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Grußwort von Thomas Krüger zum 8. Kulturpolitischen Bundeskongress vom 18.-19. Juni 2015 in Berlin | Presse | bpb.de

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Grußwort von Thomas Krüger zum 8. Kulturpolitischen Bundeskongress vom 18.-19. Juni 2015 in Berlin

/ 7 Minuten zu lesen

Sehr geehrte Frau Staatsministerin,
sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Abgeordnete,

zu den Zeiten, als man sich in der politischen Bildung noch sehr stark mit den Mentalitäten und Denktraditionen beschäftigte, die es den Deutschen erleichtert hatten, den Obrigkeitsstaat Wilhelms II. zu ertragen, die Weimarer Republik abzulehnen und die Nationalsozialisten zu begrüßen, wurde stets auch über die Sehnsucht der Deutschen nach der Nation debattiert. Die nicht vorhandene nationale Einheit hatte – so konstatierten Historiker und Sozialforscher – einen Komplex produziert, der tiefe Wurzeln hatte. Das späte Eintreten Deutschlands in den Kreis der europäischen Nationen setze angesichts der Weltkriege keinen nennenswerten Heilungsprozess in Gang und mit der Trennung der Bundesrepublik von der DDR und den neuen Grenzen nach 1945 wurden neue Stufen der nationalen Identitätsproblematik erklommen. Einziger Lichtpunkt blieb das gedankliche Festhalten an der Kulturnation, die aus dem Blickpunkt der politischen Bildung nicht gerade geeignet ist, demokratische Identitäten zu befördern. Denn diese deutsche Kultur war nicht als der Motor von Transformationsprozessen gedacht, die uns Deutsche zu Kreaturen einer Zukunft machen sollte, die die Nation überwindet und Freiheit wie sozialer Gerechtigkeit einen Rahmen geben würde. Nein, im Gegenteil, die Kulturnation war ein Kampfbegriff gegen die Moderne, gegen die französische Aufklärung und gegen den Westen. Sie stand für Innerlichkeit, Weltabgewandtheit, Etatismus, Lagerdenken und eine vermeintliche gefühlsmäßige Tiefe. Kurz: Es ging um Tradition und nicht um Transformation.

Auch gegenwärtig ist dieses Verständnis der „Kulturnation“ immer noch eines, das wir Deutschen teilen. Der große Pate dieses Denkens ist Thomas Mann mit seinem Werk ‚Betrachtungen eines Unpolitischen‘, für das er sich später entschuldigt hat. Darin spielt er die Kultur gegen das Politische aus, als käme es nur auf die Innerlichkeit, das Schöne an, mit der man sich über die Mühen des politischen Handelns erheben kann. Lassen Sie uns heute neu nachdenken: Was bedeutet Kulturnation 2015 vor dem kritischen Blick Europas? Wie haben wir die Jahre seit 1990 genutzt? Wie haben wir unsere Kulturperzeptionen verändert? Welche Kulturpolitik wollen wir? Welche Institutionen und Strukturen schaffen wir? Und: Wie gestalten wir die Zukunft unserer Einwanderungsgesellschaft mit einer Kulturpolitik, die wir endlich auch als Gesellschaftspolitik zu denken gelernt haben? Als jemand, der in vielen Politikfeldern unterwegs war und ist, erlaube ich mir – auch im Nachklang der gestrigen Auftaktdiskussion – zu sagen, dass ich die Kulturpolitik für ein Ressort halte,das in Richtung Zukunftsgestaltung unseres gesellschaftlichen Lebens mehr als andere zu bieten hat.

Wir sollten dabei aber sehen, dass Politik keine Regelung öffentlicher Angelegenheiten „von oben“ mehr ist. Nur im engen Dialog mit der Zivilgesellschaft kann Politik der Demokratie diejenige Substanz geben, die sie in den Zeiten der Krise braucht. Kunst- und Kulturschaffende sind diejenigen Akteure der Zivilgesellschaft, die sich am intensivsten mit dem Individuum und der Gesellschaft in der Krise auseinandersetzen. Sie schlagen (ästhetische und utopische) Antworten vor, die dasjenige Neue zu anstoßen können, das wir als Zukunftspolitik bezeichnen. Dies wird eines der zentralen Themen dieses Kongresses sein. Wenn ich heute an 25 Jahre deutsche Einheit zurückdenke, schwingen unterschiedliche Emotionen mit, denn ich war als politischer Akteur Teil dieses sehr intensiven Prozesses der Annäherung von Ost- und Westdeutschland, der Neuaushandlung von Politik im Feld der Kultur.

In der Zeit zwischen 1994 bis 1998 war ich Bundestagssprecher. In der Opposition habe ich damals das Leuchtturmprogramm als Folie benutzt, weitere Einrichtungen an der Förderung partizipieren zu lassen. Nicht ohne Erfolg und eher durch informelle Anstrengungen. Aus heutiger Sicht würde ich allerdings die Frage aufwerfen, ob das Leuchtturmprogramm die politisch ausreichende Antwort auf den Fall der Mauer war. Die Konzentration auf nationale kulturelle Narrative wirft zu mindestens die Frage auf, ob das Potential internationaler und entgrenzter Kulturförderung und - Politik damals nicht zu sehr vernachlässigt wurde. Die Bundeskulturpolitik hat diesen wichtigen Aspekt erst mit der Schaffung der Kulturstiftung des Bundes und noch später mit dem Ausbau der Auswärtigen Kulturpolitik in den beiden Amtszeiten des jetzigen Außenministers aufgegriffen. Ein Aspekt, der uns damals nicht bewusst war und uns im Feld der Kulturpolitik bis heute kaum diskutiert wird, ist der, dass wir damals Teil einer zweiten globalen neoliberalen Welle wurden, die sich ausgehend von Amerika und Großbritannien auch über den postsowjetischen Raum und Deutschland ausbreitete und auch hier das Denken und die Schaffung von Strukturen und Gesetzgebung beeinflusste. Der Wiener Historiker Philipp Ther verweist in seinem Buch „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“ auf die globale Hegemonie des neoliberalen Diskurses, den die Chicagoer School um Friedman auf den Weg gebracht hatte. Alternativlosigkeit war die Devise der Zeit um die Wirtschafts- und Währungsunion. Dritte Wege wurden nicht mehr erwogen. Die westlichen Wohlfahrtsstaaten waren nicht mehr zu finanzieren; östliche Länder standen vor dem Staatsbankrott; örtliche Eliten – auch in der ehemaligen DDR – befürworten Schocktherapie-Reformen. Die Ergebnisse kennen wir: Nicht eingelöste Wohlstandsversprechen für die meisten; Sparzwänge (-diktate), Verantwortungsübergabe an die Einzelnen auf Kosten des sozialen Zusammenhalts.

Wenn wir allerdings für die Kulturpolitik Bilanz ziehen, können wir neben den unübersehbaren Problemen auch durchaus positive Aspekte erkennen, denn der Zwang zur Fokussierung hat uns auch – und durchaus bis heute kontrovers – darüber nachdenken lassen, was uns wichtig ist, was wir erhalten wollen, was wir fördern wollen und wo wir uns hin entwickeln möchten. Die „alten“ Bundesländer haben von den „neuen“ gelernt – oder hätten es zumindest lernen können -, Kulturpolitik, heute stärker denn je, planvoll und konzeptgesteuert zu betreiben. Und dabei kommt nicht mehr nur Hochkultur zum Zuge.

Mit der Rückschau auf 25 Jahre deutsche Einheit wird insbesondere deutlich, dass das Fallen der Staatsgrenzen nicht nur den Blick auf die eigene nationale Geschichte öffnen kann und sollte. Politische und gesellschaftliche Transformation findet nicht unter Laborbedingungen, sondern in der realen Welt statt, die sich seit 1989 nicht nur durch den Wegfall, sondern auch durch Etablierung neuer und anderer Grenzen auszeichnet. Beispielsweise steht der These „Wir sind das Volk“ heute eine europäische Gesellschaft gegenüber, die sich durch die Beschleunigung des Kapitalismus mit Solidarität und sozialem Zusammenhalt vier schwerer tut als die nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir müssen eine „Erbengesellschaft“ befürchten, in der das demokratische Leistungsparadigma nicht mehr viel wert ist. Wir werden eine „Republik der Alten“, die den Jungen zeigen, wo es politisch lang geht und ihnen schwere Probleme hinterlassen. Sie gründen eine Vielzahl von Stiftungen, die ohne politische Legitimation politische Akzente setzen. Diese wenigen Beispiele zeigen noch einmal, wie zentral die öffentliche Förderung von Kunst und kultureller Bildung für die Politik sein muss. Was wir nicht wollen, ist eine Kunst und eine kulturelle Bildung nur für diejenigen, die über Zeit und finanzielle Unabhängigkeit verfügen.

Die Studie von Heinz Bude und Kollegen über die Transformation in Wittenberge, die im Programm der bpb publiziert ist, lässt ihn den Schluss ziehen, dass es in der norddeutschen Kleinstadt nach dem Wegfall der Industrieproduktion nur harte Realität, keine Metaphysik, keinen „Wahnsinn des Eigensinns und des Selbstseins“ und keine Kunst gibt, die das zum Thema macht. Er wünscht sich einen Rainer Werner Fassbinder, der „mit seinem sehr eigenen Blick das Land bearbeitet“ . Dabei hatte der Wegfall der Grenzen vor 25 Jahren nicht nur die Chance zur ästhetischen Deutung des gesellschaftlichen Wandels in Deutschland geboten, sondern auch die Möglichkeit der Schärfung der Sinne für eine kreative Bearbeitung transnationaler Fragen auf der Basis von „Otherness“ für kulturelle Artefakte und Diskurse, die uns den Spiegel vorhält. Damit sind wir bei der Frage der Perspektiven. Was wollen wir in Zeiten der „Alternativlosigkeiten“ vorschlagen?

Das zu beantworten wird Aufgabe der Diskutant/innen aus den Feldern Kultur und Politik der beiden morgigen Panels sein. Mir bleibt eine Anregung, die auf den Vorschlag des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa in der Debatte um Zeit, Be- und Entschleunigung zurückgeht: Die Alternative zur Beschleunigung besteht in seiner Sicht nicht in der Suche nach Entschleunigungsstrategien, sondern in der Hinwendung zu Resonanzerfahrungen. Damit meint er zum einen intersubjektive Beziehungen, die uns Anerkennung und Identität vermitteln können, aber wir können insbesondere auch im Kontakt mit der Kunst Resonanz erfahren. Resonanz kann ein Medikament gegen die Ängste in der Gesellschaft sein. Lassen Sie uns eine Kulturpolitik machen, die Resultat von Resonanzerfahrungen ist und die die Erweiterung unserer Horizonte zulässt. Die es uns ermöglicht, realistische und utopische Zukunftserwartungen zu entwickeln.

Wir danken unseren Partnern von der Kulturpolitischen Gesellschaft für die wie immer sehr gute Zusammenarbeit und dem Goethe Institut für die wichtigen Impulse, die uns die Transformationsprozesse den osteuropäischen Ländern näher bringen. Ihnen wünsche ich zwei anregende Konferenztage und kontroverse Diskussionen!

- Es gilt das gesprochene Wort -