Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Meinung: Fake News werden die Wahlen in Deutschland nicht entscheiden | Medienkritik | bpb.de

Meinung: Fake News werden die Wahlen in Deutschland nicht entscheiden

Dr. Sascha Hölig

/ 4 Minuten zu lesen

In der Debatte über die möglichen Gefahren von Falschmeldungen für die Demokratie wird das Urteilsvermögen der Menschen unterschätzt. Fake News sind ein Schreckgespenst mit wenig Wirkung, meint der Medienforscher Sascha Hölig.

Fake News sollen Donald Trumps Wahl zum US-Präsident wesentlich beeinflusst haben. Das ist Quatsch, meint Sascha Hölig. (CC, "Puppet Master of Fake News" von Paul Sableman Externer Link: http://bit.ly/2oGz5K1) Lizenz: cc by/2.0/de

Eigentlich wollten in den USA alle Hillary Clinton zur Präsidentin wählen. Doch dann tauchten Berichte auf, dass sie aus einer Pizzeria heraus einen Kinderpornoring leite und plötzlich gab die Mehrheit ihre Stimme Donald Trump. Wirklich? Eher nicht. Die derzeit in der Öffentlichkeit aufgeregt diskutierte Gefahr der Beeinflussung von Wahlen durch "Fake News" in sozialen Medien unterstellt genau diesen Wirkmechanismus. Es besteht kein Zweifel, dass es beabsichtigt gefälschte oder erfundene Inhalte gibt, die insbesondere über Facebook und Twitter die Runde machen, um ein bestimmtes Stimmungsbild zu erzeugen. Vielleicht auch mit der Absicht ein bestimmtes Wahlverhalten hervorzurufen. Aber die Angst, dass diese Nachrichten Einfluss auf die Wahlergebnisse haben werden, halte ich für ungerechtfertigt.

Nachrichtliche Inhalte in sozialen Medien sind nur Beifang

Ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland nutzt soziale Medien. Laut dem Reuters Institute Externer Link: Digital News Report 2016 hat zum Beispiel etwa jeder zweite erwachsene Onliner einen Account bei Facebook. Etwa die Hälfte der Nutzer sagt, auch nachrichtliche Informationen über Facebook zu bekommen; gewollt oder ungewollt. Allerdings nutzen Menschen diese und andere soziale Medien nicht, um sich über das Geschehen in Deutschland und in der Welt zu informieren. Vielmehr möchten sie sich dort die Zeit vertreiben, sich amüsieren, sich Urlaubsfotos ihrer Kontakte anschauen, sich über Partys auf dem Laufenden halten und von den neuesten Geschichten erfahren. Soziale Medien haben die Rolle des Stammtischs, an dem aller möglicher Sinn und auch Unsinn ausgetauscht werden. Sicherlich kommen auch mal Nachrichtenthemen auf den Tisch und auch sehr viele absurde Neuigkeiten.

Aber Nachrichten sind hier eher Externer Link: als Beifang zu betrachten. Und nur, weil man von einer abstrusen Begebenheit erfährt, heißt das doch weder, dass man dieser Glauben schenkt, noch, dass man seine (Wahl-)Entscheidung danach ausrichtet. Hier sollte das menschliche Urteilsvermögen nicht unterschätzt werden. Absurde Meldungen und Gerüchte werden in der Regel auch als solche eingeordnet. Nämlich als mitunter unterhaltsame Geschichten zum kurzen Grinsen, Kopfschütteln oder auch Aufregen, deren Wahrheitsgehalt aber mit Vorsicht begegnet wird. Viele Studien zeigen, dass das Vertrauen der Gesellschaft in soziale Medien deutlich geringer ausgeprägt ist, als das Vertrauen in traditionelle journalistische Nachrichtenmedien wie Fernsehen, Radio, Zeitungen Externer Link: oder deren Internetangebote.

Kein Reiz-Reaktion-Mechanismus

Aber selbst wenn der ein oder andere irrtümlich mal eine dieser Meldungen glauben sollte, wäre es noch ein sehr weiter Weg hin dazu, dass sich auch die persönlichen Meinungen und Einstellungen ändern. Einstellungen sind aus psychologischer Sicht sehr stabile Gebilde, die sich nicht so einfach durch eine neue Information ins Gegenteil kehren lassen. Einen einfachen Mechanismus im Sinne von einer bestimmten Reaktion (Wahlverhalten), die durch einen bestimmten Reiz ("Fake News") hervorgerufen wird, gibt es in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht.

Ergänzend genutzte klassische Nachrichtenangebote dienen als Korrektiv

Ein weiterer Einwurf lautet, dass man sich in sozialen Medien in einer undurchlässigen "Filterblase" befindet. Dort bekäme man ganz im Sinn einer Echokammer stets nur die Nachrichten und Informationen mit, die mit der eigenen Meinung konform sind, wodurch ein sich selbst verstärkender Effekt entstehe. Dieses Argument wäre nicht von der Hand zu weisen, wenn denn die Annahme der undurchlässigen "Filterblase" stimmen würde.

In unserer Welt gibt es ganz natürlich zahlreiche dieser "Filterblasen". Das sind normale soziale Kontexte, in denen sich Menschen mehr oder weniger abgegrenzt bewegen und sich über bestimmte Themen auf eine bestimmte Art und Weise austauschen. Sei es innerhalb der Familie, des Freundeskreises, der Arbeitskollegen, des Stadtviertels etc. Aber insbesondere im Zusammenhang mit sozialen Medien und nachrichtlichen Informationen über das Geschehen in der Welt gibt es derzeit keinen Anlass, die Bildung einer solchen "Filterblase" zu befürchten.

Auch wenn viele Menschen soziale Medien nutzen, bezeichnen nicht einmal sechs Prozent der erwachsenen Onliner in Deutschland diese als ihre wichtigste Nachrichtenquelle - füExterner Link: r lediglich 1,5 Prozent sind sie die einzige Ressource für Nachrichten. Der mit Abstand größte Teil der deutschen Bevölkerung kommt regelmäßig über eine Vielzahl von Quellen außerhalb der sozialen Medien mit Nachrichten in Kontakt. Die größte Reichweite haben dabei noch immer Nachrichten im Fernsehen und im Radio.

Selbst online haben die Angebote traditioneller Medienmarken aus dem Rundfunk und der Presse die mit Abstand meisten Nutzer. Bei aller Kritik wird diesen Angeboten immer noch deutlich mehr Vertrauen geschenkt als sozialen Medien. Die gesellschaftliche Funktion, zu informieren, zur Meinungsbildung beizutragen und Missstände aufzuspüren, wird in Deutschland zu großen Anteilen durch die klassischen Anbieter mit ihrer journalistischen Berichterstattung übernommen. Das macht sie zu Interner Link: einem wichtigen Korrektiv.

Teile der Gesellschaft glauben was sie glauben wollen, mit oder ohne Fake News

Einige Menschen werden in sozialen Medien mit Fake News konfrontiert, aber glauben wird die erzählten Geschichten kaum jemand und schon gar nicht sein Wahlverhalten aus diesem Grund ändern. Von daher sollte diesen am Stammtisch gestreuten Gerüchten nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden. Sicherlich gibt es eine kleine Teilgruppe der Gesellschaft, die für Fake News empfänglich ist. Aber das ist sie nur, weil sie den vermeintlichen Nachrichten glauben will.

Deshalb würde auch ein wie auch immer geartetes "Verbot" an der Tatsache, dass es Menschen mit einem bestimmten Weltbild gibt, nichts ändern. Was nicht heißen soll, dass eine Gesellschaft nicht dennoch versuchen sollte, etwas gegen die Verbreitung von Fake News zu unternehmen. Wahlen werden sie aber nicht entscheiden. Schlechte Wahlergebnisse sind nach wie vor auf die Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen oder persönlichem Fehlverhalten von Entscheidungsträgern zurückzuführen und nicht auf den Kontakt mit illustren Falschmeldungen auf Facebook oder Twitter.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Weitere Inhalte

Dossier

Medienpolitik

Die neuen technischen und inhaltlichen Entwicklungen der digitalen Medien sind eine Herausforderung für Medienmacher, Publikum und Politik. Journalisten müssen beispielsweise immer mehr…

Artikel

Meinungsbildung und Kontrolle der Medien

Bestimmte Personen oder Gruppen können einen so großen medialen Einfluss erlangen, dass dies dem Leitprinzip der Meinungsvielfalt zuwiderläuft. Wie sehen die Strategien der möglichen Einflussnahme…

Artikel

Medien und Gesellschaft im Wandel

Medienwandel und Medienkrise können zu Skandalisierung, Moralisierung und Personalisierung in der Berichterstattung führen. Trägt Mediennutzung zur Informiertheit aller bei oder profitieren die…

Dossier

Politik, Medien, Öffentlichkeit

Um zu einer gelingenden "deliberativen Demokratie" beizutragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Teilhabe am Diskurs um öffentliche Angelegenheiten zu ermöglichen, müssen Politik und Medien…

Sascha Hölig ist seit 2013 Senior Researcher am Hans-Bredow-Institut. Seine Forschungsinteressen liegen vor allem in den Bereichen Mediennutzung in neuen Medienumgebungen, empirische Forschungsmethoden und Wissenschaftskommunikation.