Sehr geehrte Damen und Herren,
vor Ihnen liegen zwei prallvolle Tage! Sie sehen schon an der Liste der Förderer dieses Projektes, in wie viele Bereiche es hineinwirkt. Doch das ist nur die Oberfläche, denn viel bedeutender sind die Werke und die Akteure, die hier versammelt sind, die Workshops und Gespräche, zu denen Sie hier Gelegenheit haben werden.
Worum geht es? Mehr als sechzig Jahre liegen zwischen dem Bild des norwegischen Künstlers Per Krogh im Saal des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und der aktuellsten Arbeit des palästinensischen Künstlers Khaled Jarrar „Concrete“. Beide beziehen sich auf die Vereinten Nationen als politischem und symbolischem Komplex.
Zwischen ihnen, dem Bild von Per Krogh und Jarrars „Concrete, liegen die Aufbruchstimmung der unmittelbaren Nachkriegszeit, der Kalte Krieg und die Entkolonialisierung, der Zusammenbruch des sowjetischen Machtbereichs und die Rekolonialsierung sowie der Aufstieg der bis dato sogenannten Drittweltstaaten, heute Schwellenländer.
Das Bild von Per Krogh hat die Künstlerin Signe Theill auf den Weg geführt, das Verhältnis der Vereinten Nationen zur bildenden Kunst zu erkunden. Wann immer der Sicherheitsrat für Schlagzeilen und Fernsehbilder sorgt, bildet Kroghs Wandgemälde den Bildhintergrund. In seiner symbolischen Bildsprache war es schon bei seiner Entstehung 1947 umstritten. Das Bild - von dem Norweger Trygve Lie, dem ersten Generalsekretär der Vereinten Nationen, gestiftet - entfachte schon damals eine heftige Kontroverse und konnte erst 1952 endgültig an seinem Platz angebracht werden.
Ablehnung kam im besonderen von Seiten des Architektenteams unter Beteiligung von le Corbusier und Oskar Niemeier, die sich der Formsprache der Moderne zugehörig fühlten. Das Bild ist verständlicherweise geprägt von dem Trauma des 2. Weltkrieges, aber in seiner zeitlich stark gebundenen Form scheint es heute überholt, denn alle folgenden politischen Bewegungen sind spurlos an ihm vorbeigegangen. So findet sich ein großer Teil der Welt nach der Befreiung aus der Kolonialherrschaft nicht repräsentiert... doch damit zeigt das Bild auch auf, dass trotz aller Reformanstrengungen auch die politische Konstellation im Sicherheitsrat auch noch die der Nachkriegszeit ist. Ausführlicher in die Geschichte des Bildes wird gleich Frau Sandvik in Ihrem Vortrages zur Ikonologie einer neuen Weltordnung einführen.
Der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen, Dag Hammerskjöld, hat der Kunst eine große Bedeutung beigemessen. Er sagte einmal: „Künstler und Politiker müssen immer wieder mit ungewöhnlichen Mitteln Lösungen finden“. Er äußerte damit die Überzeugung, dass die moderne internationale Politik mit dem gleichen Geist wie die Kunst angegangen werden müsse, nämlich ohne das Rüstzeug überkommener Weltanschauungen. Er selbst setzte dabei auf die Inspiration durch die Kunst beim Aufbau einer auf kollektive Friedenssicherung ausgerichteten Politik. Diese Annäherung zwischen Kunst und Politik im gemeinsamen Versuch einer friedlichen Weltordnung ist heute obsolet geworden. Das bedeutet aber nicht, dass sich zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler nicht mehr mit den Vereinten Nationen und der ihnen zu Grunde liegenden Ideen auseinandersetzen.
Steffen Haug beschreibt in seinem Essay über den Ruanda-Zyklus von Alfredo Jaar, gleichsam stellvertretend für andere Künstlerinnen und Künstler um deren Werke es hier geht, was heute Künstler antreibt, sich mit den Vereinten Nationen auseinanderzusetzen: Sie streben danach, die individuelle politische Sensibilität auf einen globalen Maßstab zu übertragen, die Vereinten Nationen wieder an ihre eigenen Visionen aus der Gründungszeit zu erinnern und dem Bild von Per Krogh endlich „den Rest der Welt“ hinzuzufügen. Wie sehr sich z.B. ein Künstler in einem Land wie Norwegen, das seit den Anfängen der Vereinten Nationen diesen eine wichtige Rolle beimisst, dem Gedanken der Vereinten Nationen verpflichtet fühlt, können Sie morgen bei dem Vortrag von Henrik Placht hören: er hat 7 Jahre darauf verwendet, die International Academy of Art Palestine zu initiieren. Ich freue mich auch besonders, Frau Anne Kirsti Karlsen hier zu begrüßen, die als Vertreterin der norwegischen Botschaft hier ist.
Hier setzen das Symposium und die Ausstellung united nations revisited – künstlerische Interventionen im politischen Raum an, die die Positionen von fünfzehn KünstlerInnen zum Themenkomplex Vereinte Nationen zeigt.
Ich bin sehr froh, beides mit Ihnen hier eröffnen zu dürfen, Frau Theill sei herzlicher Dank für diese Übersichtsausstellung, die zum ersten Mal diesen Komplex als Topos benennt und internationale Positionen kontrastiert. Sie bringen hier Dinge miteinander in Verbindung, die sonst nur getrennt gesehen werden.
Gerade hier, wo Arbeiten aus unterschiedlichen Kontinenten aufeinander treffen oder – Alfred Banze wird sein H.O.P.E. Projekt gleich vorstellen -- Arbeiten in verschiedenen Kontinenten realisiert werden, lassen sich Lücken und Defizite erkennen.
So trifft Thomas Locher, der die Menschenrechtscharta zerschneidet und neu wieder zusammenfügt und ergänzt auf die Arbeit von Guy Wouete aus Kamerun. Seine Arbeit „Codes Noirs“ erinnert daran, dass die Menschenrechte nie für alle galten: Zur selben Zeit, als in Frankreich die Erklärung der Menschenrechte formuliert wurde, wurde in den französischen Kolonien der Code Noir definiert, der die Versklavung der schwarzen Bevölkerungreglementierte.
Ich kann nicht alle Referenten begrüßen, die hier sprechen werden; ich kann schon gar nicht alle Arbeiten aufzählen, die gezeigt werden - ich würde Ihnen sonst einfach nur die Zeit stehlen, in der Sie besser selbst hören, sehen und miteinander sprechen. Es wird unter anderem um die jüngste Vergangenheit in Europa gehen - drei der hier präsentierten Künstler befassen sich mit den Ereignissen im bosnischen Bürgerkrieg.
Aber natürlich geht es auch um das palästinensisch-israelische Konfliktfeld: Khaled Jarrar, der übrigens an der von Henrik Placht ins leben gerufenen International Academy of Art studiert hat, klopft kleine Stücke von der Mauer ab, die Israel von den palästinensischen Autonomiegebieten trennt. Diese werden zermahlen und in kulturelle Gegenstände umgeformt, die verbinden sollen. Abbas Akhavan nimmt das Schutzzeichen der Haager Konvention zum Schutz kultureller Güter auf und eignet es sich künstlerisch an. Die Bilder von Sibylle Hofter zeigen das „Selfempowerment“ der Frauen nach der arabischen Revolution und Sven Kalden lässt den gefallenen Lenin auferstehen. Gerade dadurch wird die Leerstelle bewusst, die nach der Beseitigung des Lenindenkmals an einem Platz entstanden ist, der nach den Vereinten Nationen benannt wurde.
Die Kunst, um die es hier geht, soll wirken, vielleicht auch hineinwirken in die Sphäre der Politik. Daniel Gad wird morgen den neu eingerichteten UNESCO Lehrstuhl an der Universität Hildesheim vorstellen, an der Künstler als „Change Agents“ betrachtet werden. Auch das von Prof. Lothar Jordan vorgestellte UNESCO Memory of the World Programme wird sich der Zusammenarbeit mit Künstlern öffnen. Viele Künstler beweisen bei ihren Projekten einen äußerst langen Atem, es dauert oft Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, um sie zu realisieren.
Aber wenn wir anhand der Kunst der Vereinten Nationen noch einmal zurück auf den Austausch von Hammerskjöld und der britischen Bildhauerin Barbara Hepworth blicken: Damals, auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, suchte der UN-Generalsekretär in der Kunst Inspiration. Eine Öffnung der beiden Bereiche schwebte sowohl Hepworth als auch Hammerskjöld vor.
Nehmen wir den Gedanken wieder auf! Es ist politische und kulturelle Bildung in Zeiten der Globalisierung im allerbesten Sinne!
- Es gilt das gesprochene Wort -