Besonders seit Anfang 2014, beginnend mit Russlands Annexion der Krim und der von vielen Bürger/-innen als unausgewogen kritisierten Ukraine-Berichterstattung, sehen sich die etablierten Medien in Deutschland einer tiefen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise ausgesetzt. Diese äußert sich in einer Flut kritischer Nutzerkommentare und Leserbriefe, Shitstorms in sozialen Medien und katastrophalen Umfragewerten. Laut einer Externer Link: Repräsentativbefragung vom Dezember 2014 für Zeit Online haben 47 Prozent der Deutschen "den Eindruck, dass die Medien in Deutschland einseitig berichten und von der Politik gelenkt würden". Bereits in zwei Befragungen durch die Kommunikationswissenschaftler um Externer Link: Wolfgang Donsbach und Externer Link: Martin Welker aus dem Jahr 2009 wurde Journalist/-innen von vielen Bürger/-innen starke Beeinflussung und Instrumentalisierung vonseiten der Wirtschaft und der Politik unterstellt. Laut Umfragen von Externer Link: Transparency International nimmt die deutsche Bevölkerung die Medien als zunehmend korrupt wahr. Der Glaube an unabhängige Berichterstattung scheint vielen Mediennutzer/-innen abhandengekommen zu sein.
Versuchte Einflussnahme nimmt zu
Zu Recht? Leitende Zeitungsredakteur/-innen bestätigten in einer Externer Link: Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2014, dass versuchte Einflussnahme auf journalistische Arbeit an der Tagesordnung sei. 60 Prozent der Journalist/-innen gaben an, dass Unternehmen, Verbände oder Politiker/-innen bereits versucht haben, die Berichterstattung in ihrem Sinne zu lenken oder Recherchen zu behindern. Dass Einflussversuche von PR-Agenturen oder PR-Abteilungen zugenommen haben, sagten 86 Prozent, und 79 Prozent sind der Meinung, dass die Grenze zwischen PR und Journalismus immer mehr verschwimmt und PR-Material immer öfter ungefiltert seinen Weg in die Medien findet.
Tatsächlich basiert ein großer Teil journalistischer Inhalte auf Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, Ministerien, Behörden, Parteien und anderen Institutionen. Eine aufschlussreiche Externer Link: Studie dazu stammt von Tobias Höhn, der die Meldungen von sechs Landesdiensten der Nachrichtenagentur dpa untersuchte und mit den zuvor dort eingegangenen Pressemitteilungen verglich. Er stellte fest, dass über die Hälfte der Berichterstattung aus Pressemitteilungen bestand, die nur wenig bearbeitet wurden. Weitere 30 Prozent gingen auf Pressekonferenzen und andere vorgegebene Termine zurück. Nur 2 Prozent der Texte waren vollkommen selbst recherchierte und angestoßene Initiativen abseits der Termin-Berichterstattung. Je mehr Stellen die Verlage in ihren Redaktionen kürzen und je mehr sich die Arbeit für die verbliebenen Angestellten verdichtet, umso größer wird in den Medien das Einfallstor für Botschaften aus PR und Lobbyismus, umso weniger können vorgegebene Informationen geprüft, Interessen hinterfragt und eigenständig Themen gesucht werden.
Mehr als nur PR
Für Lobbyist/-innen sind Journalist/-innen entscheidende Adressat/-innen, wenn sie die öffentliche Meinung im Sinne ihres Auftraggebers formen wollen. Die Mittel dazu gehen weit über das Versenden von Pressemitteilungen und das Veranstalten von Pressekonferenzen hinaus. Ziel ist das langfristige Setzen von Themen und um deren strategisches Framing. Dafür wird viel Geld ausgegeben: für Studien, Umfragen und Rankings, die von Medien gern aufgenommen werden, für Journalistenpreise, mit denen die mediale Behandlung der eigenen Themen angeregt werden soll (vom "Medienpreis Friseur" bis zum Preis des Direktversicherers Ergo Direkt zum Thema "Risiko des Lebens",Externer Link: Kritik hier); und für die Pflege persönlicher Kontakte zu einflussreichen Journalist/-innen.
Annehmlichkeiten verbunden mit exklusiven Informationen: Das scheint ein Erfolgsrezept für Lobbyarbeit mit Journalist/-innen zu sein. Bekannt wurden etwa 2012 die Luxusreisen, die ein Manager von Thyssen-Krupp mit ausgewählten Journalist/-innen zu Konzernstandorten in fernen Ländern unternahm. Mit einem Wirtschaftsredakteur der FAZ flog er auf Kosten des Essener Unternehmens im Firmenjet für fünf Tage nach China und wohnte dort im Fünf-Sterne-Hotel. Anschließend schrieb der Redakteur einen wohlwollenden Artikel über das damals krisengeschüttelte Unternehmen, ohne den Finanzier der Reise offenzulegen. Ähnliche Luxusreisen in andere Länder unternahm der Manager mit Reportern der Süddeutschen Zeitung, des Tagesspiegel, der Neuen Ruhr-Zeitung und der Rheinischen Post. Die Reisen verstießen sogar gegen die konzerneigenen Antikorruptionsrichtlinien. So musste der Manager seinen Hut nehmen, nachdem die Externer Link: Welt am Sonntag die Sache enthüllt hatte. Die beteiligten Medien sahen allerdings keinen Grund zur Reue oder äußerten sich gar nicht zum Sachverhalt, wie in einer Publikation des Externer Link: Netzwerks Recherche zu lesen ist.
Wenn die eigene Norm zum Problem wird
Oft spielt Lobbyist/-innen die professionelle journalistische Norm, ausgewogen zu berichten und auch "die andere Seite" zu hören, in die Hände. So heißt eine wichtige Lobbystrategie: Zweifel säen und Nebelkerzen werfen. Lobbygruppen heuern zuweilen Expert/-innen an und geben Studien in Auftrag, um wissenschaftlichen Konsens zu torpedieren. Dann gründen sie vermeintlich unabhängige Think Tanks, die diese Positionen lautstark in der Öffentlichkeit promoten. Mit dieser Strategie hat die US-Tabaklobby jahrzehntelang die erwiesene Krebsgefahr durch Rauchen eingenebelt und Öl-Konzerne Gewissheiten über den menschengemachten Klimawandel in Zweifel gezogen. Angesichts eines überwältigenden wissenschaftlichen Konsenses hätten Medien diesen Gegenmeinungen zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, kritisiert etwa die Harvard-Professorin Externer Link: Naomi Oreskes: "In renommierten Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post bekamen Klimaskeptiker Auswertungen zufolge ungefähr 40 Prozent der Zeilen. Angemessen wären drei Prozent gewesen." Inzwischen haben Wissenschaftsjournalist/-innen ihre tradierten Handwerksregeln für ausgewogene Berichterstattung revidiert, um nicht zum Transmissionsriemen für Lobbystrategien zu werden und ihre Rezipient/-innen zu desorientieren.
Zweifelhafte Nebentätigkeiten
Ärgerlich für Leser/-innen dürfte sicherlich sein, wenn sie ihre unabhängige und überparteiliche Zeitung dabei ertappen, wie sie zusammen mit Lobbyorganisationen Konferenzen organisiert und damit Geld verdient. Der Tagesspiegel geriet jüngst ins Zwielicht, als er seinen Kongress "Agenda 2015" den Anliegen von Interessengruppen widmete und für fünfstellige Beträge Podien an die Verbände Stahl, Chemie, Energie- und Wasserwirtschaft verkaufte. Auch andere Verlagshäuser wie die FAZ, das Handelsblatt, die Süddeutsche, die Zeit, die Welt und Cicero veranstalten seit einigen Jahren Tagungen zusammen mit Lobbyverbänden, etwa der Finanz-, Chemie- und Rüstungsindustrie. Offenbar suchen die Verlage angesichts gesunkener Vertriebs- und Anzeigenerlöse nach neuen Einnahmequellen – aber sie beschädigen damit das wichtigste Kapital ihrer Medien, die Glaubwürdigkeit als neutrale, unabhängige Makler der öffentlichen Diskussion.
Eine Debatte gab es im vergangenen Jahr auch darüber, wie groß die Nähe leitender Redakteure zu Organisationen sein sollte, die der Festigung der transatlantischen Beziehungen gewidmet sind. So ist der Zeit-Mitherausgeber Josef Joffe als Kuratoriumsmitglied der American Academy aktiv, der Bild-Chefredakteur Kai Diekmann ist Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke, der FAZ-Außenpolitikchef Klaus-Dieter Frankenberger Beirat der Atlantischen Initiative und der Süddeutsche-Außenpolitikchef Stefan Kornelius sitzt im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Inwieweit diese Beziehungen die Unabhängigkeit der Journalisten gefährden, ist schwer zu entscheiden, aber sie untergraben zumindest die Glaubwürdigkeit. Nachdem diese und weitere Verbindungen, die in Externer Link: einer Netzwerkanalyse des Autors aufgezeigt wurden und durch die ZDF-Satiresendung "Die Anstalt" einem breiten Publikum bekannt wurden, sprach sich auch der Vorsitzende des Externer Link: Deutschen Journalisten-Verbandes dafür aus, dass Journalisten keine aktive Rolle in Organisationen ausüben, über die sie berichten .
Also: Was tun?
Was bleibt also an Lösungsansätzen für Medien, die in einer Gesellschaft mit allgegenwärtigem Lobbyismus dem Vertrauensverlust ihrer Rezipienten entgegensteuern wollen? Informationen von Lobbyisten hinterfragen, Hintermänner und Interessen recherchieren und enthüllen. Aktiv Gegenmeinungen und widerstreitende Interessen suchen, wenn Lobbyisten ihre eigene Position als die natürliche und einzig denkbare präsentieren. Angebotene Annehmlichkeiten im Bewusstsein der eigenen Manipulierbarkeit höflich ablehnen. Und zu Lobbyorganisationen auf Abstand gehen.