Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner immer noch aktuellen Externer Link: Volkszählungsentscheidung vom 15.12.1983 nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus den Grundrechten der Verfassung abgeleitet, sondern einer Datenspeicherung auf Vorrat eine klare Absage erteilt. Darüber hinaus hat es auf die Gefahren einer immer stärkeren Überwachung hingewiesen:
"Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen [und] möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist."
Dieses Urteil ist nach wie vor aktuell. In einer ähnlichen Auslegung erklärte das Bundesverfassungsgericht die 2008 in Kraft getretene Gesetzgebung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig. Auch der Europäische Gerichtshof hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung als nicht vereinbar mit den Menschenrechten und somit für nichtig erklärt. Beide Gerichte haben sehr enge Grenzen für eine verfassungskonforme bzw. mit den Menschenrechten vereinbare Vorratsdatenspeicherung gezogen.
Werner Hülsmann setzt sich beim Arbeistkreis Vorratsdatenspeicherung seit Verabschiedung der ersten EU-Richtlinie im Jahr 2005 gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ein.
Eine Vorratsdatenspeicherung, die die Vorgaben des EuGH erfüllen würde, wäre keine umfassende Vorratsdatenspeicherung im engeren Sinne mehr, da sich die Speicherung der Daten nur auf einen bestimmten Personenkreis oder eine bestimmtes geographisches Gebiet erstrecken dürfte oder nur für einen im Voraus bestimmten Zeitraum erfolgen dürfte.
Keine nachweisbaren Vorteile
Von Anfang 2008 bis März 2010 gab es in Deutschland eine Vorratsspeicherung, bei der die Telekommunikationsanbieter und Internetprovider die Verkehrsdaten aller Kunden/-innen für sechs Monate speichern mussten. Ein Blick Externer Link: auf die Statistiken des Bundeskriminalamts zeigt, dass sich die Aufklärungsquoten in Deutschland in der Zeit vor, während und nach der Umsetzung nur minimal verändert haben. Es gibt bis heute keine Studie, die eine Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung über wenige Einzelfälle hinaus bestätigen würde. Die Anschläge in Paris haben zudem gezeigt, dass auch die in Frankreich bestehende intensive 12-monatige Speicherung aller Daten; also wer wann mit wem telefoniert hat, wer, wann wem eine SMS oder E-Mail gesandt hat, Anschläge nicht verhindern kann.
Mehr Personal, statt mehr Daten
Die Strafverfolgungsbehörden benötigen nicht mehr Daten, sondern mehr Personal und bessere technische Ausstattung. Bei konkreten Verdachtsmomenten bietet bereits die jetzige Rechtslage umfassende Zugriffsmöglichkeiten auf die Verkehrsdaten und sogar auf die Inhalte von Gesprächen, SMS und E-Mails. Wenn die immensen Externer Link: Kosten, die eine Vorratsdatenspeicherung Externer Link: verursacht, in Jugendarbeit, Prävention und bessere Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden gesteckt würden, könnten Verbrechen verhindert und die Aufklärungsquote erhöht werden.
Gefährdungen durch die Vorratsdatenspeicherung
Die Gefährdungen unserer Freiheit sind konkret: Eine Vorratsdatenspeicherung gefährdet die für eine Demokratie essentielle Pressefreiheit, da potentielle Informanten/-innen sich nicht mehr trauen, mit Journalisten/-innen telefonisch oder per E-Mail in Kontakt zu treten. Die Vorratsdatenspeicherung verletzt auch die Berufsgeheimnisse von Ärzten/-innen, Rechtsanwälten/-innen und anderen Berufsgruppen. Allein die Tatsache, dass ich bei einem Arzt Patient bin, fällt unter die ärztliche Schweigepflicht. Durch die Vorratsdatenspeicherung lässt sich leicht herausfinden, bei welchen Ärzten oder Anwälten ich bin. Bei der Telefonseelsorge z.B. ging die Zahl der Anrufe laut Aussage eines Sprechers der Telefonseelsorge nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung bundesweit Externer Link: deutlich zurück. Eine weitere Statistik weist außerdem darauf hin, dass häufig versucht wurde auf Vorratsdaten zuzugreifen, obwohl die Straftaten in Frage dies nicht erforderten, bzw. die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllten. Bereits 2009 schrieb Externer Link: netzpolitik.org: "Hier wurden offensichtlich in beinahe 200 Fällen Versuche unternommen, fälschlicherweise auf Vorratsdaten zurückzugreifen".
Wir können unsere Freiheit nicht dadurch verteidigen, dass wir sie aufgeben!