Liebe Preisträgerinnen und Preisträger, Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Liebe Festgäste,
sehr gerne bin ich heute Abend zum Festakt des 25. Deutschen Jugendfotopreises gekommen, denn er ist für mich nicht nur eine historische, sondern auch eine persönliche Erinnerung.
1991 war ich bei der Preisverleihung zum ersten gesamtdeutschen Jugendfotopreis dabei – damals noch als Jugendsenator von Berlin. "Mein Deutschland" ist das Motto dieses Fotowettbewerbes. Mein Deutschland war die DDR, die ich mir schon als Jugendlicher anders vorgestellt hatte. Aber als Regimegegner war man kaltgestellt und aus dem Spiel, und nur die Kirche bot einen Schutzraum vor dem Regime.
Der Deutsche Jugendfotopreis 2015 hat das Ziel, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene die eigene Lebenssituation reflektieren und die gesellschaftspolitische Bedeutung von Fotos am Beispiel einer Zeitreise zu 25 Jahren Wiedervereinigung diskutieren. Die Auszeichnung besteht aus einer Reise nach Berlin, dem Festakt und einer dreitägigen Preisträgerveranstaltung, die sich mit dem Fotografieren und der Bedeutung von Fotos in unserem Leben beschäftigt. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb hat sich daher sehr gerne an diesem Jubiläums-Fotowettbewerb im 25. Jahr nach der Wiedervereinigung beteiligt.
Renommierte Fotografinnen wie Bettina Flitner und Fotografen wie Harald Hauswald, haben seit der Wendezeit markante Orte und Motive ausgewählt und geben morgen ihre Erfahrungen in Fotoworkshops an die Jugendlichen weiter. Bettina Flitner stellte dieses Jahr ihre Werkschau in Köln so vor: "Mit der Kamera in der Hand kann ich alles fragen und alles sagen. Fotografieren ist eine Art die Welt zu erfahren und diese Welt sichtbar zu machen."
Was bedeuten die ausgewählten Orte in der deutschen Geschichte, welche Bedeutung haben die Fotos und wie hat sich unsere Wahrnehmung verändert? Mit der Wiedervereinigung ist nicht nur die Mauer fast spurlos verschwunden – sondern auch die Erinnerung in den Köpfen erfuhr einen ungewöhnlichen Wandel. Welche Bilder bewahren die Deutschen zu Hause als private Erinnerung an die Revolution und den Mauerfall auf? Welche Bilder vom 9. November 1989 gingen in der internationalen Fernsehberichterstattung um die Welt? Im kollektiven Gedächtnis vieler Deutscher sind die Fotos und Fernsehbilder von der friedlichen Revolution 1989/90 verankert. Abseits der offiziellen Bilder präsentierte sich diese Umbruchszeit aber ganz anders.
Wie sich der Blick verändert, hat die bpb schon zum 20. Jahrestag des Mauerfalls dokumentiert. Für die Ausstellung "Wir waren so frei ... Momentaufnahmen 1989/90", haben wir den Bilderreichtum der Zeitenwende gesammelt. Auf der Website Externer Link: www.wir-waren-so-frei.de, die gemeinsam mit der Deutschen Kinemathek entstand, sind heute fast 7000 private Filme und Fotos aus der Umbruchzeit 1989/90 sowie über 100 begleitende Erinnerungstexte zu finden. Die persönlichen Erfahrungen der Fotografen und Filmemacher bieten ganz unterschiedliche Blicke auf die historischen Ereignisse und deren Auswirkungen auf den Alltag in Ost und West.
Bildbotschaften kommen an. Der erhoffte Wandel von der Wendezeit bis heute ist für jeden ersichtlich. Wer Deutschland von außen betrachtet, findet keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West. Mit dem Aufbau Ost ist an Verfassungszielen, wie gleichwertige Lebensbedingungen und Chancengleichheit, gearbeitet worden. Das ist die Erfolgsgeschichte. Überlagert wurde dieser Prozess vom Ausbluten der ländlichen Räume, vom Wegzug in die Stadt mit der Verheißung des Wohlstands. Wenngleich die deutsche Einheit heute erreicht ist, dann ist sie exklusiv. Sie ist abgelöst worden von neuen Herausforderungen: Wer ist oben, wer ist unten? Wer gehört dazu und wer steht vor der Tür? Und wie nehmen wir diese Realität wahr?
Durch die aktuelle Flüchtlingsbewegung ist der organisierte Rechtsextremismus in Deutschland ruckartig sichtbarer geworden. Die Bereitschaft, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, und für die Idee einer homogenen Gesellschaft zu werben, hat sich radikal verstärkt.
Aber wir haben auch zahlreiche Gegeninitiativen erlebt, die für eine Willkommenskultur einstehen und von Empathie mit den Flüchtlingen zeugen. Die gibt es auch, diese Gesichter müssen wir stärken. Wir müssen außergewöhnliche Wege in außergewöhnlichen Zeiten gehen. Wir brauchen eine Art Solidarpakt III. Wir haben in den 90er Jahren gute Erfahrungen damit gemacht, als es darum ging, die Herausforderung der Deutschen Einheit zu schultern. Was wir jetzt brauchen, ist eine neue Solidarität.
Die Teilnehmenden am Deutschen Jugendfotopreis spüren seit jeher die Herausforderungen der Gegenwart auf. Für das Motto „Mein Deutschland“ war nach der fotografischen Darstellung von Deutschland gefragt. Viele der 4300 eingereichten Motive der über 1900 Teilnehmenden haben mit uns und unserem Zusammenleben zu tun. Maxim von Schirach zum Beispiel hat Fotos aus dem Umfeld des Münchener Hauptbahnhofes dokumentiert. "Der Alltag in diesem Viertel hat einen ganz anderen Ablauf als im Rest der Stadt", schreibt er dazu. "Es leben dort Menschen aus verschiedenen Ländern, die ihre Gebräuche und Sitten mitgebracht haben. Ein Jahr lang versuchte ich diesen Alltag und Lebensstil festzuhalten."
In seiner Analyse "Oben – Mitte – Unten", 2015 herausgegeben von der bpb, stellt Stefan Hradil fest: "Ein wachsender Anteil der Menschen hält das Gefüge des Oben und Unten für ungerecht. In keinem Land der Welt wächst der Reichtum so schnell wie in Deutschland. 2014 hat Deutschland laut Managermagazin nach den USA mit 19.000 weltweit die zweitmeisten Multimillionäre." Gleichzeitig steigt seit Jahren die Armutsquote: 12,5 Millionen Menschen in Deutschland gelten nach dem Armutsbericht 2015 als arm.
Die eingereichten Fotos des Deutschen Jugendfotopreises bilden auch diese Fragen ab: Was ist eine gerechte Gesellschaft? In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Bilder und Clips prägen die Mediennutzung der Jugendlichen immer mehr. Und wenn sich die Preisträgerinnen und Preisträger in Fotoaktionen mit berühmten deutschen Fotografinnen und Fotografen fragen: Was kann Fotografie heute bewirken? Dann ist das auch die Frage nach dem Politischen in der Fotografie.
Fast visionär helfen die Fotos mit, die Gesellschaft auf die Herausforderung einzustimmen. Danny Hane gibt in seinem Fotoprojekt eine Antwort: "Die Frage, was ist Deutschland für mich, wird in der Tiefe meiner Bilder beantwortet." Hane hat auch noch eine kleine Botschaft: "Einen Wunsch würde ich gerne Deutschland auf den Weg geben: Atme Deutschland, atme!"
Atmen wir den Geist der politischen Botschaften, der von den Fotos des Deutschen Jugendfotopreises 2015 ausgeht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
- Es gilt das gesprochene Wort -