Meine sehr verehrten Damen und Herren,
dass der Umgang mit der zunehmenden Heterogenität von Lernenden heute eine der größten Herausforderungen im Bildungsbereich ist, kann als Gemeinplatz gelten. Freie Bildungsmaterialien bieten Chancen wie Möglichkeiten, dieser Heterogenität durch passgenaue Angebote Rechnung zu tragen. Wie vielfältig das Angebot an freien Bildungsmaterialien mittlerweile geworden ist, zeigt das spannende Programm der diesjährigen OER-Konferenz, zu der ich Sie auch im Namen der Bundeszentrale für politischen Bildung noch einmal herzlich begrüßen möchte.
Insgesamt sieben thematische Bühnen werden hier heute und morgen bespielt. Wenn man den Begriff "Bühne" hört, denkt man automatisch an Schauspieler und Zuschauer, an eine aktive Rolle und an eine passive. Dies erscheint auf den ersten Blick paradox, sollen offene Bildungsmaterialien doch vor allem eines leisten: Die Beteiligung möglichst vieler Akteure – Lehrender wie Lernender, Experten wie Praktikern – an ihrem Entstehungsprozess; und die Wandlung ihrer Nutzerinnen und Nutzer von passiven Rechtenehmern zu aktiven Mitgestaltern. Bühne, das scheint dem zentralen OER-Gedanken des Mitmachens somit erst einmal zu widersprechen.
Beim näheren Blick auf das Konferenzprogramm wird jedoch schnell klar, dass hier Bühne etwas anderes meint: Wie bei einem Stück der Künstlergruppe Rimini-Protokoll, die mit neuen Theaterformen experimentiert und ein Werk nicht mehr als etwas begreift, das von einem Autor oder einer Autorin für die Bühne geschrieben wurde und in sich abgeschlossen ist, sondern auf Interaktion setzt, auf Improvisation, auf verschiedene Formate und wechselnde Orte, sollen uns die Bühnen der OER-Konferenz im Wortsinn "offenstehen": Vor allem in den zahlreichen Barcamp-Sessions, deren Inhalte und Abläufe von Ihnen selbst entwickelt und gestaltet werden können, soll sich der partizipative Charakter von OER auch in der Konferenz widerspiegeln.
In der politischen Bildung suchen wir stets nach Wegen, wie Bürgerinnen und Bürger stärker an ihrer Gesellschaft teilhaben. Es geht uns um Auseinandersetzung und Engagement, Aktivierung und Partizipation, im Großen wie im Kleinen, kurz: um Beteiligung. Die Kultur des kollaborativen Zusammenarbeitens, die mit der Idee der Open Educational Resources transportiert wird, ist für eine Institution dennoch eine große Herausforderung: hier gilt es, die eigene Bühne weiter Stück für Stück zu öffnen, selbst kontinuierlich offener zu werden und nicht nur zur Offenheit zu ermutigen.
Erste wichtige Schritte haben wir bereits gemacht: Seit mehr als drei Jahren beteiligt sich die bpb über ihre Projekte "pb21 – Web 2.0 in der politischen Bildung" und "werkstatt.bpb.de – Digitale Bildung in der Praxis" aktiv an der Debatte über Open Educational Resources und hat Grundlagen für deren weitere Verbreitung geschaffen. Dass wir die OER-Konferenz heute maßgeblich fördern, hat auch mit der erfolgreichen Arbeit dieser Partnerinnen und Partner zu tun. Das Spektrum ihrer Arbeit reicht von Workshops, in denen gemeinsam mit Juristen Creative-Commons-Lizenzen gelesen werden – CC-Lizenzen sind übrigens seit langem Bestandteil unserer Verträge – über Webtalks mit Expertinnen und Experten bis hin zum E-Book "OER für alle!" und den nachhaltigen Ergebnissen der im letzten Jahr durchgeführten OER-Entwicklungs-Workshops zu den Themen "100 Jahre Erster Weltkrieg" und "Rechtsextremismus".
Im kommenden Jahr werden wir die Felder OER und digitale Bildung noch enger mit unseren Inhalten verzahnen, da wir die von der Werkstatt und pb21 initiierten Aktionen auf einer neuen Kollaborationsplattform zum Thema digitale Bildung bündeln – und dann direkt auf bpb.de fortführen werden. Dabei wollen wir weiterhin nicht nur online, sondern auch offline in Workshops, Netzwerktreffen oder auf Mikrokonferenzen auf Bildungspraktikerinnen und Bildungspraktiker wie Sie zugehen und mit Ihnen gemeinsam Ideen oder sogar Prototypen für neue digitale Formate der politischen Bildung entwickeln. Die wichtigsten Ergebnisse aus allen Projekten der bpb rund um das Thema OER haben wir schon jetzt in einem neuen Dossier mit dem Titel "OER – Material für alle" zusammengestellt, dass in diesen Tagen auf der Website der bpb online gehen wird.
Nicht zuletzt werden wir uns kontinuierlich darum kümmern, konkrete Dienste und Werkzeuge vorzustellen, mit denen sich OER lizenzoffen erstellen lassen. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn Beteiligung kann nur dann funktionieren, wenn Menschen in die Lage versetzt werden, sich aktiv verschiedener Medien zu bedienen, um darüber ihre Interessen vertreten zu können. Hier gilt es auch, die in punkto Mediennutzung meist vertauschten Rollen zwischen Lehrenden und Lernenden nicht durch Smartphone- und Facebook-Verbote im Unterricht auszuhebeln, sondern im Sinne eines kollaborativen Prozesses produktiv zu machen. Das gemeinsame Entwickeln und Publizieren freier Bildungsmaterialien mit und in digitalen Medien scheint mir hier eine geeignete Lösung zu sein, um die Lebenswelt von Jugendlichen an der Schule abzubilden und so ihr Interesse an – in unserem Fall politischen – Prozessen zu wecken.
Das gemeinsame Erstellen von Materialien ist jedoch nur ein wichtiger erster Akt und wie mir scheint das am wenigsten umkämpfte Feld in der Debatte um OER – Probleme tauchen noch immer vor allem dann auf, wenn es um die Verbreitung und das Bearbeiten von Materialien, den Umgang mit Urheberrechten geht. Nicht zuletzt geht es auch um die Rolle der Schulbuchverlage, die ihr Geschäftsmodell durch OER in Teilen bedroht sehen und deren Furcht man ernst nehmen muss – gerade in punkto redaktioneller Qualitätsstandards. Deshalb bin ich froh, dass auch die Verlage auf der diesjährigen Konferenz prominent zu Wort kommen werden.
Die politische Bildung muss und wird die neuen Möglichkeiten, die OER bieten, weiter Schritt für Schritt auf ihre eigenen Formate übertragen. Wir werden unsere neue Kollaborationsplattform zur digitalen Bildung nutzen, um OER-Projekte und die Auseinandersetzung mit ihnen anzuregen, zu moderieren und selbst zu erproben. Das Ziel sollte dabei über die reinen Materialien, die Resources, hinausreichen, hin zu einem Verständnis von politischer Bildung als "Open Political Education". Das wird gewiss nicht einfach, da wir den Kontrollverlust wagen und uns von eingeschliffenen Gewohnheiten werden verabschieden müssen. Doch frei nach Brecht sollte dieser Prozess am Ende nicht danach beurteilt werden, ob er die Gewohnheiten seines Publikums befriedigt, sondern danach, ob sie sie zu verändern vermag.
Vielen Dank.
- Es gilt das gesprochene Wort -