Beitrag von Thomas Krüger in Berlin im Externer Link: Café Moskau, Externer Link: http://www.sauerbrey-raabe.de/luther-2013/.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ohne, dass wir es uns jeden Tag vor Augen halten: Unser Leben ist bis heute von den fundamentalen Weichenstellungen der Reformation geprägt. Die vier "soli" der Lutherschen Theologie - sola scriptura (die Heilige Schrift als Glaubens- und Wissensquelle), sola gratia (Rechtfertigungslehre), sola fidei (Heilslehre) und solus Christus (das tragende Prinzip) konstituieren die "Freiheit des Christenmenschen". Diese Freiheit macht mündig. Mündig für ein Leben in der Familie, für ein Leben in der jeweiligen weltlichen Ordnung und schliesslich auch mündig für die Schaffenskraft der Arbeit. Diese Weltzugewandtheit der Reformation führt Europa geradewegs mit kleinen Umwegen in die Moderne unserer Tage und damit auch in den Kontext von Kapitalismus und Individualisierung. Die konditionierte Trennung von Kirche und Staat in der spezifischen Ausformung in unserem Land verdanken wir ebenfalls den Folgen der Reformation. Das Prinzip des "cuius regio, eiuis religio" (wessen Land, dessen Religion) war Ergebnis erbitterter Auseinandersetzungen im Zuge der Gegenreformation und kann mit etwas Phantasie als Vorläufer des deutschen Föderalismus interpretiert werden.
Die Reformation hat aber - und das ist ihr größtes Verdienst - den gläubigen Menschen - allen weltlichen Ordnungen zum Trotz - selbst in den Mittelpunkt gestellt. Menschen, die wie ich in der DDR groß geworden sind, haben sich gerade darauf berufen und eine Brücke darin gesehen, ein Leben im aufrechten Gang zu führen. In der "Freiheit eines Christenmenschen" formuliert Martin Luther: "Ein Christ ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan - durch den Glauben. - Ein Christ ist ein dienstbarer Knecht aller und jedermann untertan - durch die Liebe." Von hier aus lässt sich das bunte Panorama des Lebens in all seinen Facetten aufblättern.
Dass für Martin Luther und die Reformation die Bildung ein Schlüsselanliegen war, kann man sich vor diesem Hintergrund an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Bildung sichert die Freiheit des Christenmenschen und sie orientiert ihn als verantwortlichen Gläubigen. Luther kann hier an das Bildungsideal des Humanismus anknüpfen. Bei Erasmus von Rotterdam heisst es: "Nichts ist naturgemäßer als Tugend und Bildung - ohne sie hört der Mensch auf, Mensch zu sein". Die Bibelübersetzung durch Luther gehört geradezu zu den bahnbrechendsten Entwicklungen seiner Zeit. Die Reformation gibt so den Gläubigen die Heilige Schrift aus der Expertenkontrolle zurück. Sie geht mit der Buchdruckkunst Gutenbergs einher und findet in ihr eine ökonomische und kulturelle Triebkraft. Wirkungsgeschichtlich größte Bedeutung erlangte jedoch der 1529 verfasste Kleine Katechismus, der sich als volksbildendes Lehrbuch verstand und neben den zehn Geboten, dem Glaubensbekenntnis, dem Vaterunser auch die Sakramente Taufe, Abendmahl und Beichte umfasste und erläuterte. Diese Schrift gehört zu den lutherischen Bekenntnisschriften und verfolgte dezidiert das Konzept einer "Bildung für Alle", die sich als Grundstein einer sich selbst vergewissernden und sich vernetzenden Christenheit versteht.
Unter der Überschrift Bildung und Netzwerk darf ich Ihnen nunmehr die vier Projekte präsentieren, die es heute hervorzuheben gilt:
DEKALOG
Dieses herausragende mehrjährige Projekt der Guardini-Stiftung und der Stiftung St.Matthäus ist alles andere als bescheiden. Es verfährt nach dem Prinzip "think big" und knüpft an die vielen ambitionierten Projekte an diesem Ort an. Ausgehend von den Zehn Geboten als Herzstück des Lutherschen Katechismus aktivieren die Organisatoren dieses fünfjährigen Marathons alle nur denkbaren Kunstgattungen, um sich dem reformatorischen Erbe aus heutiger Perspektive zu nähern. Jedes Jahr werden zwei Gebote zum Anlass kuratierter Ausstellungen genommen, wissenschaftliche Vorträge, Diskussionen, Lesungen, Konzerte und Filmvorführungen reihen sich in das Kaleidoskop künstlerisch ambitionierter Präsentationen ein. Besonders hervorzuheben ist dabei der Mut, mit eigens initiierten Auftragsarbeiten programmatisch und zeitgenössisch zu arbeiten. Damit beschreibt dieses reflektierte Vorhaben selbst auch ein Stück Reformationsgeschichte, deren Pfad von der basalen christlichen Unterweisung in den Gemeinden auch in die Kunsttempel der Gegenwart samt ihrer ambiguitiven Selbstrezeptionsszenarien führt. Das Team des DEKALOG-Projektes um Christhard-Georg Neubert, dem Direktor der Stiftung St.Matthäus und Frizzi Krella, die Kuratorin der Guardini-Galerie wird ergänzt um namhafte Künstlerinnen und Künstler, von denen ich an dieser Stelle lediglich die zauberhafte Schauspielerin Corinna Kirchhoff nennen darf. Mit dem entschiedenen Versuch die Kreationen der Künste herauszufordern und sie nach dem DEKALOG und seiner Relevanz für die Gegenwart zu befragen, leisten die Organisatoren eine ambitionierte und ehrgeizige Vermittlungsarbeit, der wir auch in den nächsten Jahren ein interessiertes und zahlreiches Publikum wünschen.
Festival Alte Musik Knechtsteden
Was hat ein Festival für Alte Musik mit der Reformation zu tun? Ist das nicht eher eine Fussnote dieses bahnbrechenden innerkirchlichen Aufbruchs? Mitnichten! Von Luther wissen wir, dass er ein leidenschaftlicher Anhänger der Musik war, und zwar eher der musikalischen Praxis als der Musiktheorie. Im Lob der "Frau Musica" dichtete er voll Überschwang: "Hier kann nicht sein ein böser Mut, / wo da singen Gesellen gut. / Hie bleibt kein Zorn, Zank, Haß noch Neid / weichen muß alles Herzeleid. / Geiz, Sorg und was sonst hart anleiht / fährt hin mit aller Traurigkeit. […] Dem Teufel sie sein Werk zerstört / und verhindert viel böser Mörd". Für Luther war die Musik Teil der universitären Ausbildung und gehörte in den Kanon guter religiöser Praxis. Musik war, wenn man so will, ein probates Gegengift gegen die religiöse Innerlichkeit, die dem Reformator höchst suspekt war. Und wo Luther angefangen hat, macht Hermann Mex als Künstlerischer Leiter des Festivals Alte Musik weiter. Das Festival will nicht nur unterhalten (was es hervoragend zu leisten vermag), es will auch aktivieren und anstiften. Die Workshops und Mitmachangebote, die auch das Junge Festival in Knechtsteden anbietet, nehmen dabei den Charakter der Teilhabe der reformatorischen Musikkultur auf und übersetzen ihn in gegenwärtiges Erleben und Teilen von Alter Musik. Auf diese Weise vermittelt sich dieses Festival keineswegs nur als professionelles Kulturevent, sondern erzeugt ein Bildungserlebnis der besonderen Art: Die karthatische Selbstwirksamkeit gemeinsamen Musizierens und Musikerlebens.
Gesichter der Reformation
Die Reformation hat ihren Siegeszug nicht über eine einzige Person oder ein einziges Event angetreten. Der Thesenanschlag in Wittenberg ist nur eine Ikone für eine Massenbewegung, die ganze Regionen und Landstriche erfasste. Die Reformation siegt, weil sie Grenzen überwindet, weil sie Menschen aus unterschiedlichen Kontexten zusammenführt und verbindet und mit ihren Kernbotschaften christliche Gemeinschaft neu konstituiert. Das konnte nur gelingen, weil sich verschiedene Personen mit ihren verschiedenen Regionen zusammengefunden, wir würden heute selbstverständlich sagen: vernetzt haben. Diese Dimension der Reformation hat gleich ein ganzer Verbund an kirchlichen und kulturellen Einrichtungen in der Oberlausitz aufgegriffen. Anhand von 13 regionalen historischen Persönlichkeiten wird die Reformation kulturräumlich in den Blick genommen. Die Reformation war nicht nur lokal, sie war ein entgrenzendes Ereignis und steht damit auch heute noch Pate für die Überwindung von Grenzen. Im Dreiländereck haben sich die unterschiedlichsten Partner zusammengefunden, um zwischen 2012 und 2017 - ausgehend von einem biografisch erzählenden Ansatz - in Ausstellungen, Veranstaltungen und Vermittlungsprojekten die Reformation auf ihre Tauglichkeit für die Gegenwart abzuklopfen. Das Prinzip des "Wo kommen wir her - wo gehen wir hin?" wird generationsübergreifend, nicht selten unkonventionell und überraschend durch alle Methoden kultureller Bildung dekliniert. Mit 17 Ausstellungen und zahlreichen ergänzenden Veranstaltungen, Theater- und Rechercheprojekten zielt dieses dezidiert kulturräumlich angelegte Projekt auf einen gegenwärtigen Verständigungs- und Vernetzungseffekt. Und es macht umwerfend selbstreflektiert und charmant direkt deutlich: Wer sich über Geschichte austauscht, diskutiert immer auch die maßgeblichen Fragen der Gegenwart. Stellvertretend darf das Kompliment hier an Joachim Mühle, den Kulturraumsekretär der Region Oberlausitz-Niederschlesien weitergegeben werden.
Spalatin - Steuermann der Reformation
2014 wird kein Weg am Residenzschloss und St.Bartholomäus in Altenburg vorbeiführen. Die hohe Kunst historischer Jubiläen ist es, Entdeckungen zu inszenieren. Die Stadt Altenburg ist dabei quasi im Heimvorteil. Während das ganze Land Martin Luther herauf und herunter betet, besinnt sich die Stadt auf den zum Schluss in Altenburg lebenden reformatorischen Strippenzieher Georg Burckhard, genannt nach seinem Geburtsort Spalt Spalatin. Spalatin betrieb erfolgreich allerlei Studien und dies mit beachtlichem Erfolg, der ihn immerhin an den Hof Friedrichs des Weisen führte, einem der Reformation höchst aufgeschlossenen frommen Fürsten. Spalatin war der Berater und Seelsorger seines Fürsten und hat keinen der seinerzeit sehr lebhaften Reichstage verpasst. Spalatin war ein einflussreicher Strippenzieher, Publizist und immerhin auch Organisator des Wartburgexils. Ihn nun in das öffentliche Gedächtnis Altenburgs zurückzuholen aber auch weit darüber hinaus bekannt zu machen, ist das Verdienst der Ausstellungsmacher um den Kurator Hans Joachim Kessler. Wertvolle Ausstellungsobjekte und Informationen werden zusammengetragen, Infosäulen in der Stadt lassen seine Stadttopografie aufscheinen und verschiedene originelle Vermittlungsvorhaben werden der Stadt ein "reformatorisches Gesicht" verleihen. Mit dem Netzwerker Georg Spalatin konzentriert und beschränkt sich das Altenburger Ausstellungsvorhaben ganz auf eine Person und ihren Wirkungskreis. Und was für eine! Dass die Reformation nicht das Werk allein eines national geradezu überhöhten und verehrten Martin Luther war, kann man sich bei minimalem Nachdenken eigentlich zusammenreimen. Auch Luther war Netzwerker - und er war in seinen schwierigsten Zeiten sogar stark darauf angewiesen. Dass seine Weggefährten dabei keineswegs nur Gefolgsleute, sondern eigenständige, erfolgreiche, hochversierte Experten und Persönlichkeiten waren, wird im nächsten Jahr in Altenburg und darf in den kommenden Jahren bitteschön noch öfter betont werden. Mehr davon!
Meine Damen und Herren,
die vier Projekte des Clusters "Bildung und Netzwerke" sprechen für sich. Sie zeigen, was die Reformation über ihre eigentliche innerkirchliche Bedeutung hinaus für prägende Einflüsse auf unsere zeitgenössische Gesellschaft genommen hat und auch in der Zukunft nehmen wird. Sehen Sie mir meine kleinen theologischen Ausflüge in der Laudatio nach, für die ich mich aber nicht entschuldige. Dafür erspare ich Ihnen das "Amen" am Ende meiner Ausführungen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
- Es gilt das gesprochene Wort -