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Schule unter Pandemiebedingungen: "Lockdown" – "Hybridmodell" – "Normalbetrieb" | Schule | bpb.de

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Schule unter Pandemiebedingungen: "Lockdown" – "Hybridmodell" – "Normalbetrieb"

Kai Maaz Martina Diedrich

/ 14 Minuten zu lesen

Seit März 2020 hat die Schule in Deutschland in einer ungewöhnlichen Geschwindigkeit unterschiedlichste Transformationen durchlaufen, die unter "normalen" Umständen kaum denkbar gewesen wären. Ohne jegliche nennenswerte Vorbereitung mussten sich alle Akteure zunächst darauf einstellen, den "Schulbetrieb ohne Schulbetrieb" zu ermöglichen, sprich: die Schülerinnen und Schüler zu Hause zu unterrichten, um dann zwei Monate später auf unterschiedlichste Hybridmodelle umzuschalten. Keine drei Monate später wiederum begann der Schulalltag im scheinbaren Normalbetrieb – scheinbar, weil bei näherer Betrachtung auch nach Wiederaufnahme des Regelbetriebs zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen zu beachten sind.

Schule während des "Lockdowns"

Ab dem 13. März beschlossen nach und nach alle Bundesländer die allgemeine Schulschließung. Zunächst befristet auf zwei Wochen, wurde der Schulbetrieb faktisch für etwa zwei Monate ausgesetzt. Die Schulen waren darauf kaum bis gar nicht vorbereitet. Schule in Deutschland ist darauf angelegt, dass Schülerinnen und Schüler vor Ort in Klassenverbünden von durchschnittlich etwa 25 Kindern und Jugendlichen oder im Kurssystem auch in kleineren Gruppen unterrichtet werden. Es war kaum denkbar, dass von diesem konstitutiven Setting jemals abgewichen werden soll. Hintergrund der Schließung war die schnelle Ausbreitung des neuartigen Coronavirus, der durch ein radikales Herunterfahren des öffentlichen Lebens begegnet wurde. Zum damaligen Zeitpunkt schloss das auch die Schulen und Kitas ein. Damit gingen zahlreiche Herausforderungen für die Schulen einher. Insbesondere waren dies die Digitalisierung des Unterrichts und damit verbunden das Erreichen von Kindern aus sozial benachteiligten Familien sowie die Aufrechterhaltung der Förder- und Versorgungsstruktur (einschließlich Essensausgabe).

Dass Schule sich dem digitalen Wandel stellen und den Schülerinnen und Schülern das Lernen in der digitalen Welt ermöglichen muss, war spätestens seit der Strategie der Kultusministerkonferenz (KMK) "Bildung in der digitalen Welt" von 2016 nicht nur bekannt, sondern durfte normativ auch erwartet werden. Gleichwohl dokumentierte die International Computer and Information Literacy Study (ICILS) 2018 umfassend, dass deutsche Schulen im internationalen Vergleich noch keinen hinreichenden Anschluss an die Digitalisierung und die Vermittlung digitaler Kompetenzen gefunden hatten. Die Studie zeigte eindrücklich, dass deutsche Achtklässlerinnen und Achtklässler gemessen an der Vergleichsgruppe bestenfalls mittelmäßig abschnitten; ein Drittel lag auf den unteren beiden Kompetenzstufen und verfügte damit "lediglich über rudimentäre und basale computer- und informationsbezogene Kompetenzen". Damit einhergehend zeigte sich, dass deutsche Schulen im internationalen Vergleich über eine eher schlechte Ausstattung verfügen (bezogen auf Endgeräte, WLAN-Zugang und Lernmanagementsoftware) und zudem die Lehrkräfte nach wie vor seltener digitale Medien im Unterricht einsetzen als ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern. Gleichwohl hatte sich die Nutzungshäufigkeit im Unterricht gegenüber 2013 verbessert, und digitalen Medien für den und im Unterricht wurde ein höheres Potenzial zugeschrieben.

Insgesamt waren damit jedoch nicht die besten Voraussetzungen gegeben, um von einem auf den nächsten Tag den Unterricht ausschließlich digital gestützt stattfinden zu lassen. Obwohl bereits im Vorjahr, zum 17. Mai 2019, der "Digitalpakt" in Kraft getreten war, mit dem der Bund fünf Milliarden Euro für die digitale Ausstattung der Schulen bereitgestellt hatte, verfügte eine Mehrheit der Schulen weder über digitale Endgeräte für die Schülerinnen und Schüler noch über umfassend etablierte Lernmanagementsysteme, die eine Organisation des digitalen Unterrichts erleichtert hätten. Die Mittel des "Digitalpaktes" wurden schleppend abgerufen: Bis zum 30. Juni 2020 hatten die Länder erst 15,7 Millionen Euro angefordert. Mehr Schwung brachte die neuerliche Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern zu Corona-Soforthilfen, mit denen nicht nur Infrastruktur, sondern auch Inhalte gefördert werden konnten (zusätzliche 100 Millionen beziehungsweise 500 Millionen Euro).

Angesichts dieser kritischen Ausgangslage kann im Rückblick festgestellt werden, dass die Schulen mit Unterstützung der Ministerien und Landesinstitute während des "Lockdowns" Bemerkenswertes geleistet haben, wobei sich große Unterschiede zwischen einzelnen Standorten und auch innerhalb der Schulen zeigten. Innerhalb kürzester Zeit wurden Handreichungen und Leitfäden veröffentlicht, Material zur Verfügung gestellt und Fortbildungen aus dem Boden gestampft. Unterricht hat stattgefunden, wenn auch unter veränderten Vorzeichen und erschwerten Bedingungen.

Digital gestützter Unterricht baut allerdings entscheidend darauf, dass Schülerinnen und Schüler zu Hause über ausreichende Strukturen verfügen, um die Unterrichtsangebote sinnvoll nutzen zu können. Dies setzt sowohl entsprechende digitale Endgeräte als auch hinreichenden Netzzugang voraus. Insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien haben solche Voraussetzungen vielfach nicht. Bevor der Bund weitere Fördermittel zur Verfügung stellte, haben deshalb Schulen oft auf Spendenaktionen gesetzt und ihre Schülerinnen und Schüler kraft eigener Initiative digital versorgt. Dennoch wurde deutlich, dass die Ausstattung mit Hardware lediglich eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung war. Wie eine Hamburger Lehrerin äußerte: "Auf dem Handy daddeln können alle, der Umgang mit der Schul-App erwies sich als anspruchsvoller." Hier griffen viele Lehrkräfte zum Mittel des Hausbesuchs, um Unterstützung zu geben und zu gewährleisten, dass die Schülerinnen und Schüler den Anschluss nicht vollends verpassten.

Angesichts der Herausforderungen, den digitalen Unterricht zu bewerkstelligen, war es umso schwieriger, individuellen Förderungsbedürfnissen zu entsprechen. Dabei zeigte sich gerade im Distanzunterricht, dass die Unterstützungswünsche der Schülerinnen und Schüler höchst unterschiedlich ausgeprägt waren. Gerade an sozial privilegierten Standorten gab es zahlreiche Rückmeldungen, dass die Schülerinnen und Schüler das "Lernen im eigenen Takt" durchaus wertschätzen. So zitiert ein Hamburger Lehrer einen seiner Schüler: "Ich konnte endlich einmal in Ruhe lernen." Und schlussfolgert daraus: "Ein hohes Maß Selbstverantwortung bei der Bewältigung einer Herausforderung und genug Zeit und Raum dafür sind aber nur zwei Ingredienzien erfolgreicher Binnendifferenzierung nach oben". Zugleich betont er die hohe Bedeutung einer aktiv unterstützenden Lehrkraft.

Doch wie sah es mit der Förderung nach unten aus? Hier war relativ schnell klar, dass ohne intensive Stützungsangebote seitens der Schulen ein erfolgreiches Lernen oft nicht möglich war. Deshalb haben die Schulen den Austausch von analogen Lernmaterialien organisiert, haben Lehrkräfte und sonstige pädagogische Fachkräfte mit Familien telefoniert und sind, wenn sie auf anderem Wege nichts erreichen konnten, in die Familien gegangen. Wie sich jedoch zeigte, war auch diese Form der Unterstützung häufig nicht genug. So wurden nach einiger Zeit der Schließungen Hilferufe aus stark belasteten Standorten laut, dass die Kinder sich zunehmend meldeten, weil ihre Mittagsversorgung unterbrochen war und sie schlicht Hunger hatten. Auch hier bedurfte es erneut schlanker und pragmatischer Regelungen, um den Caterern eine Versorgung der Kinder auch unter Pandemie-Bedingungen zu ermöglichen. Bis dahin versuchten viele kreative und zupackende Initiativen, die entstandene Lücke zu schließen.

Schule im "Hybridmodus"

Mit der Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens Anfang Mai 2020 ermöglichten die Kultusministerien auch den Schulen Stück für Stück wieder die Öffnung, allerdings gingen sie dabei individuelle und von Land zu Land unterschiedliche Wege. Ein verbreitetes Modell war es, die Klassen als geteilte Lerngruppe an einzelnen Tagen in die Schulen kommen zu lassen, sodass viele Schülerinnen und Schüler in der Zeit zwischen Mai und den Sommerferien nur einen Tag pro Woche in der Schule verbrachten. Die restlichen Tage sollten wie zuvor digital gestützt im Distanzlernen stattfinden. Für die Unterrichtsorganisation konnten die Schulen zwischen verschiedenen Modellen wählen; beispielhaft sei hier auf Hamburg verwiesen (Abbildung 1).

Abbildung 1: Mögliche Organisationsformen des Hybridunterrichts in Hamburg (© bpb)

Besonderes Augenmerk lag nach der Wiedereröffnung der Schulen auf den Übergangsklassen, also zumeist den 4. Jahrgängen, in Berlin und Brandenburg den 6. Mit Blick auf ihren anstehenden Wechsel in die weiterführende Schule wurde diesen Schülerinnen und Schülern ermöglicht, täglich in die Schule zu gehen, um etwaige Lernrückstände aufzuholen und sich gut auf den Übergang vorzubereiten.

Schule im "Normalbetrieb"

Seit den Sommerferien findet in allen Bundesländern der Unterricht wieder regulär statt. Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen deutlich verändert: Außerhalb der Klassen, teilweise auch während des Unterrichts, gilt, zumindest für ältere Schülerinnen und Schüler, die Maskenpflicht. Mit dem Wiederanstieg der Virusausbreitung wurden die Regelungen bereits wieder verschärft, wobei erneut große Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. Fächer, die in der Regel mit engem Körperkontakt oder dem vermehrten Ausstoß von Aerosolen einhergehen (Sport, Musik, Tanz, Theater) werden unter veränderten Bedingungen oder gar nicht angeboten. Ein durchgängiges Konzept in den Ländern ist das sogenannte Kohortenprinzip, durch das die Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs als geschlossene Gruppe behandelt werden, die möglichst nicht mit anderen Kohorten in Kontakt treten soll. Jahrgangsübergreifende Ensembles oder Lernen in jahrgangsgemischten Gruppen entfallen auf diese Weise. Hinzu kommen Einschränkungen aufgrund des Ausfalls von Lehrkräften (sei es durch längerfristigen Ausfall aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder kurzfristig aufgrund der Betroffenheit von einer Infektion) und durch Quarantäne für Teile der Schülerschaft.

Es fällt auf, dass anders als im ersten "Lockdown" gegenwärtig eine hohe Bereitschaft der politisch Verantwortlichen zu erkennen ist, Kitas und Schulen offen zu halten und nicht erneut vollständig oder teilweise zu schließen. Es bleibt abzuwarten, ob dies angesichts anders lautender Empfehlungen, beispielsweise des Robert-Koch-Instituts, oder auch des Protests von Lehrergewerkschaften und zum Teil auch Elternvertretungen, durchgehalten werden kann.

Vorschule

Mit Blick auf die Anforderungen, denen sich Kinder zum Beginn der Schulzeit stellen müssen, rückt auch der vorschulische Bildungsbereich in den Blickwinkel schulischer Betrachtungen. Denn während Schulen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, sich ihrem Bildungsauftrag gestellt haben, konnte für den vorschulischen Bereich eine weitgehende Fokussierung auf die Betreuungsfunktion beobachtet werden. Kitas boten während des "Lockdowns" meist nur noch eine Notbetreuung für Kinder, deren Eltern in systemerhaltenden Berufen tätig sind. Alle anderen wurden zu Hause betreut. Koordinierte Bildungsangebote, beispielsweise für diejenigen Kinder, die zum neuen Schuljahr eingeschult wurden, gab es nur vereinzelt. Damit wurde außer Acht gelassen, dass Kindertageseinrichtungen auch einen expliziten Bildungsauftrag haben. Insbesondere mit Blick auf die frühe Sprachbildung kommt der frühen Bildung im institutionellen Kontext eine entscheidende Rolle zu, weil sie kompensieren muss, was vielfach zu Hause nicht erlernt werden kann. Darüber hinaus fördert sie die kognitive, motorische, psychosoziale und sensorische Entwicklung der Kinder. Wenn diese Angebote nicht zu Hause gemacht werden können, fehlt den Kindern diese Förderung. Welche Konsequenzen dies auf die Entwicklung der Kinder hat, ist momentan ebenso unklar wie der Effekt auf die Muster sozialer Ungleichheiten bereits vor Schuleintritt. Geht man davon aus, dass Effekte der sozialen Herkunft, wie sie in der Schule sichtbar werden, zu nicht unwesentlichen Anteilen bereits im Vorschulalter angelegt werden, ist mit einer Zunahme sozialer Herkunftseffekte in der Schule zu rechnen.

Deutschland im internationalen Feld

Die schnelle Schließung von Schulen und Kindertageseinrichtungen war kein Spezifikum des deutschen Bildungssystems. Die meisten Staaten in Europa sowie Staaten, die am internationalen Bildungsmonitoring der OECD teilnehmen, hatten im Frühjahr ihre Bildungseinrichtungen geschlossen. Analysen der OECD zufolge waren Ende März alle 46 Staaten von Schulschließungen betroffen. Allerdings gab es Unterschiede in der Umsetzung der Schulschließungen. In 41 Staaten kam es zu landesweiten Schließungen, während in Australien und Island, in der Russischen Föderation, in Schweden und den Vereinigten Staaten Schulschließungen auf subnationaler oder lokaler Ebene erfolgten. In Island blieben zudem die Grundschulen geöffnet, wenn weniger als 20 Schülerinnen und Schüler eine Klasse besuchten; in Schweden blieben alle Kindertageseinrichtungen und Grundschulen geöffnet. Dies hatte zur Folge, dass zumindest für den Grundschulbereich ein "normaler" Schulalltag ermöglicht wurde. Einzig für Schülerinnen und Schüler der Oberstufe sowie an den Universitäten wurde der Präsenzbetrieb unterbrochen und digitale Unterrichtsmodelle umgesetzt.

Die Regelungen in den Ländern wiesen zum Teil erhebliche Variationen in der Umsetzung und in der Länge der Schulschließungen auf, da in einigen Staaten sowohl die Schulbehörden auf lokaler Ebene als auch die einzelnen Schulen über die Organisation des Schuljahres und die Wiedereröffnung der Schulen entscheiden konnten. Insbesondere Staaten mit einer föderalen Struktur wie Deutschland, die Schweiz oder Österreich lassen hier regional variierende Lösungen im Umgang mit der Pandemie erwarten. In Deutschland gab und gibt es auch zwischen den Ländern unterschiedliche Regelungen. Dies betrifft sowohl den Wiedereinstieg in den Hybrid- und Präsenzbetrieb als auch die schulorganisatorische Rahmung des Schulbetriebs, einschließlich der umgesetzten Hygienekonzepte. Diese Variation macht es national wie international schwer, den Unterrichtsausfall verlässlich zu beziffern. Die Mehrheit der von der OECD betrachteten 46 Staaten, insgesamt 24, hatte die Schulen für einen Zeitraum von 12 bis 16 Wochen geschlossen. Kürzere Schließungen gab es in acht Staaten, davon zwei, in denen die Schulen weniger als sieben Wochen geschlossen blieben. In 13 Staaten blieben die Schulen länger geschlossen, teilweise bis zu 19 Wochen.

Welchen Einfluss die Schulschließungen auf die Lern- und Entwicklungsstände der Schülerinnen und Schüler haben, lässt sich heute noch nicht verlässlich abschätzen. Dies liegt zum einen daran, dass die Schulschließungen in einigen Staaten mit regulären Ferienzeiten zusammenlagen, aber auch einige Staaten die Organisation des Schuljahres veränderten, um den Unterrichtsausfall zu minimieren. In Teilen Australiens und in Chile wurden zum Beispiel die Winterferien vorverlegt. In anderen Staaten wie der Republik Korea wurden die Sommerferien verkürzt. Zum anderen gingen die Staaten auch darüber hinaus unterschiedliche Wege, mit den Schulschließungen umzugehen. Die Variation war hier nicht nur zwischen den Staaten größtmöglich, sondern auch innerhalb einzelner Staaten zeigten sich deutliche Unterschiede in der Art und Weise, wie den Schülerinnen und Schülern Lernangebote unterbreitet wurden. Schließlich lässt sich die Variation bis auf die Ebene der Einzelschule beobachten.

Um das Lernen zu Hause zu ermöglichen, wurden vielfältigste Anstrengungen unternommen. Hierzu zählen die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien (Lehrbücher, Arbeitsblätter und Ausdrucke) als Onlinepaket oder als reales Paket, das den Familien teilweise individuell nach Hause gebracht wurde, der Unterricht per Radio, das Bildungsfernsehen und, da wo es aufgrund der technologischen Entwicklung möglich war, auch der Unterricht als Online-Unterricht in Echtzeit. Die Varianz der eingesetzten Formen des Unterrichtens konnte größer nicht sein. Für Online-Unterricht in Echtzeit, wie er beispielsweise in Dänemark oder Griechenland ermöglicht wurde und auf Einzelschulebene auch in Deutschland, ist die nötige Infrastruktur ebenso eine zwingende Voraussetzung wie die Möglichkeiten der Lehrkräfte, einen Online-Unterricht auch anbieten zu können.

Betrachtet man ausgewählte Merkmale zur technischen Ausstattung von Schulen, Nutzung digitaler Medien durch Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler im Unterricht und Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern, offenbart sich für Deutschland auf allen betrachteten Dimensionen ein erheblicher Entwicklungsbedarf. Digitalität als Voraussetzung für innovative Online-Angebote war vor der Pandemie kein Strukturmerkmal des deutschen Schulsystems. Dies bezieht sich auf Merkmale der Ausstattung, der Anwendung im Unterricht und der Bereitschaft von Lehrkräften, digitale Technologien im Unterricht zu verwenden, ebenso wie auf die Kompetenzstände der Schülerinnen und Schüler. Zusammenfassend kann man hier konstatieren, dass Deutschland im internationalen Vergleich auf den Wechsel von Präsenzunterricht auf den Fernunterricht im Frühjahr 2020 nicht vorbereitet war.

Abbildung 2: Technische Ausstattung von Schulen, Nutzung digitaler Medien durch Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler im Unterricht und Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern 2018 in Deutschland im internationalen Vergleich, in Prozent (© bpb)

Was es braucht

Die Corona-Pandemie hat auf zentrale, aber im Wesentlichen bekannte Herausforderungen des Bildungssystems vielleicht in einer noch nie dagewesenen Deutlichkeit hingewiesen. Dazu gehört nicht nur die Nutzung digitaler Technologien in Lehr-/Lernprozessen und in der Organisation von Schule, sondern auch der kluge Umgang mit einer größeren Heterogenität in den schulischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler, der nachhaltige Abbau von Bildungsbarrieren sowie die Harmonisierung von Bildungsbiografien, insbesondere an den Schnittstellen individueller Bildungsverläufe, wenn Übergänge von einem Bildungsbereich in einen anderen anstehen. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen stellt sich die Frage, welche Konsequenzen aus den bislang dargestellten Erkenntnissen und Befunden zu ziehen sind, damit Unterrichten und Lernen nicht nur unter Pandemie-Bedingungen künftig gelingen können. Aus unserer Sicht sollten hier drei Schwerpunkte in den Blick genommen werden:

  1. Technische Ausstattung inklusive entsprechender Lernplattformen und Content: Es ist unübersehbar, dass Unterricht nicht nur unter Pandemiebedingungen den Aspekt des Digitalen zunehmend integrieren muss – nicht als Selbstzweck, sondern als selbstverständlicher Teil der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und als Hilfsmittel zur Unterstützung besseren Lernens. Dazu bedarf es einerseits einer umfassenden technischen Ausstattung: WLAN-Zugang in den Schulen, digitale Endgeräte, entsprechende Präsentationstools ("digitale Tafeln") und ein integriertes Lernmanagementsystem. Darüber hinaus ist aber auch deutlich geworden, dass diese Dinge nur dann fruchtbar werden können, wenn sie mit Leben gefüllt werden können, sprich: mit umfassenden Inhalten und Material, auf die Lehrkräfte zugreifen können und ihnen kreative Anregungen zur Gestaltung des Unterrichts vermitteln. Dazu bedarf es einerseits länderspezifischer Lösungen, um die jeweils besondere Situation in den Ländern angemessen abzubilden; zugleich sollte aber auch verstärkt auf länderübergreifende Initiativen gesetzt werden. Die gemeinsame Lernplattform "Mundo" der KMK ist dafür ein gutes Beispiel.

  2. Kompetenzen der Lehrkräfte: Ausstattung und Verfügbarmachung von Lernmedien allein reichen nicht; es bedarf entsprechender Kompetenzen der Lehrkräfte, um diese zu nutzen und zielgerichtet im Unterricht einzusetzen. Nicht überraschend zeigte sich während der Schulschließungen, dass die Lehrkräfte über höchst unterschiedliche Voraussetzungen verfügen, um den Herausforderungen des digitalen Unterrichtens zu begegnen. Dies verweist auf die Notwendigkeit, passende und bedarfsgerechte Fortbildungsangebote vorzuhalten. Hier allerdings wiederholt sich das Problem auf höherer Ebene, denn auch Fortbildnerinnen und Fortbildner sind in unterschiedlichem Ausmaß digital affin und vorgebildet. Auffällig ist jedenfalls, dass die Landesinstitute als staatliche Fortbildungsstätten in enormer Geschwindigkeit den Schwenk zum Digitalen gemacht und zahlreiche Angebote in Form von Webinaren, Lernvideos und als Blended-Learning (Kombination aus digitalem und Präsenzunterricht) vorgehalten haben. Möglicherweise lässt sich auf die kommende Lehrkräftegeneration hoffen, aber Skepsis bleibt angesagt, denn ein großer Teil der Lehrkräfte, die heute unterrichten, müssen selbst den "digitalen Wandel" noch vollziehen.

  3. Eine gemeinsame Idee der pädagogischen Qualität digitalisierten Unterrichts: Es ist deutlich geworden, dass Ausstattung allein noch keinen guten Unterricht ausmacht; auch die Kompetenzen der Lehrkräfte sind lediglich eine wichtige, aber eben nur eine weitere notwendige Bedingung für gelingenden digital gestützten Unterricht. Was es vor allem braucht, sind gemeinsame, klar definierte und geteilte normative Vorstellungen davon, wie guter digital gestützter Unterricht aussieht und worin sein pädagogischer Mehrwert liegt. Ansonsten läuft das Schulsystem Gefahr, Digitalisierung zum Selbstzweck zu verkürzen. Wie digitale Tools sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden können, welche computer- und informationsbezogenen Kompetenzen zum Gegenstand des Lernens werden sollten und wie diese am besten zu vermitteln sind, sind alles andere als triviale Fragen. Es bedarf dazu sowohl pädagogischer und normativer Debatten als auch solider empirischer Grundlagen. Und es braucht Zeit, Augenmaß und den hinreichenden Raum im häufig hektischen und von technischen Fragen dominierten Alltag, um Lehren und Lernen in der Zukunft nicht nur anders, sondern besser zu machen.

ist geschäftsführender Direktor des DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und Direktor der Abteilung "Struktur und Steuerung des Bildungswesens". E-Mail Link: maaz@dipf.de

ist promovierte Erziehungswissenschaftlerin und Direktorin des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg. E-Mail Link: martina.diedrich@ifbq.hamburg.de