Martina Domke ist seit 2005 Fachdienstleiterin Migration des Diakonischen Werkes Köln und Region. Dieser berät und begleitet Migrantinnen und Migranten kostenlos in unterschiedlichen rechtlichen und sozialen Lebenssituationen in Deutschland. Martina Domke ist seit 1981 in der Flüchtlingshilfe tätig und hat die Einstellung und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung noch nie so positiv erlebt wie jetzt. Wir sprachen mit ihr über Flüchtlingsarbeit in Köln.
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Akquisos: Frau Domke, wie hat sich die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung im letzten halben Jahr verändert, seit die Flüchtlingszahlen stark angestiegen sind?
M. Domke: Das begann schon ein Jahr vorher. Bereits 2014 haben viele Menschen bei uns angerufen und gefragt, wie und wo sie spenden oder helfen könnten. Insbesondere nach Infoveranstaltungen zur Eröffnung von Flüchtlingswohnheimen kamen die Anwohnerinnen und Anwohner auf uns zu und wollten etwas tun. Im September 2014 hat sich daraus das Netzwerk "Willkommenskultur in Köln"gegründet.
Akquisos: Wie genau funktioniert das?
Zunächst einmal haben wir gemerkt, dass es am besten ist, wenn sich die Menschen selbst organisieren. Wir könnten das als Diakonie gar nicht leisten - und auch nicht so gut. Also überlassen wir das den Freiwilligen, die rund um die Wohnheime leben. Auch das ist wichtig: Es macht keinen Sinn, durch die halbe Stadt zu fahren, um Flüchtlingen einen zum Teil selbst unbekannten Stadtteil näher zu bringen. Die Freiwilligen engagieren sich also in direkter Nachbarschaft. Und sie wissen selbst, wie, was und wie viel sie helfen möchten. Wir geben da nichts vor. Das Netzwerk ermöglicht nun einen Austausch untereinander, damit nicht jede Stadtteilgruppe das Rad neu erfinden muss.
Akquisos: Was ist Ihre Aufgabe als Diakonie dabei?
Neben einer gewissen Koordinierung, vor allem aber Qualifizierung der Ehrenamtlichen, sind wir - neben der Caritas, dem Deutschen Roten Kreuz, dem Kölner Flüchtlingsrat u.a. – für die professionelle Beratung der Flüchtlinge zuständig. Das können Ehrenamtliche nicht leisten. Besonders wenn es in den rechtlichen Bereich geht, kann gut gemeinte Hilfe auch mal fatal für den Flüchtling werden. Wir plädieren für eine Selbstorganisation der Freiwilligen mit engem Kontakt zu uns Hauptamtlichen. Das ist aus unserer Sicht das beste Modell. Bestehende Organisationen sollten nicht versuchen, ihre Strukturen anderen aufzustülpen. Lieber Neues entstehen lassen und das im Rahmen der eigenen Kernkompetenz professionell begleiten.
Akquisos: Wie steht es um die Finanzierung der Projekte?
Es war noch nie so viel Geld für Flüchtlingsarbeit da, wie im Moment. Neben den privaten und kirchlichen Spenden werden auch viele Fördergelder bereitgestellt. Insbesondere für Sachmittel zur Unterstützung der ehrenamtlichen Arbeit können Gelder abgerufen werden. Ausflüge, Hygieneartikel oder Schulmaterial sollen die Ehrenamtlichen natürlich nicht selbst finanzieren. Diese Sachmittelzuschüsse gibt es breit gefächert, z.B. von der Bundesregierung (Familienministerium: Sachmittel für EA für Flüchtlinge) oder von den beiden Kirchen.
Ein Problem ist – wie so oft bei Förderungen, dass Personalkosten nicht finanziert werden. Wir haben viermal so viele Flüchtlinge, aber genauso viele Beraterinnen wie zuvor. Die sind am Limit! Eine andere Frage betrifft die Langfristigkeit: Wie sieht es in zwei bis drei Jahren aus, wenn das Thema nicht mehr so aktuell, der Bedarf aber weiterhin da ist?
Akquisos: Kennen Sie politische Bildungsprojekte in Köln, die sich an Flüchtlinge richten?
Spontan ist mir nichts bekannt, aber das fände ich gut und wichtig. Es sollte aber in beide Richtungen laufen. Nicht nur, dass man den Flüchtlingen unser System näher bringt, sondern dass diese auch über das System ihrer Länder berichten.
Akquisos: Wie erleben Sie die Situation in Köln seit der Silvesternacht?
Vor allem unglaublich aufgeregt. Und es ist viel politischer Aktionismus dabei, der nicht immer den langfristigen Effekt im Blick behält. Ich würde gerne manchmal auf Zeitlupe schalten. Die Kölnerinnen und Kölner sind in ihrer Hilfsbereitschaft zweigeteilt: Es gibt liberale Stadtviertel, da kommen jetzt noch mehr Freiwillige als zuvor. Die Stimmung würde ich dort mit "jetzt erst recht"beschreiben. Die müssen wir in ihrer Euphorie zum Teil bremsen, weil plötzlich 700 potenzielle Helfer gerade mal 40 Familien eines Wohnheimes gegenüber stehen. In anderen, sozial schwächeren Stadtvierteln kommt bei den Infoveranstaltungen dagegen jetzt mehr Gegenwehr als zuvor. Insgesamt betrachtet, ist das Thema Flüchtlinge nicht mehr ganz so "en vogue"wie vor einem halben Jahr, aber es ist immer noch bei sehr vielen, engagierten Menschen präsent.
Akquisos: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg in Ihrem wichtigen Bemühen um die Flüchtlinge.
Weitere Informationen zum Netzwerk Willkommenskultur in Köln: Externer Link: http://wiku-koeln.de