Sehr geehrte Frau Dr. Farwick,
sehr geehrte Frau Ataman,
sehr geehrte Frau Staatsministerin Özoğuz,
sehr geehrte Damen und Herren,
es ändert sich etwas - so heißt es im Einladungstext zu dieser Veranstaltung. Deutschland hat sich verändert. Und auch die politische Bildung verändert sich.
Die politische Bildung und ihre Institutionen müssen stets auf gesellschaftlichen Wandel reagieren. Sich ständig hinterfragen, anpassen und sich weiterentwickeln, um mit ihrer Arbeit den Anforderungen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Dieser Anpassungsprozess spiegelt sich in einem Paradigmenwechsel wider - einem Paradigmenwechsel bezogen sowohl auf die Zielgruppen als auch die Akteure der politischen Bildung.
In früheren Jahren entschied im Wesentlichen die Institution, was die Bürgerinnen und Bürger benötigten. Dann wurden entsprechende Maßnahmen konzipiert und den Zielgruppen angeboten.
Um die Jahrtausendwende verstärkte sich die Diskussion, wie sich politische Bildung näher an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen orientieren könnte. Statt Angebotsorientierung ging es nun um Nachfrageorientierung. Ökonomische Kriterien spielten eine größere Rolle. Aus Zielgruppen wurden Kundinnen und Kunden, denen wir Produkte anboten, die deren Bedürfnissen nachkommen sollten.
Heute denken wir in neuen Kategorien - stark beeinflusst durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die das Web 2.0 bietet, und dem Wunsch nach mehr Partizipation und Beteiligung. Diejenigen, die früher ,nur‘ die Zielgruppen waren, sind heute als Partner im Bildungsprozess. Das heißt nicht nur, dass zivilgesellschaftliche Partner einbezogen werden müssen, sondern auch zu Akteuren der politischen Bildung werden.
Auf diese Weise entkommt politische Bildung der Einbahnstraße und wird zu einem wechselseitigen Prozess. Sie wird immer mehr zur Moderatorin und Schrittmacherin gesellschaftlicher Debatten. Sie nimmt Impulse auf und sorgt dafür, dass sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dabei verändert sich zwangsläufig auch die politische Bildung selbst - und mit ihr ihre Institutionen.
In der Migrationsgesellschaft - oder nennen wir es: in Zeiten der hybriden Identitäten - muss sich dieser Prozess auch in Hinblick auf die Pluralität der potenziellen Partner vollziehen.
Ein selbstkritischer Blick auf die Profession der politischen Bildung zeigt: Noch viel zu oft herrscht zum Beispiel die Meinung vor, dass man zielgruppenspezifische Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund erstellen müsse. Als ob es sich hierbei um eine Gruppe handle, die sich vom Rest der Gesellschaft unterscheide. Fast schon wie Biotope der politischen Bildung für Menschen mit Migrationshintergrund.
Das ist nicht der Ansatz der Bundeszentrale für politische Bildung. Unserer Meinung nach bedarf es eines umfassenden Paradigmenwechsels. Neben der Frage, welche Akteure unsere Partner im Bildungsprozess sein können, bedeutet das auch eine Pluralisierung unserer Themenschwerpunkte, Perspektiven und Inhalte. Überhaupt muss sich der Blick auf die deutsche Gesellschaft insgesamt wandeln, ebenso wie die Kategorien und Koordinaten, mit denen wir sie begreifen.
Das Verständnis vom gesellschaftlichen Wir wird umfassender und vielschichtiger. Es orientiert sich nicht mehr an der ethnisch-kulturellen Herkunft, sondern liegt quer dazu. Das heißt, dass auch die Angebote der politischen Bildung alle in Deutschland lebenden, politisch interessierten Bürgerinnen und Bürger ansprechen sowie ihnen Perspektiven, Raum und Möglichkeiten zur Partizipation bieten müssen.
Diesen Weg beschreitet die bpb seit mehr als zehn Jahren. Die Erkenntnis, dass die Gesellschaft vielfältig ist, war Ausgangspunkt für Pilotprojekte, die heute zur Marke geworden sind. Dazu zählen Projekte wie Dialog macht Schule oder das Zukunftsforum Islam.
Unsere Publikationen, Veranstaltungen und hausinternen Diskussionen werden bereichert durch neue Perspektiven. Aber nicht nur bei den Themen Integration, Migration, Identitäten: Für uns ist die Vielfalt eine Normalität, das heißt, dass sogenannte Menschen mit Migrationshintergrund nicht zwangsläufig als Experten für diese Themen angesprochen werden. Die Vielfalt muss sich durch alle gesellschaftlichen Debatten ziehen: Auch in den Debatten über Datenschutz, Gleichstellung, Wirtschaftswachstum, Medienpolitik, Vegetarismus, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Finanzpolitik oder Außenpolitik sind neue deutsche Perspektiven gefragt - nicht nur weil sie neue Deutsche sind, sondern weil sie Bürgerinnen und Bürger sind.
Unsere Partner werden vielfältiger. Allerdings ist dieser Prozess nicht abgeschlossen. Auch diese Konferenz ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Das Ziel ist, Deutschland neu zu denken. Die Fragen sind: Was nun? Und was konkret? Die Schlagworte von Anerkennungskultur, Teilhabe und Pluralität müssen mit Leben gefüllt werden. Damit sich der gesellschaftliche Wandel auch in den gesellschaftlichen Strukturen wiederfindet, braucht es starke Impulse.
Wenn ich den Titel des Kongresses - Deutschland neu denken - für die bpb übersetze, dann bedeutet das, dass neue deutsche Organisationen nicht Objekt politischer Bildung, sondern Subjekt und Partner im Bildungsprozess sind. Da ich das Wort jetzt abgeben muss, freue ich mich ganz besonders darauf, beim morgigen Abschlusspanel mit Ihnen darüber zu diskutieren, was das konkret bedeutet.
Ich möchte Sie auffordern, die politische Bildung im Allgemeinen und die bpb im Besonderen herauszufordern, den Paradigmenwechsel mit ihren Impulsen zu bereichern, ihn kritisch zu begleiten und zu unterstützen.
- Es gilt das gesprochene Wort -