Bereits das Zustandekommen und die frühe Existenz der Sowjetunion lösten gewaltige globale Druckwellen aus. Als erster sozialistischer Staat der Welt, Revolutionsträger sowie ideologischer Wegweiser machte der junge Sowjetstaat in den 1920er und 1930er Jahren von sich reden, als Exportmodell für Planung, Entwicklung und Kultur. Vor allem nach 1953, mit dem Sieg im Zweiten Weltkrieg im Rücken und nach Stalins Tod, war die Sowjetunion nicht nur zunehmend global vernetzt, sondern auch in vielen Teilen der Welt engagiert und muss als "Supermacht" im Kalten Krieg sowie als internationaler Player ersten Ranges gelten. Im Folgenden werden einige Schlaglichter auf die globalhistorische Dimension der Geschichte der Sowjetunion geworfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass an der Schnittstelle der beiden Teildisziplinen Osteuropäische Geschichte und Globalgeschichte erst seit etwa zehn Jahren intensiver geforscht wird. Bisher wurden zum Teil Forschungsperspektiven auf etablierte Themen wie den Kalten Krieg weiterentwickelt, zum Teil aber auch neue inhaltliche Akzente gesetzt, darunter die vielfältigen Verbindungen der Geschichte des östlichen Europas zum global wirksamen Prozess der Dekolonisation.
Die Revolution von 1917 – Furcht und Hoffnung in der Welt
Die Oktoberrevolution von 1917 wurde international umgehend und entgegengesetzt interpretiert: als Schreckgespenst wie als Fanal für die Weltrevolution. Für die Konservativen und Rechten in vielen Ländern war sie ein Horrorszenario und eine unmittelbare Bedrohung, ähnlich wie es die Französische Revolution in ihrer Zeit gewesen war. Die Abwehrhaltungen und -kämpfe, die sich aus der großen Furcht vor der kommunistischen Revolution, der "roten Gefahr" oder red scare, speisten, hatten früh sehr handfeste Auswirkungen und trugen etwa in den USA 1919 zu einer rassistischen Gewaltentladung bei oder in Deutschland zu einem hohen Maß an Brutalität beim Vorgehen von Freikorps gegen Anhänger*innen der Münchner Räterepublik.
Die negative Rezeption der Oktoberrevolution wurde vielfach durch den antisemitischen Topos der "jüdischen Verschwörung" beziehungsweise der "Judäo-Kommune" angereichert. Zurückgehend auf die Beteiligung von Revolutionären aus jüdischen Familien in Russland, die allerdings in aller Regel kaum Verbindung zur Religion hatten und gesamtrussisch geprägt waren, zeichneten Revolutionsgegner eine hässliche Fratze des hakennasigen Juden, der die Revolution angeleitet habe und nach der Weltherrschaft strebe. In der entsprechenden Bildpropaganda wurden jüdische und kommunistische Symbole oft miteinander kombiniert. Die "Judäo-Kommune" wurde in Polen zuvorderst durch den polnisch-sowjetischen Krieg von 1920 eine feste Größe im politisch-ideologischen Haushalt der Rechten und prägte das polnische Nationsverständnis über das 20. Jahrhundert hinweg.
Auf der anderen Seite löste die Oktoberrevolution riesige Hoffnungen auf Befreiung, mehr Selbstbestimmung und einen "Revolutionenbrand" aus, nicht nur in Europa. In vielen Ländern sahen Linke sich in der Hoffnung auf Revolution im eigenen Land und auf die "Weltrevolution" bestärkt. In Deutschland hielt sich diese Hoffnung über die gescheiterte Novemberrevolution von 1918 hinaus. Hier kam es noch 1923 zu dem erfolglosen Versuch, eine "deutsche Oktoberrevolution" zu vollbringen. Eine Kommission mit dem Journalisten und Politiker Karl Radek, der vor dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland aktiv gewesen war, wurde vom Moskauer Zentralkomitee nach Deutschland entsandt, um in der KPD auf die Revolution hinzuwirken, die dann an der mangelnden Militanz der deutschen Arbeiter*innen scheiterte.
Das Ziel der proletarischen Weltrevolution verfolgte auch die Kommunistische Internationale (Komintern), die von Lenin als Dritte Internationale gegründet wurde und zwischen 1919 und 1943 bestand. Als "Reisende der Weltrevolution" waren Kommunist*innen verschiedenster Nationalität und Herkunft unter großem persönlichen Risiko im Einsatz, um weltweite Fäden zu spinnen.
Nicht nur die sozialistisch-kommunistische Revolution, sondern auch die zentrale Planwirtschaft erwies sich als attraktives Exportmodell: Nach der Phase der sowjetischen "Neuen Ökonomischen Politik" in den 1920er Jahren, mit denen die Bolschewiki in der Selbstwahrnehmung vieler, vor allem junger Parteimitglieder die revolutionäre Linie verlassen mussten, führte Stalin 1928/29 den Ersten Fünfjahresplan ein. Die Fünfjahrespläne (und ein Siebenjahresplan) etablierten sich fortan durchgängig als periodisierende Planungspraxis, und Planung wurde in der Sowjetunion ein "rationality ritual",
Der Kalte Krieg – Space race und Konfettiparaden
Nach dem unter unvorstellbaren Verlusten erkämpften Sieg im Zweiten Weltkrieg avancierte die Sowjetunion zur Supermacht und zur großen Gegenspielerin der USA. Der Ost-West-Gegensatz ist lange und mit viel Berechtigung vor allem als Geschichte von ideologisch-politischer und militärischer Gegner- und Feindschaft zwischen den USA und der Sowjetunion erzählt worden. Im Unterschied dazu haben neuere Forschungen die vielfältigen Kontakte zwischen Ost und West, die gegenseitige Beobachtung und das Aufeinander-Reagieren in den Vordergrund gestellt. Der Kalte Krieg brachte nicht nur das Wettrüsten und die durchaus heißen "Stellvertreterkriege" mit sich, sondern auch Begegnungen, Kooperationen und gegenseitige Beeinflussung verschiedenster Akteursgruppen, darunter Ingenieur*innen, Künstler*innen oder Wissenschaftler*innen.
Besonders deutlich wird die Verflochtenheit der Geschichten von Ost und West am Beispiel des space race, des Wettlaufs um die Vorherrschaft im Kosmos, das historiografisch bereits recht gut untersucht ist. Die großen sowjetischen Erfolge waren der Launch des ersten Sputnik 1957 und mit Juri Gagarin der erste bemannte Weltraumflug im April 1961. Sie stellten eine riesige Herausforderung für die USA dar, und nachdem oft wohl etwas einseitig vom "Sputnik-Schock" gesprochen worden ist, scheint es heute angeraten, eher die Mobilisierung zu betonen, die in den USA als Reaktion auf die sowjetischen Erfolge einsetzte. Diese technologische Mobilmachung führte zur Mondlandung der Amerikaner 1969. In den frühen 1960er Jahren aber war die Sowjetunion klar im Vorteil, und ihre technologischen, symbolträchtigen Großtaten führten in einen rasch entstehenden und umfassenden Kosmoskult nicht nur in der Sowjetunion, sondern im gesamten Ostblock und darüber hinaus.
Die sowjetischen Kosmonauten- und die US-amerikanischen Astronautenkulte waren unmittelbar aufeinander bezogen. So ahmte etwa die sowjetische Seite mit der Zusammenstellung einer Gruppe von Kosmonauten, die medial präsentiert wurde, die Inszenierung der amerikanischen space boys nach. Hier wie dort entschied man sich bei der Auswahl für Piloten, auch wenn die sowjetischen unerfahrener und jünger waren.
Die in New York entstandene Feierform war bereits in den 1930er Jahren in die Sowjetunion importiert worden, als die Rückkehrer der berühmten Tscheljuskin-Expedition in die Beringstraße damit geehrt wurden. 1961 in Moskau verwendete man nicht nur, wie bereits in den 1930er Jahren, anstelle des in New York üblichen zerrissenen Zeitungspapiers Flugblätter mit Willkommensgrüßen, man ließ auch Tauben aufsteigen, sodass sich der Feierraum in den Himmel hinein erweiterte. Das Geschehen wurde live im Fernsehen übertragen, womit eine erfolgreiche Praxis des US-Fernsehens nachgeahmt wurde. Die sowjetischen Medienmacher*innen toppten dabei aber die üblichen amerikanischen Kamerabilder aus Hochhäusern durch Aufnahmen aus Hubschraubern. Zudem war das Besondere des Medienereignisses die transnationale und systemübergreifende Vernetzung, die den US-Amerikaner*innen in dieser Zeit noch nicht gelang, da Eurovision und Intervision erstmals bei einer Liveübertragung kooperierten. Es ging also bei den "wechselseitig konkurrierenden Imitationen", die an diesem Beispiel sehr deutlich werden, nicht nur um die Vorherrschaft im Kosmos, sondern auch um die "Vorherrschaft im Kommunikationsbereich durch Funk, Satelliten und Kupferdraht".
Gagarin wurde von Moskau als Friedensbotschafter entsandt und entfaltete eine enorme Reisetätigkeit. Er besuchte über 30 Länder, darunter auch eine Reihe von nicht-sozialistischen wie Großbritannien (hier kam es zu einem Treffen mit der Queen), Japan und Indien.
Ost-Süd-Verbindungen – Antiimperialismus und Afghanistan
Neben der erweiterten Perspektive auf die Ost-West-Beziehungen spürt man neuerdings vermehrt den vielfältigen, oft asymmetrischen Beziehungen zwischen dem östlichen Europa und dem Globalen Süden nach. Zu Recht ist der Appell laut geworden, die Geschichte des Ostblocks und der sich dekolonisierenden Staaten nicht, wie bisher meist, als eine von parallelen Strängen zu erzählen, sondern als eine mit verschlungenen Knotenpunkten.
Nach Stalins Tod kam es zu einer Öffnung und einer deutlich aktiveren sowjetischen Auslandstätigkeit in vielen Bereichen und in viele Richtungen einschließlich der "Länder Asiens und Afrikas", wie sie in sowjetischer Rhetorik oft hießen. Chruschtschow gab die eurozentrische Haltung Stalins auf und betrieb eine rege Reisediplomatie. Angesichts der Dekolonisation und des antiimperialen Kampfes etwa in Südostasien waren die sowjetischen Kommunisten sehr zuversichtlich, dass es zu einem weltweiten revolutionären Prozess kommen und dass die aus der Kolonialherrschaft befreiten Länder sich auf sozialistische Entwicklungswege begeben würden. Im gesamten Ostblock glaubte man an die Möglichkeit, in diesem großen Umwälzungsprozess die Führung übernehmen zu können.
Die Sowjetunion war mit dem Globalen Süden vielfältig über Handelsbeziehungen und Entwicklungshilfe verbunden. Oscar Sanchez-Sibony betont, dass die Sowjetunion als neuer Akteur auf diesem Feld vielfach auf bereits existierende, durch die ehemaligen europäischen Kolonialmächte und westliche Staaten geprägte Wirtschafts- und Abhängigkeitsstrukturen traf, die ihren Einfluss beschnitten. Die holzschnittartigen und teils vorurteilsbeladenen Annahmen früherer Literatur über die Haltung der Staaten beziehungsweise Eliten im Globalen Süden, etwa hinsichtlich eines bloßen Kopieren-Wollens westlicher oder sowjetischer Modelle, sind durch neuere Forschung mit postkolonialem Hintergrund infrage gestellt worden; das Bild, das wir erhalten, wird zusehends komplexer.
Die Sowjetunion lockte mit günstigen Öllieferangeboten und betrieb mit zahlreichen Staaten den direkten Austausch von Rohstoffen, etwa mit Kuba gegen Zucker.
Während der Begriff "Dekolonisation" im Ostblock gemeinhin als westlicher Begriff aufgefasst und diskreditiert wurde und man hier eher vom gemeinsamen antiimperialistischen Kampf mit den Ländern des Globalen Südens sprach,
Es spricht vieles dafür, dass die Bewohner*innen Zentralasiens diese Sichtweise auf die Vorzeigeregion verinnerlichten und ein gewisses sowjetisches Überlegenheitsgefühl teilten. Gleichzeitig aber gab es in Expertenkreisen lebhafte Debatten darum, wie die fortwährende wirtschaftliche Abhängigkeit von Rohstofflieferungen ins Zentrum – ein klares Merkmal kolonialer Verhältnisse – zu überwinden sei. Der Fakt, dass die grundlegenden wirtschaftlichen Entscheidungen im Zentrum getroffen wurden, sowie die zentrale Planung an sich wurden in diesen Debatten zu Kritikpunkten. Zentralasiat*innen benutzten die Dekolonisierungs- und Entwicklungsrhetorik, um von Moskau Investitionen in ihre Republiken und eine weitergehende Industrialisierung zu fordern. Ökonom*innen und Sozialwissenschaftler*innen aus der Sowjetunion standen im Austausch mit Kolleg*innen aus anderen Ländern des Globalen Südens. Die internationalen Entwicklungsdiskussionen drehten sich beispielsweise um die Frage, ob Frauen in einer entwickelten Gesellschaft in der Industrie arbeiten mussten oder auch im Heimgewerbe tätig sein konnten.
Auch im Bereich der Kulturbeziehungen auf der Ost-Süd-Achse kam Zentralasien und insbesondere der Hauptstadt der usbekischen Sowjetrepublik, Taschkent, eine wichtige Rolle zu. 1958 wurde hier die Vereinigung der Afro-Asiatischen Schriftsteller gegründet, und seit 1968 fand (nach einem erstmaligen Versuch 1958) regelmäßig zweijährlich das Taschkenter Filmfestival statt, das den vielfach gerade erst aufkommenden nationalen Filmindustrien des Globalen Südens eine Startrampe bieten und der globalen Dominanz von Hollywood und Westeuropa etwas entgegenstellen sollte. Auch wenn dieser Anspruch Moskaus nicht vollkommen erfüllt wurde, war das Festival doch eine wichtige Drehscheibe, auf der sich sowjetische Kulturfunktionär*innen, Filmemacher*innen und das Taschkenter Publikum begegneten und in der einige nationale Kinos ihr internationales Debüt gaben. Das Festival 1968 beehrten unter anderen der Schauspieler Raj Kapoor, einer der populärsten Stars des Hindi-Films von Bollywood, sowie der senegalesische Schriftsteller und Regisseur Ousmane Sembène, der in Moskau Filmwissenschaften studiert hatte und heute als Wegbereiter des Kinos südlich der Sahara gilt.
Der Vergleich zwischen Literatur und Film ergibt zwar, dass der Film deutlich "freier" war, denn der Literaturaustausch war ideologisch aufgeladener und schon seit Längerem in staatlichen Bahnen organisiert.
Bei der Entwicklungszusammenarbeit zeigte sich längerfristig eine Deideologisierung. Aus Sicht der dekolonisierten Staaten war der Unterschied zwischen westlicher und östlicher Entwicklungshilfe vor dem Hintergrund von fortwirkendem Rassismus und Überlegenheitsgebaren zu vernachlässigen, und international wurde die Teilung der Welt in Nord und Süd immer deutlicher thematisiert. Hinzu kam das Debakel von "Sovietnam".
Das Auftreten des sowjetischen Staates aus der Ost-Süd-Achse betrachtet präsentiert sich demnach komplex und umfasst unter anderem die Rollen des "Großen Bruders", des Gastgebers und des Aggressors. Die skizzierten vielfältigen Beziehungen zum Globalen Süden wirkten in die Sowjetunion hinein, etwa durch die angesprochenen Dekolonisierungs- und Entwicklungsdebatten.
Das Ende der Sowjetunion – Kein Ende der Geschichte
Die Jahre 1989 bis 1991 mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Europa sind eine der großen Zäsuren des 20. Jahrhunderts, und der endgültige Kollaps der Sowjetunion im Dezember 1991 setzte dabei den Schlusspunkt. Nicht nur der Kalte Krieg war damit beendet, und der Westen sah sich als Gewinner. Auch eine ganze Weltordnung war plötzlich verschwunden. Die kommunistisch-sozialistische Staatlichkeit blieb zwar in der Welt noch präsent, aber war doch als attraktive Alternative zum kapitalistischen Westen weitgehend obsolet geworden. Jenseits der leidigen Erzählungen von einem "Ende der Geschichte" wirkte sich der Untergang der Sowjetunion auch weit über Europa hinaus unmittelbar aus. So hing die Abschaffung der Apartheid mit ihm zusammen: Seit 1963 hatte die Sowjetunion den ANC (African National Congress) militärisch und in Fragen der Menschenrechte unterstützt.
Innerhalb der zerfallenden Sowjetunion ging der Zusammenbruch bei Weitem nicht so friedlich vonstatten wie oft angenommen. So sind gewalttätige interethnische Konflikte unmittelbar in den Jahren 1989/90 in Zentralasien zu nennen oder die Toten in Riga beim Einsatz sowjetischer Spezialeinheiten im Januar 1991.
Die Diskussion um Periodisierungen kann neue Impulse verleihen. Während in den 1990er Jahren in West wie Ost das Ende der Systemkonkurrenz im Vordergrund der Wahrnehmung stand, dominieren inzwischen internationale Problemlagen, die auch unsere Sicht auf das 20. Jahrhundert und dessen Periodisierung beeinflussen. Dazu zählen der Islamismus und der islamistische Terrorismus, für dessen Geschichte der 1979 beginnende sowjetische-afghanische Krieg eine wichtige Etappe darstellt. Dazu zählt etwa auch die internationale Klimapolitik, deren erste große Konferenz ebenfalls 1979 in Genf mit aktiver sowjetischer Beteiligung stattfand.
Dies gilt ebenso für den jüngst thematisierten Aufstieg des Neoliberalismus mit seinem finanz- und wirtschaftspolitischen "Internationalismus" ganz eigener Art: Die Trias von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung fand ihre Anhänger unter Reformwilligen auch im östlichen Europa, und das bereits vor 1989. Der in jenem Jahr zum ersten Mal als solcher bezeichnete Washington Consensus diente in den 1990er Jahren als Anleitung für die Wirtschaftspolitik in verschiedenen postkommunistischen Staaten in der äußerst schwierigen Phase der "Transformation". Weitere Themen, die einer globalhistorischen Vertiefung harren, sind unter anderem Gesundheitspolitik und -propaganda sowie die Mitarbeit der Sowjetunion in internationalen Organisationen.