Akquisos: Herr Daberstiel, Sie beobachten den Fundraisingmarkt seit mehr als zwei Jahrzehnten. Wie hat sich das Fundraising aus Ihrer Sicht in den letzten 20 Jahren, speziell mit Blick auf Fundraisinginstrumente verändert?
M. Daberstiel: Also ich glaube, wenn man das über 20 Jahre betrachtet, hat man sehr viel alten Wein in neuen Schläuchen. Es sind eigentlich dieselben Mechanismen, aber es sind viele Kommunikationskanäle dazu gekommen. Diese haben die bestehenden Fundraisingmethoden befeuert und ausdifferenziert, zum Beispiel, weil Zielgruppen viel genauer angesteuert werden können. Das macht es komplexer und etwas schwieriger. Und deswegen haben viele das Gefühl, dass sich das alles ganz neu anfühlt. Aber ein Spendenlauf bleibt ein Spendenlauf. Nur die Bewerbung und Organisation ist eben viel digitaler geworden.
Akquisos: Es gab also keine Innovationen?
Also eine Sache, wo ich sagen würde, das ist wirklich neu, ist das Thema Crowdfunding. Zu schauen, ob man es zu einem bestimmten Termin schafft, das Geld zusammenzubekommen. Zuvor gab es auch schon Spendenziele für bestimmte Zwecke, aber ohne zeitliche Begrenzung. Das Alles-oder-nichts-Prinzip ist für den Erfolg dieses Instruments verantwortlich. Die Spenderinnen und Spender erhalten dadurch das Gefühl einer „Geld-zurück-Garantie“. Das würde ich schon als Innovation bezeichnen. Das wendet sich vor allem an die jüngere Zielgruppe, die dieses Sicherheitsbedürfnis deutlich höher hat, als andere und dementsprechend wird Crowdfunding natürlich auch eher von jüngeren Zielgruppen genutzt.
Akquisos: Wie sehen Sie die Fundraisingaktivitäten bei Organisationen der politischen Bildung bzw. bei Vereinen, die sich für Demokratie einsetzen? Sind die gut aufgestellt?
Es gibt eine unwahrscheinliche Breite an Initiativen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Die ist auch deswegen so enorm, weil der Anteil von öffentlicher Förderung in diesem Bereich immer noch sehr hoch ist. Und das ist ein Problem. Einige Leute haben schon vor vielen, vielen Jahren gewarnt, dass die Initiativen sich zu sehr abhängig vom Staat machen. Wir sehen das gerade in Sachsen. Hier will man in den nächsten zwei Jahren 4,3 Milliarden Euro im Landeshaushalt einsparen, das betrifft dann zwangsläufig auch Förderprogramme. Dass Initiativen sich jetzt noch ganz schnell solide über Spenden werden finanzieren können, ist utopisch. Denn Fundraising hat sich in einer Hinsicht auch mit „schnellen“ Kommunikationskanälen nicht verändert: Es braucht Zeit, dass aus einem Unterstützer ein Ehrenamtlicher wird, dann ein Spender und vielleicht sogar ein Großspender. Das ist eine Frage von Beziehungspflege, die viele dieser Organisationen nicht gelernt haben.
Akquisos: Was müsste sich ändern?
Viele machen jetzt eher „Fehlbedarfsfundraising“, wie ich es gerne nenne. Es wird eigentlich nur versucht, das Geld, was man jetzt nicht mehr hat, irgendwie durch Spenden zu ersetzen, ohne darüber nachzudenken, dass dieser Ansatz völlig falsch ist, weil ja die Leute eine andere Erwartung an ihre Spende haben. Die wollen für eine bestimmte Sache spenden, aber nicht für einen Fehlbedarf. Das ist kein Fördermittelantrag, wo du Förderkosten reinschreibst und hinterher per Beleg abrechnest. Menschen reagieren emotional, die beschweren sich auch mal. Die haben eigene Ideen, eine eigene Wahrnehmung von der Welt. Und das musst du respektieren. Das ist einfach eine völlig andere Herangehensweise. Doch viele Organisationen können dieser Förderlogik nicht entfliehen. Beim Fundraising muss ich Leute überzeugen. Und das ist auch ein Vorteil: Ich kann sie überzeugen. Einen Fördermittelgeber, der mir sagt, ich habe kein Geld mehr, kann ich nicht überzeugen.
Aber für Spenderinnen und Spender brauche ich richtige Argumente und das ist das Problem von vielen Demokratie-Initiativen. Da fehlt oft die Bindung zu den Leuten, die sagen: „Ihr macht tolle Arbeit. Ich habe nicht viel Zeit, aber ich gebe euch mein Geld.“ Diejenigen, die es nicht geschafft haben, sich in den letzten Jahren eine breite Anzahl von Menschen zu schaffen, die wenigstens ihre Newsletter lesen oder die zumindest zu ihren Events kommen oder die sie regelmäßig auch mit kleineren Summen unterstützen, die werden es schwer haben, das jetzt erst aufzubauen. Und deswegen befürchte ich, wir werden in den nächsten Jahren viele Initiativen leider sterben sehen.
Akquisos: Warum tun sich die Organisationen so schwer, Fundraising strategischer zu denken?
Also es gibt durchaus junge Initiativen, die die sich da anders aufgestellt haben, im Bereich der Seenotrettung beispielsweise. Da ist mittlerweile eine relativ hohe Professionalität am Start. Aber es gibt diesen Großteil an Demokratie-Initiativen, die nach wie vor von der Hand in den Mund leben und die auch ehrlicherweise gar nicht drüber nachgedacht haben, ob sie Menschen jetzt gerne zu Spenderinnen und Spendern machen wollen. Die teilweise sogar vor dem Wort „Spende“ zurückschrecken. Die Angst haben, Menschen, die sie schon lange kennen und die ihnen schon lange folgen, um eine Spende zu bitten. Man könnte diese ja überfordern. Und da sehe ich ein großes Defizit im strategischen Fundraising. Wenn man denkt, dass man Menschen damit überfordert, dass sie sich für eine gute Sache einsetzen, stimmt was nicht in der Mission, in dem Leitbild der Organisation. Dann ist ihnen gar nicht klar, dass sie etwas tun, was unterstützenswert ist. Also neudeutsch gesagt: Da fehlt das eigene Mindset. Ich kann nicht andere um eine Spende bitten, wenn ich selber denke, ich würde nicht spenden.
Akquisos: Gibt es auch positive Beispiele im Bereich der politischen Bildung?
Es gibt schon einige, die wirklich gute Arbeit machen. Also für mich ist die Aktion Zivilcourage in Pirna ein schönes Beispiel. Die versuchen einen anderen Weg zu gehen als andere Organisationen. Das beginnt damit, dass sie nicht versuchen auszugrenzen. Also sie sagen eben nicht: „du bist nicht wie wir, dann kannst du mit uns nicht zusammenarbeiten.“ Und damit haben sie sich einen Namen erarbeitet, weil sie gesprächsbereit sind, auch mit Leuten aus der CDU und der FDP. Ich kenne viele Vereine für die ist das ein No-Go. Aber der Sinn von Demokratie liegt im Dialog, nicht im Monolog. Und da kommen wir wieder zum Thema Spenden. Beim Spenden gehe ich in einen Dialog mit Menschen, die mich dann fragen, was können wir denn tun? Welche Ideen hast du? Wie kann ich dich dabei unterstützen? Und dieser Dialog findet aus meiner Sicht immer noch viel zu wenig statt, weil er natürlich auch Arbeit macht und weil diese Arbeit eigentlich niemand bezahlt.
Aber um sich nachhaltig aufzustellen, muss man mehr Beteiligung schaffen. Mehr Leute reinzubringen, die die Initiative langfristig unabhängig von staatlicher Förderung machen. Spenden führen zu mehr Unabhängigkeit und dementsprechend auch zu einer unabhängigen Haltung. Spenden sind die einfachste Form der Beteiligung und damit urdemokratisch. Denn seien wir doch mal ganz ehrlich, Fördermittelgeber sagen, wie das Projekt auszusehen hat, sie sagen, wie es sein soll. Doch wenn ich demokratische Prinzipien in neue Zielgruppen, die darüber ganz anders denken, hineinbringen will, kann ich nicht mit Konzepten arbeiten, die 20 Jahre alt sind. Innovative Ansätze verstehen Förderinstitutionen nur zu einem geringen Teil, aber Spenderinnen und Spender kapieren das sofort. Am Ende wird aber ein Finanzierungs-Mix stehen müssen. Spenden können die enormen Kürzungen nicht allein auffangen.
Akquisos: Wir leben im Moment in politisch aufgeheizten Zeiten. Ist das nicht auch eine Chance für das Fundraising?
Ja, die Politik ist in allen Lebensbereichen angekommen und wird in den Familien diskutiert. Das aktiviert natürlich Leute und deswegen kann man schon sagen, dass diese Auseinandersetzungen auch dazu führen, dass es mehr Spender oder mehr Menschen gibt, die spendenbereiter sind. Alte Fundraisingregel: Je höher die Aufmerksamkeit, desto höher die Spendenbereitschaft. Daher höre ich immer von Organisationen, dass die sagen, die Leute diskutieren ja viel, das ist doch gut. Aber das heißt noch nicht, dass sie auch spenden. Das heißt erstmal nur, dass sie sich für das Thema interessieren. Jetzt muss ich als Organisation aber auch soweit sein, dass ich das mit meinen Themen adressieren kann und die Möglichkeit biete, dass sich die Leute aktiv einbringen und beteiligen. In Demokratie-Initiativen wurden Spenden bisher eher selten als Beteiligung verstanden. Meistens war es doch eher so, dass man Vorgaben der Fördermittelgeber umgesetzt hat. Da ticken Spenderinnen und Spender ganz anders. Hier geht es darum gemeinsam etwas zu ändern. Da sehe ich Chancen.
Akquisos: Was würden Sie sich aktuell am meisten wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass die Organisationen so ein Stück weit ihre Mission wieder mehr entdecken und auch strategischer darüber nachdenken, wie sie mit diese Mission Menschen überzeugen können. Und dabei auch das Thema Fundraising mehr als Beziehungspflege und Beziehungsmarketing sehen und eben weniger als reine Form der Geldbeschaffung. Dann werden sie eine treue und auch dankbare Anzahl von Menschen finden, die sagen, Gott sei Dank gibt es euch. Und ich glaube, diese Dankbarkeit wird die Organisation beflügeln, weil mehr Leute mitmachen und ein Commitment für diese Mission abgeben. Das stärkt die Organisation nach innen und eben auch nach außen.
Wünschen würde ich mir auch, dass die Fördermittelgeber endlich erkennen, wieviel privates Geld man mit Fördermittel heben kann. Diese Gegenrechnen von Fördermitteln und Spenden muss endlich aufhören. Niemand wird reich durch Spenden. Sie sind ja zweckbestimmt.
Ich bin mir sicher, dass es Demokratie-Initiativen weiter braucht. Wer sich professionell aufstellt, wird es schaffen. Ich bin mir auch relativ sicher, dass es in irgendeiner Form auch weiterhin eine staatliche Demokratieförderung geben wird, aber sie wird vermutlich nicht mehr so üppig ausfallen wie bisher. Ich wünsche mir eine starke Zivilgesellschaft, die sich kritisch, untereinander kooperativ und konstruktiv lösungsorientiert einmischt. Das bringt uns alle voran.
Vielen Dank für das offene Gespräch, Herr Daberstiel.
Zum Fundraising-Magazin: Externer Link: fundraiser-magazin.de
Sie wollen ins Fundraising einsteigen oder es strategischer aufstellen? Fundraising-Grundlagen finden Sie hier:
Einen Überblick über verschiedene Fundraising-Instrumente, über die wir in den letzten Jahren im Akquisos berichtet haben, darunter auch das Crowdfunding, finden sich unter