Uwe Amrhein ist seit 2012 Leiter des Generali Zukunftsfonds. Das Kompetenzzentrum für Demografie und Bürgerengagement des Generali Versichungskonzerns will den Herausforderungen des demografischen Wandels begegnen. Als Herausgeber von Studien und aktiver Vernetzer setzt sich der Generali Zukunftsfonds für ein zeitgemäßes Bild des Alters ein. Als Förderer unterstützt er vor allem Initiativen, die das Potenzial der älteren Generation erschließen. Im Fokus stehen Ideen, die mit Senioren arbeiten, statt für sie. Ziel ist es, der älteren Generation Möglichkeiten für ein bürgerschaftliches Engagement zu bieten, das auf diese Gruppe zugeschnitten ist und gleichzeitig gesamtgesellschaftliche Probleme lösen kann.
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Akquisos: Herr Amrhein, über den demografischen Wandel und die "Überalterung der Gesellschaft" wird viel geschrieben. Ist daraus auch ein Mehrangebot an Initiativen mit Senioren entstanden?
U. Amrhein: Ich kann nicht erkennen, dass sich in der Praxis viel verändert. Die Tatsache, dass ich mehr über ältere Menschen in der Zeitung lese, heißt nicht, dass sich die Bedingungen für das bürgerschaftliche Engagement verbessert haben. Es ist eine empirische Erkenntnis, dass die Engagementbereitschaft der Älteren ausgeprägt hoch ist. Höher als in anderen Alterskohorten. Es ist aber genauso empirisch belegt, dass Ältere vermissen, dass sie entsprechende Zugänge zum Engagement bekommen. Dass sie wertgeschätzt werden. Dass das Gebrauchtsein tatsächlich vermittelt wird.
Akquisos: Wie erklären Sie sich das?
Zunächst mal: Die Gesellschaft altert, aber die überaltert nicht. Das Wort "Überalterung" diskriminiert das Alter zu unrecht. Das Altersbild in unserer Gesellschaft ist immer noch ein defizitäres. Wenn Sie heute über Alte lesen, dann geht es um Pflegebedürftigkeit, Altersarmut, drohende Vereinsamung etc.. Das andere Extrem ist die kaufkräftige Konsumzielgruppe. Eine strahlend lachende Frau, die Ihnen von einem Kreuzfahrtschiff zuwinkt oder mit Nordic Walking Stöcken im Grünen unterwegs ist. Dazwischen ist nichts. Es gibt keine Differenzierung. Was wir dagegen für realistisch halten, ist eine Generation, die bei erheblich angestiegener Lebenserwartung leistungsfähiger ist als alle vor ihr. Und für diese Gruppe fehlen Angebote für lebenslange Teilhabe und Mitgestaltung. Das klassische Kuchen backen tut’s da nicht mehr!
Akquisos: Was sollten Initiativen Ihrer Meinung nach tun, wenn Sie ein Angebot schaffen möchten, das Senioren aktiv einbindet?
Es gibt ein ganz wichtiges Grundprinzip: Bedarf ist noch keine Nachfrage! Ein ganz, ganz großer Fehler, den Organisationen machen, die auf Förderungen angewiesen sind: Sie gehen von einem von ihnen selbst identifizierten gesellschaftlichen Bedarf aus. Der ist meistens auch nachvollziehbar. Das ist aber noch keine Nachfrage. Die entsteht erst dann, wenn jemand für die Erfüllung des Bedarfes bereit ist, Geld zu geben. Nachfrage muss auf zwei Seiten entstehen: Für den Investor muss es ein Problem lösen – idealerweise eines, mit dem er zu tun hat. Und die Senioren müssen es dem Initiator aus den Händen reißen wollen. Nicht alles was gut und sinnvoll ist, findet tatsächlich auch Abnehmer. Da kann ich immer nur raten, vorher mal einen Test zu machen.
Akquisos: Ist es bei Seniorenprojekten besonders wichtig zu testen, weil vielfach das falsche Seniorenbild vorherrscht, so wie Sie es beschrieben haben?
Ja, weil die Projekte das Potenzial der aktiven Älteren erschließen und sie nicht nur sozial versorgen sollen. Ich möchte nichts fördern, was Menschen passiv beglückt, sondern nur, was sie zivilgesellschaftlich aktiviert. Da ist es besonders wichtig, dass man nicht mit Vermutungen und Annahmen arbeitet, sondern prüft und testet, ob die DAS wirklich wollen. Leider funktioniert es Deutschland so: Ich denke mir ein tolles Projekt aus, erfinde einen noch tolleren Projektnamen, suche mir die passende Förderung dazu, starte es, evaluiere es und stelle fest: Hat nicht geklappt. Die meisten teuren Evaluationen könnte man sich sparen, wenn man nicht hinten evaluieren, sondern vorne mal Menschen fragen würde. Ganz einfach und ganz simpel.
Akquisos: Was ist Ihr Tipp für Projektstarter?
Vor dem Förderantrag kommt das "Machen". Ruhig im Kleinen, zu Hause, im Hinterhof. Jeder sollte erstmal Leute erreichen und begeistern, ein Netzwerk bilden, erste Mitstreiter finden. Auch einen ersten kleinen Finanzierer – und wenn’s der Schreiner um die Ecke mit 500€ ist. Dann bekommt man ein Gespür, ob das geht, was man da vorhat, ob sich aus dem Bedarf eine Nachfrage entwickelt. Wichtig ist mir, dass man nicht mit einer aufgeblasenen, teurer Infrastruktur und Geschäftsstelle startet, die dann aufrechterhalten werden muss, sondern mit der Umsetzung der Idee. Leider ist es häufig andersherum.
Akquisos: Und Ihr Tipp in Hinblick auf die Finanzierung?
Wichtig sind ein Finanzierungsmix und ein Förderernetzwerk. Es ist fatal, das ganze Vorhaben auf eine Finanzierungsform zu setzen. Wenn dann dieser Förderer aussteigt, kann das existenzbedrohend sein. Es ist auch immer gut, wenn man einen zumindest kleinen Anteil an Produkten oder Dienstleistungen hat, für die man Geld bekommt.
Wir achten bereits bei Antragstellung darauf, ob sich der Antragsteller schon Gedanken gemacht hat, was an dem Tag X passiert, wenn wir als Förderer nicht mehr da sind. Das muss kein ausgefeilter Businessplan sein, aber es muss klar erkennbar sein, dass man sich nicht von einer großvolumigen Förderung zur nächsten hangelt. Wir freuen uns, wenn jemand den Spielraum nutzt, den wir ihm durch die Förderung eröffnen. Das ist nicht nur eine Finanzierungsfrage, sondern eine Haltungsfrage.
Akquisos: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihr Bemühen, um eine aktive, zivilgesellschaftlich engagierte ältere Generation.