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Mittel und Maßnahmen gegen Gewalt Beitrag von Thomas Krüger in der Zeitschrift "Musikforum 02/2012“ zur Thematik "Musik und Gewalt - Gratwanderung zwischen Kunst und Manipulation“

/ 7 Minuten zu lesen

In Reggae, HipHop und Rechtsrock finden sich häufig Gewaltmotive, Gewaltverherrlichungen oder Aufforderungen zur Gewalt. Musik kann aber nicht nur Gewaltpotenzial besitzen, sondern auch als Zugang für Jugendliche genutzt werden, um sich mit Gewalt auseinanderzusetzen. Hier kann die politische und kulturelle Bildung ansetzen, um Gewaltprävention zu unterstützen.

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Was ist Gewalt?


Wenn von Musik und Gewalt die Rede ist, kann sich Gewalt zum einen auf den Musikstil beziehen, der als "gewaltassoziiert“ bezeichnet wird; hier werden Punk, Heavy Metal, Hip-Hop, Rechtsrock und Ähnliches genannt. Gewalt bezieht sich aber auch auf gewaltverherrlichende Texte, auf soziale Situationen wie Konzerte, aber zugleich auch auf gewaltbereite Jugendliche. Die Forschungsstrategien in diesem Feld sind uneinheitlich: Neben quantitativen Studien der Medien-, Jugend- und Gewaltforschung existieren qualitative, ethnografische Ansätze. Beide arbeiten mit unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden. Dies zeigt sich dann auch in unterschiedlichen Befunden. Was ist Ursache? Was Wirkung? In der Regel kommt man dann zu einer "Vermittlung“, die Musik und Gewalt in ein Beziehungsgeflecht setzt, bei dem empirisch nicht eindeutig gesagt werden kann, was Anlass, Auslöser oder Folge ist. Das macht Prävention schwierig. Im folgenden Beitrag soll exemplarisch das "Gewaltpotenzial“ an drei Musikstilen untersucht werden. Die Perspektiven sind kontrovers verschränkt. Dadurch soll sowohl eine Verharmlosung als auch eine Dramatisierung vermieden werden.

Reggae

Im Reggae finden sich schon immer – und heute in verstärkter Form – Motive der Gewalt und des übersexualisierten Handelns. Gerade aus europäischer Sicht mutet dies oftmals extrem frauen- und minderheitenverachtend an und wird zunehmend von einschlägigen Interessensgruppen geächtet und kriminalisiert. Die hiervon hauptsächlich betroffenen Musiker, Sizzla, Beenie Man, Capleton – um nur einige zu nennen – werden dabei u. a. als Volksverhetzer angeklagt und mit Auftritts- und Einreiseverboten belegt. Tatsächlich kann man aber sagen, dass diese gewaltexplizierende Musik, welche bei Weitem nicht das ganze Repertoire der Künstler ausmacht, in gewisser Weise die Spiegelung der Gesellschaft und der Lebenswelten in Jamaika – der Herkunftsregion dieses Musikstils – darstellt. Der Wiener Ethnologe und Afrikanist Werner Zips zieht daher eine Verbindung zwischen der alltäglichen Gewalt und den immer direkteren Dancehall-Texten, die das Badman-Leben preisen und Waffengewalt legitimieren. Vor dem Hintergrund einer fehlenden Perspektive und der bis heute währenden Schwierigkeiten des sozialen Aufstiegs für Menschen schwarzer Hautfarbe ist der illegale Weg und der Anschluss an eine Gang nahe liegend.

Zwar ist es keineswegs so, dass sich Reggae und seine Motive ausschließlich vor dem Hintergrund der dargestellten Gewalt konstituieren, faktisch ist aber eine Verarbeitung der Lebensrealität schon immer ein Antrieb für die Entstehung von Reggaemusik gewesen. Diese Verarbeitung führt demnach zu Themen wie Mord und Drogenkriminalität, aber auch zur Ächtung offensichtlicher Ungerechtigkeiten. In der Musik wird die täglich erlebte Gewalt zunächst einmal reflektiert. Tatsächlich gibt es aber auch Stimmen, die eine Fokussierung auf falsche Vorbilder kritisieren. So verweist der Reggae-Künstler und Radio-DJ Mutaba ruka darauf, dass viele Deejays (Anm. Reggae-Sänger) ihre Themen zu sehr aus den Motiven des schwarzen Gangsters in Hollywood-Filmen ableiteten.

In Bezug auf die Gewalt im Reggae muss man daher feststellen, dass diese implizit schon immer eine Rolle gespielt hat, sei es in der Thematisierung der Sklaverei und den damit verbundenen Ungerechtigkeiten, sei es in der Forderung nach Repatriierung, aber auch im häufig als „Rebel Music“ bezeichneten Roots-Reggae, dessen Texte soziale Ungleichheit wie panafrikanische Gedanken transportieren. Gegenwärtig speist sich Reggae, der durch innermusikalische Veränderungen auch nicht mehr unisono so klingt wie zu Bob Marleys Zeiten, aus sehr heterogenen Inhalten, die plurale Lebenswelten widerspiegeln, vor allem aber auch die allgegenwärtige Gewalt und Unsicherheit in Jamaika. Solche gesellschaftlichen Kontexte müssen für eine Betrachtung von Reggae-Musik immer einbezogen werden und sind für eine kritische Bewertung notwendig.

HipHop

Der Hiphop gilt als beliebter Musikstil vieler Jugendlicher. Nach einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung zum "unsichtbaren Politikprogramm“ benachteiligter Jugendlicher finden diese in den Künstlern sowohl idealisierte Vorbilder wie auch Sprachrohre der eigenen Probleme und Vorstellungen. Vorbilder sind diejenigen Performer, die in Deutsch oder in der Sprache des Herkunftslands von Migrantenjugendlichen texten. Bushido wurde in der Studie sehr oft als Lieblings-Act genannt, insbesondere wegen der zugeschriebenen hohen Authentizität in den Texten ("Der rappt genau darüber, wie es wirklich ist“). Bushido greift in seinen Texten das "echte“ Leben auf der Straße auf, das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen, Kriminalität, Gewalt, Drogen, zerrüttete Familienverhältnisse – Themen, mit denen man sich selbst auskennt, mit denen man sich identifiziert. Aber seine Texte sind durchaus umstritten. Das zeigte öffentlichkeitswirksam die Bambi-Verleihung 2011 zur Prime-Time. Bevor der Bambi für Integration an Bushido verliehen wurde, nutzte der Sänger von Rosenstolz die Gelegenheit, die Songtexte Bushidos als homophob und frauenfeindlich zu kritisieren. Bushido verwies in seiner kurzen Erwiderung auf seine persönliche Entwicklung. Die Kontroverse bleibt bestehen. Dennoch gilt: "Die popkulturellen Texte als direkte Handlungsvorbilder und Handlungsanweisungen zu lesen übersieht, dass Ironie, Provokation, Übertreibung, Schock und Überbietung neben Authentizitätsversprechen wesentliche Elemente in ihnen bilden.“ Dennoch stellt sich die Frage nach der Rolle des Künstlers bzw. der Künstlerin: Wenn eine Musik Gewaltattitüden positiv konnotiert, inwieweit trägt der Künstler die Verantwortung dafür, wie seine Aussagen einzuordnen sind? Gerade in Musikkulturen, die sich aus der "Echtheit“ ihrer Inhalte und dem transportierten habituellen Gestus produzieren, geraten Künstler in eine gewisse Authentizitätsproblematik. Eine Relativierung im Nachhinein würde gerade dieses Selbstvermarktungsprinzip zerstören.

Rechtsextreme Musik

Rechte Musik gilt als prototypisch für den ursächlichen Zusammenhang von Musik und Gewalt. Zentral ist hierbei auch, dass in den Songtexten rechtsextreme Inhalte transportiert werden. Rechtsextreme Musik lässt sich gegenwärtig nicht reduzieren auf Skinhead- oder Punkmusik. Das Spektrum von Ausdrucksmöglichkeiten ist breiter geworden. Es reicht vom Liedermacher (u. a. Frank Reinicke) bis zum Hardcore bzw. Hatecore (u. a. Hate Society, Frontalkraft). Die Feindbilder sind Türken, Kommunisten, Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, Schwule und Juden. Die martialische Sprache gibt sich bewusst radikal. Gewaltverherrlichung als Tabubruch dient als Stilmittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. "RechtsRock ist in den letzten fünfzehn Jahren zum wichtigsten Transmitter extrem rechten Gedankenguts geworden.“

Die Entwicklung der Musik, insbesondere der Texte, hat auf staatliche Verbote, Indizierung und strafrechtliche Verfolgung reagiert, indem tendenziell „Text und Sprache mit Andeutungen, Umschreibungen oder versteckten Formulierungen“ arbeiten.

Empirische Befunde der Musik- und Jugendforschung wie beispielsweise die qualitative Studie von Brunner und Gründer zeigen, dass die Musikpräferenz der Jugendlichen stärker durch den musikalischen Gesamteindruck bestimmt wird als durch die Zustimmung zu den Textinhalten. Erst durch mehrmaliges Hören im Umfeld der rechtsextremen Szene kann, laut der Studie, gewaltgeleitetes Handeln zum realen Thema werden. Kontrovers wird in diesem Zusammenhang das Verbot von Bands oder Musik-CDs diskutiert. Die meisten Jugendlichen lehnen generell staatliche Verbote (Indizierung und Zensierung) als unwirksam ab. Demgegenüber fallen z. B. Lieder, die "Auschwitz“ leugnen, unter einen eindeutigen Straftatbestand und müssen sanktioniert werden. Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Befunden?

Perspektiven: Musik und politische Bildung

Denkt man die skizzierten Überlegungen zum Gewaltpotenzial von Musik weiter, dann lassen sich im Kontext der politischen Bildung einige Ansatzpunkte markieren. Dazu einige abschließende Thesen.

These 1:
Jugendkulturen stehen immer wieder vor der Aufgabe, sich abzugrenzen. Das gilt gegenüber den Erwachsenen ebenso wie gegenüber anderen Jugendkulturen. Dies geschieht mit eigener Kleidung, eigener Musik, eigenen Filme usw. Man ist auf der Suche nach eigenen Lebensentwürfen innerhalb der (begrenzten) gesellschaftlichen Wirklichkeit. Diese Suche manifestiert sich in Musikstilen, Texten und Künstlern, aber auch im Musikmachen. Der Übergang vom Musikkonsum zum Musikmachen könnte ein Ansatzpunkt für kulturelle politische Bildung sein. Die Stichworte sind Partizipation, Alltags- und Handlungsbezug. Musik kann als Zugang genutzt werden, um mit Jugendlichen Gewalt zu thematisieren und zu reflektieren. "Die verstärkte Hinwendung zu musikorientierten Praktiken kann in jugendkulturellen Kontexten [...] zur Ablösung von Gewalt führen, bzw. eine Alternative zu Gewalt darstellen.“

These 2:
Als kulturelle Produkte bilden Texte einen weiteren Ansatzpunkt. Es gibt in der postmaterialistischen Gesellschaft nur noch wenige Tabus. Sie dürften sich weitgehend auf Gewalt und Sexualität beschränken. Will man Grenzen ausloten, verschieben, überschreiten, dann kommen Tabubrüche ins Spiel. Berücksichtigt man allerdings die Befunde der Studien zur Jugendsprache, so bleibt immer eine wichtige hermeneutische Differenz zu beachten: Was findet sich als wörtliche Aussage und was ist tatsächlich damit gemeint? Sprache, Musik und Jugendkultur sind nur begrenzt wörtlich zu nehmen. Texte und Musik sollen in der unendlichen Vielfalt an Angeboten Aufmerksamkeit erzeugen. Indem Musiktexte kritisch diskutiert und hinterfragt werden, können sie zum Gegenstand politischer Bildung werden.

These 3:
Aus der Perspektive der Musiker lässt sich die Frage auch umkehren: In deren Selbstverständnis dient Musik vielfach dem Aggressionsabbau. Wenn in Liedtexten Gewalt in ihren vielfältigen Formen (latent, manifest, sexuell, physisch, psychisch usw.) thematisiert und kritisiert wird, kann dies öffentlich wirksam werden (s. Rock gegen Rechts).

These 4:
Institutionalisierte politische Bildung kann darüber hinaus die wechselseitige Kritik nutzen, etwa wenn in Workshops die "Verantwortung des Hiphop“ thematisiert wird, wenn innerhalb einer Stilrichtung Kontroversen musikalisch ausgetragen werden, wenn in Interviews mit den Künstlern deren politisches Selbstverständnis zu gesellschaftlichen Fragen deutlich wird (z. B. Rassismus). Entsprechende Initiativen (z. B. Brothers Keepers) zeigen zivilgesellschaftliches Engagement. Politische Musik kann als Medium kultureller und politischer Bildung genutzt werden.

© 2012 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz, Musikforum Externer Link: online

Fussnoten

Fußnoten

  1. vgl. Gabriele Hofmann: "Gewaltassoziierte Musik: Versuch einer Einschätzung“, in: dies. (Hg.): Musik & Gewalt. Aggressive Tendenzen in musikalischen Jugendkulturen, Augsburg 2011, S. 9.

  2. vgl. Christoph Liell: Musik und Gewalt in Jugendkulturen, 2002 (online: www.dbthueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-1317/liell.html).

  3. "Stop murder music“ – Kampagne des britischen Schwulen-und Lesbenverbands OutRage!

  4. Siehe hierzu den Amnesty International Report 2011, Polizei und Sicherheitskräfte.

  5. Werner Zips: "Hard Times“, in: Riddim, Jg 8, H. 2/2008, S. 46-49.

  6. Marc Calmbach/Silke Borgstedt: „Unsichtbares“ Politikprogramm? Themenwelten und politisches Interesse von „bildungsfernen“ Jugendlichen im Alter von 14-19 Jahren. Zusammenfassung der zentralen Befunde einer qualitativen Untersuchung von Sinus Sociovision im Rahmen des bpb-Projekts Elementarisierung von politischer Bildung, Heidelberg/Berlin, Mai 2010 (Ms. 38 S.).

  7. vgl. Liell a. a. O., S. 10.

  8. Christian Dornbusch/Jan Raabe: „‚Wir sind keine Spaßfraktion‘. Politische Strategien des Rechtsrocks“, in: Ute Canaris (Hg.): Musik//Politik, 2005, S. 100.

  9. ebd., S. 106.

  10. Georg Brunner/René Gründer: "'So einen Scheiß lade ich nicht auf mein Laptop.' Auswertung einer Studie zum Umgang von Schülern mit rechtsradikaler Musik“, in: Samples, Online-Publikationen des Arbeitskreis Studium Populärer Musik e.v. (ASPM), Jg. 10 (2010) (online: http://aspm.ni.lo-net2.de/samples/Samples10/brunnergruenderabstract.pdf); S. 9 ff.

  11. ebd., S. 23.

  12. vgl. ähnlich Liell, a. a. O., S. 18.

  13. vgl. Thomas Krüger: Die kulturelle Bildung als Teil politischer Bildung. Beitrag zur Fachtagung: Was PISA nicht gemessen hat – Zukunftsperspektiven der kulturellen Bildung, Dresden 2011 (online: www.bpb.de/presse/W7SVP6,0,Die_kulturelle_Bildung_als_Teil_politischer_Bildung.html).

  14. Liell, a. a. O., S. 17.