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Impulsrefererat von Thomas Krüger beim 31. GMK-Forum Kommunikationskultur "Doing politics. Politisch agieren in der digitalen Gesellschaft" am 21.11.2014 in Berlin | Presse | bpb.de

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Impulsrefererat von Thomas Krüger beim 31. GMK-Forum Kommunikationskultur "Doing politics. Politisch agieren in der digitalen Gesellschaft" am 21.11.2014 in Berlin

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Zwischen Filterblase und snapchat. Politische Partizipation im digitalen Wandel und die neuen/alten Aufgaben der Medienpädagogik

Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
lieber Ralf Kleindieck,
sehr geehrte Frau Vorsitzende,
liebe Ida Pöttinger,
meine Damen und Herren – liebe Freunde der GMK,

Sie werden - vielleicht - die Ankündigung dieser Rede im Programmheft mit Interesse und dem einen oder anderen Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen haben. Vielleicht werden Sie sich auch gefragt haben, ob diese Äußerung zum Forumsthema „Doing politics. Politisch agieren in der digitalen Gesellschaft“ nicht auch eine Nummer kleiner zu haben sei?! Lassen Sie mich vorweg hierzu zwei Dinge anmerken:

Erstens: Ich habe den festen Vorsatz, es auf gar keinen Fall eine Nummer kleiner zu machen. Das Thema, um das es uns hier geht, kann unter den derzeit gegebenen Umständen nur noch groß gedacht und breit diskutiert zu werden.

Und zweitens: Auch wenn wir als politischer Bildner an die didaktische Funktion der Provokation glauben und von ihr überzeugt sind, so geht es mir hier erst einmal und vor allem um die Anstiftung zum Nachdenken über unsere digitale Mediengesellschaft.

Lassen Sie uns mit einer kleinen Bestandsaufnahme und Situationsbeschreibung beginnen:

Die digitale Mediengesellschaft ist, salopp gesagt, eine Gesellschaft, deren Medien wesentlich dadurch gekennzeichnet sind, dass sie sich digitaler Daten bedienen. Seit 2013, also seit den ersten Veröffentlichungen über die von Edward Snowden gesammelten Dokumente aus den Tiefen der NSA im Juni 2013, mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass seitens staatlicher Behörden in den USA, aber auch in anderen Ländern, ungeheure Datenmengen gesammelt wurden und werden. Eine der Zahlen, die aus den Dokumenten hervorsticht, ist z.B. die Zahl 500 Millionen: Das ist die Anzahl der Datensätze, die durch die NSA in Deutschland gesammelt wurden - im Zeitraum von nur dreißig Tagen. Beteiligt an dieser Datensammlungspraxis waren, ob nun mit oder ohne ihr Einverständnis und Zutun, auch die großen Internetkonzerne. Konzerne, die seit ca. zehn Jahren eine dominante, wenn nicht gar monopolistische und marktbeherrschende Stellung für die weltweite internetbasierte Kommunikation innehaben: Google, Facebook, Apple, Microsoft und andere. Und als gebranntes Kind mit DDR-Biografie weiss ich: Monopole sind entweder gefährlich oder sie machen dumm. Im schlimmsten Fall allerdings beides.

Dass Googles offizielle Leitlinie „Sei nicht schlecht!“ oder „Tue nichts schlechtes!“ [„Don’t be evil!“] oder auch Apples „Hippie-Image“ ihren Usern etwas ganz anderes suggerierten, kam der NSA gerade recht und war für sie sogar Anlass zu spöttischen Parodien: auf einer Folie der NSA, auf der Steve Jobs zu sehen war, stand nur lapidar der Satz: "Wer hätte 1984 geahnt, dass dies einmal Big Brother sein würde?“ In der Tat kommen dem politischen Bildner Orwellsche Visionen in den Kopf, wenn man versucht, die Enthüllungen über die NSA und ihre Bemühungen der Internetkontrolle rational zu begreifen.

Aber bevor hier Visionen verkündet werden, aufgrund derer sie mich - einem bekannten Diktum zufolge - zum Arzt schicken, lohnt sich der Blick zurück. Zur Vergewisserung der Traditionslinien, der weiterverfolgten ebenso wie der abgebrochenen. Denn es gibt bekanntlich etwas zu feiern: das erste Forum Kommunikationskultur vor dreißig Jahren und damit auch fast schon die Gründung der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur – die GMK – im April des Orwellschen 1984.

Hierzu gehört natürlich auch ein erinnernder Blick auf Dieter Baacke, „den Urvater der Medienkompetenz“. Vorher aber scheint mir ein Blick auf die gesellschaftlichen Umstände der damaligen Zeit sinnvoll.

Vor gut dreißig Jahren fand nämlich auch ein „Doing politics“ statt, das in der Rückschau medienpädagogisch inspirierter nicht hätte sein können. Am 15. Dezember 1983 erging das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in der Sache Volkszählung aufgrund von Verfassungsbeschwerden eines Lüneburger Jura-Studenten und zweier Hamburger Rechtsanwältinnen, von denen ich annehme, dass sie zu den Stammkunden der bpb gehörten – mindestens jedoch die Grundgesetzausgabe von ihr bezogen. Das Urteil wird Ihnen in seinen Grundaussagen und in seiner Begründung des Rechtes auf „informationelle Selbstbestimmung“ bekannt sein. Gleichwohl lohnt der Blick in den Urteilstext, aus der ich eine Passage zitieren möchte. Es heißt dort über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. die „Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“:

"Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist vor allem deshalb gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muß, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung […] personenbezogene Daten […] technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus […] mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann."

Und im weiteren Fortgang der Begründung erklärt das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich, worin es die Gefahren dieser Datenpraxis sieht:

"Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, […] kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist."

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Deutlichkeit der Urteilsbegründung und diese sehr klare Sicht auf eine Datenpraxis, die 1983 im Vergleich zur heutigen „Big Data Cloud“ geradezu als kleines Datenwölkchen bezeichnet werden könnte, lassen geradezu prophetische Gaben beim judikativen Teil unserer Staatsgewalt vermuten. Auf diese Entscheidung des Ersten Senates des Bundesverfassungsgerichtes und das in der Begründung aufgestellte Recht auf informationelle Selbstbestimmung haben sich mehrere nachfolgende Urteile als auch das 1990 novellierte Bundesdatenschutzgesetz bezogen, mit diesem Urteil ist der Grundrechtekanon - nicht mehr und nicht weniger - als faktisch um ein weiteres Recht erweitert worden.

In der Bundesrepublik Deutschland war also bereits weit vor dem Siegeszug des WorldWideWeb und noch weiter entfernt vom Beginn der Social Media Revolution zumindest juristisch gesehen die Lage der Daten klar erkannt. Seit Anfang der 1980ger Jahre existierten auch in allen Bundesländern und auf Bundesebene Datenschutzgesetze.

Als kleine Fußnote sei hier der Hinweis erlaubt, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbare gesetzliche Regelungen zwar fehlen – wie wir wissen, existiert dort ja eine Common Law Tradition – , andererseits aber das Recht auf Privatheit bereits 1890 in drei für die Rechtstradition sehr bedeutsam gewordenen Aufsätzen des späteren Verfassungsrichters Louis Brandeis formuliert wurde. Das „Right to Privacy“ so der Titel des wichtigsten Aufsatzes, das Recht alleine gelassen zu werden, begründet im US-amerikanischen Rechtssystem fast hundert Jahre vor dem Volkszählungsurteil ein dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vergleichbares Grundrecht. Brandeis entwickelte seinen Grundgedanken u.a. in der Auseinandersetzung mit den neuen Medien seiner Zeit, also Fotografie und Tageszeitungen, Medien, die Informationen schnell massenhaft verbreiten konnten. Ohne Übertreibung darf man festhalten, dass einigen heutigen US-amerikanischen Regierungseinrichtungen, diese Rechtstradition offenbar aus dem Blick geraten, bzw. durch den Furor des „Kampfes gegen den Terror“ verstellt worden ist.

Das Volkszählungsurteil erging damals unter dem Vorsitz von Ernst Benda, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, der hier letztmalig als Verfassungsrichter tätig war. Benda, später auch im Medienrat Berlin Brandenburg tätig, hat sich auch danach immer wieder als kundige und abwägend-kritische Stimme zu Wort gemeldet. So etwa 2007 im Zuge der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung. Im Interview mit der Tagesschau formulierte er: „Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen. Den Polizei- oder Überwachungsstaat wollen wir nicht. Aber wir wollen, dass der Staat seine Sicherheitsaufgaben angemessen erfüllt.“ Dem ist wohl nicht zu widersprechen und Benda wusste als ehemaliger Bundesinnenminister und an den Notstandsgesetzen beteiligt, wovon er sprach.

Sie können davon ausgehen, dass ich als jemand, der die DDR erlebt hat, eine Vorstellung davon habe, wozu staatliche Überwachung führen kann. Sie werden mir sicher auch glauben, dass ich die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur auf dem Schirm habe, sonst wäre ich nicht fast 15 Jahre in Diensten der bpb als nachgeordneter Behörde des Bundesinnenministeriums. Aber, meine Damen und Herren, der Blick in die Geschichte der Überwachung, wie ihn Josef Foschepoth in seinem auch bei der bpb erschienenen und sehr lesenswerten Buch „Überwachtes Deutschland“ getan hat, zeigt neben aller rechtsstaatlichen Differenz „durchaus Gemeinsamkeiten“. Die Bundesrepublik Deutschland beendete erst 1968 durch die Änderung des Artikels 10 des Grundgesetzes und das entsprechende G10-Gesetz die – so Foschepoth – „gesetzlose und verfassungswidrige Zeit“ und schuf erst damit die notwendige gesetzliche Grundlage für eine staatliche Überwachung. Bis dahin hatten die westlichen Alliierten sich das Recht zur Überwachung vorbehalten und, wie Foschepoths Archivfunde beeindruckend belegen, auch reichlich davon Gebrauch gemacht. Übrigens mit Wissen, Zustimmung und Unterstützung der bundesdeutschen Regierung, sowie gegen den damaligen Wortlaut des Artikels 10: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.“ In der DDR-Verfassung war der entsprechende Artikel 31 nur unwesentlich anders formuliert. Eine gesetzliche Grundlage für die massenhaft praktizierte und zum Schluss geradezu paranoide und panische Überwachung durch die Stasi aber wurde bis zum Ende der DDR nie geschaffen.

Das Volkszählungsurteil erscheint auch deshalb prophetisch, weil das Internet 1983/84 erst am Anfang der technischen Entwicklung zu seiner heutigen Form war und noch gar nicht als der Mega-Daten-Carrier fungierte, ganz zu schweigen von den kommenden Datenturbos und Datenkraken der sozialen Netzwerke und App-Ökonomien.

Die wesentlichen technischen Standards für das Netz in seiner heutigen Form wurden erst im Laufe der 80er Jahre geschaffen, das WorldWideWeb und seine alles verbindende Sprache HTML von Tim Berners-Lee gar erst ab 1989 entwickelt. Berners-Lee gründete 1994 dann das World Wide Web Consortium (W3C), dem er die Aufgabe einer Standardisierung und Vereinheitlichung der Web-Technologien zuerkannte, um so eine Fragmentierung des Internets zu verhindern. Das W3C sollte den kleinsten gemeinsamen Nenner seiner Mitglieder finden und standardisieren. Sein Vorantreiben von Standards wie HTML beflügelte den Siegeszug des World Wide Webs. Und auch wenn die Anzahl der Internetseiten heute gegenüber den damaligen ein paar 10.000 heute in die Abermillionen geht, das Grundprinzip des World Wide Web ist dasselbe geblieben: offene Standards. Im Internet ist es egal, welches Betriebssystem du hast – oder sagen wir: fast egal! Was 1989 mit der open source software am CERN begann, ist zu einer Medien-Revolution geworden, die weit in die Gesellschaft ausstrahlt und heute fast alle Menschen ergriffen hat. Das W3C entwickelt seitdem stetig unsere Internet-Standards weiter. Und zwar nicht als eine zentrale staatliche Instanz, sondern als offener Verein und anhand offener Standards! Ein Netz für alle, nutzbar nach für alle zugänglichen Regeln und transparenten technischen Regeln. Es spricht für sich, dass jedem der durchnummerierten Internetstandards die Abkürzung RFC vorangestellt ist: Request-for-Comments, zu Deutsch „Bitte um Kommentare“. Das entspricht übrigens auch dem akademischen Ideal des freien Austauschs unter gleichberechtigten Teilnehmern, den der amerikanische Soziologe Robert King Merton als „Wissenskommunismus der Wissenschaften“ bezeichnet hat.

Das Internet zeigt sich bis in seine technischen Standards hinein durch und durch dem demokratischen Diskurs und der Idee des Allgemeingutes verpflichtet.

Auch auf der politischen Bühne der 1990er Jahre war das Verhältnis des Individuums und der Gesellschaft zu der sich mit dem Internet entwickelnden Informationsgesellschaft lange vor den von Edward Snowden ausgelösten Erschütterungen unserer Datenschutz- und Privatsphärenkonzepte ein hochrangiges Thema. 1995 trafen sich die Wirtschafts- und Postminister der G7-Staaten mit der Europäischen Kommission, um die „Globale Informationsgesellschaft“ zu erörtern. Unter Überschriften wie „Eine Informationsgesellschaft zum Nutzen der Menschen“ oder „Interaktive Einsatzmöglichkeiten werden unser Zusammenleben verändern“ wurde dort unter anderem die „Sicherung der Privatsphäre und Datensicherheit“ und die „Beobachtung der sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Informationsgesellschaft“ gefordert.

Und die Medienpädagogik? Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) hatte 1984 anlässlich ihrer Gründung „eine gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben und eine humane Entfaltung von Kommunikation, Bildung und Kultur im Sinne der Chancengleichheit und des Gemeinwohls“ zu ihrem Gründungsgedanken erklärt. In den Darstellungen der Tätigkeit der GMK taucht das Thema Datenschutz und Privatsphäre, wenn ich richtig im Bilde bin, aber wohl erst Anfang der 2000er Jahre auf. Das Themenfeld war ja auch bereits gut bearbeitet. Wichtige zivilgesellschaftliche Akteure waren seit den 1980er Jahren der „ChaosComputerClub“ in Hamburg und der Bielefelder „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“, FoeBuD, die mit teilweise aufsehenerregenden Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema erzeugen konnten und dem Gründungsgedanken der GMK weit ausserhalb des Vereins ganz gut entsprachen.

Dieter Baacke, der Gründungsvorsitzende der GMK, der ja ― hier dürfte das fast allen bekannt sein ― nicht nur den Begriff Medienkompetenz prägte, sondern vor allem die Medienpädagogik zur kritischen Gesellschaftsanalyse erweiterte, sah im übrigen die Gefahren der privatwirtschaftlichen Verwendung von Daten sehr wohl und forderte bereits 1996: „Digitale Informationen über Personen dürfen nicht beliebig kapitalisiert werden." Unter der von Baacke und anderen formulierten medienpädagogischen Leitfrage „inwieweit Medien Handlungsmöglichkeiten erschließen“ und „Kinder und Jugendliche anschlußfähig machen für öffentliche Diskurse und damit für politisches Denken und Handeln“ scheint der Schritt zur kritischen Perspektive auf die globalisierte Datenökonomie, in der jede und jeder Einzelne den Verlust der Kontrolle über seine Daten vergegenwärtigen muss, eigentlich ein überschaubarer und zu bewältigender. Praktisch aber zeigt sich ein zweifaches Dilemma:

Erstens: Nach allem was wir über die Überwachung unserer Daten erfahren haben, müssen wir wohl skeptisch bis resignativ konstatieren: digitale Medien, die Handlungsmöglichkeiten in einem freiheitlichen Sinne erschließen, scheint es nicht oder nicht mehr zu geben. Sie wurden, so Sascha Lobo, „zweckentfremdet“. Der als „Netzpapst“ und „Klassensprecher für das Web 2.0“ Titulierte sprach nach den Snowden-Enthüllungen in Fortführung der drei Freudschen Kränkungen etwas resigniert von der vierten, der digitalen Kränkung der Menschheit: „Was so viele für ein Instrument der Freiheit hielten, wird aufs Effektivste für das exakte Gegenteil benutzt.“

Zum Zweiten weist der Surveillance-Forscher Nils Zurawski auf einen anderen Umstand hin, der die kritische und produktive Erschließung von Medien für Handlungsmöglichkeiten verhindere: Überwachung, so Zurawski in seinem Essay in der diesjährigen Ausgabe „Überwachen“ der bpb-Zeitschrift aus „Aus Politik und Zeitgeschichte“, - Überwachung sei „Teil des Konsums und deshalb so unsichtbar und scheinbar normal.“ Überwachung stört in der alltäglichen Datenpraxis nicht, denn die Einschränkungen der Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten als Verlust der informationellen Selbstbestimmung (siehe Volkszählungsurteil) oder als Filterblase, Stream-Algorithmus etc. werden nicht als störend wahrgenommen oder anders ausgedrückt: sie werden als Teil eines Deals „Daten gegen Konsum“ akzeptiert. Zurawski sieht in unserer Alltagspraxis die Grenze zwischen Staat und Unternehmen verschwimmen und als kaum noch gegeben:

"Die von den Geheimdiensten in die Gesellschaft gebrachte Kultur des Verdachtes und die Steuerung der Begierden durch die Unternehmen sind […] sich ergänzende Phänomene, die auf ähnlichen Mechanismen beruhen und in der Praxis anschlussfähig sind. Der Wunsch des Staates nach einer vorausschauenden Kontrolle oder der Unternehmen nach Warenabsatz hat zur Konsequenz, dass Möglichkeiten eingeschränkt und Normen möglichst eng geführt werden müssen."

Es ist jene Ambivalenz von Big Data, die auch der Internetforscher Viktor Mayer-Schönberger treffend beschreibt:

"Überwachung ist nur eine Koinzidenz. Der Kern von Big Data ist die Vorhersage der Zukunft aus der Gegenwart und der Vergangenheit mit Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Das ist auch eine Reaktion unserer Gesellschaft auf Risiko: Wenn ich die Zukunft vorhersehbarer mache, senke ich das Risiko. Gleichzeitig schränke ich aber auch Freiheit ein."

Angesichts der Deutlichkeit solcher Gegenwartsdiagnosen, dem Mehr an Überwachung und dem Weniger an Freiheit, möchte man sich Bertolt Brechts „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ in Erinnerung rufen und auf das Sofa zurückziehen und nur noch „Der Preis ist heiß“ und „Glücksrad“ im West-Privatfernsehen der 1980er Jahre oder - quasi als „defizienter modus“ - „Ein Kessel Buntes“ im Ost-Staatsfernsehen schauen, als die Medienwelt des geteilten Deutschlands noch in Ordnung war.

Leider tut einem heute kein Sender mehr diesen Gefallen und bekanntermaßen wird im deutschen Fernsehen mit Daten ja auch nicht immer solide umgegangen, wie wir aus den diversen Ranking-Shows und der werblichen Verwertung von Telefondaten, die uns als demokratische Interaktion verkauft werden, wissen. Und die Digitalisierung des Fernsehens, die Nutzung des Internets als Rückkanal lässt ja selbst die Fernsehbranche bei den Öffentlich-Rechtlichen mit kaum kaschierter Sehnsucht auf BigData hoffen. Wohin sind wir nur gekommen? Oder dieses GMK-Forum gefragt: Wie also könnte eine medienpädagogische Theorie und Praxis in der gegenwärtigen Situation eigentlich aussehen?

Ich befürchte, eine vollständige Antwort muss ich Ihnen schuldig bleiben. Aber lassen Sie uns wenigstens versuchen, ein paar Punkte anzureißen:

Erstens: Medienpädagogik sollte ihre Herkünfte und Traditionen, ihre soziokulturellen Einflüsse, kurz ihre Geschichte und Geschichtlichkeit nicht aus dem Blick verlieren. Insbesondere, wenn es ihren politischen oder gesellschaftlichen Auftrag betrifft, lohnt sich ein Blick in die Archive und Dokumente. Es lässt sich zweifelsohne manches Spannende entdecken, wohl auch der eine oder andere Irrweg. Die Geschichtswissenschaft hat die Realität erzeugende und normierende Kraft von Diskursen schon länger auf dem Schirm und die historisch-politische Bildung arbeitet bereits mit pädagogischen Ansätzen, die Multiperspektivität und den Widerstreit der Diskurse zu entdecken erlauben. Gerade wenn es darum gehen soll, das eigene Diskursfeld wiederzugewinnen und nicht in der tragischen Rolle von PR Clowns knallharter ökonomischer Interessen zu enden, sollte Medienpädagogik aus der eigenen Geschichte lernen. Die Herausforderung wäre, der Frage nachzugehen, ob die Medienpädagogik nochmal als eine „kritische Gesellschaftsanalyse“, wie es Baacke gefordert hatte, zu konstituieren sei, ohne damit die vergangenen drei bis vier Jahrzehnte theoretischer Diskussion zu negieren, sondern produktiv in eine Neubestimmung zu integrieren.

Zweitens: Medienpädagogik sollte des Weiteren ihre pädagogische Verantwortung für Kinder und Jugendliche als gesellschaftspolitische Verantwortung stärker in den Blick nehmen. Angesichts der Normierung und Besetzung der digitalen Datenräume, angesichts demographischer Veränderungen, die Jugend immer mehr zur Minderheit, allerdings und zugleich mit vielen Erwartungen und Anforderungen überfrachtend, werden lassen, gilt es Räume zu definieren und zu schaffen, in denen Jugend und Kindheit jenseits der „Zumutungen“ der Erwachsenenwelt stattfinden kann. Räume, die angeeignet werden können, in Besitz genommen werden können, einschließlich der Verfügbarkeit über die eigenen Daten. Ich zitiere nochmals Viktor Mayer-Schönberger: „Wir müssen ganz klar Freiräume schaffen für Entscheidungen, die nicht auf dieser Empirie, auf Big Data beruhen. Die Analyse bei meinem Arzt könnte ergeben, dass ich aufhören sollte, Fleisch zu essen. Die Entscheidung möchte ich aber selbst treffen. Ich wünsche mir ein Recht auf Irrationalität, ein Recht darauf, dass Menschen sich nicht so entscheiden müssen, wie es empirisch rational richtig wäre.“ Und meine Damen und Herren, ist eine so verstandene Irrationalität nicht gerade Wesensbestandteil der Kindheit und Jugend, in der man sich in diesen Freiräumen ausprobieren will und muss, um nicht zuletzt durch das Scheitern erwachsen zu werden?

Drittens und abschliessend: Medienpädagogik wird nicht darum herum kommen, wieder politischer zu werden. Politischer nicht im Sinne einer beständigen Präsenz der GMK in den politischen Diskussionen und Debatten. Das ist notwendig, zweifelsohne, wird ja aber schon getan und ist immer auch ein zeitaufwändiges Engagement, denn Positionen wollen erarbeitet und abgestimmt sein. Mir geht es eher um eine kämpferische Haltung der Disziplin, ganz im Sinne der politischen Theorie der Agonik von Chantal Mouffe (übrigens auch bei der bpb erschienen). Was also intensiviert werden könnte, ist die Reflektion der Bedingungen von Medienhandeln in der digitalen Mediendemokratie in der medienpädagogischen Praxis. Medien sind öffentliche Angelegenheiten geworden, die knappe aber präzise Formel des Netztheoretikers Clay Shirky „Here comes everybody“ bringt es auf den Punkt. Kein Torwächter wacht mehr am Eingang und entscheidet darüber, wer oder was veröffentlicht wird. Oder mit Bernhard Pörksen, der kürzlich in der ZEIT schrieb: "Das Publikum kann sich im digitalen Zeitalter in einer bis dato unvorstellbaren Direktheit und Geschwindigkeit in den Kommunikationsprozess einschalten […].Niemand ist heute mehr zur Rolle des Leserbriefschreibers verdammt, der auf die Gnade des unredigierten Abdrucks hoffen muss."

Und da die Bedeutung von Öffentlichkeit für die Demokratie bekannt ist, ist man versucht zu sagen: Demokratie? Geh da raus und hol sie Dir! Dazu gehört dann aber auch, sich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen über die Neubestimmung dessen, was Gemeingüter im digitalen Raum sein und bedeuten können. Denn gerade wenn es um die Rechte der Einzelnen geht, werden auch technische und mediale (Software) Architekturen politisch. Den Blick für freie und gleiche Datenarchitekturen frei zu halten, den kritischen Blick auf die entrechtenden Verwertungsketten so wunderbar designter und anschmiegsamer Dienstleistungen zu schärfen, gehört immer dazu. Und letztlich geht es hier auch um die Selbstverständigung über grundlegende politische Werte – Selbstbestimmung, Souveränität und freie Organisation der eigenen Interessen, jenseits zentralisierter Übermächte.

Dies aber wäre in der medienpädagogischen Praxis mit Kindern und Jugendlichen erst zu erarbeiten. Wie eine solche Demokratie aussehen könnte, welche Benachteiligungen, welche Risiken, welche Datenpraxen damit verbunden wären, welche persönlichen Gewinne. Und vielleicht wäre genauso, in der Praxis die notwendige Selbstbestimmung zu gewinnen, die eine Demokratie braucht. Nicht im absoluten Vollzug einer emanzipatorischen Pädagogik, sondern in einer sich den Subjekten als freien Menschen anvertrauenden demokratischen Praxis.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten