Akquisos: Worauf muss man aus Ihrer Sicht achten, damit eine Gedenkstättenfahrt gewinnbringend für alle Beteiligten wird?
Jens Augner: Es ist sehr wichtig, eine Gedenkstättenfahrt gut vor- und nachzubereiten. Man kann da nicht "einfach mal so" hinfahren. Es lohnt sich, die Schülerinnen und Schüler in die Vorbereitungen einzubinden – indem sie zum Beispiel einzelne Themen erarbeiten und präsentieren, oder indem sie einzelne Programmpunkte vorbereiten und vor Ort selbstständig durchführen. Wir machen immer wieder gute Erfahrungen damit, wenn Schülerinnen und Schüler zum Beispiel vor Ort im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau Originaltexte von Menschen über ihr Leben im Lager vorlesen, sowohl von Tätern als auch von Opfern.
Lehrkräfte sollten mutig sein und ihren Schülerinnen und Schülern etwas zutrauen! Auch die Nachbereitung kann in die Hände der Jugendlichen gelegt werden. Man kann ihnen etwa freistellen, wie sie die Fahrt verarbeiten möchten - ob sie zum Beispiel einen Text für die Schülerzeitung schreiben, eine Ausstellung oder eine Lesung organisieren wollen.
Aus meiner Sicht sollte die Teilnahme an einer Gedenkstättenfahrt stets freiwillig sein. Von Pflichtveranstaltungen halte ich in diesem Fall nichts. Man sollte sich um möglichst hierarchiearme Lernsettings bemühen und im Zusammenhang mit einer Gedenkstättenfahrt sollte auch nichts bewertet werden.
Ich finde es wichtig, dass man sich Zeit für eine solche Fahrt nimmt und man sollte im Programm auch Raum für anderes lassen, zum Beispiel für einen Stadtbummel. So kommen die Teilnehmenden zwischendurch auf andere Gedanken und werden auch aufnahmefähig für Neues. Zudem lernen sie den Ort besser kennen und können zum Beispiel eigene Klischees und Vorurteile, zum Beispiel über Polen, hinterfragen.
Welche Tipps können Sie zur Finanzierung von Gedenkstättenfahrten geben?
Landesmittel für Gedenkstättenfahrten sind meist recht unkompliziert zu beantragen. In Berlin kann man zusätzlich zu den Mitteln des Senats noch eine Förderung bei der Bethe-Stiftung beantragen, das ist in einigen anderen Bundesländern ähnlich. Es kann sich auch lohnen, bei den Schulämtern oder bei den Jugendämtern der Städte anzufragen oder zu schauen, ob es weitere aktuell passende Förderprogramme gibt, zum Beispiel gegen Rassismus oder Antisemitismus.
Dabei würde ich allerdings immer empfehlen, sich vorher zu informieren, mit welchem Aufwand eine solche Antragstellung verbunden ist. Manchmal sind die Anträge und die Abrechnungsverfahren so kompliziert und die Förderbeträge so gering, dass sich der Aufwand kaum lohnt.
Und letztlich sollte man auch schauen, wie die finanzielle Lage der Schülerschaft aussieht und welche Teilnehmendenbeiträge man den Familien zumuten kann. Die Fördervereine der Schulen können häufig unterstützen, und sie können auch eine Sicherheit bieten, falls am Ende der Reise ein Fehlbetrag entsteht – der sich zum Beispiel durch schwankende Wechselkurse mal ergeben kann.
Seit inzwischen 30 Jahren organisieren Sie an Ihrer Schule Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz. Sie treiben dabei die Einbindung der Schülerinnen und Schüler sozusagen auf die Spitze - diese sind wesentlich in die Vorbereitung eigebunden und übernehmen sogar die Leitung der Fahrt. Wie funktioniert das?
Schülerinnen und Schüler, die meist selbst bereits an einer Fahrt teilgenommen haben, können sich zu Teamerinnen und Teamern ausbilden lassen und dann die Fahrt des nächsten Jahres leiten. Sie beschäftigen sich während der etwa halbjährigen Ausbildung intensiv mit den Inhalten, aber auch mit den methodisch-didaktischen Planungen. Sie sind dann verantwortlich für den Elternabend und den Vorbereitungstag mit den Teilnehmenden. Während der Fahrt führen sie eigenständig sowohl die Stadtführungen in Krakau und in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau durch als auch die allabendliche Kleingruppenarbeit durch. Die Lehrkräfte kümmern sich eigentlich nur noch um die finanzielle und logistische Organisation und fungieren als eine Art Supervisorinnen und Supervisoren für die Teamerinnen und Teamer.
Ist das nicht eine große Herausforderung - nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die Lehrkräfte?
Ja, das stimmt. Die Ausbildung und Vorbereitung ist sehr zeitintensiv und anspruchsvoll. Doch die Jugendlichen lassen sich bewusst darauf ein und nehmen eine Menge mit, wie sie selbst sagen
Was ist der Vorteil daran, dass Jugendliche die Fahrt leiten?
Die Hemmschwelle, Fragen zu stellen und offen über das Gesehene und Gelernte zu diskutieren, ist viel niedriger. Das heben Teilnehmende nach den Fahrten immer wieder hervor. Die Teamerinnen und Teamer selbst lernen unheimlich viel über Methodik und Didaktik, aber auch über Zusammenarbeit und Verantwortung. Es stärkt ihr Selbstbewusstsein und viele Teamerinnen, Teamer und Teilnehmende engagieren sich anschließend in der Schülervertretung, in AGs oder anderen Projekten.
Weitere Informationen:
Projekt-Seite der Schule: Externer Link: www.humboldtschule-berlin.de/aussenkontakte/projekte/gedenkstaettenfahrt
Jens Augner: Schüler*innen organisieren ihre Gedenkstättenfahrt, in: GEW Berlin: bbz- Berliner Bildungszeitschrift Januar/Februar 2020, S. 12 f.
Noemie Serries, Paula Schimansky und Maxine Woskobojnik: "Eindrücke fürs Leben", in bbz – Berliner Bildungszeitung 02/2020, S. 14f.