Zahnloser Tiger? Das Parlamentarische Kontrollgremium
Die Nachrichtendienste des Bundes – das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) – werden hierzulande vom Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Deutschen Bundestages kontrolliert. Seine Mitglieder wählt das Parlament zu Beginn der Wahlperiode aus seinen eigenen Reihen. Derzeit gehören dem PKG elf Bundestagsabgeordnete an.
Verfassungsrechtlich ist das Gremium in Artikel 45d des Grundgesetzes verankert, seine konkreten Befugnisse finden sich im "Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes“ (Kontrollgremiumgesetz, PKGrG).
Seine weitgehenden Kontrollbefugnisse kann das PKG zum einen jedoch nur dann wahrnehmen, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder dem zuvor auch zustimmt. Da aber die Regierungsvertreter in der Regel die Mehrheit in der PKG stellen, können sie unangenehme Nachfragen der Opposition jederzeit unterbinden. Zum anderen erfolgt all dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Denn die PKG-Mitglieder sind zu strikter Verschwiegenheit verpflichtet, auch gegenüber anderen Abgeordneten. Nur in Ausnahmefällen können sie mit Zweidrittelmehrheit Sachverständige mit Untersuchungen beauftragen oder kurzzeitig die Schweigepflicht aufheben, beispielsweise um gezielt Informationen zu veröffentlichen.
Neben dem PKG gibt es noch die sogenannte G10-Kommission. Sie besteht aus vier vom Bundestag ernannten Mitgliedern, von denen derzeit nur eines dem Parlament angehört.
Damit erfolgt die legislative Kontrolle der bundesdeutschen Geheimdienste weitgehend im Verborgenen. Gerade einmal 12 der insgesamt 620 Bundestagsabgeordneten erhalten detailliertere Informationen über die Tätigkeiten der Dienste – über die sie dann Stillschweigen bewahren müssen.
Das PKG scheint ein zahnloser Tiger zu sein, denn am Ende müssen sich die Kontrolleure vor allem auf die Angaben der Regierungsvertreter und der Dienste verlassen, deren Wahrheitsgehalt sie nur eingeschränkt überprüfen können. Aus diesem Grund erfuhren sie in der Vergangenheit regelmäßig erst aus den Medien über Rechtsbrüche oder Versäumnisse der Geheimdienste
Großbritannien: Überwachung per Blankoscheck
Aber wie sieht es in anderen Ländern aus – insbesondere in jenen, die in den jüngsten Geheimdienstskandal verwickelt sind?
Einer der mächtigsten Nachrichtendienste in Großbritannien ist das Government Communications Headquarters (GCHQ). Er soll die britische Kommunikations- und Computerinfrastruktur schützen. Seine Aufgabenfelder liegen im Abhören und der Entschlüsselung von Kommunikationsdaten.
Kontrolliert wird der Dienst vom Intelligence and Security Comittee (ISC). Seine neun Mitglieder werden vom britischen Premierminister nominiert und vom Parlament für die Dauer einer Wahlperiode gewählt; sie entstammen beiden Parlamentskammern, dem House of Commons wie auch dem House of Lords
Die Befugnisse des ISC gleichen denen des PKG: Ihm obliegt die Prüfung des Haushalts, der Verwaltung sowie der Überwachungsmaßnahmen des GCHQ. Dabei kann das ISC Zugang zu geheimen Informationen verlangen und Mitglieder des britischen Kabinetts sowie leitende Angehörige der Geheimdienste befragen. Einmal im Jahr veröffentlicht das Komitee zudem einen Bericht über seine Tätigkeiten, ansonsten tagt es ebenfalls geheim.
Ob diese Kontrollrechte ausreichen, um das mächtige GCHQ im Bann zu halten, darf allerdings bezweifelt werden. Dessen Befugnisse legen vor allem der Intelligence Services Act aus dem Jahr 1994 sowie der Regulation of Investigatory Powers Act (Ripa) aus dem Jahr 2000 fest. Beide Gesetze stammen aus einer Zeit, in der noch nicht abzusehen war, welch große Rolle die digitale Kommunikation über das Internet einmal spielen wird. Sie erteilen dem Dienst weitreichende Rechte, um massenhaft Kommunikationsdaten zu erfassen und auszuwerten.
So wurde erst vor wenigen Wochen bekannt, dass das GCHQ im Rahmen seines Spionageprogramms Tempora mehr als 200 internationale und interkontinentale Glasfaserkabel anzapft, darunter auch das TAT-14 im Atlantik, das einen großen Teil der deutschen Überseekommunikation weiterleitet
Für seine Spähaktionen benötigt das GCHQ nicht einmal eine richterliche Genehmigung. Stattdessen genügt die Generalvollmacht des britischen Außenministers, um umfangreiche Abhörmaßnahmen für die Dauer von sechs Monaten zu autorisieren.
USA: Kontrolle durch ein Schattengericht
Damit entscheiden auch in Großbritannien in erster Linie die Überwacher selbst, wie weit die Kontrolle reicht. Noch düsterer sieht es indes in den USA aus. Denn eine rechtsstaatliche Prüfung der Dienste findet hier nur zum Schein statt.
In enger Kooperation mit dem GCHQ hört der amerikanische Militärgeheimdienst National Security Agency (NSA) ebenfalls den Datenverkehr im Internet ab. Die NSA späht dabei insbesondere Kommunikationsdienste, Soziale Netzwerke sowie Cloud-Speicher aus. Mit einem Jahresbudget von zehn Mrd. US-Dollar und über 30.000 Mitarbeitern ist die NSA der mächtigste der insgesamt zehn US-Geheimdienste.
Die NSA wird vor allem durch zwei Einrichtungen kontrolliert. Zum einen sind die Intelligence Committees des House of Represantatives und des US-Senats für die Kontrolle der Finanzen sowie für die Nominierungen der Geheimdienstführung zuständig. Beide Komitees tagen geheim.
Zum anderen muss ein spezieller Gerichtshof sämtliche Überwachungsmaßnahmen gemäß des Foreign Intelligence Surveillance Act (Fisa) genehmigen. Innerhalb des amerikanischen Rechtssystems nimmt der Fisa-Gerichtshof (Fisc) jedoch eine Sonderstellung ein. Seine Sitzungen wie auch seine Beschlüsse unterliegen grundsätzlich strikter Geheimhaltung. Zudem verhandelt das Gericht ausschließlich Anträge der amerikanischen Regierung. In den Verfahren hört das Gericht dann ausschließlich Mitglieder der US-Administration sowie Angehörige der Nachrichtendienste an
In seiner 35 jährigen Geschichte hat der Fisc rund 99 Prozent der insgesamt rund 34 000 Überwachungsanträgen abgenickt. Faktisch ist er kaum mehr als ein Schattengericht, das nur den Anschein von rechtsstaatlicher Kontrolle erwecken soll.
Die Überwachung der Überwacher
Die Parlamente hierzulande, in Großbritannien sowie in den Vereinigten Staaten stehen den jeweiligen Geheimdiensten weitgehend machtlos gegenüber – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Regierungen effektive Prüfungen verhindern.
Die deutsche Politik könnte indes mit gutem Beispiel vorangehen und die hiesigen Dienste einer wirkungsvolleren demokratischen Kontrolle unterwerfen. Die Stärkung des Rechtsstaats könnte zum Exportschlager werden, wenn andere Länder es der Bundesrepublik gleichtun, und dem "Wirtschaftsstandort" Deutschland zugute kommen: Denn nicht nur die IT-Branche, sondern nahezu alle Unternehmen sind auf eine Infrastruktur angewiesen, die ihre Daten vor dem unbefugtem Zugriff und damit auch vor Wirtschaftsspionage schützt.
Als erstes müsste das Parlamentarische Kontrollgremium reformiert werden. Deren Mitglieder sollten fortan auch eigenständig die Arbeit der Geheimdienste unter die Lupe nehmen dürfen – ohne dass es dazu einer Mehrheitsentscheidung des Gremiums bedarf. Die Bundesregierung könnte zudem umgehend einen unabhängigen Sachverständigen bestimmen. Seine Hauptaufgabe würde darin bestehen, endlich Licht ins Dunkel des Geheimdienstskandals zu bringen. Dabei sollte er eng mit dem EU-Parlament zusammenarbeiten: Dieses hat bereits Anfang Juli den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres damit beauftragt, die Ausspähung von EU-Bürgern durch den NSA und das GCHQ sowie anderer Dienste zu untersuchen.
Langfristig ist entscheidend, dass an die Stelle des unkontrollierten digitalen Abhörkomplexes völkerrechtlich abgesicherte Strukturen für eine freie, ungehinderte Kommunikation treten. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, hat dahingehend bereits einen ersten Vorschlag gemacht: die Einführung eines Zusatzprotokolls zu Artikel 17 des UN-Paktes für bürgerliche und politische Rechte, der den Einzelnen vor willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffe in sein Privatleben schützt. Staaten, die sich nicht zu diesem bekennen, müssten dann nachweisen, wie sie trotzdem Datenschutz, Privatsphäre und Fernmeldegeheimnis garantieren.
Den Regierungen sollte klar sein, dass ein Staat, der seine eigenen Bürger (und die Bürger anderer Staaten) systematisch ausspioniert, nicht nur das Vertrauen in seine Nachrichtendienste, sondern am Ende auch in die Demokratie selbst untergräbt. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, hilft nur eines: die transparente, rechtsstaatliche Überwachung der Überwacher.
Autor: Daniel Leisegang
Daniel Leisegang ist Redakteur bei der politischen Monatszeitschrift “Blätter für deutsche und internationale Politik”. Er wurde 1978 in Unna/Westf. geboren und hat Politikwissenschaften, Germanistik und Philosophie in Frankfurt a.M., Münster und Galway (Irland) studiert.