Der klimapolitische Diskurs in Deutschland erscheint paradox: Nahezu alle politischen Akteure suchen sich zu überbieten, wenn es um die stetige Verschärfung der Klimaziele und um die Verkürzung des Zeitrahmens geht, ohne zugleich die geeigneten Instrumente zur Erreichung dieser ehrgeizigen Ziele kritisch zu diskutieren. So hat auch die grundsätzliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021, die "ausreichende Vorkehrungen" zur Zielerfüllung anmahnt,
Den klimapolitischen Diskurs in Deutschland prägen moralische Argumente und eine emotionale, mit katastrophischen Bildern und ökologischer Apokalyptik arbeitende Sprache.
Gerechtigkeit
Klimaschutz ist moralisch zuerst aus Gründen der Gerechtigkeit gefordert: Keiner Generation steht das Recht zu, die natürlichen Ressourcen im Übermaß für sich zu nutzen und späteren Generationen ungebührliche Lasten aufzuerlegen. In der mit Klimaproblemen befassten ethischen Gerechtigkeitsdebatte konkurrieren unterschiedliche normative Modelle – etwa ein liberaler Egalitarismus in der Tradition von John Rawls, eine utilitaristische Zukunftsethik und ein auf die Sicherung eines Grundniveaus an zukünftigem Wohlergehen abzielender "Suffizientarismus".
Vorstellungen von Gerechtigkeit besitzen jedoch die unbequeme Eigenschaft, dass sie nicht nur auf Zustände und Ergebnisse, sondern auch auf Verfahren und Prozesse bezogen werden können, die zu entsprechenden Ergebnissen führen. Die normative Logik verlangt, Ergebnis und Verfahren zusammenzudenken: Wenn "die Gegenwart" moralisch verpflichtet ist, für "die Zukunft" vorzusorgen und effektiven Klimaschutz zu betreiben, dann kann es moralisch nicht irrelevant sein, wie "die Gegenwart" die Kosten verteilt.
Klimagerechtigkeit hat also zwei Seiten, die es verdienen, in der öffentlichen Debatte gleichermaßen thematisiert zu werden. Die intergenerationelle Perspektive zeigt auf, welcher Klimaschutz gerecht ist, welcher Klimaschutz zukünftigen Generationen moralisch geschuldet ist – und die intragenerationelle Perspektive zeigt auf, wie Klimaschutz in der Gegenwart gerecht zu organisieren ist und wie eine gerechte Verteilung der gegenwärtigen Kosten für den Klimaschutz auszusehen hat.
Das Erreichen der politisch beschlossenen Klimaziele bringt erhebliche Einschränkungen und Veränderungen der Konsum- und Produktionsaktivitäten und somit erhebliche gesellschaftliche Kosten mit sich. Eine weitere Verschärfung der klimapolitischen Anforderungen in Deutschland durch Vorziehen der Klimaneutralität von 2050 auf 2045, wie im von der damaligen Bundesregierung hastig überarbeiteten und im Juni 2021 beschlossenen Klimaschutzgesetz vorgesehen, treibt diese Kosten weiter in die Höhe. Es ist ein Gebot politischer Aufrichtigkeit, dies klar zu kommunizieren. Wer Kosten gesamtgesellschaftlich gerecht verteilen will, muss sie zuallererst transparent offenlegen. Dazu gehört auch, dass die politischen Parteien alternative Politikarrangements klar konturieren, um so der demokratischen Wählerschaft eine echte Auswahl und damit Entscheidungsmacht zu geben. Anders formuliert: "Letztlich steht und fällt eine zielführende Klimapolitik mit der Fähigkeit der Politik, sich gegenüber den Bürgern glaubwürdig zu einer Klimapolitik zu bekennen."
Zielkonflikte
Viele Vertreter einer ambitionierten Klimapolitik sind implizit der Auffassung, dass dem Klimaschutz der höchste Stellenwert gegenüber allen anderen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Zielen einzuräumen ist. Eine solche Haltung lässt außer Acht, dass die Vereinten Nationen 2015 17 Entwicklungsziele verabschiedet haben, die die menschlichen Bedürfnisse umfassend widerspiegeln und gemeinsam erreicht werden sollen.
Selbstredend können diese Ziele miteinander in Konflikt geraten. Darauf reagierende politische Prozesse der Konfliktlösung sollten als wesentliches, geradezu unverzichtbares Medium der Herstellung intragenerationeller Gerechtigkeit angesehen werden. Wo alles unhinterfragt dem Klimaschutz untergeordnet wird, wird der dringend nötigen öffentlichen Debatte über gegenwärtige Klimagerechtigkeit, das heißt Klimaschutzkostengerechtigkeit, aus dem Weg gegangen. Es drohen "neue Ungerechtigkeiten (…) im Gewand des Umweltschutzes".
Wer alle Gesetze unter einen klimapolitischen Vorbehalt stellt und pauschal wirtschaftliche Aktivitäten in klimaförderlicher Absicht als "gut" oder "böse" kategorisiert, der muss sich die Frage nach seinem Gerechtigkeitsverständnis gefallen lassen: Warum sollte etwa eine klimapolitische Maßnahme zu billigen sein, deren Kosten die am schlechtesten Gestellten der Gegenwart in besonderem Maße belasten?
Effizienz
Gerechtigkeit und Effizienz haben weitaus mehr miteinander zu tun als gemeinhin angenommen. Wo das Ziel – der Klimaschutz – moralisch gefordert ist, ist von einer Gesellschaft zunächst einmal zu verlangen, dass sie ihren Beitrag zum Erreichen dieses Ziels leistet. Wie sie das tut, ist ihre demokratische Entscheidung. Wenn eine Gesellschaft einen stark ineffizienten Weg zum Erreichen des moralisch Gebotenen einschlägt, können sich Menschen mit Recht über Ungerechtigkeit beklagen: Jeder von ihnen muss mehr zahlen, als zum Erfüllen der moralischen Norm erforderlich wäre, würden die Mittel nur effizient eingesetzt. Die Ungerechtigkeit steigt in dem Maße, in dem Einzelne schlechter gestellt sind und selbst nur über begrenzte Ressourcen verfügen. Eine ineffiziente und ineffektive Klimapolitik hat besonders regressive Verteilungswirkungen und schädigt die unteren Bevölkerungsschichten überproportional. Unerwünschte Verteilungswirkungen und eine soziale Schieflage der bisherigen politischen Maßnahmen sind unübersehbar: So belastet die EEG-Umlage auf den Stromverbrauch die unteren Einkommensgruppen verhältnismäßig stark, die staatlichen Förderung der Elektromobilität kommt besonders den kaufkräftigen Einkommensbeziehern und Dienstwagennutzern zugute und von der umfangreichen energetischen Gebäudeförderung profitieren die Eigenheim- und Wohnraumbesitzerinnen. Klimapolitik aber wird nur dann nachhaltig und erfolgreich sein, wenn sie von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung auch als sozial gerecht empfunden wird.
Eben aus diesem Grund ist Effizienz dort, wo der Gegenwart im Sinne intergenerationeller Gerechtigkeit Forderungen auferlegt werden, selbst ein normatives Gebot. Es geht um eine kosteneffiziente Klimapolitik, die nur dadurch erreicht werden kann, dass es zu einem marktlichen Ausgleich der Grenzvermeidungskosten in allen Bereichen und allen Sektoren und in allen Wirtschaftsräumen kommt.
Technologieoffenheit
Der "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" bedeutet aber noch weitaus mehr: Energiesparmaßnahmen, Verbesserungen der Energieeffizienz und eine nachhaltigere Lebensweise werden sicher zu den Klimaschutzzielen beitragen. Es steht aber zu erwarten, dass es Innovationen und Technologien der Zukunft sind, die den wesentlichen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Als Gamechanger sind sie effizienter in der Zielerreichung und, entsprechend des Zusammenhangs von Effizienz und Gerechtigkeit, auch gerechter. In seinem 2021 erschienenen Buch zum Klimaschutz illustriert Bill Gates diesen Zusammenhang am unmittelbar einleuchtenden Beispiel der gerechten und klimafreundlichen Stromversorgung in Entwicklungsländern.
Mit seinem Alleingang beim Ausstieg aus der Kernenergie ist Deutschland kein Vorbild für andere Länder. Kein anderes Land hat – im Nachgang zur Katastrophe von Fukushima 2011 – eine ähnlich radikale Entscheidung getroffen. Deutschland setzt mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz seit 2000 (fast) ausschließlich auf den verstärkten Einsatz von politisch ausgewählten erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Wind- und Bioenergie) und lehnt es ab, andere neue oder alternative Technologien zu erforschen und auch anzuwenden. So werden in Deutschland etwa die Carbon-Capture-Storage (CCS) und die Carbon-Capture-Utilization (CCU) ignoriert. Mit dem nationalen Kernenergieausstieg sind auch sämtliche Weiterentwicklungen von Fusionsreaktoren kategorisch ausgeschlossen – und alternative Energieformen und -quellen wie zum Beispiel alternative Antriebe oder synthetische Treibstoffe werden eher stiefmütterlich behandelt. Andere Länder hingegen setzen auf einen offenen Mix verschiedener Formen der Energiegewinnung und einen technologieoffenen Ansatz, der auch die Kernenergie berücksichtigt, für die sich insbesondere Frankreich innerhalb der EU stark macht.
Das "Wall Street Journal" bezeichnete die deutsche Energiewende im Januar 2019 als die "dümmste Energiepolitik der Welt".
Internationale Zusammenarbeit
Wer das eingangs beschriebene Doppelgebot der Gerechtigkeit ernst nimmt, wird schließlich an der grundlegenden Problemstruktur der Klimafrage nicht vorbeikommen: Der Schutz des Klimas ist ein internationales nicht-ausschließbares Gemeinschaftsgut. Dies bedeutet, dass es für alle Länder rational ist, sich nicht an der Bereitstellung des öffentlichen Gutes Klimaschutz zu beteiligen, wenn nicht auch (fast) alle anderen Länder sich angemessen daran beteiligen. Der Sachverständigenrat Wirtschaft hat daher der internationalen Kooperation aller Staaten eine zentrale Bedeutung für eine nachhaltige Klimapolitik beigemessen. Es reicht eben nicht aus, wenn sich ein einziges Land wie Deutschland mit einem Anteil von rund zwei Prozent an den weltweiten Treibhausgasemissionen ohne abgestimmtes und koordiniertes Verhalten selbst ambitionierte nationale Klimaschutzziele setzt und sich damit enorme gesellschaftliche Kosten auferlegt.
Auch dies ist zuallererst eine Frage der Gerechtigkeit: Niemand kann von einem Menschen erwarten, enorme Ressourcen für ein nicht zu erreichendes Ziel aufzubringen. Dieses Ansinnen bedeutet aus wirtschaftsethischer Sicht eine "Selbstaufopferung Deutschlands".
Es erscheint damit sowohl als Gebot der Gerechtigkeit wie auch der Effizienz, dass Deutschland zuallererst mit anderen relevanten Ländern über ein gemeinsames und praktisch wirksames Vorgehen verhandelt. Eine wirksame Klimapolitik für Deutschland muss zuallererst Klimaaußenpolitik sein, wie sie auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung programmatisch verankert ist.
Gesellschaftliche Akzeptanz
Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, Probleme der intragenerationellen Gerechtigkeit und Fragen der Effizienz in der klimapolitischen Debatte endlich zusammenzudenken. Ohne eine gerechte und damit hinreichend effiziente Verteilung der Klimaschutzkosten wird es schwer sein, demokratische Mehrheiten für das Jahrhundertprojekt des Klimaschutzes zu finden. Der massive Strukturwandel hin zur klimaneutralen Gesellschaft ist auf breite gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Der Umbau der Gesellschaft hat gerade erst begonnen, der größte Anteil der Kosten wird in Zukunft zu entrichten sein. Mit den Kosten werden auch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Kostenverteilung zunehmen und damit zwangsläufig Fragen nach Gerechtigkeit und Effizienz aufwerfen. Mit gutem Grund hat der Bundesrechnungshof jüngst die durch die Ineffizienzen hervorgerufenen enormen Kosten der Energiewende deutlich als Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland und als Bedrohung für die gesellschaftliche Akzeptanz der Klimawende herausgestellt.
Schlussbemerkungen
Wer eine Klimapolitik will, die den Anforderungen der Gerechtigkeit ebenso genügt wie denen der Effizienz, sollte mehr auf Vernunft und weniger auf Panik setzen. Eine zielführende, rationale Klimapolitik beginnt mit einer ebenso offenen wie ehrlichen Diskussion, in der die verschiedenen, nicht zuletzt innovationsgestützten Optionen ebenso zur Sprache kommen wie die mit ihnen verbundenen Kosten. Angesichts der Größe der klimapolitischen Herausforderung ist es geradezu politisch fahrlässig, die Klimapolitik auf die medienwirksame Verabschiedung immer ambitionierterer Klimaziele zu konzentrieren, ohne die Effizienz und Wirksamkeit der gegenwärtig hauptsächlich zum Einsatz kommenden Instrumente kritisch zu hinterfragen.
Die deutsche Politik muss sich auf internationaler Ebene für ein funktionierendes Emissionshandelssystem einsetzen, das auf Wechselseitigkeit beruht, damit die hierzulande erzielten Erfolge in der Emissionsreduktion nicht durch massiv steigende CO2-Emissionen in anderen Teilen der Welt zunichtegemacht werden. Nur so ist ein weltweit effektiver und effizienter Klimaschutz möglich. Und nur so wird deutsche Klimapolitik mehrheitsfähig bleiben. Dabei ist immer zu bedenken: Der Weg zur Klimaneutralität ist ein Marathon und kein Sprint. Die Gesellschaft kann diesen Marathon nur durchhalten, wenn einer breiten Mehrheit auf Dauer zu vermitteln ist, dass die Klimapolitik ebenso effizient wie gerecht ist und damit der beste Weg zum geforderten Ziel der Klimaneutralität gewählt worden ist.
Der Beitrag basiert auf dem Text "Gerechtigkeit und Effizienz. Zentrale Aspekte der gesellschaftlichen Akzeptanz der Energiewende", in: Wirtschaftsdienst 12/2021, S. 971–976.