Seit über einem Jahrzehnt haben Menschen auf der gesamten Welt die Möglichkeit, sich in Sozialen Netzwerken zu informieren, zu äußern und zu vernetzen. Facebook, Google und Twitter kennen keine nationalen Grenzen und haben globale Kommunikationsinfrastrukturen geschaffen, die ein enormes Freiheitspotenzial bieten. Das kann für Menschen, die in repressiven Staaten leben eine Chance sein, sich frei zu äußern oder als Journalist frei zu berichten. Bei aller Kritik, die heute den globalen Netzwerken (in einigen Fällen zu Recht) entgegengebracht wird, sollten wir diese Potenziale nicht vergessen. Und grundsätzlich gilt: Jede Regulierung schränkt Freiheit zwangsweise ein.
Dennoch ist es zwingend, nach Lösungen für einige Probleme zu suchen, die im Zusammenhang mit den Sozialen Netzwerken aktuell bestehen. Die sogenannte Hasskriminalität und "Fake News" soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bekämpfen. Der Deutsche Bundestag hat es im Juni 2017 mit den Stimmen aus Union und SPD verabschiedet. Das Gesetz ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Damit ist es eine Gefahr für die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland.
Probleme bekämpfen, die wir nicht verstehen
Richtig ist, dass Soziale Netzwerke in Zukunft regelmäßig melden müssen, wie sie mit Löschungen von Meinungsäußerungen auf ihren Plattformen umgehen. Solche Transparenzberichte sind die notwendige Grundlage, um Probleme wie "Hate Speech" oder die bewusste Verbreitung falscher Nachrichten besser zu verstehen. Das NetzDG hingegen wurde aus gesellschaftlichen Stimmungen heraus initiiert, etwa der unterstellten Beeinflussung der US-Wahl durch "Fake News". Bei der Entstehung des Gesetzes im Frühjahr 2017 gab es allerdings kaum Erkenntnisse über Verbreitung, Wirkung und Bekämpfung von "Fake News" in Deutschland. Heute wissen wir, dass die in der Gesetzesbegründung unterstellte Befürchtungen nach der Wahl Donald Trumps Externer Link: wohl übertrieben waren, weil es eine "Fake News"-Schwemme im Bundestagswahlkampf schlichtweg Externer Link: nicht gegeben hat. Wir haben also ein Gesetz bekommen, das Probleme bekämpfen soll, die wir nicht richtig verstanden haben.
Richtig ist ferner auch, dass Soziale Netzwerke in Zukunft einen Ansprechpartner für Strafverfolgungsbehörden in Deutschland haben müssen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die globalen Technologie-Riesen den deutschen Markt dominieren, aber deutsche Staatsanwälte Briefe in die USA schicken müssen. Die Ansprechpartner in Deutschland ermöglichen, das Verfahren zur Löschung von Inhalten an rechtsstaatliche Prinzipien zu binden, etwa eine Anhörung vor Gericht. Hier liegt jedoch das Kernproblem des NetzDG: Solche rechtstaatlichen Verfahren sollen der Ausnahmefall werden. Im Grundsatz verpflichtet das Gesetz Soziale Netzwerke dazu, unter Zeitdruck juristische Abwägungen zu treffen, ohne den Rechtstaat einzubinden. Denn wenn sie systematisch falsch entscheiden und eigentlich zu löschende Inhalte nicht löschen, müssen sie hohe Strafen zahlen. So hoch, dass diese profitorientierten Netzwerke einen wirtschaftlichen Anreiz erhalten, zu löschen. Dieses Risiko des sogenannten Over-Blockings wird nicht mit einem Recht auf Widerspruch ausgeglichen: Wer meint, dass seine Äußerungen unrechtmäßig entfernt worden sind, kann sich also nicht dagegen wehren. Hinzu kommt, dass das gesamte Lösch-Verfahren nicht von einer unabhängigen Aufsicht begleitet wird.