In den 1960er- und 1970er-Jahren diskutierten sie in den Hörsälen und gingen auf die Straße, um gegen starre Strukturen, für eine Demokratisierung der Gesellschaft und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus sowie gegen kapitalistische Ausbeutung zu kämpfen: Studentinnen und Studenten der sogenannten 68er-Bewegung
Was ist aus den hochpolitisierten jungen Erwachsenen geworden? Setzen sie sich nach wie vor für politische Ziele ein? Schlägt sich das auch in Spendeneingängen bei zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Akteuren der politischen Bildung nieder? In exemplarischen Gesprächen mit engagierten Menschen dieser Generation zeigt sich, dass ihr grundlegendes Interesse an politischen Themen nicht nachgelassen hat. Die Formen des heutigen Engagements sind aber vielfältiger geworden (vgl.
Dezidierte Studien zum Spendenverhalten der "Alt-68er" sind Mangelware. Um sich der Frage zu nähern, welche Auswirkungen sie auf das Fundraising für politische Bildung haben (können), müssen wir uns die gesamte Generation der Nachkriegsgeborenen anschauen. Davon bilden die 68er-Studentinnen und -Studenten zwar nur einen Ausschnitt, aber dennoch teilen sie viele Sozialisationsfaktoren mit den anderen ihrer Alterskohorte.
Babyboom als Beschreibung einer Generation
Für die Nachkriegsgeborenen hat sich in vielen Ländern der Begriff "Babyboomer" eingebürgert, der sich auf den vielfach zu beobachtenden Anstieg der Geburtenrate nach dem Zweiten Weltkrieg bezieht.
Babyboomer werden wichtige Spendergeneration
Für das Fundraising sind die Babyboomer besonders interessant, weil die bisher spendenfreudigste (Vor)Kriegsgeneration der "Wiederaufbauer" (oder auch Traditionalisten genannt) altersbedingt ständig abnimmt. Zahlenmäßig hat die Generation Babyboomer die Wiederaufbauer schon überholt. Auffällig ist jedoch, dass der Anteil der spendenden Personen innerhalb der Generationen deutlich abweicht. Im Jahr 2017 spendete bei den Wiederaufbauern rund jede/-r Zweite, bei den Babyboomern nur rund jede/-r Dritte.
Ein Teil der Antwort liegt in der Art und Weise, wie viele Organisationen Fundraising betreiben. Das Spendensammeln hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark professionalisiert. In dieser Zeit waren die Wiederaufbauer die vorherrschende Spendergeneration. Daher haben sich sämtliche Fundraisingmaßnahmen an deren Bedürfnissen orientiert. Die Wünsche und Einstellungen der Nachkriegsgeborenen unterscheiden sich davon zum Teil aber erheblich, sodass viele der gelernten Fundraisingweisheiten bei ihnen nicht mehr zwingend zum Erfolg führen.
Wertewandel und geänderte Bedürfnisse
Eine Begründung dafür liefert der Wertewandel, der sich zwischen diesen beiden Generationen vollzogen hat und seit den 1970er-Jahren beschrieben wird. Er zeigt einen Wandel von materialistischen hin zu postmaterialistischen Werten auf.
Die Babyboomer sind keineswegs als egoistischer oder unsolidarischer einzustufen. Aber sie sind selektiver in ihrer Unterstützung anderer. Nur was relevant ist, wird beachtet und berücksichtigt. Was das ist, entscheiden sie selbst. Sie lassen sich nicht (mehr) von anderen sagen, was sie tun sollen. Ältere Spenderinnen und Spender erkennen dagegen nach wie vor Autoritäten und Institutionen (z.B. Kirchen, NGOs) als für sie handlungsleitend an, so wie es von ihnen seit Kindheit an erwartet wurde. Babyboomer genießen – spätestens mit Eintritt ins Rentenalter – das Leben und zeigen sich als stets aktiv und unterwegs. Ein Ehrenamt übernehmen sie gerne – wenn es Spaß macht, den Alltag bereichert und als sinnstiftend empfunden wird.
Fundraisingmaßnahmen anpassen
Ein Fundraising, das auf immer wiederkehrende Beschreibungen von Notlagen und Hilfeersuchen mit verbundenen Spendenbitten setzt, geht an vielen Babyboomern vorbei. Erstens, weil sie stärker an Lösungen interessiert sind als an Problemen. Zweitens, weil sie mehr in die Prozesse miteinbezogen werden möchten, und sei es auch nur kommunikativ. Sie möchten das Gefühl bekommen, dass sie Teil des Ganzen sind, nicht bloße Geldgeber/-in. Sie möchten nachvollziehen können, was sie – ganz konkret – mit ihrer Spende bewirken. Ein uneingeschränktes (Vorschuss-)Vertrauen besitzen sie nicht. Sie hinterfragen mehr und nehmen nichts als gegeben hin.
Organisationen, die die Bedürfnisse ihrer Spenderinnen und Spender ignorieren und sich zu sehr auf die eigenen Ziele konzentrieren, werden von den Babyboomern abgestraft. Denn auch sie können ignorieren: Und zwar Spendenaufrufe, die zu "durchschaubar" aufbereitet sind. Schließlich sind sie mit Werbung groß geworden und wissen, dass man dieser nicht bedingungslos folgen muss. Da wandert so Manches ungeöffnet in den Papierkorb oder die eigene Adresse auf die Robinson-Liste
Für Träger der politischen Bildung und zivilgesellschaftliche Organisationen bedeutet das, sich mehr mit ihren (potenziellen) Spenderinnen und Spendern auseinander zu setzen. Denn das Potenzial ist größer als es die nackten Zahlen manchmal glauben lassen. Diese Generation ist nicht nur sehr wohlhabend (höhere Bildung brachte ihnen höheres Einkommen ein, zugleich erb(t)en sie das Vermögen ihre sparsamen Eltern), sie ist durchaus auch solidarisch und viele von ihnen sind aufgrund ihrer persönlichen Geschichte hoch demokratisch eingestellt und politisch interessiert. Allein: Die Ansprache muss sich an ihnen orientieren, damit sie bereit sind zu spenden – und es gerne tun. Und wer nicht nachlässt, sie wertzuschätzen, könnte sich wundern, wie treu sie sein können.
Lesetipps "Wie spenden Babyboomer?":
Dr. Michael Urselmann und Dr. Roland Demmel "Herausforderung Generationenwechsel" In: Stiftung & Sponsoring, 2018 (3), S. 22-23. Online abrufbar unter: Externer Link: www.urselmann.de/fileadmin/urselmann/veroeffentlichungen/stiftung_sponsoring_3_2018_urselmann_demmel_spendergenerationen.pdf
Fundraiser Magazin, Ausgabe 1/2019: Themenschwerpunkt "Generation ICH, Generation WIR – Wie ticken die 50-65-Jährigen?" S. 18-32.
Deutscher Spendenrat - Bilanz des Helfens 2018: Externer Link: www.spendenrat.de