Sehr geehrte Damen und Herren,
am 9. September 1962, vor fast genau 50 Jahren, hielt Charles de Gaulle in Ludwigsburg vor 20.000 Jugendlichen eine „Rede an die deutsche Jugend“. Sie war der Ausgangspunkt für die beispiellose Entwicklung der deutsch-französischen Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Elysée-Vertrag vom Januar 1963 wurden Zusammenarbeit und Aussöhnung auf eine vertragliche Ebene gestellt. Diese Partnerschaft nimmt durch ihre Geschichte, Intensität und institutionelle Ausgestaltung eine herausgehobene Stellung unter den europäischen Staatenbeziehungen ein. Sie bildet den Ausgangspunkt und Motor des europäischen Einigungsprozesses.
Angesichts der belasteten deutsch-französischen Geschichte ist das eine großartige Entwicklung, die jahrhundertelang undenkbar schien. Bis heute können Fortschritte bei der europäischen Integration nur erzielt werden, wenn Deutschland und Frankreich an einem Strang ziehen. Mit keinem anderen Land ist Deutschland in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft so eng verflochten wie mit dem großen Nachbarn im Westen. Und, das sei hier zumindest erwähnt: Mit Polen, unserem großen Nachbarn im Osten, sind wir auf sehr gutem Wege: Das Dreieck nimmt Formen an!
Meine Damen und Herren, Frankreich ist weiterhin das „Sehnsuchtsland“ vieler Deutscher - denken Sie etwa an das geflügelte Wort vom „Leben wie Gott in Frankreich“ -, von Paris als „Stadt der Liebe“ gar nicht zu reden. Rotwein, Champagner, Haute Couture – Klischees gewiss, doch nicht ohne ein Korn Wahrheit. Wahr ist auch: Der Stand der offiziellen bilateralen Beziehungen schlägt nicht mehr durch auf den gelebten deutsch-französischen Alltag, wo die Freundschaft mit Händen zu greifen ist, nicht nur in der Grenzregion, nicht nur hier im schönen Saarbrücken.
Der Himmel hängt also voller Geigen? Keineswegs. Trotz – oder sollten wir sagen: wegen der sehr engen Freundschaft ist die Zusammenarbeit, wie in jeder wirklich guten Beziehung, nicht konfliktfrei. Spannungen und Differenzen zeigen sich insbesondere in Krisenzeiten. Interessengegensätze, mangelnde Abstimmung, konkurrierendes Handeln oder unterschiedliche Herangehensweisen gehören zum Alltag in der Partnerschaft. Der bisher härteste Test für das deutsch-französische Verhältnis ist die Euro-Schuldenkrise und der Streit um den richtigen Weg zur Rettung der Währungsunion: Fordert Deutschland mehr Koordination und Integration, um eine stärkere Haushaltsdisziplin in der Eurozone durchzusetzen, so verlangt Frankreich eine größere Solidarität Deutschlands, Schritte auf dem Weg zu einer Haftungs- und Transferunion. Hier heißt es, eine gemeinsame Lösung zu suchen, hier muss sich die Stabilität der Freundschaft aufs Neue bewähren.
Beide Länder sehen sich mit sehr ähnlichen Problemen und Herausforderungen konfrontiert: eine zunehmende Kluft zwischen den Verfahren der institutionellen Demokratie und den Partizipationswünschen vieler Bürgerinnen und Bürgern, die Reform des Wohlfahrtsstaats, Probleme der Globalisierung, die Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft, die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Integration von Migrantinnen und Migranten.
Bei aller Nähe und Verflechtung ist die Art und Weise, Lösungen für diese Probleme zu suchen und umzusetzen, nationalspezifisch geblieben. Unterschiedliche Strukturen und geschichtliche Erfahrungen, Traditionen und Denkweisen wie auch eigene Interessen bestimmen die jeweils anderen Herangehens- und Handlungsweisen, und zuweilen gibt es auch Unverständnis dem anderen Land gegenüber.
Die offiziellen Beziehungen sind sehr gut und belastbar. Sie müssen aber mit Leben gefüllt sein, sie müssen auch weiterhin getragen werden von persönlichen Bindungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern beider Länder, die in die Gesellschaft hineinwirken. Dabei kommt gesellschaftspolitischen Initiativen und Netzwerken besondere Bedeutung zu, wie etwa den unzähligen Städte- und Regionalpartnerschaften, den Schulpartnerschaften, der Sprachförderung, dem Jugendaustausch oder der Zusammenarbeit auf dem Bildungssektor.
Projekte wie etwa das deutsch-französische Geschichtsbuch sind notwendig, um unserer wichtigstes Partnerland in Europa besser zu kennen, um seine Positionen, Denkweisen und Interessen zu verstehen, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. In diesem Kontext steht auch unser Länderbericht Frankreich, den wir heute hier vorstellen dürfen.
Rechtzeitig zur Wahl des Staatspräsidenten der Französischen Republik im Mai dieses Jahres konnte die Bundeszentrale für politische Bildung ihr Angebot um den neuen Länderbericht Frankreich erweitern. Die Länderberichte der bpb sind ein besonderes Markenzeichen unserer Schriftenreihe. Sie vermitteln ein differenziertes Bild der Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur des jeweiligen Landes. Der Länderbericht Frankreich erscheint nun bereits in der 3. Auflage und unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht von seinen Vorgängern: Es wurden neue thematische Akzente gesetzt, neue Autorinnen und Autoren konnten gewonnen werden, die einzelnen Beiträge wurden gestrafft und neu konzipiert. Französische wie deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeichnen ein nuancenreiches Bild unseres Nachbarlandes. Es geht darum, die spezifischen Eigenschaften und Charakterzüge Frankreichs herauszuarbeiten und sie verständlich zu machen. Vorgestellt werden zudem geographischen und historischen Grundlagen und das politische System, Ferner skizziert das Buch die neuen Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft und beleuchtet Frankreichs Platz in der europäischen wie internationalen Politik.
Meine Damen und Herren, Sie sollten sich sputen: Von der Startauflage in Höhe von 5000 Exemplaren ist bereits die Hälfte abgeflossen! Professor Kimmel wird Ihnen nun das Buch näher vorstellen - vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
- Es gilt das gesprochene Wort -