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Interview mit Frederik Wegener über Adhocracy, offene Strukturen und erfolgreiche Teilhabe | Politische Teilhabe im Netz | bpb.de

Interview mit Frederik Wegener über Adhocracy, offene Strukturen und erfolgreiche Teilhabe

Merlin Münch

/ 5 Minuten zu lesen

Der repräsentativen Demokratie fehlen die Möglichkeiten zur direkten Teilhabe. Hier können Plattformen wie Adhocracy Abhilfe schaffen. Wie die Software funktioniert, was bei der Entwicklung wichtig war und was erfolgreiche Teilhabe ausmacht, erklärt Frederik Wegener, Gründungsmitglied des Liquid Democracy e.V., im Interview mit Merlin Münch.

Viele Bürger fordern mehr direktdemokratische Strukturen (CC, MehrDemokratie e.V.) Lizenz: cc by-sa/2.0/de

Herr Wegener, kurz und bündig: was bedeutet für Sie Teilhabe?

Teilhabe bedeutet für mich, bei Themen mitbestimmen zu können, die mich betreffen oder zu denen ich durch meine Expertise etwas beizutragen habe.

Warum reicht es nicht, alle vier Jahre zur Wahl zu gehen? Was fehlt der repräsentativen Demokratie?

Der repräsentativen Demokratie fehlen Möglichkeiten der direkten Teilhabe. Dabei ist es durch die neuen technischen Entwicklungen heute viel einfacher und günstiger geworden, Menschen in Entscheidungen einzubeziehen. Bei vielen wächst dadurch auch der Wille sich zu beteiligen. Es erscheint nicht mehr zeitgemäß, Menschen aus politischen Entscheidungsprozessen künstlich auszuschließen. Dazu kommt, dass die Fragestellungen der heutigen Zeit zunehmend komplexer werden und nach komplexeren, vielschichtigen Antworten verlangen. Für manche spricht das gegen mehr Teilhabe der breiten Bevölkerung. Wir sind hingegen davon überzeugt, dass dies besser möglich ist, wenn mehr Standpunkte verschiedener Menschen einbezogen werden.

Was sollen Plattformen wie Adhocracy konkret daran ändern?

Adhocracy ermöglicht Organisationen und Institutionen die Teilhabe an Entscheidungsprozessen einfach und günstig zu erweitern und zu öffnen. Grundlegend braucht es dazu den politischen Willen. Adhocracy ist dabei ein Werkzeug. Was sich am Ende konkret ändern kann, hängt stark davon ab, was die jeweilige Organisation oder Institution tatsächlich verändern und erreichen möchte. Ein Beteiligungsprozess über Adhocracy sollte daher immer so angelegt sein, dass am Ende auch ein für die Beteiligten ernstzunehmendes Ergebnis herauskommt. Das heißt, dass eine Beteiligung über Adhocracy ins Leere läuft, wenn nicht sichergestellt wird, dass eine gewisse Verbindlichkeit damit einhergeht.

Wie genau funktioniert das "Werkzeug" Adhocracy? Was war Ihnen bei der Entwicklung wichtig?

Adhocracy ist als kooperative Diskurs-, Delegations- und Abstimmungssoftware konzipiert. Mit Adhocracy ist es möglich Vorschläge zu machen, kollaborativ Texte zu erarbeiten, Änderungsvorschläge einzubringen, zu kommentieren und Beschlüsse zu fassen. Es ist modular aufgebaut und somit an verschiedene Entscheidungsprozesse – wie zum Beispiel Bauleitplanung, Programmdebatten in Parteien, Konsultationen usw. – individuell anpassbar. Die Entwicklung von Adhocracy ist ein andauernder Prozess. Dabei ist uns wichtig, dass Adhocracy für alle gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse verwendet werden kann und somit einen Teil dazu beiträgt, unsere Gesellschaft in vielen Bereichen demokratischer zu gestalten. Aus technischer Sicht ist uns wichtig, dass die Software einen offenen Quellcode hat und unter einer freien Lizenz steht. Der offene Quellcode trägt dazu bei, dass die Software den hohen Standards an Datenschutz, Manipulations-und Fälschungssicherheit gerecht wird. Nur dadurch lässt sich das Vertrauen der Nutzer_innen gewinnen. Eine freie Lizenz ermöglicht es außerdem allen Interessierten die Software nach ihren Wünschen weiterentwickeln zu können.

In der Wirtschaft funktioniert die Teilhabe oft bereits sehr gut; Kund_innen werden aktiv an Gestaltungsprozessen beteiligt und ihr Feedback in Entscheidungsfindungen berücksichtigt. Projekte wie die Adhocracy Plattform der Enquete-Kommission hinken da in Sachen Teilnehmerzahlen noch arg hinterher. Woran liegt das? Sind wir nicht politisch genug?

Im Verhältnis dazu, wie gering die Öffentlichkeit zu sehr speziellen netzpolitischen Fragestellungen wie in der Enquetekommission noch immer ist und in Betracht dessen, dass es für die Beteiligungsplattform keinerlei Öffentlichkeitsarbeit seitens des Bundestags gab, war die aktive Beteiligung von knapp 4.000 Bürger_innen aus unserer Sicht verhältnismäßig hoch. Vor allem aber war die Qualität der Beteiligung auf sehr hohem Niveau, was auch der Abschlussbericht der Enquete Kommission für Internet und Digitale Gesellschaft zeigt. Beiträge aus der Beteiligungsplattform wurden zum Teil im Wortlaut übernommen, sehr viele zumindest inhaltlich. Das Ergebnis der Online-Beteiligung kann sich also durchaus sehen lassen. Wir dürfen bei der Diskussion um mehr Beteiligung nicht vergessen, dass das auch Arbeit bedeutet. Es bringt nichts mehr Mitsprache einzufordern, dann aber selbst passiv zu bleiben. Demokratie erledigt sich nicht von selbst.

Welche konkreten Probleme gab es Ihres Erachtens nach mit der Nutzung des Beteiligungsportals der Enquete? Welche Schlüsse sollte man daraus für zukünftige Projekte ziehen?

Ein großes Problem stellte für uns dar, dass die Plattform nur halb gewollt war und deshalb auch keinerlei Werbung dafür gemacht wurde. Der Liquid Democracy e.V. hat aus eigenen Mitteln mit ehrenamtlichen Ressourcen diese Plattform auf die Beine gestellt. Normalerweise verhält sich das ja so, dass der Auftraggeber einer solchen Plattform auch möchte, dass sich dort möglichst viele Menschen beteiligen können. Im Fall der Enquete war der politische Wille für eine echte Bürgerbeteiligung von bestimmten Seiten nicht gegeben. So etwas sollte natürlich bei zukünftigen Projekten im Vorfeld aus dem Weg geräumt werden.

Der Plattform Adhocracy unterliegt das Ideal der Liquid Democracy. Eine häufig geäußerte Kritik am flüssigen Betriebssystem ist die Entwicklung hin zu einer Stimmungsdemokratie, in der die Ergebnisse nicht unbedingt besser sind und kaum jemand für die letztendlichen, politischen Entscheidungen verantwortlich gemacht werden kann. Wie entgegnen Sie diesem Vorwurf?

Adhocracy ist eine Liquid Democracy Software und verbindet Elemente der direkten Demokratie mit Elementen der repräsentativen Demokratie. Es ist nicht garantiert, dass die mit diesem System getroffenen Entscheidungen im Hinblick auf die Qualität unbedingt besser sind. Die Frage nach der Güte einer Entscheidung lässt sich ohnehin nicht objektiv beurteilen. Was aber durch Adhocracy und mehr Beteiligung erreicht werden kann, ist die Legitimität von Entscheidungen auf ein bisher nicht erreichtes Niveau zu bringen. Wir möchten das bestehende parlamentarische System nicht ersetzen, sondern es an die Möglichkeiten unserer heutigen Zeit anpassen. Dadurch ändert sich an den Verantwortlichkeiten und Stimmungen erst mal nicht viel. Entscheidungen von Verantwortlichen können jedoch eine breitere Akzeptanz in der Bevölkerung finden, wenn diese an der Entscheidungsfindung beteiligt wird.

Ist im Hinblick auf den aktuellen Überwachungsskandal nicht ein ganz wesentlicher Teil des Vertrauens der Bürger_innen, vor allem in die Privatheit des Internets, verloren gegangen der nötig ist, um Plattformen wie Adhocracy auch in Zukunft erfolgreich zu machen?

Der aktuelle Überwachungsskandal ist eine große Gefahr für die Demokratie an sich, da das Überwachen der Kommunikation bspw. von politischen Entscheidungsträger_innen diese leicht erpressbar macht und die Entscheidungsfreiheit somit nicht mehr garantiert werden kann. Ob Onlinebeteiligung oder andere Kommunikationskanäle - die Bürger_innen äußern sich online zu politischen Inhalten und beziehen Stellung. Die Pflicht eines demokratischen Staates sollte es sein, das politischen Engagement seiner Bürger_innen vor einer nachrichtendienstlichen Überwachung zu schützen.

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