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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zur Konferenz 70 Jahre danach am 10. September 2015 im Humboldt Carré in Berlin | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zur Konferenz 70 Jahre danach am 10. September 2015 im Humboldt Carré in Berlin

/ 4 Minuten zu lesen

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Grütters, Lieber Herr Knigge, meine Sehr verehrten Damen und Herren!

Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit im 20. Jahrhundert hat inzwischen, mehr als 70 Jahre nach Ende der NS-Diktatur und 25 Jahre nach Ende der DDR eine eigene wechselvolle Geschichte. Heute gilt die deutsche Geschichtsaufarbeitung in vielen Ländern geradezu als "Markenzeichen der politischen Kultur" und als Vorbild.

Neben der juristischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus formierte sich in Westdeutschland Ende der 1970er, Anfang 1980er Jahre die "Generation Aufarbeitung", die sich aus zivilgesellschaftlichen Initiativen, dem Engagement von Einzelpersonen oder Gruppen, von ehemaligen Häftlingen, Organisationen ehemaliger Verfolgter, von Vereinen und Bürgerinitiativen zusammensetzte. Diese Bewegung engagierte sich oftmals gegen Widerstände für die Errichtung von Mahnmalen und Gedenkstätten.

Die staatsoffizielle Erinnerungskultur in der DDR hingegen war gekennzeichnet durch einen Antifaschismus, der als Staatsdoktrin galt und den Staat auch innenpolitisch legitimieren sollte. Die DDR verstand sich als das "bessere Deutschland". Dabei spielte die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eine ideologisierte Rolle. Die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR erinnerten vornehmlich an die kommunistischen Widerstandskämpfer, andere Opfergruppen fanden kaum Erwähnung.

Mit der deutschen Vereinigung wurde die Verantwortung des Bundes für "gesamtdeutsche Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen und ihre Opfer" festgeschrieben und mündete schließlich in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes.

Neben einer engagierten, vielfältigen, dezentralen Gedenkstättenlandschaft, die auf die "Generation Aufarbeitung" der 1980er Jahre zurückgeht, gilt die Gedenkstättenkonzeption des Bundes als "Meilenstein für die Erinnerungskultur in Deutschland".

Durch die Gedenkstättenkonzeption hat sich die Gedenkstättenlandschaft maßgeblich erweitern und etablieren können. Heute stehen die Gedenkstättenarbeit und das historische Lernen vor neuen Fragen und Herausforderungen, die Thema dieser Tagung sein werden.

Das Ende der unmittelbaren Zeitzeugenschaft, der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis, zieht die Frage nach sich: Welche Auswirkungen werden das Ende der Zeitzeugenschaft auf die Gedenkstättenarbeit sowie das Gedenken und Erinnern haben? Mit dem Abschied von den Zeitzeugen gehen wichtige „Veto-Instanzen“ gegen historisch wie moralische schiefe Vergleiche oder Verallgemeinerungen und Analogisierungen verloren.

In diesem Zusammenhang stellen sich weitere Fragen: Wie gehen wir mit Zeitzeugeninterviews in den digitalen Medien um? Wie können wir sie in der Bildungsarbeit einsetzen? Und welche Bildungskonzepte gibt es zum Einsatz von Zeitzeugen und Zeugnissen?

Durch die wachsende zeitliche Distanz zu den historischen Ereignissen fehlt der jungen Generation und den nachfolgenden Generationen ein persönlicher Bezug zur NS- und vielleicht bereits zur DDR-Geschichte. Welche Rolle spielen die oftmals ritualisierten Gedenkfeiern für die junge Generation? Wie kann eine Abwehrhaltung vermieden werden? Wie können Jugendliche besser eingebunden werden bzw. sich selbst einbringen? Und wie kann künftiges Gedenken und historischen Lernen aussehen?

Was bedeutet die Erinnerung an die NS-Verbrechen und den SED-Unrechtsstaat für die junge Generation? Welchen Bezug haben Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zur deutschen Geschichte? Und wie sollte historisch-politische Bildung in einer Einwanderungsgesellschaft gestaltet sein? In zehn bis fünfzehn Jahren werden annähernd 50% der 20-jährigen eine Zuwanderungsgeschichte haben. Das heißt, dass neue Methoden der Bildungsarbeit erprobt und weiterentwickelt werden müssen. Und: Was gehört überhaupt zur "deutschen" Geschichte, wenn der Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die gleichwohl über den deutschen Pass verfügen und/oder seit Jahrzehnten in Deutschland wohnen, beständig wächst?

Entsprechend den Forderungen der Gedenkstättenkonzeption des Bundes muss die Behandlung beider Diktaturen in der politischen Bildung wie auch in der Gedenkstättenarbeit integriert werden. Doch wie stehen die Erinnerungskulturen zueinander? Wo liegen die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede? Und wie kann der Umgang mit der NS- und DDR-Geschichte in der politischen Bildung vermittelt werden? Dabei darf weder das Gedenken an die eine oder andere Diktatur noch die Auseinandersetzung mit Ursachen und Verlauf dieser Diktaturen gegeneinander ausgespielt werden. Die Zeit der Apfel-und-Birnen-Vergleiche ist hoffentlich vorüber.

Durch das zivilgesellschaftliche Engagement der Generation "Aufarbeitung" und durch die Gedenkstättenkonzeption des Bundes wurden Einrichtungen gesichert, Gedenkstätten aufgebaut und Ausstellungen konzipiert. Gleichzeitig ist die Definition dessen, was historisch-politische Bildung an Gedenkstätten tatsächlich bedeutet, weitgehend eine Leerstelle geblieben. Jetzt muss es darum gehen, die "Software" für diese Einrichtungen zu entwickeln und die Qualität der Bildungsarbeit zu sichern. Dass Gedenkstätten neben Gedenkorten auch eine zunehmende Rolle als Lernorte spielen, wird auch in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes formuliert:

In den Förderkriterien werden zum einen die Qualität des Projektkonzepts und eine Vertiefung der Zusammenarbeit von Gedenkstätten mit Universitäten, historischen Forschungseinrichtungen und zeitgeschichtlichen Museen betont. Zum anderen die Zusammenarbeit von Gedenkstätten mit Schulen und Trägern politischer Bildungsarbeit, sowie die nationale und internationale Vernetzung der Arbeit.

Nach der Sicherung der Orte und dem Aufbau von wissenschaftlichen Ausstellungen in den Gedenkstätten, sollte es heute darum gehen, diese Zielsetzungen mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht darum pädagogische und zielgruppenorientierte Konzepte sowie Methoden weiter zu entwickeln, Modellprojekte zu initiieren und wissenschaftlich zu begleiten. Die Idee ist es, die bestehenden Angebote mehr Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zugänglich zu machen sowie die Kooperation zwischen Wissenschaft und Bildung zu stärken. Hier hat sich die Bundeszentrale für politische Bildung zum Ziel gesetzt, diesen Prozess begleiten. Denkbar wäre es, sich in den Feldern: Definition und Aufbau einer historisch-politischen Bildung und der damit verbundenen Qualitätssicherung und Entwicklung von Vermittlungskonzepten, zu engagieren. Wie dies konkret aussehen kann, soll auch Thema dieser Tagung sein.

Ich wünsche uns eine anregende Konferenz und viele Impulse für die Bildungsarbeit zum historischen Lernen.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten

Fußnoten

  1. Messerschmidt, Astrid, Geschichtsbeziehungen – Erinnerungsprozesse in der Einwanderungsgesellschaft. In: Zeitgemäße Bildungskonzepte zu Nationalsozialismus und Holocaust. Dokumentation zum Fachtag vom 9.10.2008 in Stuttgart HG. LzpB Baden Württemberg, S. 29

  2. PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG PRESSEMITTEILUNG NR.: 218 Kulturstaatsminister Bernd Neumann: Erinnerungsarbeit in Deutschland erhält ein tragfähiges Fundament für die Zukunft Mi, 18.06.2008

  3. Vgl. Knigge, (Vgl. S.63 Knigge, Jenseits der Erinnerung. In: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 128 I/2010)

  4. Deutscher Bundestag 16/9875 S. 2