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Rede beim APuZ-Forum "Geschichte als Instrument"

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Sehr geehrter Herr Vizepräsident, sehr geehrte Podiums-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer, liebe Gäste!

Ich begrüße Sie sehr herzlich zum heutigen „APuZ-Forum“ in der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich den Weg hierher gefunden haben.

Wir haben das Erscheinen der Ausgabe „Geschichte als Instrument“ unserer Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (kurz: APuZ) am kommenden Montag zum Anlass genommen, um bereits heute in dieser Runde über einen Ausschnitt auf diesem Feld der „Vergangenheits-Bearbeitung“ zu sprechen, nämlich über den öffentlichen Umgang mit der DDR-Vergangenheit.

Lassen Sie mich, bevor es richtig losgeht, zur Einstimmung kurz auf einige Artikel aus der besagten APuZ „Geschichte als Instrument“ eingehen.

Das Wort Vergangenheits-„Bearbeitung“ deutet es bereits an: Vergangenheit wird nie neutral „betrachtet“, sondern je nach Blickwinkel „bearbeitet“ – also unterschiedlich erzählt und gedeutet. Geschichte ist nicht starr, sondern formbar: Bestimmte Ereignisse werden in der Historiografie zu jeweils unterschiedlichen Erzählungen verknüpft und entsprechend gewertet. Der Kampf um die Deutungshoheit über Geschichte ist stets auch ein Kampf um Ressourcen. Und nicht selten dienen bestimmte Narrative politischen Interessen – und das seit jeher. Politische Bildung will und muss für diese Zusammenhänge sensibilisieren, im besten Fall zur De-Konstruktion von historischen Narrativen beitragen.

Und so erinnert Bodo von Borries, der heute Nachmittag auf dem Podium mit diskutieren wird, in APuZ in einem Plädoyer für die Quellen- und Narrationsprüfung an die (Marx’sche) Formel: „Die herrschende Geschichte ist stets die Geschichte der Herrschenden“. Zugleich aber weist er auf die Unvermeidlichkeit von „Instrumentalisierung“ von Geschichte hin: Es ließe sich stattdessen auch von „Nutzung“ oder „Gebrauch“ sprechen, was nicht zwangsläufig zu verurteilen wäre: Von Borries: „Es ist (…) wohlfeil und unfruchtbar, wieder einmal festzustellen, dass irgendjemand Historie zu instrumentalisieren versuche. Das ist unvermeidbar. Was sollte er oder sie sonst tun? Eine andere Frage ist, wie weit wissenschaftliche Historie (…) Garantien gegen (illegitime, aggressive, vorurteilhafte, verfälschende) Instrumentalisierung entwickeln kann.“

Und auch er betont den Konstruktionscharakter von Geschichte: „Es gelten (…) nicht für alle Individuen beziehungsweise Gruppen dieselben Geschichten in gleichen Versionen. (…) Wir leben in Netzwerken und nicht nur in einer Identität. Jede(r) hat nicht nur eine nationale Zugehörigkeit und Selbstdefinition, sondern auch eine altersgruppen-, schicht-, bildungs- und geschlechtsspezifische, eine regionale, europäische und universale historische Identität. Es ergeben sich dabei verständlicherweise auch Konflikte und Kontroversen. 'Umkämpfte Geschichte' statt 'gemeinsamer Geschichte' ist in pluralistisch-demokratischen Gesellschaften ganz normal. Spannend – und eine Frage der 'demokratischen Kultur' – ist erst, wie damit umgegangen wird, nämlich abwehrend und feindselig herabsetzend oder kommunikativ und neugierig suchend.“

Leider, so bedauert von Borries, habe sich diese Einsicht, „dass Historie jeweils ein mentales Konstrukt in narrativer Struktur und perspektivischer Begrenztheit bedeutet, im (Unterrichts-) Alltag keinesfalls durchgesetzt.“

Heißt das, dass wir „Meistererzählungen“ mehr oder weniger ausgeliefert sind?

Martin Sabrow – der es sehr bedauert hat, heute leider nicht hier sein zu können – bezweifelt dies in seinem Artikel: Zwar beschreibt er, wie zu allen Zeiten von staatlicher Seite geschichtspolitisch Einfluss genommen wurde und heute noch genommen wird, aber schließlich kommt er zu dem Schluss: „Zu wach ist (…) hierzulande die Öffentlichkeit, zu stark die Macht der Medien, zu plural der fachliche Diskurs, als dass eine allzu grobe politische Indienstnahme der Geschichte vorstellbar wäre.“ Historische Instrumentalisierung stelle somit zumindest in demokratischen Ländern „keine herausragende fachwissenschaftliche Bedrohung mehr dar.“

Die Gefahr lauere dafür woanders: Zum einen gebe es seit etwa 30 Jahren einen Geschichtsboom, der „die Erforschung der Vergangenheit aus dem Ghetto einer universitären Spezialdisziplin in die Mitte der Gesellschaft katapultiert“ habe. Zum anderen habe es einen paradigmatischen Wandel der deutschen Geschichtskultur gegeben: fort „von einer mimetischen Traditionspflege“ und hin zu einer „kathartischen Aufarbeitungslandschaft“.

Der dadurch entstandene „geschichtskulturelle Konsens“, so Sabrow, sei aber trügerisch: „Allein der Glaube, dass aus der Geschichte gelernt und damit ihre Wiederholung verhindert werden könne, sichert der Historie in unserer Zeit materielle und immaterielle Ressourcen, die ihrer disziplinären Leistungskraft enorm zugute kommen“ Doch gleichzeitig werde sie dadurch „in den Dienst eines volkspädagogischen Zwecks (genommen), der die kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich anerkannten Meistererzählungen ihrer eigenen Zeit erschwert.“

Und weiter: „Gerade das unsere Gegenwartsepoche der Aufarbeitung prägende einvernehmliche Zusammenwirken von Geschichtspolitik, Gedenkkultur und Zeitgeschichte verstößt gegen den Grundsatz, dass nur und immer die Infragestellung des allgemein Anerkannten die Weiterentwicklung der Wissenschaft sichert.“

Aller Stolz über die weltweite Anerkennung der deutschen „Aufarbeitung“ der eigenen Diktaturvergangenheit – gerade zum Tag der Deutschen Einheit vor wenigen Tagen in der eindrucksvollen Rede des Bundespräsidenten beim Festakt in Stuttgart und in zahlreichen Interviews wieder dokumentiert – sollte also nicht dazu verleiten, den eigenen Standpunkt und etablierte Narrative eben nicht mehr zu hinterfragen, sie nicht mehr zu de-konstruieren.

Dass die deutsche Gesellschaft inhaltlich in der Bewertung der DDR-Geschichte fernab eines Konsenses ist, greift Thomas Großbölting, der ebenfalls heute Nachmittag auf dem Podium sitzen wird, in seinem Essay auf: „Wo es hinsichtlich des Nationalsozialismus gelang, zumindest oberflächlich eine breite gesellschaftliche Verständigung über dessen historische Bewertung zu etablieren, da blieb mit Blick auf die SED-Diktatur der vielfach erhoffte Effekt aus: Ein breiter Konsens, welchen Ort der deutsche Staatssozialismus sowjetischen Typs in der Gedenk- und Erinnerungskultur der Bundesrepublik einnehmen soll, ist nicht in Sicht und wird als Zielperspektive zunehmend problematisiert.“

Er identifiziert drei Spannungsfelder, die in diesem Zusammenhang von besonderer Relevanz sind: „Erstens sehen sich geschichtspolitische Forderungen nach einem ‚verbindlichen‘ und in der Regel delegitimierenden Umgang mit der DDR-Geschichte (…) mit heterogenen, konträren und teils DDR-affirmativen Deutungen im geschichtskulturellen Diskursfeld konfrontiert.“ „Zweitens (…) scheint die aus anderen zeitgeschichtlichen Diskursen bereits bekannte Diskrepanz zwischen kulturellem und kommunikativem Gedächtnis mit Blick auf die Erfahrungs-, aber keineswegs homogene Erinnerungsgemeinschaft der Ostdeutschen evident und wird als Problem des mentalen Einigungsprozesses markiert.“ Und „Drittens differenzieren sich die mit der Beschäftigung mit Vergangenheit verbundenen Funktionen deutlich aus“, das heißt: Neben die historisch-politische Bildung mit „klassisch“ didaktischem Anspruch treten verstärkt geschichtskulturelle Formate wie Musik- und Filmproduktionen oder private Museen, die sich als Elemente einer Unterhaltungsindustrie verstehen (und damit ein ökonomisches Interesse haben).

Diese Entwicklung werde verstärkt durch einen grundlegenden Medienwandel: „Die herkömmlichen Plattformen und Medien für die Diskussion von Geschichte verlieren an Einfluss“.

Wie sich das alles auf die Erinnerungskultur auswirken könnte, skizziert Großbölting wie folgt: „Die informationstechnische Entwicklung bedeutet sicher nicht das Ende, vielleicht nicht einmal eine Krise des Erinnerns, wohl aber eine tiefgreifende Veränderung ihrer Formen und Funktionen. Wo Erinnerungskulturen heute meist zivilgesellschaftlich und dezidiert politisch begründet werden, so werden sie in Zukunft eher kommerziell motiviert sein; wo sie heute eher noch auf Nachhaltigkeit angelegt sind, werden sie morgen eher episodenhaft und kampagnenförmig sein; sind sie heute noch vergegenständlicht und diskursiv, so werden sie morgen visualisiert und virtuell sein; bewegen sie sich heute im noch im nationalstaatlichen Rahmen, werden sie zukünftig eher global ausgerichtet sein.“

All diese Entwicklungen sind nichts, wovor man Angst haben müsste. Doch Sie zeigen die verstärkte Notwendigkeit, vor allem junge Menschen in die Lage zu versetzen, Erzählungen und Geschichtsbilder, die verstärkt in reichweitenstarken, populären Medien als „fertige und oft suggestive bzw. perfekt gestaltete Narrationen aller Art“ (von Borries) transportiert werden, als Produkte einer bestimmten Sicht erkennen und de-konstruieren zu können.

Kommen wir damit zu den Ausgangsfragen unserer heutigen Veranstaltung. Wie verhält es sich vor dem Hintergrund des Gesagten mit der „Aufarbeitung“ der DDR-Geschichte? „Muss es, kann es oder darf es eine einheitliche Deutung der DDR-Vergangenheit geben?“, fragt zum Beispiel Thomas Großbölting.

Der Hannoveraner Politikwissenschaftler Klaus Christoph etwa kritisiert in seinem Beitrag, dass die Gedenkstättenkonzeption des Bundes „keinerlei Spielraum für die Untersuchung und Benennung irgendwelcher, jenseits von Repressionszwängen angesiedelter ‚Bindungskräfte‘“ lasse. Der seiner Meinung nach allzu starke Schwerpunkt auf den Diktaturcharakter der DDR führe dazu, „dass individuell-lebensgeschichtliche Erfahrungen und das offiziell vermittelte Geschichtsbild bei einem Großteil der Bevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern auseinanderfallen.“ So werde letztendlich „das Gegenteil von dem provoziert (...), was intendiert“ sei: „statt eines kritischen Verständnisses der eigenen und kollektiven DDR-Vergangenheit finden apologetische Gegenerzählungen oder andere reaktiv-ausweichende Verhaltensweisen Unterstützung“. Und, so wäre zu ergänzen: Wer die Bindungs- und Verführungskräfte von Diktaturen unterschätzt, der unterschätzt auch ihren repressiven Charakter. Mit „Weichzeichnen“ oder gar „Verharmlosen“ der SED-Diktatur hat ein solcher Ansatz nichts, aber auch gar nichts gemein.

Alle diese Fragen wollen wir heute zumindest im Ansatz diskutieren. Wie kann und sollte die Zukunft der Erinnerung an die DDR, an die Zeit der deutschen Teilung, aussehen? Wie können wir die Nachkriegsgeschichte endlich „gesamtdeutsch“, nicht mehr „deutsch-deutsch“, in den Blick bekommen? Wie kann es gelingen, gemäß dem Beutelsbacher Konsens in der politischen Bildung multiperspektivisch aufzuklären und die Menschen in die Lage zu versetzen, gängige Narrative zu de-konstruieren und diese somit einer kritischen Betrachtung zuzuführen?

Und damit meine ich nicht, fragwürdige Initiativen aufzuwerten, die unverhohlen der Ostalgie frönen – wie etwa der am vergangenen Mittwoch in der „Süddeutschen Zeitung“ beschriebene Stasibunker bei Suhl, wo Touristen in NVA-Verkleidung ein „Reality-Erlebnis“ versprochen wird. Übrigens unter der Leitung eines ehemaligen Stasi-Majors namens Thomas Krüger …

Der Umgang mit dem „Erbe“ der Staatssicherheit wird uns heute auch beschäftigen – denn letztlich soll es auf diesem Forum auch darum gehen, welchen Platz der vom Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn initiierte Campus der Demokratie in der Berliner Aufarbeitungslandschaft beanspruchen könnte und sollte.

Die Bundeszentrale für politische Bildung befindet sich hier in der Moderatorinnenrolle, und wir hoffen, dass die heutige Veranstaltung dazu beiträgt, dass die Argumente für und wider den Campus auch in der öffentlichen Diskussion an Kontur gewinnen und in einen konstruktiven Diskurs münden.

Hierzu wird es heute zwei Podien geben: Das gleich anschließende wird sich dabei der praktischen „Erinnerungsarbeit“ in (öffentlich geförderten) Gedenkstätten und Museen widmen, das zweite heute Nachmittag der wissenschaftlichen „Aufarbeitung“.

Zunächst aber möchte ich Professor Richard Schröder für sein Kommen danken und nach vorne bitten. Ich bin sehr froh, dass wir mit dem Beiratsvorsitzenden der BStU einen echten „Insider“ und stets aufklärerisch-kritischen Geist als Keynote-Speaker gewinnen konnten.

Vielen Dank und gute Diskussionen!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten