Tagung: Erscheinungsformen und Positionen der Neuen Rechten in Europa – Mit neuen Ideen gemeinsam gegen den Rechtsextremismus Veranstalter: Schwarzkopf-Stiftung „Junges Europa“ Datum: 04.09.2013, 18.00 Uhr Ort: Auditorium des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin, Geschwister-Scholl-Straße 3, 10117 Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren, in Berlin-Hellersdorf werden Flüchtlinge, die der Verfolgung in ihren Heimatländern entkommen sind und teils grausame Verhältnisse hinter sich gelassen haben, mit Hitlergruß und ausländerfeindlichen Parolen begrüßt. In Bramsche bei Osnabrück wurde Asylbewerbern der Zutritt zu einem Einkaufsmarkt untersagt, da sie ohnehin nur stehlen würden. Sicherheitsbehörden, Journalisten, Politiker und die Öffentlichkeit konnten sich jahrelang nicht vorstellen, dass die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds hinter den zehn Morden an Migranten und einer Polizistin steckten. Sie vermuteten kriminelle türkische Banden hinter den kaltblütigen Hinrichtungen. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses fasste ein gängiges Vorurteil der Ermittlungsbehörden zusammen: „Türken ermorden Türken.“ Ob man nun schon von strukturellem Rassismus sprechen möchte oder nicht: Der vor zwei Wochen veröffentlichte Bericht des Ausschusses stellt in parteiübergreifender Einigkeit das beschämende Versagen des Staates beim Schutz von Teilen seiner Bürgerinnen und Bürger dar. Die Morde des NSU sind jedoch bloß die Spitze eines Eisbergs, der im vergangenen Jahr laut offizieller Statistik über 800 gewalttätige Straftaten durch Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten umfasste. Ohne die Dunkelziffer zu berücksichtigen, finden in Deutschland also im Schnitt jeden Tag mehr als zwei rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten statt. Diese reichen bis hin zu Tötungsdelikten.
Wir haben in Deutschland ein Problem mit rechtsextremistischer Gewalt, aber auch mit rechtsextremistischen und abwertenden Einstellungen. Die bisweilen erschreckend hohen Einstellungswerte im Bereich des Rechtsextremismus manifestieren sich nicht flächendeckend in hohen Wahlergebnissen für extremistische Parteien. Rechtsextremisten haben keine realistische Chance auf politischen Einfluss. Das ist zunächst beruhigend. Der Bestand der Bundesrepublik Deutschland als Demokratie ist derzeit nicht gefährdet.
Ein Grund zur Nachlässigkeit mit rechtsextremistischen Strukturen in Deutschland ist dies jedoch beileibe nicht. Die NPD und freie Kameradschaften biedern sich Jugendlichen wie Erwachsenen mit Freizeit- und Beratungsangeboten an, die die demokratischen Kräfte im ländlichen Raum nicht mehr bereitstellen. Autonome Nationalistinnen und Nationalisten übernehmen Kleidungs- und Mobilisierungsmethoden anderer Jugendkulturen, passen sie an ihre menschenverachtende Ideologie an und steigern so ihre Attraktivität für Jugendliche auf Sinnsuche. Längst ist der organisierte Rechtsextremismus kein Phänomen mehr, das sich auf Ostdeutschland beschränkt. Großstädte im Ruhrgebiet sind ebenso betroffen wie ländliche Regionen in Bayern oder Niedersachsen.
Doch auch jenseits des organisierten Rechtsextremismus offenbaren sich Denkmuster, die die Zielgruppe politischer Bildung deutlich erweitern. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel nennen: Pro Sieben, die sich ja an anderer Stelle sehr löblich für mehr Demokratie und eine hohe Wahlbeteiligung engagieren - so z.B. bei Task Force Berlin - hat vor knapp zwei Wochen die Serie „Reality Queens auf Safari“ gestartet. Vielleicht haben Sie davon schon mal gehört. Wenn nicht, wär's auch nicht schlimm. Das Konzept ist recht schlicht: Ein Dutzend mehr oder weniger prominente, mehr oder weniger tiefgründige junge Damen, die ihre Körper mehr oder weniger aufhübschen ließen, werden von Pro Sieben nach Tansania geflogen, um sich dort ein paar Wochen nach Drehbuch anzuzicken. In diesem intellektuell wenig herausfordernden Format spielte sich folgende Episode ab: Die Damen spazieren leicht bekleidet aus dem afrikanischen Flughafen und ziehen – wenig verwunderlich - die Blicke der lokalen Taxifahrer auf sich. Einer der Teilnehmerinnen fällt dazu nur ein, dass die Herren wohl erst mal einen „Samensturz“ hatten. Pro Sieben setzt dieser Äußerung die rassistische Krone auf - und blendet zwei kopulierende Paviane ein.
Dass breitenwirksame politische Bildung gegen bewusste oder unbewusste vorurteilsbeladene Denkmuster überflüssig wäre, lässt sich angesichts derartiger Unbekümmertheit wohl nicht behaupten.
Die Bundeszentrale für politische Bildung legt seit über zehn Jahren einen besonderen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Dies wurde in diesem Jahr durch eine deutliche personelle Aufstockung des Fachbereichs Extremismus erneut unterstrichen. Zunächst stellen wir Hintergrundwissen zur Verfügung und informieren über aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich. In unseren Online-Dossiers, bei Tagungen und anhand der zahlreichen Publikationen, die wir gedruckt und online anbieten, können sich interessierte Bürgerinnen und Bürger stets ein aktuelles und fundiertes Bild über rechtsextremistische Bestrebungen machen. Hier lautet der Ansatz: Prävention durch Information. Dabei bleiben wir jedoch nicht stehen. Die bpb fördert zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich präventiv für die Stärkung der Demokratie einsetzen. Auch vor der Arbeit mit rechtsextremismusaffinen Jugendlichen und rechtsextremistischen Straftätern schrecken wir und unsere Partner nicht zurück. All diesen Initiativen bietet die bpb ein Forum zur Vernetzung. Durch den regelmäßigen Austausch der zivilgesellschaftlichen Kräfte untereinander wird die Effizienz des Engagements gegen Rechtsextremismus merklich verbessert.
Deutlich wirksamer als durch Verbote – die unter bestimmten Umständen durchaus gerechtfertigt sein können – kann die Auseinandersetzung mit extremistischen Ideologien und Strategien sowie den Vorzügen der Demokratie im Rahmen der politischen Bildung erfolgen. Diese muss sich sowohl an Kinder und Jugendliche als auch an Erwachsene wenden, muss Bildungsbenachteiligte und politisch Interessierte einschließen – freilich jeweils mit zielgruppenspezifischen Angeboten. Auch regionale und strukturelle Unterschiede der Bedrohung durch Rechtsextremismus erfordern passgenaue Antworten. Meine Kollegen vom Fachbereich Extremismus werden Sie am Freitag beim World-Café noch ausführlich mit der Arbeit der bpb vertraut machen.
Trotz der zentralen Rolle politischer Bildung in der Arbeit gegen Rechtsextremismus hat sie auch natürliche Grenzen. Zur effektiven Bekämpfung rechtsextremistischer Einstellungen und Verhaltensweisen ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung erforderlich. Dazu gehört auch, dass das Problem des Rechtsextremismus nicht nur als solches betrachtet wird, solange das mediale Interesse besonders hoch ist. Kontinuierliches Engagement ist bei der Eindämmung rechtsextremistischen Denkens und Handelns unerlässlich.
Sie als Akteure der Zivilgesellschaft wollen sich hier informieren, austauschen und eigene Initiativen zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und abwertenden Haltungen starten, oder Sie haben dies bereits getan. Davon lebt die Demokratie und dafür danke ich Ihnen. Denn die Demokratie gehört nicht zu unserem natürlichen Erbgut, sondern muss von Generation zu Generation erarbeitet und bewahrt werden.
Die Schwarzkopf-Stiftung hat die Konferenz auf Anregung durch die Bundeszentrale für politische Bildung organisiert. Sie wartet mit einem spannenden Programm auf, das uns einen Blick über den eigenen Tellerrand auf andere europäische Länder ermöglicht, und hat sich wieder mal als zuverlässiger Partner herausgestellt. Herzlichen Dank dafür möchte ich dem Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, André Schmitz-Schwarzkopf, sowie dem für die Veranstaltung zuständigen Referenten, Christian Wolf, aussprechen.
Nun möchte ich Sie aber nicht weiter aufhalten. Bei der Entwicklung neuer zivilgesellschaftlicher Ansätze in den nächsten Tagen wünsche ich Ihnen nicht nur gutes Gelingen und anregende Debatten, sondern auch viel Spaß!
- Es gilt das gesprochene Wort -