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Rede von Thomas Krüger zum Kongress Kinder zum Olymp! am 24. Juni 2015 in Freiburg | Presse | bpb.de

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Rede von Thomas Krüger zum Kongress Kinder zum Olymp! am 24. Juni 2015 in Freiburg

/ 8 Minuten zu lesen

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Dr. von Stockhausen,

ich begrüße Sie herzlich im Namen der Mitveranstalter: der Kulturstiftung der Länder, die die Bildungsinitiative Kinder zum Olymp! 2004 ins Leben gerufen hat und die viele von Ihnen auch über den erfolgreichen jährlichen Wettbewerb Kinder zum Olymp! kennen. Und im Namen der Kulturstiftung des Bundes, die sich auch in diesem Jahr für einen exzellenten künstlerischen Beitrag zum Kongress stark gemacht hat. Morgen Abend können wir "Die gute Stadt", eine Stadt-Oper von Sinem Altan verfolgen.

Der Freiburger Neurowissenschaftler Joachim Bauer, den zumindest die anwesenden Freiburger/innen kennen werden und dessen Bücher in den ansässigen Buchhandlungen an prominenter Stelle ausgestellt sind, hat 2007 ein "Lob der Schule" geschrieben, eine Publikation, die damals auch als Replik auf Bernhard Buebs Bestseller "Lob der Disziplin" gedacht war. Es ging ihm darum, dass man mit rigiden und robusten Mitteln in der Pädagogik nicht weiterkommt. Anders als Bueb führt Bauer den Mangel an Selbstvertrauen, an fachlichem Grundwissen und an sozialer wie emotionaler Kompetenz, mit dem viele Schüler/innen die öffentlichen Schulen in unserem Land verlassen, darauf zurück, dass es vielfach nicht gelingt, die wichtigste Voraussetzung für Lernerfolg zu schaffen: Konstruktive und lernfördernde Beziehungen: "Alles schulische Lehren und Lernen ist eingebettet in ein interaktives und dialogisches Beziehungsgeschehen." Bauer argumentiert: "Neueste neurobiologische Studien zeigen: entscheidende Voraussetzung für biologische Funktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen entgegengebracht werden". Schon die Aussicht auf Zuwendung, Anerkennung oder Wertschätzung sei, so Bauer, motivationsfördernd. Soziale Ausgrenzung oder Isolation dagegen wirken sich nachweislich motivationshemmend aus. Erfolg in der Schule hängt demnach entscheidend von einem leidenschaftlichen Interesse der jeweiligen Bezugspersonen an der Fortentwicklung der Kinder und Jugendlichen, also von Resonanzbeziehungen ab. Sie kennen das sicher alle aus eigenem Erleben: Wenn Sie einen Lehrer oder eine Lehrerin fesselnd und interessant finden, avanciert das jeweilige Fach schnell zum Favoriten und bestimmt nicht selten die weitere Bildungskarriere.

Den Argumenten von Joachim Bauer werden viele unter Ihnen sicherlich zustimmen können. Die Frage ist nur: Wie bringen wir diese Erkenntnisse mit unserer Forderung nach Chancengerechtigkeit in der kulturellen Bildung zusammen? Können wir glaubwürdige Intersubjektivität und Resonanzbeziehungen institutionalisieren? Oder müssen wir hoffen, dass jede/r Bildungsverantwortliche sein oder ihr Bestes gibt? Können wir davon ausgehen, dass die Kunst geeignet ist, Resonanzerlebnisse zu vermitteln – ein Argument, dass der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa in einem anderen Kontext anführt? Nach meiner Auffassung müssen wir auf allen Ebenen der Bildungsverantwortung über die Frage der Gerechtigkeit neu nachdenken und die Bildungsgerechtigkeit als zentralen Bestandteil einer fairen und gerechten Gesellschaft betrachten.

Diese Ebenen sind neben der konkreten pädagogischen und künstlerischen Arbeit wichtig für die Ausbildung der Pädagogen in Kita über Schule, Kultureinrichtungen bis hin zu den freien Vermittlungskontexten. Die Ausrichtung unserer Institutionen und Förderinstrumente auf die Frage der Gerechtigkeit sowie die Schaffung von gerechten Strukturen des Zugangs und der Partizipation sind kardinale Herausforderungen einer gelingenden kulturellen Bildung. Darüber hinaus müssen die politischen Akteure und die jeweils zuständigen Verwaltungen über die Veränderungen der Rahmenbedingungen neu nachdenken und reflektieren, was nicht gerade einfach ist, denn es gibt im Zuge der Globalisierung eine Reihe von Herausforderungen, die sich der politischen Steuerung entziehen. Ich möchte Ihnen einige Beispiele für Maßnahmen geben, die ich für geeignet halte, die Weichen neu zu stellen und Sie werden sich in den kommenden beiden Tagen auch mit einer großen Anzahl von Anschauungen einer gelungenen Verwirklichung von Chancengerechtigkeit auseinandersetzen können, die wir Ihnen im übrigen präsentieren wollen, ohne dabei Defizite und Probleme zu vertuschen oder zu kaschieren.

Gerechtigkeit ist eine zentrale Kategorie auch in der politischen Bildung. Der unlängst verstorbene politische Philosoph John Rawls nennt die Gerechtigkeit die "erste Tugend sozialer Institutionen" (Theorie der Gerechtigkeit, 1971, S. 19). Rawls, der als Vertragstheoretiker in der Tradition von John Locke und Immanuel Kant steht und der sich vom utilitaristischen Gedankengut der neoliberalen Schule distanziert hat, entwickelt verschiedene Gerechtigkeitsgrundsätze, von denen einer für uns besonders interessant ist. Dieser Gedanke besteht darin, dass soziale und ökonomische Ungleichheiten in einer Gesellschaft nur dann gerechtfertigt sind, wenn Sie mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die allen unter der Bedingung fairer Chancengleichheit zur Verfügung stehen und die damit zu einem größeren zu erwartenden Vorteil für die am wenigsten Begünstigten führen. Rawls nennt das das Differenzprinzip.

Was hat es mit dieser Chancengleichheit auf sich? In modernen Gesellschaften fassen wir sie meist als Frage der Verteilungsgerechtigkeit, als Frage des gleichen Zugangs zu Lebenschancen auf. In unserem Kontext sollten wir sie zunächst als Frage des gleichen Zugangs zu kulturellen Bildungsangeboten betrachten. Die französische Kulturministerin Fleur Pellerin, die wir nach Freiburg eingeladen haben und die leider aus terminlichen Gründen nicht an unserem Kongress teilnehmen kann, sagt zu dieser Thematik: "Ce qui m’intéresse, c’est de faire en sorte que la culture ne soit pas réservée à une élite qui détiendrait seul les codes [de compréhension] de l’art." (sinngemäß übersetzt bedeutet das soviel wie: "Was mich interessiert, ist dafür zu sorgen, dass Kultur/Bildung nicht nur eine Elite erreichen kann, die als einzige die kulturellen Codierungen verstehen kann"). Bei der Bundeszentrale für politische Bildung haben wir schon vor längerer Zeit begonnen, das Dechiffrieren der kulturellen Codes als eines der zentralen Lernziele auf unsere Agenda zu schreiben und uns hier im Schwerpunkt auch dem Feld des Audiovisuellen und auch der Mode zu engagieren, was in diesen Kongress mit eingeflossen ist. Das Beherrschen der habituellen Regeln in einer Gesellschaft kann als zentrales Knowhow gelten, mit dem ungleiche Chancenverteilungen durch die Individuen selbst ausgehebelt werden können. Wir haben uns mit unseren Partnern aber auch dafür stark gemacht, dass wir im Kontext kultureller Bildung nicht mehr nur über sogenannte Hochkulturtransfers sprechen, wofür unser Kongress Kinder zum Olymp! das beste Beispiel ist.

In der Bundeszentrale haben wir bereits Anfang des Jahrtausends vollständig davon Abstand genommen, politische Bildung nur denjenigen anzutragen, die sie traditionell nachfragen. Wir arbeiten schwerpunktmäßig an der Entwicklung von differenziertesten Formaten für die unterschiedlichsten Zielgruppen und wir suchen immer auch das, was Joachim Bauer einfordert: den engen Dialog mit denen, die mit uns arbeiten wollen. Das führt dann ebend auch dazu, dass wir in Sachen politischer Bildung mit dem Fernsehen zusammenarbeiten. Nicht mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten, an die sie jetzt vielleicht denken. Wir haben uns das scheinbar politikfreieste Angebot herausgesucht. Nämlich RTL 2, die am ehesten Expertise über die uns interessierende Zielgruppe bildungsbenachteiligter Jugendlicher zu haben scheint. Herausgekommen sind unkonventionelle Kooperationen mit der Soap "Berlin Tag und Nacht" und die Entwicklung des Formats "Zeit für Helden".

Zu solchen unkonventionellen Arbeitsweisen sind auch viele der Kollegen und Kolleginnen in den Kultureinrichtungen übergegangen oder beginnen zumindestens damit. Man braucht aber unbedingt einen methodischen und inhaltlichen Kompass bei solchen grenzüberschreitenden und interdisziplinären Strategien. Die bpb hat mit den drei Prinzipien des sogenannten Beutelsbacher Konsens gute Erfahrungen gemacht: dem Kontroversitätsprinzip, dem Überwältigungsverbot und der Ermöglichung einer eigenen Analyse und Urteilsbildung, die die Beteiligung in den Bildungsprozessen einschliesst und handlungsorientierend und aktivierend wirkt.

Ich sehe vielerorts gute Ansätze: Die Akteure der kulturellen Bildung, zu denen ich Sie und auch uns zähle, haben sich angesichts der Zukunftsherausforderungen auf einen guten Weg gemacht. Sie zeigen Offenheit und Lernbereitschaft gegenüber den Fragen der Inklusion, der Einwanderungsgesellschaft und der digitalen Entwicklung. Sie setzen Zeichen, in dem sie Menschen auf Schlüsselpositionen ihrer Institutionen heben, die noch vor wenigen Jahren keine Chancen gehabt hätten und die dadurch heute zentrale Impulse für Entwicklungen in die richtige Richtung geben.

Wir dürfen uns aber auch nicht besoffen reden und haben die Augen aufzuhalten, wo sich unsere Gesellschaft aufgrund falscher oder nicht getroffener Entscheidungen in eine problematische Richtung entwickelt. Lassen wir uns nicht ablenken von dem Problem, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich in dieser Gesellschaft auf dramatische Weise immer weiter spreizt. Die umfassende Ökonomisierung der postfordistischen Gesellschaft läßt Menschen brutal zurück, die sich den Verwertungslogiken verweigern oder mit ihnen nicht mithalten. Diese Problematik betrifft auch die kulturelle Bildung in zentraler Weise. Ich denke wir sollten öffentlich artikulieren, dass wir eine solidarische und demokratische Gesellschaft wollen, in der Leistungsversprechen, aber auch gleiche Rechte auf Bildung für alle gelten. Und nicht etwa eine Gesellschaft von Privilegien, in der z.B. Vermögen und Erbschaften einseitig geschützt werden und die dazu führen können, dass öffentliche Güter wie die öffentliche Bildung unter die Räder kommen und das Nachsehen haben z.B. gegenüber einer wachsenden Zahl von privaten Einrichtungen. Als Einstiegslektüre empfehle ich die jüngste Publikation von Julia Friedrichs "Wir Erben" und das 2014 erschienene Buch des Autors der Nachdenkseiten Jens Berger "Wem gehört Deutschland?".

Die Förderung von Exzellenz und Elitenbildung sollte uns nicht davon abhalten, auch in die "normale" Bildung mehr zu stecken, als wir das zur Zeit tun. Vor allem sind es Investitionen in die frühkindliche Bildung und hier auch und gerade in die kulturelle frühkindliche Bildung, die dem Prinzip einer chancengerechten Bildung für Alle nutzen. Die Grundlagen für ein Ausschöpfen der Bildungspotentiale werden in den ersten Lebensjahren gelegt. Deswegen ist eine gute Infrastruktur mit qualifiziertem und fair bezahltem pädagogischem Personal eine Schlüsselfrage heutiger Bildungspolitik.

Gerechtigkeit ist aber auch die Voraussetzung von Freiheit. Freiheit zur Entfaltung, auch zur Entfaltung von Differenz. Denn es geht bei Gerechtigkeit nicht um Gleichmacherei. Aber eine Freiheit, die die Rückkopplung zur Chancengerechtigkeit verliert kann, wird wie wir im Zusammenhang der Versprechungen und Dienstleistungen globaler digitaler Verwertungsplattformen in den sozialen Medien beobachten können, schnell auch zu Freiheitseinbußen führen. Wenn Persönlichkeitsrechte einer Datenökonomie unterworfen werden, die eigene Urteilsbildungen und Orientierungen zu manipulieren und zu beeinflussen versucht, dann ist Vorsicht und Umsicht geboten. Dann braucht es politische und kulturelle Bildung, die Aufklärung und Fantasie freisetzt, Mensch zu bleiben.

Wo dienen Kunst und Kreativität heute der Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen? Und wo laufen sie Gefahr, vor den Karren des Kommerzes im Lifestylekapitalismus gespannt zu werden? Starke und kritische Kinder und Jugendliche werden die Kunst zuerst für sich selbst und ihr soziales Umfeld und nicht nur für ökonomische Zwecke bis hin zur Selbstvermarktung nutzen. Der Soziologe Andreas Reckwitz hat unter dem Stichwort "Kreativitätsparadigma" beschrieben, dass vor allem eine kritische kulturelle Bildung dem sozialen Kreativitätsimperativ gegenüberzutreten vermag, der von uns permanent verlangt, uns als schöpferische Subjekte zu modellieren. Aber nicht um unseres Selbst willen, sondern weil sich nur dieses noch in den alles durchdringenden Verwertungslogiken des Kapitalismus vermarkten lässt.

Ich möchte abschließend den Partnern und Gastgebern dieses Kongresses danken. Allen voran heute Abend dem Augustinermuseum, das uns einen beeindruckenden Ort für unseren Kongressauftakt zur Verfügung gestellt hat sowie der umtriebigen Stadt Freiburg. Und natürlich besonders herzlich dem Theater Freiburg. Beide waren bereits im letzten Herbst Gastgeber unseres erfolgreichen Festivals Politik im Freien Theater. Ich danke dem Innovationsfonds Kunst des Landes Baden-Württemberg, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Robert Bosch Stiftung, die der bpb seit vielen Jahren in vielen wichtigen Projekten verbunden ist. Ein besonderer Dank gilt denen, die die Arbeit der Konferenzvorbereitung übernommen haben. Frau Schweizer von der Kulturstiftung der Länder, Teresa Darian von der Kulturstiftung des Bundes und Sabine Dengel von der bpb. Ich wünsche Ihnen zwei anregende und unvergessliche Kongresstage, mit denen im Gepäck Sie sich danach wieder in ihre spannende und kreative Arbeit vor Ort stürzen können. Wir brauchen Sie, wir brauchen ihre Empathie und Fantasie vor Ort, um das Leben um die entscheidende Nuance lebenswerter zu machen.

Vielen Dank!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten