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Grußwort zur Vorstellung des Länderberichts Türkei mit Podiumsdiskussion in Berlin | Presse | bpb.de

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Grußwort zur Vorstellung des Länderberichts Türkei mit Podiumsdiskussion in Berlin

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Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Schwan, Sehr geehrter Herr Dr. Andres, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Steinbach, sehr geehrte Podiumsgäste, meine sehr verehrten Damen und Herren,

die meisten Deutschen begründen ihr Bild von der Türkei auf zwei Faktoren: zum einen auf ihren Urlaubserfahrungen – 2011 verbrachten fast 5 Millionen deutsche Touristen ihre Ferien in der Türkei – und zum anderen leiten sie es von ihrem Bild der in Deutschland lebenden circa 2,5 Millionen türkeistämmigen Menschen ab. Doch das Verhältnis ist leider oft getrübt von Vorurteilen. Handelt es sich bei unserem Bild von der Türkei also um ein Zerrbild zwischen Urlaubsidylle und Klischees?

Die sich zäh hinziehenden Beitrittsverhandlungen mit der EU verbessern das Bild nicht. Bereits 1987 hat die Türkei einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EG gestellt, doch erst 2005 wurden Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Immer wieder bemängelt die EU Defizite in Punkto Demokratisierung, Menschen- und Minderheitenrechte und Meinungsfreiheit.

Auf Seiten der Wirtschaft sieht es anders aus. Gerade hat die Ratingagentur Moody's 15 Großbanken heruntergestuft: unter anderem die Schweizer USB, die französische Société Générale, die Bank of America und die Deutsche Bank. Ausgerechnet die Credit Suisse wurde gleich um drei Bonitätsstufen heruntergesetzt. Die Bonitätsnote der Türkei hingegen hat die Agentur angehoben. Begründung: Die überaus positive Entwicklung der Staatsfinanzen. Nun ist die Türkei nicht mehr weit von der Bewertung „Investment Grade“ entfernt, mit der Anleihen als sichere Anlage eingestuft werden, denn Moody's hat bereits eine weitere Heraufstufung in Aussicht gestellt. Während die EU unter den Finanz- und Schuldenkrisen ihrer Mitgliedsländer ächzt und die Bevölkerungen überaltern, boomt die Wirtschaft in der Türkei und das Land gibt sich jung, modern und selbstbewusst.

Auch außenpolitisch präsentiert sich die Türkei unter der AKP-Regierung selbstbewusst. Sie intensiviert seit einigen Jahren ihre Kontakte mit dem Nahen Osten, mit Russland, den zentralasiatischen Staaten und auch mit Fernost. Durch ihre zunehmende internationale Bedeutung ist der Wunsch, EU-Mitglied zu werden, vielleicht gar nicht mehr so groß .

Die seit 2002 in der Türkei regierende AKP unter Recep Tayyip Erdogan hat also die staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung vorangetrieben sowie an politischem Gewicht zugenommen. Zugleich haben sich jedoch die innergesellschaftlichen Konfliktlinien verschärft. Die fortschreitende Modernisierung hat eine pluralistische, kritische Zivilgesellschaft mit sich gebracht, die für ihre Belange einzutreten bereit ist.

Um langfristig ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihren außenpolitischen Einfluss zu sichern, muss die türkische Regierung Lösungen für die Probleme im Innern finden. Das hieße vor allem, ethnische und konfessionelle Pluralität zuzulassen. Aber auch die vielfältigen Lebensstile, die außerhalb dieser Kategorien liegen, müssen sich im Staatswesen und dem öffentlichen Raum wiederfinden können. Das heißt aber auch, die nach wie vor bestehenden Defizite bei der Gewährleistung von Menschenrechten, Meinungs- und Pressefreiheit zu beheben. Die vielerorts geäußerte Kritik am Umgang der Regierung, der politischen Institutionen, aber auch der Justiz mit regierungskritischen Stimmen kann als Indiz für einen nach wie vor andauernden Wandel gewertet werden. Daher gilt es, die demokratischen Errungenschaften in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der vergangenen Jahre zu stabilisieren. Das braucht Zeit. Als außenstehende Beobachter können wir diesen Prozess kritisch, aber mit Sympathie begleiten.

All dies sind Themen, die die heute hier anwesenden Expertinnen und Experten erörtern werden.

Deutschland und die Türkei sind schon seit langem eng miteinander verflochten – wirtschaftlich, politisch und kulturell. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich daher schon in vielfältiger Weise mit der Türkei befasst.

So widmet sich die im Februar 2012 erschienene Ausgabe der Interner Link: Informationen zur Politischen Bildung zur Türkei der Geschichte, den ideologischen und politischen Grundlagen, Wirtschaft und Gesellschaft und den Herausforderungen, die sich der Türkei im 21. Jahrhundert stellen. Im bpb-Online-Dossier über den Arabischen Frühling thematisiert Dr. Günter Seufert in einem Kapitel die Frage, ob die Türkei als aufstrebende Regionalmacht ein Modell für die arabischen Staaten sein könnte.

Im vergangenen Jahr haben beim 11. Bonner bpb-forum im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen, aus denen die AKP zum dritten Mal in Folge als klarer Sieger hervorging, Externer Link: Baha Güngör, Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle, Externer Link: Dr. Mehmet Öcal von der Erciyes University in Kayseri und unser heutiger Podiumsgast Externer Link: Mehtap Söyler von der HU Berlin eine Bilanz nach neun Jahren AKP-Regierung gezogen und über das Verhältnis zwischen Politik, Militär und Justiz, die Frage „der schleichenden Islamisierung“ und die Lage der türkischen Opposition diskutiert.

Auch 2011 war natürlich das 50. Jubiläum des Anwerbeabkommens mit der Türkei ein wichtiges Thema. Zum Beispiel mit den Portraits in der bpb-Publikation: "Auf Zeit. Für immer. Zuwanderer aus der Türkei erinnern sich", einem Projekt der bpb und des KulturForums Türkei Deutschland e.V., wollten wir die Erzählungen und Erlebnisse dieser Menschen einem breiten Publikum zugänglich machen. In unserer Schriftenreihe hat Sibylle Thelen mit der „Armenierfrage in der Türkei“ die Auseinandersetzung um die Vertreibung und Ermordung der armenischen Bevölkerung im Ersten Weltkrieg thematisiert. Erst in jüngster Zeit ist ein Prozess in Gang gekommen, in dem eine Annäherung zwischen der Türkei und Armenien wieder denkbar erscheint. Im Schriftenreihe-Band „Rebellenland“ greift der britische Journalist Christopher de Bellaigue die Minerheitenfrage ebenfalls auf. Bellaigue lässt auf seiner Reise durch den türkischen Osten Kurden, Armenier und Türken zu Wort kommen und macht die religiösen, sozialen und nationalistischen Spannungen, die die aktuelle türkische Minderheitenpolitik nach sich zieht, greifbar.

Umso mehr freue ich mich, unsere Angebote nun um den Länderbericht Türkei erweitern zu können. Die Interner Link: Länderberichte der bpb sind ein besonderes Markenzeichen der Schriftenreihe. Sie vermitteln ein differenziertes Bild der Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur des jeweiligen Landes. Im Länderbericht Türkei haben türkische und deutsche Autorinnen und Autoren neben den klassischen, eben genannten Themenfeldern auch Aspekte des Alltagslebens oder die lebendige kulturelle Szene erfasst, um der Lebenswirklichkeit der Menschen Rechnung zu tragen.

Aber Prof. Dr. Udo Steinbach wird Ihnen das Buch im Vorfeld der heutigen Podiumsdiskussion gleich noch etwas näher vorstellen. Ich freue mich auf einen anregenden Abend mit unseren Türkei-Expertinnen und Experten und darf Herrn Dr. Gerd Andres, Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, das Wort übergeben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten