolge der Aufklärung bildete sich ein rationales Weltbild heraus, welches den zentralen Funktionsprinzipien der sich neu formierenden politischen Systeme zugrunde gelegt wurde, um Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu verwirklichen. In diesem Kontext ist beispielsweise auch die politische Bildung entstanden, die sich seitdem – und verstärkt nach den Erfahrungen des Totalitarismus - nach den Kriterien der Aufklärung und Rationalität weiterentwickelt hat. Heute zeigt sich aber mehr als deutlich, dass Demokratie nicht nur rational gelebt werden kann. Die etablierten Verfahren, Prozesse und Institutionen sind besonders für diejenigen attraktiv, die bereits beteiligt sind oder gute Beteiligungschancen haben. Für viele Nachwachsende ist das, was sie für das politische Geschehen in Berlin und Brüssel halten, viel zu weit weg, irgendwo „da oben“. Die bpb hat schon lange in diesem Bereich geforscht und wird jetzt wieder durch die Ergebnisse der letzten Shell-Studie bestätigt: Kinder und Jugendliche sind politisch und sie sind politisch interessiert. Sie wissen allerdings meist nicht, dass sie es sind, weil sie ein enges Politikverständnis haben. Das soziale und kulturelle Geschehen in ihrem nahen Lebensbereich tangiert sie und viele von ihnen engagieren sich auch. Das hat damit zu tun, dass diese Formen der Beteiligung gelebt werden können. Wir brauchen Bildungsansätze, die diesen Aspekt angemessen reflektieren. Diesbezüglich hat die kulturelle Bildung der politischen einiges voraus: Sie kann ein tieferes Verstehen ermöglichen, da eine kreative Auseinandersetzung mit den Fragen des Lebens und der Gesellschaft eine andere Ebene des Zugangs öffnet. Geht es allerdings um Fragen der Partizipation im Zusammenhang mit Bildungsgerechtigkeit, so kommen wir ohne institutionalisierte Beteiligungschancen in unseren Einrichtungen nicht aus. Partizipation sollte weder ein Zufallsprodukt, noch ein Ergebnis der Durchsetzungskraft Einzelner sein. Jede Einrichtung braucht eine entsprechende Haltung aller Beteiligten, die Partizipation selbstverständlich macht, aber sie braucht auch verlässliche und dauerhafte Strukturen und Prozesse. Außerdem – und dies ist eine notwendige Bedingung: Wenn wir eine demokratische Organisation aller Lebensbereiche wollen, muss die bestehende Asymmetrie der Lebensverhältnisse ausgeglichen werden. Folgt man dem Demokratietheoretiker Wolfgang Merkel vom WZB, ist der vorliegende Gap zwischen den privilegierten Partizipierenden und den Abgehängten nur zu schließen, wenn die materialen Ergebnisse der (Wirtschafts-, Bildungs- und Sozial-)Politik die sozioökonomische Spaltung der Gesellschaft verhindern. Schaffen wir den Ausgleich nicht, müssen wir die elitäre und exklusive Zuschauerdemokratie auf Dauer akzeptieren.

Abschließend: Welche Motive sollten der Etablierung von echter kultureller und politischer Partizipation zugrunde gelegt werden? Geht es lediglich um die Legitimierung von Demokratie, Prozessen, Institutionen und auch Kultureinrichtungen? Geht es darum, die Kultureinrichtungen in eine Gesellschaft hinüberzuretten, die mit den traditionellen Ausdrucksformen der Kultur oft nicht mehr viel anfangen kann? Oder spielt tatsächlich der Gedanke eine Rolle, dass kulturelle und soziale Entwicklung von partizipativen Impulsen profitieren? Oft wird die These formuliert, dass Partizipation nur zum Preis des Machtverlustes von Positionsinhabern zu haben ist. Das ist richtig und falsch. Nach Hannah Arendt ist Macht etwas, was nicht ein Einzelner haben kann. Ein Einzelner hat bestenfalls Gewalt. Macht entsteht dagegen durch das Zusammenwirken der Vielen in der Gesellschaft. Ohne Partizipation gibt es also keine Macht. Abgeben müssen wir tatsächlich Autorität, die wir durch unsere Bildungsmeriten oder auf anderen, weniger demokratischen Kanälen erworben haben. Für viele ist das eine große Hürde, aber es gibt keinen anderen Weg. Und entgegen aller Befürchtungen ist dieser Weg, für diejenigen, die ihn beschreiten, sehr gewinnbringend.

Bedanken möchte ich mich bei Ihnen allen für Ihr starkes Interesse an dieser Tagung, bei der wir in vielerlei Hinsicht neue Wege entdecken werden. Vor allem aber möchte ich der BKJ für die intensive und vertrauensvolle Partnerschaft danken. Dass politische und kulturelle Bildung einander viel zu bieten haben, hat sich in den Vorbereitungen gezeigt und ich bin sicher, dass sich auch in den folgenden Diskussionen viele wichtige Impulse für unsere jeweiligen Arbeitsfelder und die „Zukunft der Partizipation“ ergeben.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten