Die Ablehnung der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags in NRW im Dezember 2010 hatte für die Institutionen des Jugendschutzes eine entwicklungsbeeinträchtigende, wenn nicht gar entwicklungsgefährdende Wirkung und wäre von den Landesmedienanstalten wahrscheinlich als unzulässig eingestuft worden. In einer Zeit, in der sich die Medienwelt in ungeheurer Geschwindigkeit ändert, sind die Bemühungen der Politik, für das Internet erfolgversprechende Regeln einzuführen, vorerst gescheitert. Während Politiker öffentlich einen baldigen neuen Anlauf für eine gesetzliche Regelung ankündigten, wurde hinter verschlossenen Türen deutlich, dass aufgrund des unsicheren Ausgangs einer neuen Gesetzesinitiative ein solches Projekt derzeit in der Medienpolitik keine Priorität besitzt. Was bedeutet das für die Zukunft des Jugendschutzes? Können wir die Probleme auch mit den gegenwärtigen Gesetzen regeln? Tv diskurs sprach darüber mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Medienschutz (KJM).
Das Inhaltsverzeichnis der Ausgabe Tv diskurs 61, 3/2012 der Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) e.V. ist online Externer Link: zum Download verfügbar.
Was ist für Sie die wichtigste Zielsetzung des Jugendschutzes?
Für mich besteht das Ziel des Jugendmedienschutzes darin, dazu beizutragen, dass Medien kompetent genutzt werden können und Beeinträchtigungen durch Medien möglichst vermieden werden. Dies kann sowohl durch die ordnungspolitisch-schützende als auch pädagogisch-fördernde Komponente erreicht werden.
Der gesetzliche Jugendschutz arbeitet momentan weitgehend getrennt von der pädagogischen Ebene und setzt auf das Identifizieren beeinträchtigender oder gefährdender Inhalte, die dann in ihrem Vertrieb beschränkt oder ganz verboten werden. Ist das Ihrer Meinung nach noch zeitgemäß?
Aus meiner Sicht ist es das nicht. Im Grunde genommen stoßen wir mit dem herkömmlichen Jugendmedienschutz immer wieder an Grenzen, was damit zusammenhängt, dass es eine einseitige Ausrichtung dahingehend gibt, die Schutzkomponenten in den Vordergrund zu rücken und nicht zu sehen, dass er immer auch als präventiver Jugendmedienschutz zu denken ist. Für diesen fehlen aber gesetzliche Grundlagen. Deshalb wird er ausschließlich in die freiwillige Jugendarbeit oder unsystematischen Projektfinanzierungen einsortiert und ist damit als öffentliche Aufgabe völlig unterbelichtet und von den zur Verfügung stehenden öffentlichen Ressourcen nur mangelhaft versorgt.
Wir haben eine komplizierte Gesetzeslage und dadurch ein für Laien völlig unübersichtliches Konstrukt verschiedenster Institutionen, die es den Bürgern schwer macht zu verstehen, wie Jugendschutz organisiert ist und an wen sie sich bei Fragen, Problemen oder Kritikpunkten wenden kann. Ist diese gesetzliche Regelung sinnvoll?
Definitiv nicht! Man kann heute geradezu von einer Überkomplexität der Jugendschutzregelungen sprechen: Es gibt mit dem JuschG und dem JMStV zwei Regelungskreise mit zum Teil unterschiedlichen Rechtsfolgen und damit getrennte Zuständigkeiten von Bund und Ländern als auch Kompetenzen, die sich teilweise überschneiden. In der Praxis der Selbstkontrollen finden wir zwar meistens eine relativ pragmatische Zusammenarbeit, aber für die Bürgerinnen und Bürger, die Eltern, die etwas für einen guten Jugendmedienschutz ihrer Kinder tun wollen, gibt es eine relativ unübersichtliche Lage und die denke ich, muss man sich vor dem Hintergrund zweier konkurrierender Philosophien nochmal näher ansehen. Die eine setzt mit Verwaltungsakten stärker auf die staatliche Regulierung, die andere will eher die Selbstregulierung stärken. Vor dem Hintergrund der Medienkonvergenz aber mutet die derzeitige, zuweilen konkurrierende Rechtslage wie ein Relikt aus der Spätzeit der Gutenberg-Galaxis an. Bei der derzeitigen unübersichtlichen Lage sind letztendlich die Nutzer die Leidtragenden und verlieren die Übersicht, wer hier eigentlich wen in welchen Medien unterstützen oder schützen soll.
Wäre es dann nicht sinnvoll, an einer entsprechenden Gesetzgebung und der gesetzlich sinnvoll abgestimmten Zusammenarbeit der Institutionen zu arbeiten?
Definitiv ja! Eine klare ordnungspolitische Lage würde der ganzen Sache und damit den Schutzanliegen helfen. Aber das kleinkarierte Kompetenzgerangel und diverse Besitzstandsanliegen haben den Jugendmedienschutz in ein Labyrinth geführt, aus dem die Politik sie befreien müsste. Tut sie aber nicht, weil sie daran glaubt, widerstreitende Interessen moderieren zu können. Die eine Seite möchte gerne mit staatlichen Verwaltungsakten möglichst alles einheitlich regeln und präferiert eine Lösung, die auf den Verwaltungsakt der Obersten Landesjugendbehörden nach dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) setzt. Die andere Seite möchte eher die regulierte Selbstregulierung stärken. Das bringt unter dem Strich Überschneidungen, die schon jetzt zu einer Markt- und Wettbewerbsverzerrung der Selbstkontrollen und zu einer Unklarheit über die entsprechenden Zuständigkeiten führen. Wenn eine der Selbstkontrollen staatliche Verwaltungsakte erlassen kann, die anderen aber nicht, dann gibt es eine Wettbewerbsverzerrung, weil die Anbieter natürlich zu der Selbstkontrolle gehen, die den größten Rechtsschutz zu geben verspricht. Da müsste entweder allen Selbstkontrollen das gleiche Recht zugemessen werden oder man denkt darüber nach, gänzlich auf diese Verwaltungsakte zu verzichten und die unter eine Aufsicht gestellte Anbieterverantwortung stärker zu akzentuieren.
Nach dem JuSchG sind die Entscheidungen der FSK Verwaltungsakte, während es sich bei den Entscheidungen der Selbstkontrollen des JMStV um eine Art privilegierte Gutachten handelt. Wäre es mittelfristig nicht sinnvoll und machbar, zwischen FSF und der KJM eine ähnliche Form der kooperativen Lösung zu realisieren, wie sie zwischen FSK und Obersten Landesjugendbehörden entstanden ist?
Mehr Kooperation ist immer gut, aber man sollte sich generell für eine der beiden Grammatiken für den gesamten Jugendmedienschutz entscheiden. Es kann nicht sein, dass man bestimmte Inseln nach dem einen Verfahren und andere Inseln nach einem anderen Verfahren löst. Schon jetzt gibt es doch die absurde Situation, dass Onlineangebote auf einem Trägermedium vorgelegt werden, um einen weitergehenden Rechtsschutz zu gewinnen. Im Kontext von Medienkonvergenz spielen die Anbieter von Inhalten, also die Wirtschaft schon jetzt Katz und Maus mit den Instanzen des Jugendmedienschutzes und amüsieren sich über die Verfassungsfolklore, die wir uns in der Gesetzgebung immer noch leisten.
Hinzu kommt, dass die Komplexität zum Teil von der Politik genutzt wird, um sehr merkwürdige Akzente zu setzen. Das zuständige Bundesministerium hat in einer Pressemitteilung verkündet, es sei eine Novellierung des JuSchG zu erwarten, wonach demnächst für Filme im Internet die gleichen Regeln gelten wie im Kino oder auf Video. Verschwiegen wurde dabei, dass daneben aber auch alle bisherigen Regelungen gelten, also zum Beispiel auch die Selbstklassifizierung.
Es ist schon bemerkenswert, dass bis heute kein schriftlicher Entwurf dieses Vorschlags vorliegt und mit den Verantwortlichen in den Ländern und Institutionen diese Ideen weder diskutiert noch abgestimmt wurden. Deshalb bleibt auch unklar, was der Bund in den Regelungskreisen des Jugendmedienschutzes eigentlich will. Sollen die Anbieter in der Zukunft etwa zwischen den Rechtskreisen wählen dürfen, wenn es um Filme und Spiele geht, die online vertrieben werden? Da dürften die Juristen sicher schon aus formalen Gründen Einwände erheben. Meines Erachtens nach bewegt sich die Politik viel zu oft am Rande zur Symbolpolitik. Es gibt ein Phänomen, das man eine Art kollektiven Alarmismus nennen könnte, der immer dann, wenn irgendwelche Vorfälle passiert sind, Profilierungsbemühungen unternommen werden oder die Diskussion über den Jugendmedienschutz öffentlich geführt wird, aufgerufen wird und Scheinlösungen, gerade was den Online-Bereich betrifft, vorgeschlagen werden, die in der Praxis nur bedingt greifen. Wir alle wissen, dass das Internet unser ganzes Leben verändert. Abgrenzungen, von denen die klassische Gesetzgebung noch ausgeht, gibt es so nicht mehr und deshalb sind alte Lösungen, die von proprietären Systemen her denken, überhaupt nicht geeignet, den Online-Welten zu entsprechen. Stattdessen wird der Offline-Bereich immer stärker geregelt. Man klopft sich auf die Schulter, dass z.B. die entsprechenden Kennzeichen auf Verpackungen von Trägermedien immer größer werden. Auf diese Art und Weise wird suggeriert, wir schützen Jugendliche besser, treibt sie aber in Wirklichkeit in den Onlinebereich, wo dagegen nur Symbolpolitik stattfindet. Es werden keine konkreten Vorschläge gemacht, wie man dort etwas verändern kann. Onlineregulierung bedeutet mehr, als nur Spiele und Filme veralteten Regelwerken zu unterwerfen. In der Zukunft wird vermutlich die Zugangsregulierung im Netz viel relevanter als die 20 Inhalteregulierung werden. Der Debatte um die Jugendschutzprogramme und technisch möglichen Standards ist deshalb angemessener Raum zuzumessen. Nachdenken müssen wir – schon wegen der schlichten Menge – auch über die Prüfungen selber und standardisierte Verfahren, wie sie bereits in anderen Ländern eingesetzt werden. In jedem Fall aber werden die Strategien einer regulierten Selbstregulierung und damit die Anbieterverantwortung auf der einen Seite und eine öffentliche Aufsicht auf der anderen Seite wichtiger. Wenn man sich dafür entscheidet, dann aber wegen der Konvergenzprozesse für den gesamten Medienbereich.
Wenn wir Jugendmedienschutz im Internet unterschiedlichen Regulierungen überlassen, besteht dann nicht die Gefahr, dass sehr unterschiedlich zustande gekommene Alterskennzeichen scheinbar gleichwertig nebeneinander stehen? Weiß der Laie dann noch, worauf er sich verlassen kann?
Jugendschutz ist keine Sache von Privatpersonen, die einschätzen, ob dieses oder jenes Angebot für unter 16- oder 18-Jährige geeignet ist oder nicht, sondern Jugendschutz setzt immer auf Verabredungen und Werten auf, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Deshalb ist die Geschichte des Jugendmedienschutzes in Deutschland durchaus als eine sehr positive und sinnvolle Geschichte zu bewerten: Gesellschaftliche Gruppen werden in die Bildung von Wertemaßstäben und entsprechenden Einschätzungen einbezogen und man verständigt sich – auch vor dem Hintergrund sich verändernder Werte – darauf, Jugendschutz als gesellschaftliche Aufgabe zu erfassen, die verfassungsrechtliche Bezüge hat. Im Online-Bereich ist das jedoch viel schwieriger, weil man sich hier in einem Terrain internationaler Vertriebswege und Verbreitungsmöglichkeiten befindet, also nicht mehr einen begrenzten Raum hat, in dem man gesellschaftliche Verabredun gen zu 100 % umsetzen und rechtlich garantieren kann. Das ist letztendlich das Problem, was wir für den Online-Bereich haben.
Seit Kurzem gibt es zwei von der KJM anerkannte Jugendschutzprogramme, mit deren Hilfe Jugendschutz im Internet realisiert werden soll. Dieses Programm ist jedoch nur erfolgreich, wenn zum einen genügend Anbieter ihre Inhalte zuverlässig kennzeichnen und es zum anderen von genügend Eltern genutzt wird. Was machen wir aber, wenn wir in zwei, drei Jahren feststellen, dass es beispielsweise nur von 3 % der Eltern genutzt wird?
Hier sehe ich z.B. eine große Aufgabe der Politik. Anstatt in Sonntagsreden alarmistische Positionen zu verbreiten und Scheinpolitik zu betreiben, könnte sich die Politik viel stärker darauf konzentrieren, das, was derzeit möglich ist, pragmatisch durch Informationspolitik unters Volk zu bringen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. So könnte man Eltern durch Kindergärten und Schulen erreichen und über den derzeit möglichen Schutz durch solche Jugendschutzprogramme informieren. Wir alle wissen natürlich, dass die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Jugendschutzprogramme wie JusProg oder das Angebot der deutschen Telekom noch nicht der Weisheit letzter Schluss sind und dass es immer noch eine unbekannte Fehlerquote gibt. Ein hundertprozentiger Jugendmedienschutz ist durch diese Programme nicht möglich, aber die Programme entwickeln sich weiter und sie geben auch unter den jetzt vorhandenen Möglichkeiten mehr Schutz als vorher.
Kommen wir zur KJM. Was sind Ihrer Meinung nach momentan die inhaltlichen Schwerpunkte der KJM?
Die KJM stellt im Zusammenhang mit dem Ansatz der regulierten Selbstregulierung sicherlich einen wesentlichen Schritt nach vorn dar, weil dadurch unterschiedliche Anbieter und vor allem bestimmte Bund-Länder-Kompetenzen zusammenführt werden. Die Schwierigkeit ist aber, dass die KJM von ihrer Genese und Zusammensetzung her immer noch weitestgehend im Bereich des klassischen Rundfunks agiert. Die Hälfte der KJM-Mitglieder sind Direktoren von Landesmedienanstalten, die ihr schweres Rundfunkgepäck im Rucksack haben. Deshalb werden Themen wie Scripted Reality sehr hochrangig diskutiert und sogar überbewertet, obwohl aus meiner Sicht die viel größere Herausforderung der KJM im Online-Bereich liegt. Hier haben wir mit jugendschutz.net dankenswerterweise sehr große Expertise gewinnen und in die Arbeit der KJM einbeziehen können, aber der gesamte Online-Bereich ist der Bereich der Zukunft. Alles das, was über Fernsehen oder die klassischen Wege ausgestrahlt und unt ers Volk gebracht wird, erst recht der Offline-Bereich, sind meines Erachtens schon gut reguliert und mit funktionstüchtigen Selbstkontrollen ausgestattet. Der Online-Bereich ist dagegen ein so dynamisches Feld, dass eigentlich hier eine Kommission Jugendmedienschutz in der Zukunft viel stärkere Akzente zu setzen hat.
Im Mai wurde eine Folge der seit 2012 abgesetzten Sendung „Die Supernanny“ durch die KJM beanstandet. Die KJM vertritt die Meinung, dass der Beurteilungsspielraum der FSF nicht für die Frage der unzulässigen Sendungen gilt, also auch nicht, wenn es um Menschenwürde geht. Sabotiert die KJM das fragile System der Regulierten Selbstregulierung nicht selbst, denn warum soll ein Sender solche Programm der FSF vorlegen, wenn er damit rechnen muss, dass die Entscheidung später von der KJM gekippt wird? Oder will die KJM der FSF in Sachen Prüfungen Konkurrenz machen? Wäre nicht ein Dialog sinnvoller gewesen, wenn man inhaltlich anderer Meinung ist?
Wollen Sie, dass ich als Stellvertretender Vorsitzender meinem Gremium in den Rücken falle? Nächste Frage bitte! … Na gut: Ihr Beispiel bezeugt meine eben skizzierte These, dass wir in der KJM immer auch noch mit der alten Rundfunkwelt kämpfen. Die KJM ist ausserdem kein Zentralorgan, sondern selber plural zusammengesetzt. Auch hier finden Diskussionsprozesse statt, wie sie in jedem Ausschuss der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen auch stattfinden. Selbst da gibt es manchmal Ergebnisse, die die FSF und ihr Vorstand bemerkenswert und nicht nachvollziehbar finden, weshalb es ja entsprechende Widerspruchsmöglichkeiten oder die Klage vor den Verwaltungsgerichten gibt. Gerade was das Verhältnis der KJM zu den Selbstkontrollen betrifft, so finde ich, sollten wir ein Stück gelassener miteinander umgehen. Entspannt Euch ein bisschen! Es gibt Möglichkeiten der Widerspruchsverfahren und es gibt auch innerhalb der KJM nicht nur wertkonservative Positionen. Jugendmedienschützer sind keine Taliban, sondern vertreten auch sehr pragmatische und liberale Positionen, die eine unterschiedliche Einschätzung von solchen Programmen zur Folge haben. Nehmen wir mal die gesellschaftliche Diskussion um die Supernanny. Auch da gibt es als Beispiel zwei kinderpolitische Verbände, die völlig unterschiedliche Positionen vertreten. Der Deutsche Kinderschutzbund möchte die Supernanny am liebsten verbieten, während das Deutsche Kinderhilfswerk dem Angebot viel aufgeschlossener gegenübersteht. Hier wird deutlich, dass wir es in einer demokratischen Gesellschaft immer mit pluralen Positionen zu tun haben, die auch entsprechend plural sichtbar gemacht und ausgedrückt werden müssen.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen unterliegt nicht der Aufsicht durch die KJM, sondern wird von den eigenen Gremien kontrolliert. Macht das Sinn, dass zwei, die zum Teil dieselben Fernsehinhalte anbieten, unterschiedlichen Regelungssystemen unterworfen sind?
Es ist völlig absurd und geradezu lächerlich, diesen Unterschied zu machen. Natürlich wissen wir alle, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen, was den Jugendschutz betrifft, ein insgesamt besseres Niveau bietet. Auf der anderen Seite passieren aber auch absurde Entscheidungen innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die dann nicht mehr nachvollzogen werden können. Wenn z.B. ein Werbespot, der während der Sportschau drei Mal läuft, von der FSF für das private Fernsehen eine Sendezeitbeschränkung erhält, die für das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht gilt, dann verstehen natürlich die Bürger, die ihre Kinder zu schützen haben, überhaupt nicht mehr, wie das sein kann. Im Grunde genommen muss ein Angebot des Fernsehens, ob es nun öffentlich-rechtlich oder privat ist, gleich behandelt werden und einer vergleichbaren Ordnungspolitik unterliegen. Wenn insgesamt bravere Bürger S traftaten begehen, dann werden sie schließlich auch vor dem Gesetz gleich behandelt. Die Öffentlich-Rechtlichen haben vor diesem Hintergrund auch ihren Grundversorgungsauftrag nochmal zu überdenken und auch positiv gesehen, Angebote zu unterbreiten, die dem präventiven Jugendmedienschutz folgen. Bestes Beispiel: einer der Preisträger des Kinderfilmfestivals „Goldenen Spatz“ („Halbe Portion“) hatte seine deutsche Fernsehpremiere beim Bayerischen Rundfunk um 23.55 Uhr. Da stimmt irgendwas nicht, denn zu dieser Zeit sollten unsere Kleinsten eigentlich schlafen und der entsprechende Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist dann, diese Programme auch zu verträglichen Zeiten auszustrahlen und nicht auf Randzeiten zu verdrängen, wo sie überhaupt keinen Sinn machen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen versucht natürlich im Unterhaltungsbereich wettbewerbs- und konkurrenzfähig zu bleiben. Wenn man sich aber für diesen Weg entscheidet, gilt der Grundsatz: Gleiches Recht für alle. Auch wenn es nur 20 wenige Konfliktfälle gibt, so fasst man sich doch an den Kopf, wenn sich gerade die öffentlich-rechtlichen Anbieter als Jugendmedienschutzsünder entpuppen und auch noch auf einer gesetzlichen Sanktionierung dieses Verhaltens bestehen. Damit muss Schluss sein.
Wir haben jetzt über die gegenwärtige Aufstellung des Jugendschutzes gesprochen. Wenn Sie in die Zukunft schauen, werden wir in zehn Jahren noch die gleichen Debatten führen wie heute oder wird sich da vieles grundlegend geändert haben?
Ich glaube, dass die Zukunft des Jugendmedienschutzes vor allem von der Diskussion um Online-Medien weiter vorangetrieben wird. Sowohl die Ohnmachtserfahrungen des Jugendmedienschutzes als auch die faktischen Nutzen von Jugendmedienschutz werden viel pragmatischer diskutiert werden. Man wird eine ganz neue Diskussion bekommen, wahrscheinlich auch, weil Inhalte in Zukunft viel stärker online und vor allem von internationalen, nur schwer regulierbaren Anbietern abgerufen werden. Das sehen wir schon jetzt beim Nutzungsverhalten der Kleinsten. Es wird eine Relativierung von Diskussionen geben, die im klassischen Jugendmedienschutz derzeit noch stattfinden, die eigentlich Kontroversen von vorgestern sind und nicht mehr die Schärfe und Relevanz haben werden. Eine Sendung wie die „Supernanny“ wird vor diesem Hintergrund nur noch eine relative Bedeutung als kontroverser Gegenstand im Jugendmedienschutz behalten können, selbst wenn sich Jugendmedienschützer über Beurteilungsspielräume verkrachen und Bürgerinnen und Bürger darüber streiten, ob es nun sinnvoll oder weniger sinnvoll ist, mit einem solchen Format zu leben. Ein solcher Streit ist ein Kernelement einer demokratischen Gesellschaft, aber er muss nicht unbedingt zu Beanstandungen führen. Unterm Strich glaube ich, dass man auf diese Situation nur mit zweierlei Strategien antworten kann: Erstens muss man seine vollen Anstrengungen in der Regulierung und Selbstregulierung auf den Online-Bereich konzentrieren, die Anbieterverantwortung weiter stärken und an standardisierten Zugangs- und Verfahrensregeln arbeiten. Zweitens brauchen wir ein Gegengewicht gegen die bisher noch einseitige ordnungspolitische Behandlung des Jugendmedienschutzes, und das ist eben der präventive Jugendmedienschutz, das Erlernen des Umgangs mit Medien. Ich fordere kein Schulfach „Medien“, sondern eine viel stärkere Praxis des Umg angs mit Medien im frühkindlichen Bereich und erst recht in der schulischen und außerschulischen Bildung. Und vor diesem Hintergrund müssen wir uns Gedanken machen, wie wir politisch dieses Thema stärker nach vorne bringen. Ich meine, nachdem Bund und Länder einen gemeinsamen Weg im Bereich des Jugendmedienschutzes gegangen sind, ist auch hier ein gemeinsames Handeln von Bund und Ländern notwendig. Mein Vorschlag ist, sich hier darüber zu verständigen, ob man zu einer gemeinsamen Bund-Länder-Stiftung für die Förderung von Medienkompetenz kommt und diese so umfänglich ausstattet, dass Medienpädagogik keine Randerscheinung in der außerschulischen und schulischen Praxis mehr bleibt. Es müssen tatsächlich ausreichend Finanzen und durch Aus- und Fortbildung qualifiziertes pädagogisches Personal vorhanden sein, um diese Herausforderung zu meistern. Es wird in der Zukunft nicht eine Ablösung des ordnungspolitischen Jugendmedienschutzes durch den präventiven Jugendmedienschutz geben, sondern beide werden sich komplementär ergänzen. Und dieser Weg wird nach meiner Überzeugung durch den Druck, der durch die Online-Problematik ausgeübt wird, stark befördert werden.
Das Interview führte Prof. Joachim von Gottberg.