Das Tarifeinheitsgesetz und seine Folgen | Streik | bpb.de

Das Tarifeinheitsgesetz und seine Folgen

/ 4 Minuten zu lesen

Mit dem letzten Streik der Lokführergesellschaft GDL im Sommer versuchte die Gewerkschaft ihre Forderungen noch vor Inkrafttreten des neuen Tarifeinheitsgesetzes durchzusetzen. Das Gesetz schränkt die Verhandlungsmacht kleiner Gewerkschaften deutlich ein. Seit Juli 2015 ist es in Kraft.

Bahnhof, Zug, Hamburg
Vorerst plant die GDL keine weiteren Streiks. (Hamburg Hbf von Christian Heidel Externer Link: Christian Heidel) Lizenz: cc by-sa/2.0/de

Tarifeinheit – Was ist das?

Tarifeinheit heißt, dass in einem Betrieb immer nur der Tarifvertrag einer einzigen Gewerkschaft gilt. Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen einer Gewerkschaft – einer Arbeitnehmervereinigung – und einem einzelnen Arbeitgeber oder einem Arbeitgeberverband. In einem Tarifvertrag werden die Arbeitsbedingungen derjenigen Arbeitnehmer geregelt, die Mitglied der Gewerkschaft sind. Dahinter steht der Gedanke, dass die Arbeitnehmer gemeinsam besser ihre Interessen gegenüber dem Arbeitgeber vertreten können, als es der einzelne Arbeitnehmer zu tun vermag. Nun gibt es in Deutschland viele Gewerkschaften. Bekannt sind etwa die IG Metall oder ver.di. Diese beiden Gewerkschaften (und zahlreiche andere) sind im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisiert.

Neben diesen DGB-Gewerkschaften gibt es noch weitere Gewerkschaften wie beispielsweise die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) oder auch den Marburger Bund (die Gewerkschaft der Ärzte) oder die Vereinigung Cockpit (die Gewerkschaft der Piloten). Diese Gewerkschaften vertreten die Interessen ihrer Mitglieder außerhalb des DGB. Das kann zu Konflikten führen: Bei dem Lokführerstreik ging es faktisch auch darum, welche Bahn-Arbeitnehmer die GDL und welche die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG, eine DGB-Gewerkschaft) vertreten darf.

Warum also nicht jeder für sich?

Warum soll nicht jede Gewerkschaft einfach einen eigenen Tarifvertrag für ihre Mitglieder abschließen? Immerhin ist es ein durch unsere Verfassung verbürgtes Grundrecht jedes Einzelnen, sich in Gewerkschaften zu organisieren und über diese einen Tarifvertrag abzuschließen (Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz, die sogenannte Koalitionsfreiheit bzw. Tarifautonomie). Manche halten das für problematisch. Zum Beispiel das Bundesarbeitsgericht. Es entschied erstmals 1957, dass es einem Arbeitgeber nicht zuzumuten sei, in seinem Betrieb mehrere Tarifverträge beachten zu müssen, weil dann für verschiedene Arbeitnehmer verschiedene Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Gehalt etc.) gelten könnten. Deshalb gelte das Prinzip: Ein Betrieb – ein Tarifvertrag. Unter anderem die Spartengewerkschaften warfen dem Gericht vor, dadurch gegen die Verfassung zu verstoßen. Im Jahr 2010 änderten die Richter deswegen ihre Rechtsprechung und gaben den Grundsatz der Tarifeinheit wieder auf. Fortan konnten in einem Betrieb also wieder mehrere Tarifverträge nebeneinander gelten - die sogenannte Tarifpluralität.

  • Lesen Sie Interner Link: hier

    Florians Rödls Plädoyer für ein uneingeschränktes Streikrecht!

Rolle rückwärts

Dem will nun der Gesetzgeber ein Ende setzen. Das durch das Tarifeinheitsgesetz neu gefasste Tarifvertragsgesetz bestimmt, dass "Tarifkollisionen im Betrieb vermieden" werden sollen. Zwar soll ein Arbeitgeber in einem Betrieb an mehrere Tarifverträge gebunden sein können. Überschneiden sich deren Geltungsbereiche, soll aber nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, welche die meisten Mitglieder in dem Betrieb vorweisen kann. Die "Minderheitsgewerkschaft" kann nur vom Arbeitgeber verlangen, einen inhaltsgleichen Tarifvertrag für ihre Mitglieder abzuschließen.

Befürworter sehen darin eine Stärkung der Solidargemeinschaft im Betrieb: Einzelne Berufsgruppen sollen sich nicht besser stellen können, ohne dass die anderen Beschäftigten daran teilhaben. Kritiker rügen eine massive Einschränkung von Grundrechten: Wer zur Minderheit gehört, brauche nicht zu hoffen, dass seine Gewerkschaft noch einen attraktiven Tarifvertrag aushandele. Er müsse sich mit der Standardware begnügen, welche die Mehrheit ausgehandelt habe. Das wird auch für die kleinen Gewerkschaften (also GDL etc.) zum Problem: Warum sollte dort jemand Mitglied bleiben und Beiträge zahlen, wenn die Minderheit ohnehin keine Handlungsmacht hat?

Zudem steht – entgegen den Beteuerungen der Politik – zu erwarten, dass der Minderheit faktisch auch kein Streikrecht mehr zusteht, denn wer würde schon einen Streik führen, wenn er weiß, dass am Ende doch allenfalls das dabei herauskommt, was die Mehrheit vorher vereinbart hat? Kein Wunder, dass die kleinen Gewerkschaften deshalb gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde eingelegt haben. Es geht um ihre Existenz. Wie Karlsruhe entscheiden wird, ist offen: Das Bundesverfassungsgericht hat es im Oktober 2015 zwar abgelehnt, die Anwendung des neuen Rechts bis zu einer endgültigen Klärung der Rechtslage auszusetzen. Gestützt hat es dies aber allein auf verfahrensrechtliche Erwägungen, die über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nichts aussagen.

  • Lesen Sie Interner Link: hier

    weshalb Martin Franzen der Meinung ist, das Streikrecht sei nicht mehr zeitgemäß!

Mut zu mehr Wettbewerb! Und Beamten…

In unserem Fall gibt es elegantere Wege, der "Erpressung" durch einzelne Berufsgruppen Herr zu werden, als das Tarifeinheitsgesetz: Mehr Wettbewerb auf der Schiene etwa, was in England wunderbar funktioniert. Wird dort ein Zuganbieter bestreikt, nimmt man einfach den Zug eines anderen Betreibers. Sicherlich: Es gibt Aufgaben, bei denen Wettbewerb nicht funktioniert. Das gilt beispielsweise für die Flugsicherung. Wo es aber keinen Wettbewerb geben kann – und das ist häufig bei staatlichen Aufgaben der Fall – muss man fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, solche Aufgaben wieder Beamten zu übertragen, anstatt die Grundrechte der Arbeitnehmer zu beschneiden. Beamte dürfen (bislang) nämlich nicht streiken.

Weitere Inhalte

Weitere Inhalte

Inhalt

Streik: Was wissen Sie über den Streik ?

Wann wurde zum ersten Mal gestreikt? Was ist ein politischer Streik und was soll das Tarifeinheitsgesetz bewirken? Testen Sie Ihr Wissen zum Thema Streik in unserem Quiz.

Netzdebatte - Zukunft der Arbeit

Debatte bedingungsloses Grundeinkommen

Was wäre, wenn jede_r von uns jeden Monat vom Staat einen festen Betrag aufs Konto überwiesen bekäme - ohne etwas dafür tun zu müssen? Das ist, vereinfacht gesagt, die Idee eines Bedingungslosen…

Netzdebatte - Zukunft der Arbeit

Pro und Contra zur Robotersteuer

Machen uns Roboter in Zukunft überflüssig? Oder schaffen sie neue Freiräume? Gewiss ist, dass die Automatisierung unsere Arbeitswelt verändern wird. Wie Politik, Gesellschaft und Wirtschaft darauf…

Hintergrund aktuell

Streit um das Tarifeinheitsgesetz

Im Juli soll das "Gesetz zur Tarifeinheit" in Kraft treten. Ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wird voraussichtlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.

Hintergrund aktuell

FAQ: Was ist ein Streik?

In Deutschland wurde zuletzt oft gestreikt. Doch wie ist das Streikrecht gesetzlich geregelt? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Thema Arbeitskampf.

einfach POLITIK

Warum gibt es Streiks?

Manchmal gibt es Streiks. An diesen Tagen fahren zum Beispiel keine Busse und Bahnen. Oder Kindergärten bleiben geschlossen. Das ist im April 2018 passiert. Im Sommer 2018 gab es dann Streiks…