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Sollten Polizisten individuelle Kennzeichen tragen müssen? | Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten | bpb.de

Sollten Polizisten individuelle Kennzeichen tragen müssen?

Sören Götz

/ 3 Minuten zu lesen

Polizeibeamte sollten identifizierbar sein, sagen die einen, sie schütze die Persönlichkeitsrechte der Polizistinnen und Polizisten sagen die anderen. Sollte die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte bestehen?

Sollte die Kennzeichnungspflicht der Polizei Deutschlandweit verpflichtend sein? (CC, Wut auf der Strasse) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Der Tag ging als "Schwarzer Donnerstag" in die Geschichte ein. Polizisten lösten am 30. September 2010 Proteste gegen das Bauprojekt "Stuttgart 21" gewaltsam auf. Sie gingen mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen friedliche Demonstranten vor. Der öffentliche Aufschrei über die aus Sicht vieler unverhältnismäßige Polizeigewalt war groß. Viele Polizisten machten sich strafbar, doch einige konnten dafür nicht belangt werden – weil sie nicht identifiziert werden konnten. Die Staatsanwaltschaft musste 156 Verfahren einstellen. Nicht nur, aber auch weil in vielen Fällen die Beschuldigten nicht identifiziert werden konnten. Im folgenden Jahr führte Berlin als erstes Bundesland eine individuelle Kennzeichnungspflicht für seine Polizisten ein.

Jedes Bundesland hat seine eigene Polizei, deshalb entscheidet auch jede Landesregierung selbst, ob sie ihre Polizisten mit persönlichen Kennzeichen wie Namensschildern oder individuellen Nummern ausstattet. Letzteres ist bei den Länderpolizeien mit Kennzeichnungspflicht im Rahmen von Großeinsätzen die Regel und ermöglicht den Polizisten, in der Öffentlichkeit anonym zu bleiben. Lässt sich ein Polizist allerdings etwas zu Schulden kommen, führt die Nummer klar zu seiner Person – anders als bei Nummern, die ihn wie üblich nur seiner Einheit zuordnen.
 Außer in Berlin gilt inzwischen auch in Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen die individuelle Kennzeichnungspflicht in Form von individuellen Nummern bei Großeinsätzen. In Nordrhein-Westfalen hat die neue Regierung aus CDU und FDP das entsprechende Gesetz im Oktober 2017 wieder abgeschafft. In Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen ist die Kennzeichnungspflicht geplant, bis jetzt aber nicht umgesetzt. In Baden-Württemberg, Bayern und dem Saarland ist eine individuelle Kennzeichnung dagegen nicht geplant. Auch die Bundespolizei trägt keine solchen Kennzeichen. Bei Großeinsätzen sind oft Polizisten aus verschiedenen Bundesländern im Einsatz. Manche tragen dann ein persönliches Kennzeichen, andere nur die Nummer ihrer Einheit.


Transparenz und Persönlichkeitsrechte

Die Befürworter einer Kennzeichnung führen Fälle wie den "Schwarzen Donnerstag" an, bei denen gewalttätige Polizisten nicht identifiziert werden konnten. Abgesehen von "Stuttgart 21" handelt es sich jedoch um Einzelfälle. Beispielsweise setzte ein bis heute unbekannter Polizist aus Nordrhein-Westfalen bei der Blockupy-Demonstration 2013 in Frankfurt Pfefferspray gegen einen Fotografen ein. Polizeibeamte halten sich im Einsatz eher an die Regeln, wenn sie identifizierbar sind, sagen die Befürworter. Wer das Gewaltmonopol des Staates ausübe, müsse jederzeit identifizierbar sein.

Die Gegner argumentieren, dass individuelle Kennzeichen die Persönlichkeitsrechte der Polizisten verletzen. Die Schilder würden die Beamten der Gefahr aussetzen, dass ihre Feinde sie gezielt verfolgen könnten, sogar bis ins Private.


Die Diskussion verläuft entlang politischer Ideologien

Weder Gegner noch Befürworter können ihre Ansichten bisher statistisch untermauern. Befürworter können nur auf Einzelfälle verweisen, in denen gewalttätige Polizisten unerkannt blieben. Und Gegner können nicht belegen, dass den Polizisten ihr Kennzeichen tatsächlich Nachteile bringt. Die Diskussion verläuft deshalb vor allem entlang politischer Ideologien. Die Linke und Bündnis90/Die Grünen setzen bei der Kennzeichnungspflicht traditionell auf Transparenz und Kontrolle, CDU, CSU, FDP und AfD betonen dagegen ihr Vertrauen in die Polizei und wollen sie nicht belasten. Laut der Gewerkschaft der Polizei wollen die allermeisten Polizisten keine Nummern- oder Namensschilder tragen. Immer wieder warnen sie davor, dass die Beamten damit unter "Generalverdacht" gestellt würden und ihre Arbeitsmotivation darunter leide. 78 Prozent der Bürger sind dagegen laut dem Umfrageinstitut YouGov für die Kennzeichnungspflicht. In den meisten europäischen Staaten müssen Polizisten ein individuelles Kennzeichen tragen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte im November 2017, dass Polizisten, die Gewalt anwenden, nachträglich identifizierbar sein müssen. Das Urteil ist jedoch rechtlich nicht bindend.

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Sören Götz ist Journalist und schreibt als freier Autor unter anderem für die ZEIT im Ressort Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.