In den vergangenen Jahren sind Denkmäler zu einem ungewohnt heiß umstrittenen Thema im öffentlichen Diskurs geworden. Ob Standbilder von kolonialen Herrschern oder Konföderierten-Generälen stehen oder fallen sollten, ob Straßen und Bauten mit den Namen von Sklavenbesitzern oder -händlern umgetauft werden müssten, wird in den Medien, in der Politik und in der Wissenschaft debattiert, und dies international. Das Thema ist nicht neu, aber mit dem Mord an George Floyd durch einen weißen Polizisten in Minneapolis und der gewaltigen Welle an öffentlichem Protest, die er im Sommer 2020 unter dem Banner der Black-Lives-Matter-Bewegung über die ganze Welt auslöste, stellt sich die Frage nach dem Platz von Denkmälern in unseren Städten und unserer Gesellschaft mit großer Dringlichkeit.
In der Vielstimmigkeit der öffentlichen Diskussion des vergangenen Jahres, zwischen all den Meinungsäußerungen und Stellungnahmen von AktivistInnen, ExpertInnen und MeinungsbildnerInnen, die geäußert, gedruckt und gesendet wurden, wird allerdings die Perspektive ausgerechnet derjenigen in der Gesellschaft, deren primäre Aufgabe und tägliches Geschäft die Auseinandersetzung und den Umgang mit Denkmälern darstellt – nämlich die DenkmalwissenschaftlerInnen und DenkmalpflegerInnen –, eher selten gefragt oder gehört. Doch ist diese Perspektive für die Kernfragen der aktuellen Debatte höchst relevant. Denn bei den Denkmalwissenschaften geht es nicht allein, wie viele vielleicht vermuten, um "technische Praktiken der Konservierung und Prozesse der Verwaltung des kulturellen Erbes", das heißt um die Erhaltung der materiellen Substanz historischer Objekte wie etwa Standbilder, wobei auch dies ein wichtiges Anliegen des Faches ist. Vielmehr geht es, in den Worten des britischen Heritage-Forschers Rodney Harrison, darum, "das Wesen des Kulturerbes kritisch zu diskutieren und die Gründe zu untersuchen, warum wir bestimmte Objekte, Orte und Praktiken für (…) schutz- und erhaltenswürdig halten".
Mit diesem Beitrag möchte ich die Gelegenheit nutzen, die besondere Perspektive der Denkmalwissenschaften in die aktuelle Diskussion über den Umgang mit Denkmälern für Persönlichkeiten der Kolonialzeit und VertreterInnen des Kolonialismus einzubringen. Dazu werde ich einige theoretische Grundsätze der Denkmalpflege einführen und auf dieser Basis verschiedene aktuell kursierende Vorschläge und Forderungen für den Umgang kritisch prüfen. Dabei beziehe ich mich vor allem auf Beispiele aus Deutschland, Großbritannien und den USA und greife auf die Forschungen und Erkenntnisse von FachkollegInnen aus diesen Ländern zurück. Es wird kaum überraschen, dass es Konsens innerhalb des Faches ist, Denkmäler zu bewahren und die Beschädigung, Zerstörung oder Beseitigung dieser Objekte abzulehnen. Dies gleich zu Beginn zu verraten, nimmt allerdings nichts von der Pointe des Beitrags vorweg, denn die Denkmalpflege bewahrt keineswegs nur um des Bewahrens willen. Ganz im Gegenteil steht die Entscheidung für die Bewahrung eines Objektes am Ende eines sorgfältig reflektierten Denkprozesses, dessen theoretische Grundlagen – so meine Überzeugung – auch die allgemeine gesellschaftliche Debatte um Denkmäler produktiv vorwärtsbringen kann.
Gewollte und gewordene Denkmäler
Im Folgenden wird ausschließlich von sogenannten gewollten Denkmälern die Rede sein. Der Begriff wurde 1903 vom österreichischen Kunsthistoriker und frühen Denkmaltheoretiker Alois Riegl geprägt und bezeichnet "ein Werk von Menschenhand, errichtet zu dem bestimmten Zweck, um einzelne menschliche Taten oder Geschicke (oder Komplexe mehrerer solcher) im Bewußtsein der nachlebenden Generationen stets gegenwärtig und lebendig zu erhalten. Es kann entweder ein Kunstdenkmal oder ein Schriftdenkmal sein, je nachdem es das zu verewigende Ereignis mit den bloßen Ausdruckmitteln der bildenden Kunst oder unter Zuhilfenahme einer Inschrift dem Beschauer zur Kenntnis bringt."
In dieser inzwischen über hundert Jahre alten Definition sind die Objekte problemlos wiederzuerkennen, um die es in der aktuellen Debatte hauptsächlich geht: die Standbilder, die historische Figuren darstellen und feiern; die Obelisken, Skulpturen, Gedenksteine und Tafeln, die sie ehren und die Erinnerung an sie wachhalten; die Benennungen von Straßen, Plätzen und Gebäuden, die ihre Namen und Taten in die Struktur und den Stoff des öffentlichen Raums einschreiben und als Vorbild präsentieren.
Nicht behandelt werden hingegen die sogenannten gewordenen Denkmäler, die große Kategorie der Objekte, denen erst im Laufe der Zeit und aufgrund ihrer künstlerischen Qualität, ihrer historischen Zeugniskraft, ihres hohen Alters oder ihrer Seltenheit ein besonderer Wert zugeschrieben wird. Dabei wird anerkannt, dass auch gewordene Denkmäler koloniale Strukturen manifestieren, tradieren und "verewigen" können, wie etwa die Historikerin Mirjam Brusius mit Bezug auf Bristol, wo 2020 das Standbild des Sklavenhändlers Edward Colston durch Protestierende gestürzt wurde, festhält: "Viele Städte realisieren jetzt eben, dass ihr Reichtum", – und damit eigentlich ihr gesamtes architektonisches und städtebauliches Gefüge – "wie der von Bristol auf einem System der Ausbeutung basiert".
Bei beiden Denkmalkategorien, den gewollten und den gewordenen Denkmälern, geht es um Objekte und Orte, "die in der Gegenwart eine gewisse Bedeutung haben und sich auf die Vergangenheit beziehen", wie Harrison erklärt.
Bekanntlich sind die Mitglieder einer Gesellschaft sich nicht immer darüber einig, was ihnen wichtig oder wertvoll ist. Deswegen spricht man in der Denkmaltheorie von Inwertsetzung als gesellschaftlichem Aushandlungsprozess: Unter den Mitgliedern muss ausgehandelt werden, welche ihre gemeinsame Werte sind und was genau – sprich welche Objekte und Orte – auf welche Art und Weise für diese Werte stehen sollte. Solche Aushandlungsprozesse können durchaus mit Friktion und sogar Konflikt verbunden sein, insofern sind sie als politische Prozesse zu verstehen. Und genau wie in der Politik sind nicht alle Teilnehmer am Diskurs gleich gut aufgestellt. Manche sind aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft, aufgrund ihres finanziellen oder kulturellen Kapitals besser in der Lage, sich beim Bestimmen von gemeinsamen Werten und im Ringen um die Deutungshoheit über Denkmäler durchzusetzen. Anders gesagt, geht es auch hier um Machtverhältnisse. Harrison fasst zusammen: "Das kulturelle Erbe (…) ist ein dynamischer Prozess, bei dem es um Konkurrenz darüber geht, wessen Version der Vergangenheit (…) in der Gegenwart offiziell vertreten wird."
Dass Denkmäler ein besonders starkes Konfliktpotenzial bergen, ja sogar den Anlass für Gewalt sein können, erklärt sich vor allem durch ihre legitimierende Wirkung, durch die Wahrnehmung der "moralische[n] und gesetzliche[n] Rechte, die sich aus der von ihnen behaupteten Version der Vergangenheit ergeben".
Wenn Denkmäler sichtbar werden
Das alles kann Jahrzehnte, gar Jahrhunderte so bleiben, bis etwas passiert, das den herrschenden Konsens und das etablierte Wertesystem – die Selbstverständlichkeiten – infrage stellt und das Denkmal wieder sichtbar macht – wie jetzt. Die unmittelbaren Auslöser dieser Entwicklung sind verschiedene. In den USA rückten bereits vor dem Mord an George Floyd der Anschlag eines Neonazis auf antirassistische Demonstrierende in Charlottesville 2017 und das Massaker an neun Besuchern eines Gottesdienstes in einer afroamerikanischen Gemeinde in Charleston 2017 die Denkmäler und Symbole der Konföderierten in diesen und anderen Orten ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. In Großbritannien hingegen reichen die Bemühungen von Gruppen wie Countering Colston, eine breitere Diskussion um das Standbild des Sklavenhändlers zu fördern und öffentliches Interesse für die Entwicklung einer Strategie für den Umgang mit diesem Denkmal zu erwecken, bis in die 1990er Jahre zurück.
Die Erklärung dafür, warum dieser Punkt ausgerechnet jetzt und nicht früher erreicht worden ist, wird die Wissenschaft noch jahrelang beschäftigen. Eindeutig ist, dass Denkmäler wie die Colston-Statue in Bristol oder die Figur des Konföderierten-Generals Robert E. Lee, die im Fokus der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Charleston stand, als Symbole und Manifestationen eines nicht mehr selbstverständlichen Wertesystems verstanden werden und aus genau diesem Grund zu Objekten des Streits geworden sind. Gerade dieses Umstritten-Sein macht noch mal die wesentliche Funktion des Denkmals in der Gesellschaft deutlich, nämlich als Medium für das Führen von Diskursen über Werte, als Orte, wo Menschen im wortwörtlichen Sinne zusammenkommen können, um an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen teilzunehmen. So gesehen sollten sie also vielleicht doch nicht ohne Weiteres zerstört oder entfernt werden, sondern stehen bleiben und bewahrt werden. Und dies nicht etwa deswegen, weil, wie Musil schreibt, man so eine persona non grata "gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals ins Meer des Vergessens [stürzen] kann"
Dies kann keiner der Konfliktparteien wirklich zum Vorteil gereichen. GegnerInnen der Beseitigung von Denkmälern wollen Denkmäler stehen lassen, aus Angst vor der "Ausradierung" oder "Umschreibung unserer Geschichte"
Aus diesem Grund möchte ich den BefürworterInnen einer Beseitigung dringend empfehlen, ihre Position zu überdenken. Hier besteht die Chance, ein echtes Erbe im modernen Sinne entstehen zu lassen, ein Erbe, das seine unentbehrliche gesellschaftliche Funktion erfüllen und eine anhaltende Wirkung entfalten kann. Denn wenn es stimmt, dass "es mehr als der Entfernung eines Standbilds bedarf, um Whiteness aus seiner Herrschaftsposition zu rücken",
Einen Streit wert
Damit sind wir bei dem wichtigsten denkmaltheoretischen Punkt, den ich hier in die Diskussion einführen möchte: Zu den wesentlichen Werten eines Denkmals für die Gesellschaft gehört neben seinem künstlerischen und historischen Wert auch sein sogenannter Streitwert. Der Begriff des Streitwerts wurde gegen Ende der 2000er Jahre von der Denkmalwissenschaftlerin Gabi Dolff-Bonekämper geprägt und hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen.
"Streit durchzieht alle gesellschaftlichen Inwertsetzungs-Vorgänge. (…) Denn über jeden Wert kann gestritten werden. (…) Das Streiten, das offenbar jeder Denkmalwerdung inhärent ist, sehe ich (…) als kulturell produktive, in der Sache wie in der Gesellschaft weiterführende Tätigkeit."
Auf die Frage des heutigen Umgangs mit den umstrittenen Denkmälern des Kolonialismus übertragen, heißt dies, diese Objekte zu bewahren und intakt zu halten, sowohl in ihrer materiellen Beschaffenheit als auch in ihren räumlichen Zusammenhängen. Denn letztendlich sei das, was "den Denkmalen tatsächlich eigen ist", allein "ihre Form, ihre Substanz und ihr Ort in Raum und Zeit"; sämtliche andere ihrer Qualitäten entstehen und bestehen ausschließlich in den Köpfen der Menschen. Aus diesem Grund, fasst Dolff-Bonekämper zusammen, "haben wir Denkmalpfleger und Denkmalpflegerinnen (…) zwar eine kritische Beziehung zur Bedeutung der Denkmale, aber ein affirmatives Verhältnis zu ihrer Substanz".
Dies bedeutet natürlich nicht, dass Statuen und Straßennamen, die den Gedanken des Kolonialismus verherrlichen und Strukturen der Diskriminierung reproduzieren, einfach so belassen werden sollten, wie sie sind. Vielmehr müssen sie in ihren historischen Kontext eingeordnet werden. Ihre Geschichte muss vervollständigt und nuanciert werden, dieses Wissen aktiv vermittelt und die Bedeutung der kolonialen Vergangenheit für uns in der Gegenwart gemeinsam diskutiert werden. Gerade hier kann die Denkmalwissenschaft als Geschichts- und Kulturwissenschaft eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus kann sie als gestaltendes Fach zur Entwicklung von Vermittlungs- und Präsentationsstrategien beitragen, die auf kreative Art und Weise die "oktroyierten" Botschaften von "gewollten Denkmälern" infrage stellen, ohne sie zu beschädigen oder zu zerstören und ohne ihre historische Zeugniskraft zu beeinträchtigen oder dem freien Spiel gegenwärtiger und zukünftiger Deutungsvorgänge Grenzen zu setzen.
Kontextualisierung und künstlerische Aufarbeitung sind es übrigens auch, wofür die meisten Aktivistengruppen, die koloniale Denkmäler als Fokus und Ausgangspunkt für ihren politischen Protest nehmen, sich einsetzen – neben Countering Colston in Großbritannien
Für die Ausarbeitung von "profunde[n], wissenschaftlich erarbeitete[n], abgestimmte[n] und ausgewogene[n]" Erläuterungen von Denkmälern allerdings, wie vom Denkmalamt in Bremen für die Bismarck-Statue in jener Stadt empfohlen wird,
Der Erfolg solcher Aushandlungs- und Annäherungsprozesse setzt indes voraus, dass im Ringen um die Deutungshoheit gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen und alle Teilnehmer in gutem Glauben handeln. Leider ist dies nicht immer der Fall: Allzu oft sind Machtverhältnisse weiterhin durch eine Schieflage zugunsten politisch einflussreicher Interessengruppen charakterisiert. Vielfach haben die Kräfte, die den Status quo aufrechterhalten, wenig mit Demokratie zu tun. Es handelt sich eher um Machtausübung durch das Establishment, das sich dazu auch der Instrumente seiner Macht, das heißt der Gesetze – inklusive Denkmalschutzgesetze – bedient, um das öffentliche Infragestellen von kolonialen Denkmälern zu verhindern.
Zusammenfassung
Aus Sicht der Denkmalwissenschaften sind historische Kontextualisierung und zerstörungsfreie künstlerische Aufarbeitung für den Umgang mit Denkmälern des Kolonialismus die Optionen erster Wahl. Am besten soll dies auch an Ort und Stelle erfolgen, das heißt nur in Ausnahmefällen im Skulpturenpark oder im Museum. Zwar bieten museale Einrichtungen ideale Bedingungen für die Vermittlung von Kultur und Geschichte, wie die Denkmalpflegerin und Architekturhistorikerin Daniela Spiegel zu Recht betont, stellen aber letztendlich geschlossene Räume dar, in denen Diskussionen über koloniales Erbe nicht mehr in der Öffentlichkeit geführt werden.