Sehr geehrte Damen und Herren,
zu den zentralen Werten einer demokratischen Gesellschaft gehört die Vorstellung von der Gleichwertigkeit und Gleichheit aller Menschen. Die Ideologie der Ungleichwertigkeit widerspricht dieser Wertvorstellung. Sie markiert die Grundlage für die Legitimation der Ungleichwertigkeit von Individuen und Gruppen und öffnet dadurch der Diskriminierung Tür und Tor. Die Ideologie der Ungleichwertigkeit äußert sich auf die unterschiedlichste Art und Weise:
Auf Schulhöfen ist der Begriff „Du Jude“ ein gängiges Schimpfwort. Die Finanzkrise, der Kapitalismus, der Kommunismus, Konflikte und Kriege sollen vom „internationalen Finanzjudentum“ gelenkt sein. Immer wieder kommt es zu Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Synagogen. Antisemitismus ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit.
In öffentlichen Einrichtungen werden EU-Bürgerinnen und EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien der Tür verwiesen. Die NPD fordert auf ihren Wahlplakaten zur Europawahl „Geld für Oma statt für Sinti und Roma“. Das Bild des „bettelnden, stehlenden Zigeuners“ ist in vielen Köpfen fest verankert. Antiziganismus ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit.
„Schwul“ ist in vielen Sprachwelten immer noch ein Synonym für Schwäche und Unterlegenheit. Im deutschen Profi-Männerfußball hat sich bis heute kein aktiver Spieler zu seiner Homosexualität bekennen können. Homosexuell lebende Paare sind in vielen Bereichen der Gesellschaft immer noch Diskriminierungen ausgesetzt. Homophobie ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit.
Auf den Titeln deutscher Nachrichtenmagazine wird der Islam durch Bilder des Halbmondes über dem Bundestag oder finster dreinblickende, vollverschleierte Frauen als Bedrohung dargestellt. In Kommentarspalten im Internet, genauso wie in Bestsellern, wird gegen „Multikulti“, den Koran und Muslime gehetzt. Muslimfeindlichkeit ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit.
Im überfüllten Zug bleibt der Sitz neben der schwarzen Deutschen leer. Menschen mit arabischen Namen werden auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt immer wieder benachteiligt. Vor dem Dortmunder Rathaus skandiert eine Gruppe Rechtsextremer im Mai 2014 „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Rassismus ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit.
All dieses Denken der Ungleichwertigkeit finden wir in Deutschland zuhauf. Wir finden dieses Denken im Rechtsextremismus: Die Ideologie der Neonazis speist sich aus dem Gedanken der unterschiedlichen Wertigkeit des menschlichen Lebens. Auf Grundlage der Rassenideologie des NS-Staates propagieren noch heute rechtsextreme Parteien, Kameradschaften und „Autonome Nationalisten“ den Hass gegen Flüchtlinge, Homosexuelle, gegen Jüdinnen und Juden, Muslimas und Muslime oder gegen Obdachlose und Menschen mit Behinderung.
Wir finden dieses Denken im Dschihadismus: Die Ungleichwertigkeit der „Ungläubigen“, der Juden und auch der Homosexuellen gegenüber den Anhängern des „Wahren Glaubens“ spielt eine zentrale Rolle in der Ideologie islamistischer Extremisten. In allen Schichten der Gesellschaft existieren Ideologien der Ungleichwertigkeit und es kommt zu Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Abwertungen. Das Denken der Ungleichwertigkeit findet man im klassischen Bildungsbürgertum genauso wie in bildungsbenachteiligten Schichten, im Osten genauso wie im Westen der Republik, im Altersheim genauso wie auf dem Schulhof.
Die Ideologien der Ungleichwertigkeit haben Gemeinsamkeiten und gleiche Wirkungsweisen. All diese Ideologien stufen die Gruppe, die diskriminiert wird, herab: Homosexuelle, Jüdinnen und Juden, Muslimas und Muslime oder Flüchtlinge. Mit dieser Abwertung geht die Aufwertung der eigenen Gruppe einher. Der homophobe Heterosexuelle, die fundamentalistische Christin, der Islamist, der Rechtsextreme: Sie alle vergewissern sich mit dem Ungleichwertigkeitsdenken ihrer eigenen Wertigkeit. Anstatt den Wert aus sich selbst zu schöpfen, wird er in Abgrenzung zu anderen definiert.
Diese Ideologie der Ungleichwertigkeit steht im direkten Konflikt mit den Grundsätzen der Demokratie. Das Grundgesetz basiert auf dem Gedanken der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Bürgerinnen und Bürger. Aus diesem Grund muss die politische Bildung einen Kontrapunkt gegenüber dieser Ideologie darstellen. Gleichwertigkeit als einer der zentralen politischen Grundwerte bietet einen wichtigen normativen Bezugspunkt für die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung und der politischen Bildung im weiteren Sinne.
Dabei gilt es, deutlich zu machen, dass sich Formen der Ausgrenzung ändern können: Die Frage, wer / welche Gruppe ausgegrenzt wird, hängt von der gesamtgesellschaftlichen Situation ab. Der Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit Homosexuellen zeigt: Auch wenn wir nach wie vor noch keine absolute Gleichstellung der verschiedenen Lebens- und Partnerschaftsformen haben, hat sich im Vergleich etwa zu der Situation im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland einiges getan. Dieser Fortschritt in der Gleichstellung der Geschlechter ist ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass sich Ausgrenzungsformen stets wandeln und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen. Deutlich wird hierdurch noch etwas: Je nachdem aus welcher Perspektive Sie sich der Gesellschaft nähern, auf welche Ausgrenzungsformen Sie Ihre Aufmerksamkeit richten, ändern sich die jeweils betroffenen „Opfergruppen“.
Gruppen und Individuen, die in dem einen gesellschaftlichen Kontext eine Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft erfahren, können in einem anderen gesellschaftlichen Kontext aufgrund ihres Geschlechts strukturell bevorzugt werden (z.B. ein aus der Türkei stammender Mann). Diese strukturellen und individuellen Ausgrenzungsmechanismen zu dekonstruieren, ihre Wirksamkeit und gesellschaftlichen Auswirkungen zu reflektieren, das Wechselspiel zwischen Aus- und Eingrenzung, Benachteiligung und Privilegierung zu erkennen – an dieser Stelle setzt die politische Bildung an.
Auch „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ verfolgt seit Jahren dieses Ziel. Hinter der gesamten Idee von „Schule ohne Rassismus“, mit ihren Kooperationspartnerinnen und -partnern, den Schulen, den Patinnen und Paten, mit dem riesigen Netzwerk auf regionaler, Landes- und Bundesebene steht immer dieselbe Idee: Die Eindämmung des Denkens der Ungleichwertigkeit muss der Maßstab einer Gesellschaft sein, in der sich Vielfalt nicht als Schwäche, sondern als Reichtum zeigt. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit als hohes Gut zu achten und zu schützen, ist für uns alle, für „Schule ohne Rassismus“, für die Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch für alle anderen Akteure der politischen Bildung eine wichtige, gemeinsame Aufgabe.
Diese oft auch schwierige Aufgabe verfolgt die bpb seit vielen Jahren. Im Online-Angebot und in Print-Publikationen wird über die Strukturen und das Denken des Rechtsextremismus, des Antisemitismus, des Rassismus, der Homophobie und andere Formen der Ideologien von Ungleichwertigkeit informiert. In Qualifizierungsmaßnahmen, die die bpb in Kooperation mit dem DGB sowie Arbeit und Leben organisiert, werden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Umgang mit der Ideologie der Ungleichwertigkeit geschult. So kann qualifizierte politische Bildung direkt und ohne Umwege zu den Zielgruppen gelangen. Auch digital setzt sich die bpb gegen Ungleichwertigkeit ein: Mit der Online-Video-Kampagne „YouTuber gegen Nazis“, die im letzten Jahr startete, konnten junge Menschen kreativ ein Zeichen gegen Ausgrenzung setzen. Einer der zentralen Orte der Arbeit gegen diese Ideologien ist die Schule. Schulen sollten ein Ort der Gleichwertigkeit sein. Die Schule ist neben den Familien und dem sozialen Umfeld einer der wichtigsten Orte der Sozialisation: Hier werden die Persönlichkeiten, ihre Wahrnehmungen und Einstellungen mitbeeinflusst. Hier können die Jugendlichen direkt in einem ihrer Lebensmittelpunkte erreicht werden. Hier setzt die wertvolle Arbeit von Schule ohne Rassismus an, deren Bundeskoordination die Bundeszentrale für politische Bildung seit vielen Jahren fördert. Mit ihrer Arbeit leistet Schule ohne Rassismus einen wertvollen Beitrag zu einer Gesellschaft, in der sich die Menschen für Vielfalt einsetzen.
- Es gilt das gesprochene Wort -