"Infotische und Flyer sind der beste Weg, um ignoriert zu werden"
Im Interview: Wolfgang Nafroth, PR- und Politikberater
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Wolfgang Nafroth geht seit Jahren der Frage nach, wie man fast ohne Budget, ohne Zeit- und Personalaufwand viele Menschen erreichen und aktivieren kann. In über 20 Jahren hat er viele einfache Ideen für die Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnengestaltung entwickelt. Er berät und begleitet Gewerkschaften, NGOs, Parteien, Kirchen und Wohlfahrtsverbände. Dabei greift er auf seine berufliche Erfahrung als Dozent in der Erwachsenenbildung und Mitarbeiter in der Politik zurück.
Akquisos: Herr Nafroth, wie gelingt es, Menschen für die eigenen Themen und Anliegen zu gewinnen?
W. Nafroth: Nichts ist so wertvoll wie das persönliche Gespräch. Inhalte aus Gesprächen merkt man sich besser als Gelesenes. Kommunikative Aktionsformen können das nutzen, wenn sie eine völlig gleichberechtigte Kommunikation mit den Menschen ermöglichen. Über 80% der Menschen umgehen Infotische - gleich wer sie anbietet -, weil sie davon ausgehen, dass sie Fragen stellen sollen. Grafiken oder dialogisch gestaltete Texte auf dem Boden der Fußgängerzone veranlassen Menschen dagegen, interessiert zu verweilen. Sie kommen so leicht auf angenehme Weise ins Gespräch - wie an einem Gemüsestand. Viele Menschen tauschen sich so erstmalig über bestimmte Themen aus.
Akquisos: Was ist, wenn die Menschen nicht stehen bleiben?
Es gibt Orte oder Zeiten, an denen die Menschen nicht verweilen, z.B. wenn sie auf dem Weg zur Arbeit sind, am Bahnhof. An solchen Orten machen Gesprächsaktionen keinen Sinn, hier bedarf es Aktionen fürs Auge, die im Vorbeigehen gelesen oder betrachtet werden oder die Medien veranlassen, darüber zu berichten. Es muss ein Gedanke injiziert werden, mit dem man sich im Weitergehen beschäftigt. Fragen auf riesigen Luftballons oder Infotürmen wären z.B. eine Lösung. Diesen Gedanken folgen die Passanten, weil wir alle auf Bewegung, Licht und direkte Anreden reagieren.
Akquisos: Das klingt aufwändig…
Uns ist immer wichtig zu überlegen, wie wir den Aufwand minimieren. Teuer wäre es, flächendeckend zu plakatieren oder in der Zeitung zu inserieren. Doch die Wirkung ist gering oder ich erreiche nur die bereits Informierten. Um ein neues Publikum zu erreichen, muss ich die Orte der Kommunikation ändern. Stellen Sie sich einen Kleinwagen mit einem riesigen, handbeschrifteten Karton auf dem Dach vor, der auf einem Supermarktparkplatz steht. Wie viele Menschen Sie da erreichen! Und die sprechen dann darüber. Bildungsträger oder allgemein Organisationen müssen überlegen, wie sie näher an die Menschen herankommen. Dabei hilft keine Neuauflage des Jahresprogramms.
Akquisos: Eine Ihrer Aktionsformen sind kleine Zettel mit Botschaften, die wie zufällig vergessen im Einkaufswagen liegengelassen werden. Sie fallen eher auf als ein Flyer in einer Flyerbox. Das kann ich aber nur in einem begrenzten Rahmen machen, oder?
Ja, und genau das erzielt die Wirkung! Wenn Sie zu viele liegen lassen, wäre das kontraproduktiv. Dann haben die Leute das Gefühl, es sei eine Werbekampagne und ignorieren den Zettel. Es muss spannend sein, emotional ansprechen, nach einem privaten "vergessenen" Zettel aussehen. Eine Karte mit der Aufschrift "Ihr Nachbar sagte es gestern auch ..." wird umgedreht. Die Rückseite könnte wie ein Brief von Ihrem Anliegen "erzählen". Selbst den Absender können Sie raten lassen, wenn da zum Beispiel steht "reden Sie mal mit Karin, die kennt sich aus und arbeitet im Haus mit dem roten Dreieck am Bahnhof. Ich sag Ihnen mal die Telefonnummer..." Die Zettel müssen immer mal wieder auftauchen und die Leute werden darüber reden. Das kann eine lohnende Aktion für einen regionalen Träger sein.
Akquisos: Mit ein paar Zetteln im Supermarkt erreiche ich aber nicht viele Menschen.
Doch. Ich muss eben jedes Instrument, jeden Flyer, jede Karte und jede Einladung so gestalten, dass jeder Lust hat darüber zu reden und sich freut, es Bekannten zu zeigen. Beim Abendessen oder an der Arbeit. So erreiche ich 10 Menschen pro Zettel. Man kann mit 500 Zetteln, über zwei bis drei Monate in einer Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern verteilt und mit zwei Autodach-Infowürfeln, nahezu alle erreichen! Der Aufwand ist überschaubar. Wichtig ist, dass spannend ist, was drauf steht und dass es Menschen beschäftigt. So erreiche ich auch die, die es betrifft! Einen klassischen Flyer gebe ich doch nur weiter, wenn ich den Sachbezug begründet sehe. Kein Mensch nimmt einen Stapel Flyer mit, um ihn an relevante Personen zu verteilen. Wir sind grundsätzlich blind für Flyer im Flyerständer.
Akquisos: Wie sieht es mit Aktionen aus, die das Thema Spenden im Fokus haben?
Eine langfristige Unterstützung generiere ich nicht mit einer Aktion, einem Medium. Um nachhaltig zu kommunizieren, brauche ich Folgeschritte und verschiedene wirksame Techniken. Ich muss Menschen mehrfach erreichen. Das ist natürlich insbesondere dann schwierig, wenn ich Instrumente nutze, die die Menschen per se kaum erreichen. Ich kann mit einer Aktion auf ein Thema aufmerksam machen, das Verständnis dafür schärfen und erste Spenden oder zumindest eine Spendenbereitschaft generieren. Zum Beispiel könnten Sie auf der Straße in der Fußgängerzone ein dialogisch gestaltete Plane, wir nennen es "Bodenzeitung", auslegen. Darauf schreiben Sie groß: "Haben Sie eine Idee, wie man unser Jugendprojekt finanzieren kann?" Darunter stehen erste Vorschläge oder witzige Statements wie: "Ich würde es mit Singen am Straßenrand probieren", "Mein Konto ist auch leer". Leute bleiben stehen, finden es nett und fangen dann automatisch an zu überlegen, wie man das Projekt fördern könnte – und ob man es selbst fördern würde. Würden Sie dagegen schreiben: "Wir haben einen Jugendprojekt. Wir machen dies und das. Bitte unterstützen Sie uns!", würde überhaupt nichts passieren. Das Nachdenken darüber, ob man das Projekt selbst unterstützen möchte, geschieht durch die eingesetzte Technik, nicht durch die üblicherweise dargestellte Sachkompetenz! Sie brauchen einen emotionalen Zugang.
Akquisos: Nun ist die Sachkompetenz aber etwas, das politische Bildner auszeichnet. Wie gelingt es diese davon zu überzeugen, sie hinten an zu stellen und einen anderen Weg zu gehen?
Das ist in der Tat schwierig. Es gibt ganz bestimmte Annahmen darüber, wie es sein muss. So ein klassischer Infotisch ist aus meiner Sicht eine Kulturform, die tief verankert ist. Das ist das erste, was uns in den Sinn kommt, wenn wir an Öffentlichkeitsarbeit denken. Dabei gestehen alle (politischen) Gruppen in der Reflektion ein, dass der Infotisch nicht wirkt. Dennoch würden sie ihn in Gremien wieder als Maßnahme vorschlagen. Es funktioniert zwar nicht, ist aber erprobt – und alle anderen machen es. Das ist wirklich schwer zu ändern! Neue Wege zu bestreiten ist mit Risiken behaftet. Und wenn es doch ausprobiert wird und klappt, heißt es beim nächsten Mal: Das können wir nicht nochmal machen, die Idee ist verbrannt. Nur Infotische, die verbrennen sich nicht, die gehen jedes Jahr. Die Kommunikation grundsätzlich neu zu denken, das ist die Herausforderung.
Akquisos: Vielen Dank für das Gespräch.
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