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Grußwort von Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb auf der re:publica am 03.05.2012 | Presse | bpb.de

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Grußwort von Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb auf der re:publica am 03.05.2012

/ 7 Minuten zu lesen

Liebe Teilnehmerinnenn und Teilnehmer der re:publica,
ich freue mich sehr, heute hier ein Grußwort an Sie richten zu können.

Das Thema der subkonferenz re:unite - die Frage nach den Möglichkeiten transnationaler Öffentlichkeiten angesichts der Eurokrise - ist sehr aktuell und prekär zugleich. Europa ist in der Krise – es ist mehr als nur eine Finanzkrise. Mit der Krise des Euro und den akuten Folgen der Austeritätspolitik sind viele Dimensionen des Projekts Europa zur Debatte gestellt, für Viele auch insgesamt fragwürdig geworden. Eine tief gehende Legitimationskrise hat das Projekt Europa erfasst. Dazu zählt auch das bisherige Modell der Umsetzung des Projekts Europa als einer Expertenkultur der transnational von oben nach unten organisierten und wirksamen Sachzwänge.

Aber wir sollten uns daran machen, das Projekt Europa wieder zu beleben, es neu zu erfinden. Dazu ist allerdings eine Basis für die Legitimation notwendig. Die starke moralisch-historische Basis der Legitimation der europäischen Einigung als Voraussetzung und Garant des Friedens der Nationen ist nach wie vor wichtig. Aber sie wird nicht reichen, denn die Erinnerung an die beiden Weltkriege verschwindet, ist für Viele historisch abgeschlossen. Und auch die im Osten ursprünglich bzw. anfänglich durchaus anzutreffende Begeisterung für ein "europäisches Haus“, wie es Gorbatschow nannte, hat nach 89 Risse bekommen. Und dennoch – es ist unsere historische Pflicht, uns an die Renaissance Europas zu wagen.

Warum: Weil das Projekt der Europäischen Einigung auch eine Erfolgsgeschichte ist. Weil es auch viel Gutes gibt, das für ein wiederbelebtes Europa spricht – zum Beispiel ein Leben in kultureller Vielfalt, wirtschaftlicher Dynamik und prinzipiell mögliche soziale Gerechtigkeit. Und nicht zuletzt das Leben und Wirken in einer Kultur der Freiheit der Meinungen und Medien.

Eine Renaissance des Projekts Europa ist auch deshalb notwendig, weil die Alternativen grimmig sind. Bereits die aufkeimenden nationalistischen und chauvinistischen Formen des Rechtspoplimus lassen ahnen, was die Gründerväter und Mütter des europäischen Projektes als Mahnung vor Augen hatten, als sie das Projekt der Einigung Europas nach 2 Weltkriegen und dem Holocaust neu starteten.

Wofür könnte die Renaissance Europas stehen? Ich denke zum Beispiel an Stichworte wie Nachhaltige Entwicklung, kultureller Reichtum, soziale Chancen für alle, die Überwindung aller Formen nationalistischer, rassistischer und chauvinistischer Gewalt.

Wie kann eine Renaissance Europas gelingen? Vielleicht könnte eine Möglichkeit die Wiedergeburt der Idee Europas aus dem Geist sozialer Medien sein. Wir brauchen dafür einiges: eine Öffnung der europäische Institutionen – open data ist hier ein Thema und dafür nur ein Stichwort. Um ein anderes Buzzword zu nehmen, warum arbeiten wir nicht an so etwas wie "luiquid EU“? Wir brauchen die Vernetzung der aktiven Kräfte, Milieus auf transnationaler Ebene. Einige der hier vorgestellten Blogs, Netzwerke und Plattformen zeigen, dass das möglich ist.

Wir brauchen insgesamt vielmehr transnationalen Kenntnisreichtum als Bildungs- und publizistisches Ziel. Dazu gehört die Entwicklung von medialen und sozialen Plattformen für den steten und nachhaltigen Erfahrungsaustausch, für spannende und klärende Debatten. Wir brauchen eine neue Kultur der Achtung und Einhegung der spannungsreichen nationalen Vielfalt.

Es gibt also durchaus strategische Parallelen, Entsprechungen der Fragen des europäischen Projekts, seiner akuten Krise, ja der europäischen Verfassung mit dem Projekt der Wiederbelebung/Öffnung/Aktivierung der politischen Kultur insgesamt durch soziale Medien und ihre Neubestimmung der Kulturen des Öffentlichen. Dazu gehört auch eine neue Balance in der politischen Kultur von Top down und bottom up, innerhalb der EU z.B. von Ratspolitik versus Stärkung des Europäischen Parlaments. Dazu gehört auch, Vielfalt/Vielstimmigkeit nicht als Schwäche und Chaos, sondern als Potential und Stärke zu begreifen. Insofern kann gerade Europa mit seinen Geschichten/seinen Sensibilitäten und Sprachen/Kulturen besonders gut gerüstet sein für das Zeitalter neuer politischer Kommunikationen von unten bzw. aus der Mitte/Breite der gesellschaftlichen Milieus.

Die Interessen jüngerer Generationen, ihre Lebenswirklichkeiten, ihre Medienkulturen und ihre Erwartungen an eine gestaltbare Zukunft können hier wichtige Hinweise für die Erkundung des Notwendigen und Möglichen geben: Viele von Ihnen gehören zur sogenannten "Erasmus Generation“: Das heißt, Sie haben in Ihrer Ausbildung, im Studium und im Beruf schon transnationale Erfahrungen gemacht, Netzwerke geknüpft. Aber machen wir uns nichts vor: das ist keine Garantie für ein europäisches Bewusstsein. Im Gegenteil, gerade weil es so selbstverständlich ist, denken zu Viele doch, dass der Strom, also Europa, aus der Steckdose kommt. Also schon garantiert und umsonst und immer zu haben ist. Aber die Figuren des wieder erstarkten Rechtspopulismus a la Le Pen, Wilders und anderer stehen dagegen. Dass nicht nur bei Wilders "Europa“ den Islam als Hauptfeind in der Kampagne abgelöst hat, zeigt das drastisch. Und die massiven Stimmengewinne der Front National in Frankreich sind ebenso ein Menetekel. Ein anderes Menetekel ist die erschreckende Zahl der der arbeitslosen Jugendlichen in Europa als Folge der Krise und der Austeritätspolitik. Die Aufgabe ist also durchaus historisch, es steht sehr viel für sehr Viele auf dem Spiel. "Wiedergeburt der Idee Europas“ heißt, dass die Idee Europas von uns neu bestimmt werden muss. Aber das sollte und kann kein Projekt einiger weniger Politiker sein, sondern muss von allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern verhandelt werden können. Den neuen transnationalen Netzwerken, wie sie in dieser Subkonferenz vorgestellt werden, kann dabei eine Vorreiter Rolle zukommen. Denn die klassischen nationalen Medien sind ja ebenfalls in einer kritischen Situation, müssen sich neu positionieren. Wir sind ja nicht nur Teilhaber der europäischen Krise sondern auch Zeugen und Akteure des Übergangs von analogen Massenmedien zu digitalen Netzwerken. Wir brauchen eine Europäisierung der politischen Öffentlichkeiten. Als Ergänzung, als Wettbewerber zu den nationalen Öffentlichkeiten.

Wir haben in der Bundeszentrale hier auch eines in den letzten Jahren gestartet. Als strategisches Ziel haben wir für uns den Begriff der "Europäisierung der politischen Bildung“ entwickelt. "Europäisierung“ hat 2 Ebenen – einmal dass in allen Gegenständen, Inhalten der politischen Bildung, die transnationale, europäische Ebene deutlich gemacht wird, Europa also immer wieder neu zum Gegenstand der Bildung wird. Zum zweiten heißt Europäisierung dabei auch, sich aktiv europäisch zu vernetzen. Wir haben dazu einiges publiziert, in Print und Online, wir haben ein Netzwerk politischer Bildungseinrichtungen etabliert im "Network of European Citizenship Education“, wir haben ein peer education Netzwerk mit den "Young European Professionals“, und wir haben mit "eurotopics“ eine europäische Presseschau an den Start gebracht, die Tag für Tag einen Zugang zur Vielfalt der Europäischen Debatten bietet.

Was kann "Wiedergeburt der Idee Europas aus dem Geist der sozialen Medien“ heißen? "Wiedergeburt der Idee Europas aus dem Geist der sozialen Medien“ heißt, die Balance zwischen nationaler Kultur und globaler, europäischer Perspektive neu zu schaffen und in aktiven medialen und institutionellen Netzwerken aufrecht zu erhalten. "Wiedergeburt der Idee Europas aus dem Geist der sozialen Medien“ heißt auch, die transnationalen Erfahrungen und Interessen sich gegenseitig lebendig werden zu lassen, einen vernetzten Erfahrungsaustausch der Zivilgesellschaften zu etablieren als einen kritischen Fundus für die notwendigen Debatten europäischer und nationaler Politik.

Warum aus dem Geist der sozialen Medien? Kurz und optimistisch gesagt: Weil die gar nicht mehr so neuen sozialen Medien gezeigt haben, dass die Einbindung breiterer Schichten in den medialen Diskurs möglich gemacht werden kann. Wir sollten den Geist, die Erfahrungen der sozialen Medienkulturen auch nutzen: weil aus der Vernetzung und der Öffnung für soziale Interaktionen auch ein neuer gemeinschaftlicher Geist entstehen kann. Weil die soziale Intelligenz der Vielen so viel besser in das Europäische Projekt investiert und dafür gebunden werden kann. Weil so durch die transnationale und national verbundene Teilhabe der Vielen ein europäischer Zusammenhalt neu gestiftet und auf eine breitere und vielfältigere Legitimationsbasis gegründet werden kann.

All das ist nicht automatisch gegeben und umsonst zu haben. Es gibt eine ganze Reihe von Widerständen und sehr mächtigen Gegenbewegungen. Und auch der Geist der sozialen Medien hat seine Kehrseiten. Wir kennen den Ungeist der flame wars, die Vereinzelung der Gruppen voneinander, Selbstisolation der Milieus, etc. Das ist hier auch auf der re:publica ein wichtiges Thema. Wir wissen, das facebook, twitter, youtube etc. wunderbare und machtvolle kulturelle Erfindungen sind, die die Gesellschaften bereichert haben. Aber wir wissen auch, dass das Ihnen zugrunde liegende Geschäftsmodell der Privatisierung von Persönlichen Daten und Informationen über die Vernetzung der Vielen etwas Asoziales hat.

Die Profitorientierung bringt neben der bemerkenswerten Dynamik eben auch eine wesentliche Einschränkung der realisierten sozialen Dimensionen digitaler Netzwerke mit sich. Ich wünsche mir deshalb, das wir in einigen Jahren, wenn wir uns vielleicht wieder zu dem Thema der Subkonferenz treffen, zwei Dinge erreicht haben: dass wir an der Renaissance Europas mitwirken und sie erfolgreich an den Start gebracht haben und dass wir das nicht nur im Geist sondern auch ganz praktisch auf neuen sozialen Medienplattformen zur Sprache bringen können, die diesem erneuerten Europäischen Geist noch besser entsprechen.

In diesem Sinn, wünsche ich Ihnen und uns alles Gute!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Externer Link: Fotostrecke zur re:publica 2012

Fussnoten