Rechtsruck in Europa, Nationalpopulismus auf dem Vormarsch – so lauten momentan die Schlagzeilen. Schenkt man politischen, medialen und akademischen Stimmen Glauben, kommt Populismus heute scheinbar überwiegend von rechts. Populismus und Rechtspopulismus werden oft synonym verwendet. Das erstaunt. Denn: Linkspopulismus hat Tradition und ist auch politisch wirksam, wie der Blick auf die in den Parlamenten Europas vertretenen linkspopulistischen Parteien zeigt.
Mehr zum Thema Populismus finden Sie auch in Interner Link: dieser Ausgabe der APuZ.
Viele linke politische Gruppierungen, wie die Partei Die Linke in Deutschland, sind zwar stark antifaschistisch ausgerichtet, bleiben dabei aber selbst nicht frei von Charakteristika, die man gemeinhin mit dem Rechtspopulismus verbindet. Dazu gehören, neben der Skepsis gegenüber dem repräsentativen System und den politischen Eliten, Kapitalismuskritik, das Schüren von Globalisierungsängsten sowie ein ausgeprägter Euroskeptizismus. Hier geht es aber, anders als beim Rechtspopulismus, um die gestalterische Vorstellung eines anderen, sozialeren Europas.
Linkspopulistische Bewegungen adressieren Ängste in der Bevölkerung: die Angst vor Armut und Arbeitslosigkeit, der Verlust sozialer Sicherung und vor der kapitalistischen Leistungsgesellschaft der Gegenwart. Sie fordern mit politischen Slogans wie "Die Reichen zur Kasse bitten" mehr Gleichheit.
Occupy Populism
Ein gutes Beispiel dafür ist die Occupy-Wall-Street-Bewegung in den USA, die als eine der jüngsten Erscheinungsformen von Linkspopulismus vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise ab 2011 international rasch Verbreitung fand. Die Bewegung in den USA zielte von Beginn an auf die Bedürfnisse des "einfachen Menschen" und auf die Polarisierung zwischen dem "entrechteten" Volk als überwältigende Mehrheit (die 99 Prozent) und einer kleinen, herrschenden ‚Plutokratie‘ (die 1 Prozent). Die globalisierungskritische Bewegung funktioniert nach einem konjunkturellen Muster, das auf Höhepunkte, wie eben Großgipfel und symbolische Aktionen, ausgerichtet ist.
Linkspopulisten an der Macht
Die Schuldenkrise in Europa sorgte dafür, dass in Südeuropa, insbesondere in Griechenland, Spanien und Italien neue größere Anti-Establishment-Bewegungen von links aufgekommen und politisch wirksam geworden sind. Aus der Empörungsbewegung ("Indignados") entstand im Frühjahr 2014 in Spanien die Partei "Podemos" ("Wir können"). Bei den spanischen Parlamentswahlen im Dezember 2015 und den nach dem Scheitern der Koalitionsbemühungen erneut notwendig gewordenen Wahlen im Juni 2016, kam die Partei auf über 20 % der Wählerstimmen. Podemos agiert ähnlich wie die "Bewegung der fünf Sterne" um den Komiker und Blogger Beppe Grillo in Italien mit einer politischen Kommunikation jenseits der traditionellen Print- und TV-Kanäle, die er als Hort von Falschmeldungen betrachtet.
Populist? Na klar!
In Griechenland gelangte die Syriza-Partei, ein Konglomerat aus verschiedenen sozialistischen und linkspopulistischen Gruppierungen, im Zuge der fundamentalen Staatskrise sogar an die Macht. Mit Alexis Tsipras stellt sie seit Januar 2015 den Ministerpräsidenten. Dieser brach damit die Konsenskultur im Land auf, in der sich bis dahin die Konservativen und die Sozialdemokraten an der Macht abwechselten. Tsipras selbst wurde in der Auseinandersetzung um die Rettungspakete und das "Wie" der Reformen, um einen Staatsbankrott abzuwenden, immer wieder in eine Reihe mit Europas Rechtspopulisten gestellt. Beobachter sahen Parallelen in der Opferattitüde, der Anti-Establishment-Haltung und der Kritik an der EU.
In Frankreich verpasste der linke Politiker Jean-Luc Mélenchon bei der Präsidentschaftswahl im April 2017 mit knapp 20 % der Wählerstimmen nur knapp die Stichwahl. Mit seiner Kritik am politischen System und an der EU ähnelte er teils stark der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen. Banken, Großkonzerne und Politiker bezeichnet er als Verbrecher. Als Anti-Parteien-Kandidat lautete seine Parole "Putzt sie alle weg". Die Fremdbezeichnung "Populist" nahm er als positive Selbstzuschreibung an.
Links-nationalistisch: Ein Widerspruch?
Auch in Ostmitteleuropa gibt es linkspopulistische Strömungen. Während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 / 2016 wurde deutlich, wie dort, noch mehr als in Westeuropa, die Rechts-und-Links-Gegensätze verschwimmen. Gemeinsamer Bezugspunkt ist immer häufiger der Nationalismus – auch in Abgrenzung zu den westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften, die mit ihren gegenwärtigen Problemen wie der Entstehung von Parallelgesellschaften und der Gefahr durch islamistischen Terrorismus identifiziert werden. So kündigte etwa der eher linksgerichtete Premierminister der Slowakei, Robert Fico, an, keine muslimischen Flüchtlinge ins Land lassen zu wollen. Es war eine Reaktion auf die Übergriffe der Silvesternacht 2015 in Köln.
Wir und die anderen
Gemeinsamkeiten von Rechts- und Linkspopulismus gibt es nicht nur stellenweise auf der rational-programmatischen, sondern auch auf der emotionalen Ebene. Linkspopulistische Bewegungen nutzen vor allem sozio-ökonomische und weniger ethnisch-kulturelle Definitionsmerkmale, um das "Eigene" vom "Anderen" zu trennen. Beide Formen des Populismus eint jedoch die "rigide Ausschließung der verschiedenen definierten ‚anderen’ von der Wir-Gruppe, also vom ‚Volk‘". Rechts- und Linkspopulisten beschwören die Illusion einer intakten Welt (heartland), die vor globalen Wirtschaftszyklen geschützt werden kann. Die intellektuellen, marxistisch inspirierten Fixpunkte eines Linkspopulismus sind insbesondere die Schriften des belgisch-argentinischen Politikwissenschaftler-Ehepaars Chantal Mouffe und Ernesto Laclau. Mouffe sieht den Linkspopulismus als notwendiges Moment zur Repolitisierung des öffentlichen Raumes, als Bastion gegen Neoliberalismus und Rechtspopulismus.
Äpfel mit Birnen vergleichen
Mitunter wird, ähnlich wie beim Rechts- und Linksextremismus, die Vergleichbarkeit aber bestritten. Die langjährige Auseinandersetzung um die Extremismustheorie wirkt sich dann auch auf die Populismusdebatte aus – mitunter mit den gleichen Argumenten. So stellt sich die Frage, ob "vergleichen" "gleichsetzen" impliziert und bereits eine Wertung beinhaltet. Anders gesagt: Wer einen ideologisch geleiteten "Kampf gegen rechts" führt und Rechtspopulismus als neuen Faschismus betrachtet, lehnt das Etikett "Linkspopulismus" ab, allein aus Gründen der sprachlichen Abgrenzung gegenüber dem Rechtspopulismus.