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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zum 9. Festival Politik im Freien Theater am 13. November 2014 im Theater in Freiburg im Breisgau | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zum 9. Festival Politik im Freien Theater am 13. November 2014 im Theater in Freiburg im Breisgau

/ 7 Minuten zu lesen

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Walter,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Salomon,
liebe Frau Mundel, lieber Herr Fehrenbacher, lieber Herr Herbert,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

"Der Sinn von Politik ist Freiheit!" So die These der Philosophin Hanna Arendt. Die dahinter stehenden Gedanken gehen uns alle etwas an. Denn wir sind es heute Abend, zwischen denen sich "Welt" abspielt. Wir sind hier zusammengekommen, um Theater zu erleben und Geschichten zu hören, um zu weinen und zu lachen, um zu denken und zu hinterfragen. Und wir tun dies beim inzwischen 9. Festival Politik im Freien Theater hier in Freiburg im Breisgau unter dem Leitmotiv der "Freiheit".

In Analogie zu einem Buchtitel des Mannheimer Schriftstellers Wilhelm Genazino "Über das Glück in glücksfernen Zeiten" könnte man heute Abend von der "Freiheit in freiheitsfernen Zeiten?" sprechen. Allerdings sollte man den Satz mit einem Fragezeichen versehen. Und es gilt weiterhin die Frage nach dem Glück zu stellen. Denn wir alle spüren, dass die Frage nach der Freiheit mit der Frage nach dem Glück etwas zu tun hat.

In der Antike war Glück mit der Idee verbunden, dass der Mensch etwas tut, was seinem Wesen entspricht, auch wenn dies mit anstrengenden, Selbstüberwindung kostenden Handlungen verbunden war. Dem Wesen des Menschen als "zoon politikon" entspricht nach Aristoteles das öffentliche, das politische Handeln. Es geht hierbei um die Freiheit für etwas, die Freiheit etwas zu tun, die so genannte "positive Freiheit". Diese Art von Freiheit meint nicht die Freiheit, so viele Klamotten zu kaufen, wie man möchte, sondern die Idee, dass der Mensch erst Mensch wird, wenn er seine soziale und politische Seite verantwortungsvoll leben kann. Es geht also um Selbstverwirklichung durch Teilnahme am politischen Prozess in der Demokratie. Diese Freiheit ist dem Menschen nicht von Natur aus gegeben. Er muss sie sich erst organisieren. Wir müssen sie uns organisieren. Dies ist die Grundlage der Vorstellung von Volkssouveränität und dies meint auch die These von Hanna Arendt: Der Sinn des Politischen besteht darin, dass Menschen als Gleichberechtigte jenseits von Zwang und Gewalt miteinander öffentlich in Freiheit umgehen. Mit dem Mauerfall vor 25 Jahren und dem Ende der DDR schienen die Voraussetzungen für die Verwirklichung solcher Freiheit gegeben und für viele sah es auch danach aus, als wäre das Glück dabei mit im Spiel, bevor wir uns in den Brechtschen "Mühen der Ebene" wiederfanden.

Der positiven Freiheit steht eine negative Form zur Seite: "Negative Freiheit" bezeichnet die Freiheit von Zwängen und Einschränkungen. Es geht dabei um Rechte im Sinne von Grenzen wie das Recht der Meinungs- oder Religionsfreiheit - nicht nur um das Recht auf freie Marktentfaltung.

Wenn wir also über Freiheit sprechen müssen wir auch über Grenzen sprechen. Die Menschen haben in den letzten Jahrhunderten gegen Grenzen gekämpft. Denken Sie hier nur an die Überwindung der Staatsgrenzen durch das Zusammenwachsen der Länder innerhalb der EU. Aber sie haben auch für Grenzen gekämpft wie z.B. für das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Wir leben heute in einer Zeit, wo die Frage nach Grenzen und Grenzziehung weniger eindeutig ist als in früheren Zeiten. Symptomatisch für die Problematik ist z.B. der Bereich des menschlichen Körpers, dessen Schutz vor staatlichem Zugriff durch die Genfer Konventionen, noch immer nicht gesichert ist. Das können wir am beständigen internationalen Ringen um das staatliche Folterverbot - Stichwort Guantanamo - erkennen. Aber auch die mit den Schlagworten "Digitale Gesellschaft" oder "NSA" verbundenen Implikationen offenbaren, dass Grenzziehung meist nicht einmal mehr stattfindet, wenn Grenzüberschreitung als Problem wahrgenommen wird. Auf der Symbolebene erkennen wir das beispielsweise daran, dass für ganze Generationen junger Menschen die Körperhaut keine unantastbare Grenze mehr darstellt. Im Gegenteil: Sie durchbrechen die Grenzen durch Tätowieren und Piercen als bewussten oder auch unbewussten Ausdruck des weltweit grassierenden Grenzbrechens.

Wir sehen hier, dass einiges auf dem Kopf steht. Byung-Chul Han, Berliner Professor für Philosophie und Kulturwissenschaften, sagte unlängst in einem Interview in der ZEIT, dass die "Freiheit eine Episode gewesen sein wird" da wir unbewussten Zwängen unterworfen seien, welche wir paradoxerweise als Freiheiten wahrnähmen: Wenn ein System die Freiheit angreife, würden sich die Menschen wehren. Das aktuelle System greife aber die Freiheit nicht an, sondern instrumentalisiere sie, so dass die Bürgerinnen und Bürger nicht per Mikrozensus aufgefordert werden müssten, persönliche Daten transparent zu machen, sondern diese freiwillig öffentlich zur Verfügung stellten. Ein Problem das immer wieder durch Theater kritisch bis hin zum Skandal thematisiert wurde und wird. Denken Sie hier nur an die jüngste Aktion von Dries Verhoevens: "Wanna Play - Liebe in Zeiten von Grindr" im Berliner HAU!

Eine Produktion von Dries Verhoevens wird in den kommenden Tagen übrigens auch hier in Freiburg zu sehen sein - und wir hoffen auf rege Diskussion - aber bitte mit Worten nicht mit Fäusten. Wobei man das in Freiburg eigentlich nicht dazu sagen muss. Rüdiger Schaper hat gestern im Berliner Tagesspiegel Verhoevens HAU-Arbeit, die abgebrochen werden musste, und die Arbeit am Maxim Gorki Theater vom "Zentrum für politische Schönheit", die die Mauerkreuze durch Bezug auf die Flüchtlingsopfer an den EU-Außengrenzen mit neuer Bedeutung versehen haben, leidenschaftlich verteidigt: "Im Zweifel für die Freiheit. Kunst darf alles." Christoph Schlingensief, den wir so schmerzlich vermissen, hat die Öffentlichkeit hergestellt, die nun von den neuen aktivistischen Formen genutzt wird.

Es ist kein neuer Gedanke, dass Freiheit und Unfreiheit in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen. Ein Mehr an Freiheit geht seit dem Beginn der Moderne mit einem Mehr an Einengung und Beschränkung einher. Je mehr Zeit wir sparen, desto weniger haben wir. Je mehr wir uns beteiligen können, umso passiver werden wir. Je besser die Chancen für Meinungsvielfalt stehen, umso weniger kommt bei uns an. Globale Freiheitsbewegungen münden in globalen Krisen. Die Öffnung der Märkte hat uns uniforme Innenstädte beschert. Die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen führt uns entweder zum Job Coach oder gleich zum Therapeuten. Je mehr technische Hilfsmittel wir haben, umso stärker beschleunigt und verdichtet sich unser Leben. Sie alle kennen die Erfahrung, dass Sie sich ausbeuten, während Sie sich verwirklichen. Der Zeitforscher Karlheinz Geißler kommentiert: "Besser denn je sind wir heute vor Naturgewalten und deren dramatischen Folgen geschützt, zugleich sind wir mehr denn je vom Ölpreis, den Energielieferanten, der Verkehrsdichte und den hochspekulativen Geschäften der Geldinstitute und dem Eurokurs abhängig. (…) Der aufgeklärte Mensch mit demokratischer Gesinnung nimmt keine Befehle mehr von Königen, die er nicht selbst wählen durfte, entgegen; er lässt sich von seinem Handy regieren, das er selbst ausgesucht und bezahlt hat. (…) Seine Erlösungs-Hoffnungen richten sich nicht mehr auf die ‚Ewigkeit, sondern auf die rechtzeitige Auszahlung der Lebensversicherung" Was ist los mit uns? Warum ziehen wir die Grenzen nicht? Ist es - wie nach Auffassung von Byung-Chul Han - "das System", das die Ausbeutung der Freiheit von uns unbemerkt in den Dienst nimmt? Oder wollen wir die Freiheit nicht? Ist sie unbequem und beängstigend? Was fasziniert uns an der Entfremdung? Und die wichtigste Frage: wie kommen wir wieder zu einer Freiheit für etwas, anstatt uns immerzu mit der Befreiung von etwas herumzuschlagen? Wie bekommen wir die Organisation des öffentlichen und privaten Lebens wieder in unsere Hand? Sind wir nicht das Volk?

Wenn wir eine Umfrage in den deutschen Innenstädten machen würden, wo die Menschen "die Freiheit" lokalisieren, wäre das Theater sicher - das behaupte ich jetzt einfach einmal - unter den ersten 5 Nennungen. Aber ist es noch ein Ort der Freiheit? Hat es Antworten auf unsere Fragen? Auf jeden Fall hat es die Freiheit, das Leben und Fragen der Authentizität immer schon zum Thema gemacht. Es beschäftigt sich mit der Theatralisierung von Politik und Gesellschaft im Zeitalter des Visuellen. Das Theater spiegelt uns unser nicht unproblematisches Verhältnis zwischen Ästhetik und Politik zurück. Es bietet uns die Chance auf die Inszenierung der Inszenierungen, die uns in der postdemokratischen „Wirklichkeit“ an vielen Orten entgegentritt.

Dafür braucht nicht zuletzt das Theater selbst die Freiheit, - und auch die Unterstützung durch öffentliche Förderer - um diese Rolle zu erfüllen. Einen Ausschnitt dessen, was Theater zu diesen zentralen Lebens- und Gesellschaftsfragen zu sagen hat, werden Sie in den kommenden Tagen hier in Freiburg zu sehen bekommen.

Politische Bildung heute, die kritische Urteilsbildung fördern will, muss das Vermögen zur Distanzierung und Dechiffrierung der symbolischen Ausdrucksformen und Codes stärken, mit denen das Politische daherkommt. Wo dienen Kunst und Kreativität der Persönlichkeitsbildung? Wo laufen sie Gefahr, vor den Karren des Kommerzes im Lifestylekapitalismus gespannt zu werden? Kritische politische Bildung und freies Theater liefern Differenzierungen, die die Voraussetzung für freiheitliches Denken sind.

Mein sehr geehrten Damen und Herren, ich komme jetzt zu den guten Nachrichten und damit auch noch einmal abschließend auf Hannah Arendt zurück. Anders als viele andere deutsche Philosophen denkt sie den Menschen vom Anfang her, nicht von seinem Ende. Er wird geboren und das ist sein fundamentaler Charakterzug: Er fängt an; er kann anfangen; er ist prädestiniert zum Neustart. Das ist nicht nur ein sehr positives Potential, sondern es macht auch sein Vermögen aus, Freiheit zu suchen und frei zu sein. Lassen Sie uns also beginnen! Ab heute. In Freiburg! Beim 9. Festival Politik im freien Theater!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten